L 10 B 254/07 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 22 AS 1083/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 254/07 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 19. Januar 2007 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Frau Rechtsanwältin M K, M V, beigeordnet.

Gründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 19. Januar 2007 ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und begründet.

Der Klägerin ist Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozeßbevollmächtigten zu gewähren, da sie nach ihren – hier mit Blick auf § 73 a Abs 1 Satz 1 in Verbindung mit § 127 Abs 1 Satz 3 Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht näher darzulegenden – persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise oder in Raten aufzubringen (§ 73 a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 115 ZPO).

Der beabsichtigten Rechtsverfolgung kann auch eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73 a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO) nicht abgesprochen werden. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg ist gegeben, wenn bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes eine "reale Chance zum Obsiegen" besteht, während sie bei einer "nur entfernten Erfolgschance" abzulehnen ist.

Anspruch auf Arbeitslosengeld II (§§ 19, 20, 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)) haben gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II Personen, bei denen neben den unter Nrn 1, 2 und 4 genannten Voraussetzungen – die hier nicht streitig sind – ua Hilfebedürftigkeit (Nr 3) besteht. Vorliegend kann eine Hilfebedürftigkeit der Klägerin iSv § 7 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 SGB II jeweils idF des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl I S 558; im Folgenden ohne Zusatz zitiert) ohne weitere Aufklärung des Sachverhaltes nicht ausgeschlossen werden, da bisher weder von der Beklagten noch vom Sozialgericht die hierzu erforderlichen Ermittlungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der mit der einkommens- und vermögenslosen Klägerin eine Bedarfsgemeinschaft bildenden Eltern vorgenommen worden sind. Denn bei den Ansprüchen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II handelt es sich um Individualansprüche der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, die von diesen individuell im Verwaltungsverfahren (vgl zur Beteiligtenfähigkeit: §§ 10, 11 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)) geltend gemacht werden können (§ 38 Abs 2 SGB II enthält nur eine Vermutung der Vertretung, die bei Stellung des Antrages durch ein anderes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft widerlegt ist; vgl hierzu SG Berlin Beschluss vom 20. Dezember 2006 – S 37 AS 11401/06 – veröffentlicht in Juris) bzw gerichtlich geltend zu machen sind (ständige Rspr des Senats zB Urteil vom 09. Mai 2006 – L 10 AS 1093/05 - und so auch BSG zB Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 8/06 R -, jeweils veröffentlicht in Juris), und deren Voraussetzungen im Einzelnen von der Beklagten und dem Gericht zu prüfen sind und zwar unabhängig davon, ob die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungen für sich begehren bzw beantragt haben.

Vorliegend beurteilt sich die Frage der Hilfebedürftigkeit der Klägerin nicht nur nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen, sondern auch nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen ihrer Eltern. Denn nach § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunter¬halt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, ua nicht aus dem zu berück¬sich¬tigenden Einkommen (§ 11 SGB II), sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Insbesondere ist bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern zu berücksichtigen (§ 9 Abs 2 Satz 2 SGB II). Grundsätzlich gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, soweit in der Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist (§ 9 Abs 2 Satz 3 SGB II).

Welche individuellen Einzelleistungsansprüche der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft begründet sind, ist dementsprechend bei bestehender Bedarfsgemeinschaft zu ermitteln, indem der Summe des Hilfebedarfs der die Bedarfsgemeinschaft bildenden Personen das ("bereinigte", einzusetzende) Einkommen und Vermögen gegenüber gestellt wird und das ggf verbleibende Defizit (der vom Träger zu deckende Bedarf) den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft anteilig zugeordnet wird. Insoweit können auch bei entsprechender Antragstellung realisierbare Ansprüche der Mutter der Klägerin begründet sein, wenn das Einkommen und Vermögen der Mutter zusammen mit dem Einkommen und Vermögen des Vaters nicht den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft sichert (so genannte fiktive Hilfebedürftigkeit vgl dazu BSG Urteile vom 07. November 2006 – B 7b AS 8/06 R und B 7b AS 10/06 R – veröffentlicht in Juris). Dabei ist es im Ergebnis nicht von Belang, ob die Bedarfsgemeinschaft ausgehend von der Mutter der Klägerin gebildet wird (§ 7 Abs 3 Nr 1 iVm Abs 3 Nr 3 a) und Nr 4 SGB II) oder ob die Klägerin als erwerbsfähige Hilfebedürftige (§ 7 Abs 3 Nr 1 SGB II) angesehen wird und ihre Eltern nach § 7 Abs 3 Nr 2 SGB II als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erfasst werden, in jedem Fall sind einerseits der Bedarf der Klägerin und ihrer Eltern und andererseits das Einkommen und Vermögen der Klägerin und ihrer Eltern maßgebend dafür, ob und ggf in welcher Höhe Leistungsansprüche bestehen. Der Vater der Klägerin gehört als Altersrentner zur Bedarfsgemeinschaft, auch wenn er gemäß § 7 Abs 4 SGB II selbst nicht – ergänzend – Leistungen nach dem SGB II erhalten kann (vgl insbesondere BSG Urteil vom 23. November 2006 – B 11b AS 1/06 R – veröffentlicht in Juris). Evtl gehört auch die Schwester der Klägerin (und deren Kind), deren Alter den Akten nicht entnommen werden kann, zur Bedarfsgemeinschaft, wobei zur Bestimmung ihrer Hilfebedürftigkeit das Einkommen und Vermögen der Eltern nicht berücksichtigt werden darf (§ 9 Abs 3 SGB II).

Ob eine Bedarfsgemeinschaft zwischen Eltern und unverheirateten Kindern, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, besteht, hängt nach § 7 Abs 3 Nr 2 und Nr 4 SGB II davon ab, ob die Beteiligten in einem Haushalt leben bzw einem Haushalt angehören. Wenn zwischen engen Verwandten eine Haushaltsgemeinschaft besteht, reicht dieser Sachverhalt aus, eine Bedarfsgemeinschaft zu begründen. Die Feststellung weiterer subjektiver Tatsachen ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich. Anders als etwa dann, wenn es um die Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft geht und es der Feststellung bedarf, ob innere Verbindungen vorliegen, die ein gegenseitiges füreinander Einstehen begründen, ist nach der gesetzlichen Regelung unter engen Verwandten, die zusammen leben, allein der Bestand einer Haushaltsgemeinschaft notwendig, um die Bedarfsgemeinschaft als konstituiert anzusehen. Davon ausgehend ist die vom Sozialgericht vorgenommene Würdigung der ua im Protokoll über den Hausbesuch vom 23. Oktober 2006 von Mitarbeitern der Beklagten beschriebenen tatsächlichen Umstände dahingehend, dass eine Haushaltsgemeinschaft der sich noch in der schulischen Ausbildung befindlichen Klägerin und ihrer Eltern (sowie der ebenfalls im Haus lebenden Schwester mit Kleinkind) besteht, nicht zu beanstanden.

Ausgehend von einer Bedarfsgemeinschaft der Klägerin und ihrer Eltern ist zunächst festzustellen, dass bei der Klägerin ein ungedeckter Bedarf - bestehend aus der Regelleistung iHv 276,00 EUR (§ 22 Abs 2 Satz 2 SGB II) und den anteiligen Kosten der Unterkunft (KdU) - durch das ihr als Einkommen (vgl BSG Urteile vom 07. November 2006– B 7b 18/06 R – und 23. November 2006 – B 11b 1/06 R-, jeweils veröffentlicht in Juris) gemäß § 11 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB II zuzuordnende Kindergeld iHv 154,00 EUR monatlich abzüglich einer Pauschale iHv 30,00 EUR (§ 11 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 3 Abs 1 Nr 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V)) iHv 152,00 EUR zzgl anteiliger KdU zu Grunde zu legen ist. Des Weiteren ist als Bedarf der Eltern neben den anteiligen KdU die Regelleistung jeweils mit einem Betrag von 311,00 EUR gemäß § 20 Abs 2 und 3 SGB II zu berücksichtigen.

Die maßgebliche Höhe der KdU, die bei mehreren Bewohnern einer Wohnung bzw eines Hauses nach der "Kopfzahl" aufzuteilen und zu berücksichtigen sind (vgl BSG Urteile vom 07. November 2006– B 7b 18/06 R - und 23. November 2006 – B 11b 1/06 R –, aaO), kann erst nach weiteren Ermittlungen bestimmt werden. Derzeit fehlt es an ausreichenden Feststellungen dazu, welche Kosten für das elterliche Haus insgesamt regelmäßig anfallen und wie viele Personen im streitigen Zeitraum ab dem 01. Juli 2006 das Haus bewohnen. Nach den in der Verwaltungsakte vorhandenen Unterlagen ergibt sich ohne Haushaltsenergie ein "Jahresbetrag" von ca 3.624,00 EUR bzw ein Betrag von monatlich ca 302,00 EUR für die Gesamt-KdU, wobei insbesondere die Instandhaltungspauschale noch nicht berücksichtigt ist. Ausgehend von einem 3-Personen-Haushalt (der Klägerin und ihren Eltern) ergäbe sich demzufolge ein Gesamtbedarf von 1.076,00 EUR. Dem stehen das Altersrenteneinkommen des Vaters, zumindest bereinigt um die Pauschale nach § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 3 Abs 1 Nr 1 Alg II-V, iHv 666,05 EUR und das noch näher zu ermittelnde tatsächliche, nach § 11 SGB II iVm der Alg II-V berücksichtigungsfähige Einkommen der Mutter aus Vermietung gegenüber. Insoweit kann nicht auf den Einkommenssteuerbescheid allein abgestellt werden, da hieraus weder die evtl abzusetzenden, mit den Einnahmen aus der Vermietung verbundenen notwendigen Ausgaben noch die darüber hinaus gemäß § 11 SGB II zu berücksichtigenden Absetzungsbeträge entnommen werden können. Von daher ist derzeit offen, in welchem Umfang der Gesamtbedarf der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft durch das Einkommen der Eltern gedeckt ist bzw in welcher Höhe noch ein ungedeckter Bedarf bei der Klägerin besteht.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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