Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 9 Kr 651/90
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Kr 595/91
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 RK 6/95
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Mai 1991 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Kosten für eine Remedacen-Behandlung der Klägerin bei Heroinabhängigkeit zu übernehmen.
Die 1962 geborene Klägerin ist aufgrund eines seit dem 3. September 1987 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten krankenversichert. Im Jahre 1984 wurde die Klägerin heroinabhängig. Von 1986 bis Februar 1989 bestand eine Suchtstoffabstinenz. Nach einem Rückfall in die Heroinabhängigkeit im Jahre 1989 besorgte sich die Klägerin auf dem Schwarzmarkt das Medikament Remedacen. Es handelt sich hierbei um ein Codeinpräparat, das in der ärztlichen Behandlung bei akutem und chronischem Reizhusten eingesetzt wird. Dieses Medikament wird wegen seines Bestandteils an Dihydrocodein – eine Abwandlung des Morphinmoleküls – auch in der Suchttherapie als Ersatzdroge eingesetzt.
Die Klägerin wurde in der Zeit vom 19. Oktober 1989 bis 27. Juli 1990 von dem in Frankfurt ansässigen Arzt wegen ihrer Suchterkrankung behandelt. Dieser verordnete der Klägerin bis April 1990 Remedacen. Am 12. April 1990 veranlaßte der Arzt eine stationäre Entgiftungsbehandlung in dem Psychiatrischen Krankenhaus. Dort wurde die Klägerin in der Zeit vom 19. April 1990 bis 25. April 1990 stationär behandelt.
Wegen der Privatverordnung von Remedacen-Kapseln sprach die Klägerin am 8. Januar 1990 bei der Beklagten vor und beantragte die Erstattung der dafür bisher entstandenen Kosten und eine Kostenübernahme hinsichtlich der weiteren Remedacen-Behandlung. Sie gab an, sie sei drogenabhängig und solle durch dieses Mittel ohne stationären Aufenthalt von ihrer Sucht befreit werden. Sie sei aus finanziellen Gründen nicht mehr in der Lage, die Kosten für das Medikament selbst zu tragen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 9. Januar 1990 den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 14. Januar 1990 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, seit sie die Remedacen-Kapseln einnehme, habe sie kein Verlangen mehr gespürt, sich Heroin zu spritzen. Auch habe sie seither keine Krankheitsbeschwerden (Magenbeschwerden, Infektanfälligkeit, Depressionen) mehr. Remedacen sei für sie keine Ersatzdroge, denn das Medikament löse keinen euphorischen Rausch aus wie das Heroin. Zu einer stationären Therapie sei sie nicht bereit. Dies sei wenig erfolgversprechend. Auch müsse sie ihre Probleme vor Ort lösen. Zudem würde sie wegen der langen Therapiedauer ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung verlieren.
Im Widerspruchsverfahren bat die Beklagte den die Klägerin behandelnden Arzt schriftlich um nähere Informationen über die von ihm bei der Klägerin durchgeführte Therapie. Dieser übersandte am 16. Februar 1990 anstelle eines Attestes bzw. eines Befundberichts ein von ihm verfaßtes Referat mit dem Titel "Praktische Hinweise zur ambulanten Therapie der Heroinsucht”. Die Beklagte holte des weiteren eine Stellungnahme des AOK-Landesverbandes ein. Von dort wurde der Beklagten ein Schreiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 14. Juli 1988 übersandt, in dem über eine Stellungnahme des Ausschusses für Untersuchungs- und Heilmethoden zur Substitution drogenabhängiger Patienten mit Codeinpräparaten berichtet wird. Als Anlage enthielt dieses Schreiben auch eine Stellungnahme des Gemeinsamen Arbeitskreises des Wissenschaftlichen Beirates und des Ausschusses "Psychiatrie, Psychotherapie und Psychohygiene” der Bundesärztekammer zu "Ersatzdrogen”.
Gestützt auf diese Stellungnahmen wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 12. März 1990 zurück. Zur Begründung führte sie aus, Remedacen werde im Falle der Klägerin nicht als Arzneimittel, sondern als Ersatzdroge eingesetzt. Die Substitution mit Ersatzdrogen stelle keine Krankenbehandlung dar. Mit diesen sogenannten Ersatzprogrammen werde versucht, die Komplikation im gesellschaftlich-sozialen Bereich (z.B. Beschaffungskriminalität, Prostitution) zu mildern oder aufzuheben. Langjährige Erfahrungen mit Ersatzprogrammen hätten gezeigt, daß dadurch keine wesentliche Änderung der Sucht ermöglicht werde. Die Behandlung der Drogenabhängigkeit müsse deshalb auf der Basis der Drogenabstinenz erfolgen.
Die Klägerin hat hiergegen am 17. April 1990 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung angegeben, seit April 1990 nehme sie kein Remedacen mehr, sei seither auch nicht mehr suchtkrank. Während der Therapie habe sie zunächst zweimal zehn Kapseln täglich und später fünf Tabletten täglich eingenommen. In der Praxis des Arztes habe sie sich einmal wöchentlich zur Kontrolle von Blut und Urin vorstellen müssen.
Das Sozialgericht Gießen hat durch Urteil vom 17. Mai 1991 die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, bei der Klägerin habe zwar eine behandlungsbedürftige Erkrankung der Heroinabhängigkeit bestanden. Jedoch sei Remedacen nicht geeignet, diese Krankheit zu behandeln. Durch die Verabreichung von Remedacen werde ein Suchtmittel durch ein anderes ersetzt. Die Heilung der Drogensucht sei nur durch Drogenabstinenz möglich. Remedacen sei auch nicht zur Substitutionstherapie geeignet, denn das Präparat setze im Stoffwechsel Morphin frei, so daß bei der Gabe von Remedacen eine ordnungsgemäße Überwachung des Süchtigen nicht möglich sei.
Gegen dieses den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 12. Juni 1991 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Mai 1991 – eingegangen am 23. Mai 1991 beim Sozialgericht Gießen – Berufung eingelegt. Sie macht geltend, durch die Einnahme von Remedacen sei sie von der Drogensucht geheilt worden. Im übrigen sei die Verabreichung von Remedacen-Kapseln auch generell geeignet, das Krankheitsbild der Suchterkrankung positiv zu beeinflussen. Es handele sich deshalb um eine Krankenbehandlung im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen. Auch der positive Verlauf der mittlerweile in vielen Bundesländern durchgeführten Methadonprogramme spreche für eine Kostenübernahmeverpflichtung der Beklagten hinsichtlich der Remedacen-Behandlung. Denn Remedacen sei gegenüber dem Methadon die schwächere Ersatzdroge. Remedacen sei auch zur Substitutionstherapie geeignet, da grundsätzlich auch bei der Gabe von Remedacen ausreichende Überwachungsmöglichkeiten vorhanden seien. Zwar habe die räumliche Entfernung zwischen dem Wohnort der Klägerin und der Praxis ihres Arztes einen ständigen Kontakt zur Überwachung der Behandlung nicht zugelassen. Jedoch könne die konkrete Überwachung im Einzelfall keinen Einfluß auf die Kostentragungspflicht haben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Mai 1991 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9. Januar 1990 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 1990 zu verurteilen, ihr die Kosten der Remedacen-Behandlung für die Zeit von Oktober 1989 bis April 1990 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, die Drogensubstitution stelle für sich allein keine Krankenbehandlung dar und könne deshalb auch nicht Gegenstand der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung sein. Dies gelte auch für die Methadon-Behandlung. Jedoch werde Methadon bei bestimmten Indikationen lediglich dann als notwendiger Teil der Krankenbehandlung angesehen, wenn diese mittels der Drogensubstitution erst ermöglicht werde. Eine solche Indikation habe bei der Klägerin nicht vorgelegen. Abgesehen davon eigne sich das Codeinpräparat Remedacen wegen der fehlenden Überwachungsmöglichkeit nicht als Ersatzdroge. Im Falle der Klägerin habe im übrigen ein ständiger Kontakt des Arztes mit der Patientin sowie intensive Gespräche als Überwachungsmöglichkeit nicht zur Verfügung gestanden. Schon allein die räumliche Entfernung zwischen dem Wohnort der Klägerin und der Arztpraxis habe einen solchen ständigen Kontakt nicht zugelassen. Im übrigen seien die Angaben der Klägerin zu ihrer Drogenabstinenz widersprüchlich. Die Klägerin sei am 25. April 1990 aus dem Psychiatrischen Krankenhaus als "nicht gebessert mit sofortiger Arbeitsfähigkeit” entlassen worden. Auch habe die die Klägerin dort behandelnde Stationsärztin angegeben, die Klägerin habe am 25. April 1990 noch Suchtmittel konsumiert. Später sei eine weitere stationäre Entgiftungsmaßnahme wegen bestehendem Drogenabusus im Krankenhaus durchgeführt worden. Im April 1993 sei von den die Klägerin behandelnden Ärztinnen und Dr. in Gießen einen Methadon-Substitution beantragt worden. Dies alles deute darauf hin, daß bei der Klägerin nicht – wie von ihr behauptet – seit Mai 1990 eine Drogenabstinenz bestehe.
Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 25. Oktober 1993 die Klägerin persönlich angehört und den Arzt als Zeugen vernommen.
Die Klägerin hat angegeben, über die Remedacen-Einnahme sei sie ganz von der Heroinsucht losgekommen. Sie lebe seit Mai 1990 durchgängig abstinent von Heroin, Remedacen oder ähnlichen schweren Drogen. Im April 1993 habe sie zwar bei der Ärztin in einer Methadon-Substitutionsbehandlung gestanden. Dieser Behandlung habe aber kein Rückfall in die Heroinabhängigkeit zugrunde gelegen. Diese Therapie sei präventiv aus psychologischen Gründen erfolgt im Hinblick auf einen möglichen erneuten Rückfall.
Die Klägerin hat sich mit einer Beiziehung der von der Beklagten bezeichneten Entlassungsberichte über die stationären Aufenthalte der Klägerin vom 19. April 1990 bis 25. April 1990 im Psychiatrischen Krankenhaus und vom 5. Mai 1992 bis 25. Mai 1992 im DRK-Krankenhaus sowie der Einholung eines Befundberichts von ihren Hausärztinnen und Dr. nicht einverstanden erklärt.
Von dem früheren Hausarzt der Klägerin Dr. hat der Senat einen Befundbericht vom 4. Februar 1992 eingeholt sowie eine Stellungnahme von Frau Dr. Stationsärztin im Psychiatrischen Krankenhaus vom 21. April 1992.
Des weiteren wurde von dem Arzt ein Befundbericht übersandt. Auf Anforderung des Gerichts übersandte die Stadt Frankfurt am Main eine von ihr in Auftrag gegebene Studie über "Die Wirkung von Dihydrocodein bei der Behandlung der Opiatabhängigkeit”.
Die Beklagte übersandte eine Presseerklärung der Hamburger Ärzteschaft zur Ersatzdrogentherapie mit Codeinpräparaten vom 15. Oktober 1991 sowie die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien) in der Fassung vom 4. Dezember 1990 mit den Erweiterungen, die zum 1. Oktober 1991 in Kraft getreten sind sowie den Rahmenvertrag über die Verordnung, Abgabe und Verabreichung von Methadon (L-Polamidon) zum Zwecke der Substitution Heroinabhängiger in Hessen vom 22. Oktober 1991 – in Kraft ab 1. Oktober 1991 –.
Hinsichtlich des Inhalts der ärztlichen Äußerungen wird auf die oben angegebenen Befundberichte und Stellungnahmen verwiesen. Zum Sach- und Streitstand im übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Kassenakte, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Die Berufung ist aber sachlich nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Gießen war zu bestätigen, denn die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Kostenerstattung der in der Zeit von Oktober 1989 bis April 1990 durchgeführten Remedacen-Behandlung.
Die Pflicht zur Erstattung der von der Klägerin bereits verauslagten Kosten für die von Oktober 1989 bis 9. Januar 1990 durchgeführte Remedacen-Behandlung scheitert hier bereits daran, daß Versicherte grundsätzlich nur einen Anspruch auf die Gewährung von Sachleistungen haben. Denn die in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehenen Leistungen sind als Sach- und Dienstleistungen zu erbringen, soweit das Gesetz (SGB V) nichts Abweichendes vorsieht (§ 2 Abs. 2 SGB V). Anstelle der Sach- oder Dienstleistung darf die Krankenkasse Kosten nur erstatten, soweit dies vorgesehen ist (§ 13 Abs. 1 SGB V). Dem Versicherten sind nach § 13 Abs. 3 SGB V (bis zum Erlaß des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, in Kraft seit 1. Januar 1993 – BGBl. I, S. 2266 –, in Abs. 2 des § 13 geregelt) auch entstandene Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und die Leistung notwendig war.
Demzufolge muß der Versicherte zunächst versucht haben, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die die von der Krankenkasse bereitgestellte Versorgung bietet. Der Versicherte ist grundsätzlich verpflichtet, vor Inanspruchnahme der Leistung außerhalb des Versicherungssystems sich zunächst an seine Krankenkasse zu wenden, um sich über die bestehenden Möglichkeiten der kassenärztlichen Behandlung beraten zu lassen. Auch muß die Krankenkasse die Möglichkeit haben zu prüfen, ob die Leistung vom Sachleistungsanspruch des Versicherten umfaßt ist, d.h. die Leistung den Erfordernissen der §§ 12, 27 und 28 SGB V genügt, also ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig ist. Der Versicherte darf der Entscheidung der Krankenkasse nicht dadurch vorgreifen, daß er die Behandlung zunächst durchführen läßt und die Prüfung durch die Kasse so in das Kostenerstattungsverfahren verlagert wird (so schon die bisherige Rechtsprechung zur Reichsversicherungsordnung, vgl. Urteil des BSG vom 10. Februar 1993 – 1 RK 31/92 – in SGb: 1993, 477 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall wurden der Klägerin bereits ab Oktober 1989 von dem Arzt Remedacen-Kapseln verordnet. Vor Beginn dieser Behandlung hatte die Beklagte keine Möglichkeit zu prüfen, ob die begehrte Leistung vom Sachleistungsanspruch der Klägerin umfaßt ist. Denn die Klägerin hat sich erstmals am 8. Januar 1990 wegen einer Kostenerstattung bzw. Kostenübernahme bezüglich der Remedacen-Behandlung an die Beklagte gewandt.
Soweit es sich um die Remedacen-Behandlung nach dem 9. Januar 1990 handelt, lag zwar eine Entscheidung der Beklagten vor, so daß der Erstattungsanspruch der Klägerin nicht an den oben genannten Voraussetzungen scheitert. Jedoch hat die Beklagte die Übernahme der Behandlungskosten auch insoweit nicht zu Unrecht abgelehnt. Denn ein Sach- und Dienstleistungsanspruch ist ab 9. Januar 1990 hinsichtlich der privatärztlich verordneten Remedacen-Kapseln nicht entstanden.
Nach § 27 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt auch die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln.
Die Behandlung mit dem Mittel Remedacen stellte im Falle der Klägerin keine Krankenbehandlung in diesem Sinne dar.
Nach der Feststellung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen in seiner Sitzung am 2. Juli 1991 und den in dieser Sitzung beschlossenen NUB-Richtlinien stellt die Drogensubstitution für sich allein keine Krankenbehandlung dar und ist somit nicht Gegenstand der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung. Da Ziel der Behandlung einer Sucht die Drogenabstinenz ist und bleibt, stellt die Drogensucht selbst keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinne einer Krankenbehandlung dar und kann auch die Drogensubstitution mit Methadon nur bei bestimmten Indikationen lediglich dann als notwendiger Teil der Krankenbehandlung angesehen werden, wenn diese mittels der Drogensubstitution erst ermöglicht wird.
Diese Feststellungen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen stimmt mit der ärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. und dem Inhalt des von Dr. übersandten Lehrbuchauszugs aus dem Standardwerk der Inneren Medizin in den USA (Harrison: Principles of Internal Medicine , Deutsche Übersetzung von 1989, S. 2487 ff) überein. Nach Ansicht von Frau Dr. ist Remedacen nicht geeignet, die Drogenabhängigkeit im medizinischen Sinne zu behandeln, weil Remedacen lediglich die Eigenschaft besitzt, die nach dem Absetzen oder dem Entzug von Heroin aufkommenden Entzugserscheinungen abzufangen und dabei jedoch die Abhängigkeit von Heroin durch die Abhängigkeit von Remedacen ersetzt wird. Auch der die Klägerin behandelnde Arzt hat bei seiner Vernehmung angegeben, die Remedacen-Substitution stelle den Übergang von einem stark rauscherzeugenden Opiat zu einem wesentlich schwächeren Räusche erzeugenden Opiat dar. Die Entzugssymptome blieben allerdings dieselben. In dem oben angegebenen Lehrbuch der Inneren Medizin wird im Zusammenhang mit der Methadon-Substitution ausgeführt: "Es ist wichtig festzuhalten, daß Drogenerhaltungstherapie nicht die "Heilung” von der Opiatsucht zum Ziel hat; ”. Eine Ersatzdrogenbehandlung dient deshalb nicht medizinischer Zielsetzung. Sie soll keine medizinische, sondern eine soziale Rehabilitation des Süchtigen ermöglichen, indem sie dazu führen soll, kriminelle Handlungen oder Prostitution zur Beschaffung der Drogen zu vermeiden oder zu beenden. Als eine von dem Gesetz geforderte "notwendige” Behandlung der Drogensucht im medizinischen Sinne kann sie nicht angesehen werden. Sie kann nur dann "notwendiger” Teil der Krankenbehandlung sein, wenn sie diese erst ermöglicht. Dieser Erkenntnis folgend hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eine Indikationliste zur Substitutionsbehandlung aufgestellt. Danach ist eine Methadon-Substitutionsbehandlung indiziert bei Drogenabhängigkeit mit lebensbedrohlichem Zustand im Entzug, Drogenabhängigkeit bei schweren konsumierenden Erkrankungen, Drogenabhängigkeit bei opiatpflichtigen Schmerzzuständen, Drogenabhängigkeit bei Aids-Kranken mit fortgeschrittener manifester Erkrankung, Drogenabhängigkeit bei Patienten, die sich einer unbedingt notwendigen stationären Behandlung wegen einer akuten oder schweren Erkrankung unterziehen müssen und denen gegen ihren Willen nicht gleichzeitig ein Drogenentzug zuzumuten ist. Weitere Indikationen stellen eine Drogenabhängigkeit in der Schwangerschaft und unter der Geburt dar sowie Drogenabhängigkeit bei vergleichbar schweren Erkrankungen, bei denen eine Beratungskommission im Einzelfall eine Substitution als Teil der Krankenbehandlung für angezeigt hält.
Im Falle der Klägerin lag keine dieser Indikationen vor. Die von der Klägerin vorgetragenen Argumente gegen eine stationäre Suchttherapie konnten den Senat nicht davon überzeugen, daß es der Klägerin nicht zumutbar gewesen wäre, eine solche Therapie zu beginnen. Denn die Kosten einer stationären Suchttherapie wären von der Beklagten getragen worden. Wie für andere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit hätte die Klägerin von der Beklagten Krankengeld erhalten, so daß sie auch ihre Wohnung hätte weiter beibehalten können. Auch das Argument, es habe ihr der Verlust des Arbeitsplatzes gedroht, konnte den Senat nicht überzeugen. Denn dem Befundbericht des Dr. ist zu entnehmen, daß die Klägerin wegen anhaltender Arbeitsunfähigkeit in regelmäßigen Abständen zur Vorstellung beim Vertrauensärztlichen Dienst geladen worden ist.
Da die Ersatzdrogenbehandlung demzufolge grundsätzlich keine "notwendige” Krankenbehandlung darstellt, bedurfte es keiner Entscheidung darüber, ob eine Behandlung mit dem Codeinpräparat Remedacen grundsätzlich zur Substitutionstherapie geeignet ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Kosten für eine Remedacen-Behandlung der Klägerin bei Heroinabhängigkeit zu übernehmen.
Die 1962 geborene Klägerin ist aufgrund eines seit dem 3. September 1987 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten krankenversichert. Im Jahre 1984 wurde die Klägerin heroinabhängig. Von 1986 bis Februar 1989 bestand eine Suchtstoffabstinenz. Nach einem Rückfall in die Heroinabhängigkeit im Jahre 1989 besorgte sich die Klägerin auf dem Schwarzmarkt das Medikament Remedacen. Es handelt sich hierbei um ein Codeinpräparat, das in der ärztlichen Behandlung bei akutem und chronischem Reizhusten eingesetzt wird. Dieses Medikament wird wegen seines Bestandteils an Dihydrocodein – eine Abwandlung des Morphinmoleküls – auch in der Suchttherapie als Ersatzdroge eingesetzt.
Die Klägerin wurde in der Zeit vom 19. Oktober 1989 bis 27. Juli 1990 von dem in Frankfurt ansässigen Arzt wegen ihrer Suchterkrankung behandelt. Dieser verordnete der Klägerin bis April 1990 Remedacen. Am 12. April 1990 veranlaßte der Arzt eine stationäre Entgiftungsbehandlung in dem Psychiatrischen Krankenhaus. Dort wurde die Klägerin in der Zeit vom 19. April 1990 bis 25. April 1990 stationär behandelt.
Wegen der Privatverordnung von Remedacen-Kapseln sprach die Klägerin am 8. Januar 1990 bei der Beklagten vor und beantragte die Erstattung der dafür bisher entstandenen Kosten und eine Kostenübernahme hinsichtlich der weiteren Remedacen-Behandlung. Sie gab an, sie sei drogenabhängig und solle durch dieses Mittel ohne stationären Aufenthalt von ihrer Sucht befreit werden. Sie sei aus finanziellen Gründen nicht mehr in der Lage, die Kosten für das Medikament selbst zu tragen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 9. Januar 1990 den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 14. Januar 1990 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, seit sie die Remedacen-Kapseln einnehme, habe sie kein Verlangen mehr gespürt, sich Heroin zu spritzen. Auch habe sie seither keine Krankheitsbeschwerden (Magenbeschwerden, Infektanfälligkeit, Depressionen) mehr. Remedacen sei für sie keine Ersatzdroge, denn das Medikament löse keinen euphorischen Rausch aus wie das Heroin. Zu einer stationären Therapie sei sie nicht bereit. Dies sei wenig erfolgversprechend. Auch müsse sie ihre Probleme vor Ort lösen. Zudem würde sie wegen der langen Therapiedauer ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung verlieren.
Im Widerspruchsverfahren bat die Beklagte den die Klägerin behandelnden Arzt schriftlich um nähere Informationen über die von ihm bei der Klägerin durchgeführte Therapie. Dieser übersandte am 16. Februar 1990 anstelle eines Attestes bzw. eines Befundberichts ein von ihm verfaßtes Referat mit dem Titel "Praktische Hinweise zur ambulanten Therapie der Heroinsucht”. Die Beklagte holte des weiteren eine Stellungnahme des AOK-Landesverbandes ein. Von dort wurde der Beklagten ein Schreiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 14. Juli 1988 übersandt, in dem über eine Stellungnahme des Ausschusses für Untersuchungs- und Heilmethoden zur Substitution drogenabhängiger Patienten mit Codeinpräparaten berichtet wird. Als Anlage enthielt dieses Schreiben auch eine Stellungnahme des Gemeinsamen Arbeitskreises des Wissenschaftlichen Beirates und des Ausschusses "Psychiatrie, Psychotherapie und Psychohygiene” der Bundesärztekammer zu "Ersatzdrogen”.
Gestützt auf diese Stellungnahmen wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 12. März 1990 zurück. Zur Begründung führte sie aus, Remedacen werde im Falle der Klägerin nicht als Arzneimittel, sondern als Ersatzdroge eingesetzt. Die Substitution mit Ersatzdrogen stelle keine Krankenbehandlung dar. Mit diesen sogenannten Ersatzprogrammen werde versucht, die Komplikation im gesellschaftlich-sozialen Bereich (z.B. Beschaffungskriminalität, Prostitution) zu mildern oder aufzuheben. Langjährige Erfahrungen mit Ersatzprogrammen hätten gezeigt, daß dadurch keine wesentliche Änderung der Sucht ermöglicht werde. Die Behandlung der Drogenabhängigkeit müsse deshalb auf der Basis der Drogenabstinenz erfolgen.
Die Klägerin hat hiergegen am 17. April 1990 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung angegeben, seit April 1990 nehme sie kein Remedacen mehr, sei seither auch nicht mehr suchtkrank. Während der Therapie habe sie zunächst zweimal zehn Kapseln täglich und später fünf Tabletten täglich eingenommen. In der Praxis des Arztes habe sie sich einmal wöchentlich zur Kontrolle von Blut und Urin vorstellen müssen.
Das Sozialgericht Gießen hat durch Urteil vom 17. Mai 1991 die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, bei der Klägerin habe zwar eine behandlungsbedürftige Erkrankung der Heroinabhängigkeit bestanden. Jedoch sei Remedacen nicht geeignet, diese Krankheit zu behandeln. Durch die Verabreichung von Remedacen werde ein Suchtmittel durch ein anderes ersetzt. Die Heilung der Drogensucht sei nur durch Drogenabstinenz möglich. Remedacen sei auch nicht zur Substitutionstherapie geeignet, denn das Präparat setze im Stoffwechsel Morphin frei, so daß bei der Gabe von Remedacen eine ordnungsgemäße Überwachung des Süchtigen nicht möglich sei.
Gegen dieses den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 12. Juni 1991 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Mai 1991 – eingegangen am 23. Mai 1991 beim Sozialgericht Gießen – Berufung eingelegt. Sie macht geltend, durch die Einnahme von Remedacen sei sie von der Drogensucht geheilt worden. Im übrigen sei die Verabreichung von Remedacen-Kapseln auch generell geeignet, das Krankheitsbild der Suchterkrankung positiv zu beeinflussen. Es handele sich deshalb um eine Krankenbehandlung im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen. Auch der positive Verlauf der mittlerweile in vielen Bundesländern durchgeführten Methadonprogramme spreche für eine Kostenübernahmeverpflichtung der Beklagten hinsichtlich der Remedacen-Behandlung. Denn Remedacen sei gegenüber dem Methadon die schwächere Ersatzdroge. Remedacen sei auch zur Substitutionstherapie geeignet, da grundsätzlich auch bei der Gabe von Remedacen ausreichende Überwachungsmöglichkeiten vorhanden seien. Zwar habe die räumliche Entfernung zwischen dem Wohnort der Klägerin und der Praxis ihres Arztes einen ständigen Kontakt zur Überwachung der Behandlung nicht zugelassen. Jedoch könne die konkrete Überwachung im Einzelfall keinen Einfluß auf die Kostentragungspflicht haben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Mai 1991 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9. Januar 1990 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 1990 zu verurteilen, ihr die Kosten der Remedacen-Behandlung für die Zeit von Oktober 1989 bis April 1990 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, die Drogensubstitution stelle für sich allein keine Krankenbehandlung dar und könne deshalb auch nicht Gegenstand der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung sein. Dies gelte auch für die Methadon-Behandlung. Jedoch werde Methadon bei bestimmten Indikationen lediglich dann als notwendiger Teil der Krankenbehandlung angesehen, wenn diese mittels der Drogensubstitution erst ermöglicht werde. Eine solche Indikation habe bei der Klägerin nicht vorgelegen. Abgesehen davon eigne sich das Codeinpräparat Remedacen wegen der fehlenden Überwachungsmöglichkeit nicht als Ersatzdroge. Im Falle der Klägerin habe im übrigen ein ständiger Kontakt des Arztes mit der Patientin sowie intensive Gespräche als Überwachungsmöglichkeit nicht zur Verfügung gestanden. Schon allein die räumliche Entfernung zwischen dem Wohnort der Klägerin und der Arztpraxis habe einen solchen ständigen Kontakt nicht zugelassen. Im übrigen seien die Angaben der Klägerin zu ihrer Drogenabstinenz widersprüchlich. Die Klägerin sei am 25. April 1990 aus dem Psychiatrischen Krankenhaus als "nicht gebessert mit sofortiger Arbeitsfähigkeit” entlassen worden. Auch habe die die Klägerin dort behandelnde Stationsärztin angegeben, die Klägerin habe am 25. April 1990 noch Suchtmittel konsumiert. Später sei eine weitere stationäre Entgiftungsmaßnahme wegen bestehendem Drogenabusus im Krankenhaus durchgeführt worden. Im April 1993 sei von den die Klägerin behandelnden Ärztinnen und Dr. in Gießen einen Methadon-Substitution beantragt worden. Dies alles deute darauf hin, daß bei der Klägerin nicht – wie von ihr behauptet – seit Mai 1990 eine Drogenabstinenz bestehe.
Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 25. Oktober 1993 die Klägerin persönlich angehört und den Arzt als Zeugen vernommen.
Die Klägerin hat angegeben, über die Remedacen-Einnahme sei sie ganz von der Heroinsucht losgekommen. Sie lebe seit Mai 1990 durchgängig abstinent von Heroin, Remedacen oder ähnlichen schweren Drogen. Im April 1993 habe sie zwar bei der Ärztin in einer Methadon-Substitutionsbehandlung gestanden. Dieser Behandlung habe aber kein Rückfall in die Heroinabhängigkeit zugrunde gelegen. Diese Therapie sei präventiv aus psychologischen Gründen erfolgt im Hinblick auf einen möglichen erneuten Rückfall.
Die Klägerin hat sich mit einer Beiziehung der von der Beklagten bezeichneten Entlassungsberichte über die stationären Aufenthalte der Klägerin vom 19. April 1990 bis 25. April 1990 im Psychiatrischen Krankenhaus und vom 5. Mai 1992 bis 25. Mai 1992 im DRK-Krankenhaus sowie der Einholung eines Befundberichts von ihren Hausärztinnen und Dr. nicht einverstanden erklärt.
Von dem früheren Hausarzt der Klägerin Dr. hat der Senat einen Befundbericht vom 4. Februar 1992 eingeholt sowie eine Stellungnahme von Frau Dr. Stationsärztin im Psychiatrischen Krankenhaus vom 21. April 1992.
Des weiteren wurde von dem Arzt ein Befundbericht übersandt. Auf Anforderung des Gerichts übersandte die Stadt Frankfurt am Main eine von ihr in Auftrag gegebene Studie über "Die Wirkung von Dihydrocodein bei der Behandlung der Opiatabhängigkeit”.
Die Beklagte übersandte eine Presseerklärung der Hamburger Ärzteschaft zur Ersatzdrogentherapie mit Codeinpräparaten vom 15. Oktober 1991 sowie die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien) in der Fassung vom 4. Dezember 1990 mit den Erweiterungen, die zum 1. Oktober 1991 in Kraft getreten sind sowie den Rahmenvertrag über die Verordnung, Abgabe und Verabreichung von Methadon (L-Polamidon) zum Zwecke der Substitution Heroinabhängiger in Hessen vom 22. Oktober 1991 – in Kraft ab 1. Oktober 1991 –.
Hinsichtlich des Inhalts der ärztlichen Äußerungen wird auf die oben angegebenen Befundberichte und Stellungnahmen verwiesen. Zum Sach- und Streitstand im übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Kassenakte, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Die Berufung ist aber sachlich nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Gießen war zu bestätigen, denn die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Kostenerstattung der in der Zeit von Oktober 1989 bis April 1990 durchgeführten Remedacen-Behandlung.
Die Pflicht zur Erstattung der von der Klägerin bereits verauslagten Kosten für die von Oktober 1989 bis 9. Januar 1990 durchgeführte Remedacen-Behandlung scheitert hier bereits daran, daß Versicherte grundsätzlich nur einen Anspruch auf die Gewährung von Sachleistungen haben. Denn die in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehenen Leistungen sind als Sach- und Dienstleistungen zu erbringen, soweit das Gesetz (SGB V) nichts Abweichendes vorsieht (§ 2 Abs. 2 SGB V). Anstelle der Sach- oder Dienstleistung darf die Krankenkasse Kosten nur erstatten, soweit dies vorgesehen ist (§ 13 Abs. 1 SGB V). Dem Versicherten sind nach § 13 Abs. 3 SGB V (bis zum Erlaß des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, in Kraft seit 1. Januar 1993 – BGBl. I, S. 2266 –, in Abs. 2 des § 13 geregelt) auch entstandene Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und die Leistung notwendig war.
Demzufolge muß der Versicherte zunächst versucht haben, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die die von der Krankenkasse bereitgestellte Versorgung bietet. Der Versicherte ist grundsätzlich verpflichtet, vor Inanspruchnahme der Leistung außerhalb des Versicherungssystems sich zunächst an seine Krankenkasse zu wenden, um sich über die bestehenden Möglichkeiten der kassenärztlichen Behandlung beraten zu lassen. Auch muß die Krankenkasse die Möglichkeit haben zu prüfen, ob die Leistung vom Sachleistungsanspruch des Versicherten umfaßt ist, d.h. die Leistung den Erfordernissen der §§ 12, 27 und 28 SGB V genügt, also ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig ist. Der Versicherte darf der Entscheidung der Krankenkasse nicht dadurch vorgreifen, daß er die Behandlung zunächst durchführen läßt und die Prüfung durch die Kasse so in das Kostenerstattungsverfahren verlagert wird (so schon die bisherige Rechtsprechung zur Reichsversicherungsordnung, vgl. Urteil des BSG vom 10. Februar 1993 – 1 RK 31/92 – in SGb: 1993, 477 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall wurden der Klägerin bereits ab Oktober 1989 von dem Arzt Remedacen-Kapseln verordnet. Vor Beginn dieser Behandlung hatte die Beklagte keine Möglichkeit zu prüfen, ob die begehrte Leistung vom Sachleistungsanspruch der Klägerin umfaßt ist. Denn die Klägerin hat sich erstmals am 8. Januar 1990 wegen einer Kostenerstattung bzw. Kostenübernahme bezüglich der Remedacen-Behandlung an die Beklagte gewandt.
Soweit es sich um die Remedacen-Behandlung nach dem 9. Januar 1990 handelt, lag zwar eine Entscheidung der Beklagten vor, so daß der Erstattungsanspruch der Klägerin nicht an den oben genannten Voraussetzungen scheitert. Jedoch hat die Beklagte die Übernahme der Behandlungskosten auch insoweit nicht zu Unrecht abgelehnt. Denn ein Sach- und Dienstleistungsanspruch ist ab 9. Januar 1990 hinsichtlich der privatärztlich verordneten Remedacen-Kapseln nicht entstanden.
Nach § 27 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt auch die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln.
Die Behandlung mit dem Mittel Remedacen stellte im Falle der Klägerin keine Krankenbehandlung in diesem Sinne dar.
Nach der Feststellung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen in seiner Sitzung am 2. Juli 1991 und den in dieser Sitzung beschlossenen NUB-Richtlinien stellt die Drogensubstitution für sich allein keine Krankenbehandlung dar und ist somit nicht Gegenstand der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung. Da Ziel der Behandlung einer Sucht die Drogenabstinenz ist und bleibt, stellt die Drogensucht selbst keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinne einer Krankenbehandlung dar und kann auch die Drogensubstitution mit Methadon nur bei bestimmten Indikationen lediglich dann als notwendiger Teil der Krankenbehandlung angesehen werden, wenn diese mittels der Drogensubstitution erst ermöglicht wird.
Diese Feststellungen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen stimmt mit der ärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. und dem Inhalt des von Dr. übersandten Lehrbuchauszugs aus dem Standardwerk der Inneren Medizin in den USA (Harrison: Principles of Internal Medicine , Deutsche Übersetzung von 1989, S. 2487 ff) überein. Nach Ansicht von Frau Dr. ist Remedacen nicht geeignet, die Drogenabhängigkeit im medizinischen Sinne zu behandeln, weil Remedacen lediglich die Eigenschaft besitzt, die nach dem Absetzen oder dem Entzug von Heroin aufkommenden Entzugserscheinungen abzufangen und dabei jedoch die Abhängigkeit von Heroin durch die Abhängigkeit von Remedacen ersetzt wird. Auch der die Klägerin behandelnde Arzt hat bei seiner Vernehmung angegeben, die Remedacen-Substitution stelle den Übergang von einem stark rauscherzeugenden Opiat zu einem wesentlich schwächeren Räusche erzeugenden Opiat dar. Die Entzugssymptome blieben allerdings dieselben. In dem oben angegebenen Lehrbuch der Inneren Medizin wird im Zusammenhang mit der Methadon-Substitution ausgeführt: "Es ist wichtig festzuhalten, daß Drogenerhaltungstherapie nicht die "Heilung” von der Opiatsucht zum Ziel hat; ”. Eine Ersatzdrogenbehandlung dient deshalb nicht medizinischer Zielsetzung. Sie soll keine medizinische, sondern eine soziale Rehabilitation des Süchtigen ermöglichen, indem sie dazu führen soll, kriminelle Handlungen oder Prostitution zur Beschaffung der Drogen zu vermeiden oder zu beenden. Als eine von dem Gesetz geforderte "notwendige” Behandlung der Drogensucht im medizinischen Sinne kann sie nicht angesehen werden. Sie kann nur dann "notwendiger” Teil der Krankenbehandlung sein, wenn sie diese erst ermöglicht. Dieser Erkenntnis folgend hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eine Indikationliste zur Substitutionsbehandlung aufgestellt. Danach ist eine Methadon-Substitutionsbehandlung indiziert bei Drogenabhängigkeit mit lebensbedrohlichem Zustand im Entzug, Drogenabhängigkeit bei schweren konsumierenden Erkrankungen, Drogenabhängigkeit bei opiatpflichtigen Schmerzzuständen, Drogenabhängigkeit bei Aids-Kranken mit fortgeschrittener manifester Erkrankung, Drogenabhängigkeit bei Patienten, die sich einer unbedingt notwendigen stationären Behandlung wegen einer akuten oder schweren Erkrankung unterziehen müssen und denen gegen ihren Willen nicht gleichzeitig ein Drogenentzug zuzumuten ist. Weitere Indikationen stellen eine Drogenabhängigkeit in der Schwangerschaft und unter der Geburt dar sowie Drogenabhängigkeit bei vergleichbar schweren Erkrankungen, bei denen eine Beratungskommission im Einzelfall eine Substitution als Teil der Krankenbehandlung für angezeigt hält.
Im Falle der Klägerin lag keine dieser Indikationen vor. Die von der Klägerin vorgetragenen Argumente gegen eine stationäre Suchttherapie konnten den Senat nicht davon überzeugen, daß es der Klägerin nicht zumutbar gewesen wäre, eine solche Therapie zu beginnen. Denn die Kosten einer stationären Suchttherapie wären von der Beklagten getragen worden. Wie für andere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit hätte die Klägerin von der Beklagten Krankengeld erhalten, so daß sie auch ihre Wohnung hätte weiter beibehalten können. Auch das Argument, es habe ihr der Verlust des Arbeitsplatzes gedroht, konnte den Senat nicht überzeugen. Denn dem Befundbericht des Dr. ist zu entnehmen, daß die Klägerin wegen anhaltender Arbeitsunfähigkeit in regelmäßigen Abständen zur Vorstellung beim Vertrauensärztlichen Dienst geladen worden ist.
Da die Ersatzdrogenbehandlung demzufolge grundsätzlich keine "notwendige” Krankenbehandlung darstellt, bedurfte es keiner Entscheidung darüber, ob eine Behandlung mit dem Codeinpräparat Remedacen grundsätzlich zur Substitutionstherapie geeignet ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
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