L 14 R 215/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 R 1670/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 215/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 534/06 B
Datum
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. November 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1952 in Bosnien geborene, seit 1971 in Deutschland lebende Klägerin war hier mit Hilfstätigkeiten als Näherin und zuletzt als Reinigungsfrau bis Juni 1994 versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend sind in ihrem Versicherungsverlauf vom 23.09.2005 bis Januar 1997 Pflichtbeiträge für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit vermerkt.

Ein erster, im September 1995 wegen Wirbelsäulenleidens, Bluthochdrucks etc. gestellter Rentenantrag blieb erfolglos (ablehnender Bescheid vom 13.05.1996, zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 11.10.1996; vergleichsweise Beendigung des anschließenden Klageverfahrens im Februar 1998 nach Gutachten auf internistischem, neurologisch-psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet und Zusage eines Heilverfahrens durch die Beklagte).

Aus dem in der Zeit vom 24.08. bis 05.10.1998 durchgeführten Heilverfahren in Bad D. wurde die Klägerin u.a. mit den Diagnosen "länger dauernde mittelgradige depressive Reaktion, somatoforme Schmerzstörung (Panalgesie)" für die letzte Tätigkeit einer Raumpflegerin als arbeitsunfähig entlassen; nach der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung wurden jedoch leichte körperliche Tätigkeiten ohne hohe Anforderungen an das Umstellungs- und Anpassungsvermögen vollschichtig als zumutbar angesehen.

Mit Beschluss vom 18.10.2001 ordnete das Amtsgericht M. - Vormundschaftsgericht - eine Betreuung der Klägerin mit den Aufgabenkreisen "Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Wohnungsangelegenheiten, Arbeitsangelegenheiten" an. Zugrunde lag ein Gutachten des Dr.S. vom 26.09.2001, der bei der Klägerin eine erhebliche Persönlichkeitsstörung mit Laisser-Faire-Verhalten und eine reaktive Depression mit Überforderungsgefühlen festgestellt und Unterstützungsbedarf in den genannten Bereichen zunächst für ein bis zwei Jahre gesehen hatte. Die Betreuung wurde später (Gutachten des Dr.S. vom 25.09.2003) auf den Bereich "Postangelegenheiten" ausgeweitet sowie ein Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet. Erst mit Beschluss vom 27.12.2004 wurde sie nach Besserung der gesundheitlichen Situation, aber auch angesichts einer "Betreuungsunfähigkeit" der Klägerin wieder aufgehoben.

Ein zweiter, im Oktober 2001 durch den damaligen Betreuer gestellter Rentenantrag, mit dem die Klägerin das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit seit Ende der Heilmaßnahmen im Jahre 1998 geltend machte, blieb ebenfalls erfolglos. Nach Begutachtungen der Klägerin auf nervenärztlichem, chirurgischem und internistischem Fachgebiet wies die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 13.03.2002 wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen für einen Rentenanspruch im Zeitpunkt der Antragstellung, aber auch wegen eines noch bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2003 zurückgewiesen. Ein Rechtsmittel wurde nicht eingelegt.

Den streitgegenständlichen dritten Rentenantrag stellte die Klägerin durch ihre Betreuerin am 09.03.2004. Sie machte erneut eine bereits seit dem 29.09.1998 bestehende Erwerbsminderung geltend und gab an, gesundheitsbedingt nicht zur rechtzeitigen Antragstellung zu dem Zeitpunkt in der Lage gewesen zu sein, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erhalten waren, und beantragte insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Beklagte prüfte das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit seit 1998 neu. Sie lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16.03.2004 unter Bezugnahme auf das Ergebnis des im Jahre 1998 durchgeführten Heilverfahrens und auf die während des zweiten Rentenantragsverfahrens eingeholten Begutachtungen (nervenärztliches Gutachten des Dr.G. vom 21.01.2002, chirurgisches Gutachten der Dr.L. vom 08.02.2002, internistisches Gutachten des Dr.T. vom 01.03.2002) ab. Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ab 29.09.1998 habe nicht vorgelegen. Der Widerspruch hiergegen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2004 zurückgewiesen. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) holte dieses Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr.P. und Dr.F. ein und zog die Schwerbehindertenakte des Amts für Versorgung und Familienförderung M. sowie die Betreuungsakte des Vormundschaftsgerichts M. bei. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 24.11.2005 unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 13.09.2004 gemäß § 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab. Es führte ergänzend aus, die besonderen beitragsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs.2 Nr.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bzw. gemäß der Sonderregelung des § 241 SGB VI seien im Zeitpunkt der Antragstellung nicht gegeben. Eine Vorverlegung des Leistungsfalles in das Jahr 1998 scheitere daran, dass die Klägerin anläßlich des Heilverfahrens in Bad D. im Jahre 1998 noch leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig habe verrichten können. Einer abermaligen Begutachtung habe es daher nicht bedurft.

Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil und verfolgt ihr auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund eines bereits im Jahre 1998 eingetretenen Leistungsfalles gerichtetes Begehren weiter. Sie verweist auf die im Oktober 2001 angeordnete Betreuung und das zugrunde liegende Gutachten des Dr.S. vom 26.09.2001. Hieraus ergebe sich, dass die Klägerin zuvor zwei Jahre lang obdachlos und krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, viele Angelegenheiten des täglichen Lebens zu regeln. Die Betreuung sei erst im Dezember 2004 wieder aufgehoben worden, und zwar wegen Betreuungsunfähigkeit der Klägerin. Zu Unrecht habe das SG bei diesem Sachverhalt unterlassen, eine erneute Begutachtung anzuordnen. Die Klägerin fügt ihrem Vorbringen die für das Vormundschaftsgericht erstellten Gutachten des Dr.S. vom 26.09.2001, 25.09.2003 und 16.12.2004 bei.

Sie beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 24.11.2004 und des Bescheides vom 16.03.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2004 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Klägerin mit Schreiben vom 30.08.2006 darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des Erstgerichts im Ergebnis zutreffend sei. Er hat die im Ersturteil unterbliebene nähere Darstellung der zuletzt im Dezember 1998 erfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit nachgeholt und auf das nach Aktenlage noch vollschichtige Leistungsvermögen der Klägerin zu diesem Zeitpunkt hingewiesen. Er hat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung des Rechtsstreits durch Beschluss angehört. Die Klägerin hielt an ihrem Begehren fest.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge, auf die beigezogenen Versichertenakte der Beklagten sowie auf die ebenfalls beigezogene Akte des SG München S 8 RJ 1748/96 Bezug genommen.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), sie erweist sich aber nicht als begründet. Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten darüber durch Beschluss gemäß § 153 Abs.4 SGG entscheiden.

Zu Recht hat das Erstgericht den geltend gemachten Rentenanspruch aufgrund eines schon im Jahre 1998 eingetretenen Leistungsfalles verneint. Nur im Falle eines solchen spätestens im Dezember 1998 eingetretenen Leistungsfalles sind unstreitig die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 43 Abs.2, 44 Abs.2 SGB VI a.F. noch gegeben (36 Pflichtbeiträge im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 01.12.1993 bis 30.11.1998). Auf den heutigen Gesundheitszustand der Klägerin kann es bei dieser Rechtslage nicht mehr ankommen.

Auch der Senat gelangt bei seiner Überprüfung zu der Überzeugung, dass im Zeitpunkt der Beendigung des Heilverfahrens in Bad D. im Oktober/November 1998 oder kurz danach eine rentenberechtigende Leistungsminderung bei der Klägerin noch nicht eingetreten war. Dies ergibt sich deutlich aus den Aktenunterlagen, in denen die medizinische Vorgeschichte seit 1996 bis ins Jahr 2002 durch eine Vielzahl von Befunden und Gutachten belegt und der Verlauf der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen und der darauf beruhenden Leistungseinschränkungen ersichtlich ist. Insbesondere stützt sich der Senat bei seiner Beurteilung, wie auch zuvor die Beklagte und das Erstgericht, auf den Heilverfahrens-Entlassungsbericht vom 12.11.1998, der von einer Besserung der Schmerzen und der depressiven Symptomatik der Klägerin durch das psychosomatische Heilverfahren ausging und Arbeitsunfähigkeit lediglich für den zuletzt ausgeübten körperlich eher schweren Beruf einer Raumpflegerin feststellte. Im Übrigen wurden jedoch leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen in Tagesschicht ohne besondere Anforderungen an die geistig-psychische Belastbarkeit für vollschichtig möglich gehalten. Damit waren leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wie Sortieren, Montieren etc. ohne Weiteres weiterhin möglich. Zu einem im Wesentlichen gleichen Ergebnis waren im vorangegangenen Klageverfahren S 8 RJ 1748/96 bereits die Gutachter Dr.K. , Dr.V. und Dr.K. auf internistischem, nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet gekommen. Dieses Leistungsvermögen wurde schließlich erneut durch die von der Beklagten aufgrund des zweiten Rentenantrags der Klägerin veranlassten umfangreichen Untersuchungen auf internistischem, orthopädischem und nervenärztlichem Gebiet im Jahre 2002 bestätigt.

Aus der Tatsache, dass für die Klägerin im Oktober 2001 eine Betreuung angeordnet wurde, die die Bereiche Vermögenssorge, Behördenkontakte sowie Wohnungs- und Arbeitsangelegenheiten (!) umfasste, lassen sich keine Schlüsse auf eine bereits 1998 entgegen der aufgezeigten medizinischen Annahme eingetretene Leistungseinschränkung im Sinne von Erwerbsunfähigkeit ziehen. Bei der nach ihrem Berufsbild auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbaren Klägerin fanden sich keine Anhaltspunkte für erhebliche Erkrankungen, die für das Betreuungsverfahren hätten von Bedeutung sein können. Es wurde aber aus psychiatrischer Sicht eine erheblich ausgeprägte Persönlichkeitsstörung mit Laisser-Faire-Verhalten festgestellt, weiterhin eine reaktive Depression mit Überforderungsgefühlen. Dazu hieß es, grundsätzlich könnten therapeutische Maßnahmen die Krankheitsbilder bessern, es fehle jedoch derzeit an einer hinlänglichen Krankheitseinsicht. Die Anordnung der Betreuung in den genannten Arbeitsbereichen wurde als Unterstützung angesehen und mittel- oder langfristig eine erhebliche Stabilisierung bei Betreuung für ein bis zwei Jahre erwartet. Zuvor hatte eine für die Klägerin besonders belastende familiäre und wirtschaftliche Situation bestanden, die ihre gesundheitlichen Probleme verstärkte (pflegebedürftiger berenteter Ehemann - inzwischen verstorben -, an Zyklotymie leidender, teilweise mit in der Wohngemeinschaft lebender Sohn, Kündigung der Wohnung durch den Vermieter, notdürftiges Unterkommen, kein eigenes Einkommen).

Ein aufgehobenes Leistungsvermögen auch für leichte körperliche Arbeiten ohne besondere psychische Belastungen lässt sich durch diese gutachtlichen Feststellungen nicht belegen, erst recht ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Beurteilung bereits im Jahre 1998. Vielmehr spricht alles dafür, dass eine Zunahme der familiär bedingten belastenden Umstände zu der im Jahre 2001 notwendig gewordenen Betreuung geführt haben, die jedoch letztlich nichts mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu tun hat. Nicht zuletzt wurde die Betreuung gerade auch für Arbeitsangelegenheiten der Klägerin angeordnet. Eine betreuende Unterstützung im Falle eines Arbeitsverhältnisses wurde damit als hilfreich angesehen.

Zu Recht hat das Erstgericht bei dieser Sachlage keine Notwendigkeit zu erneuter Begutachtung bezüglich der Leistungsfähigkeit der Klägerin Ende 1998 gesehen. Auch der Senat hält eine solche rückwirkende Überprüfung und Beurteilung nach Ablauf der inzwischen vergangenen Zeit, vor allem aber im Hinblick auf die vorhandenen ausreichenden ärztlichen Beurteilungen nicht für indiziert.

Die Berufung kann nach allem keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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