L 1 P 957/95

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 P 1560/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 P 957/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Privat krankenversicherte Personen sind vom Zugang zur sozialen Pflegeversicherung ausgeschlossen.
2. Die Durchführung der Pflegeversicherung sowohl bei öffentlich-rechtlichen Trägern als auch bei privatrechtlich organisierten Unternehmen ist nicht verfassungswidrig.
I. Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 1995 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Aufnahme der Kläger in die soziale Pflegeversicherung.

Der 1920 geborene Kläger war als Beamter beim Landeswohlfahrtsverband Hessen tätig und befindet sich im Ruhestand. Ebenso wie seine Ehefrau, die Klägerin, ist er bei der "Vereinte Krankenversicherung AG” privat krankenversichert. Diese übersandte den Klägern mit Schreiben vom 29. Oktober 1994 einen Versicherungsschein, der neben den versicherten Risiken der Krankenversicherung auch den entsprechenden Tarif (PVB) für die private Pflege-Pflichtversicherung ab 1. Januar 1995 enthielt.

Hiergegen haben die Kläger am 17. November 1994 beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben (S-12/P-1530/94) und sich gegen die Durchführung der Pflege-Pflichtversicherung bei ihrem Krankenversicherungsunternehmen gewandt. Zugleich haben sie geltend gemacht, daß sie berechtigt seien, sich gegen das Risiko der Pflege bei der Beklagten zu versichern.

Das Sozialgericht hat durch Beschluss vom 23. Dezember 1994 den Rechtsstreit gegen die Beklagte abgetrennt (S-12/P-1560/94). Die gegen die "Vereinte Krankenversicherung AG” gerichtete Klage nahmen die Kläger am 9. Januar 1995 zurück.

Mit Schriftsatz vom 14. Januar 1995 stellten die Kläger bei der Beklagten ausdrücklich den Antrag, sie in der sozialen Pflegeversicherung aufzunehmen. Dies lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen ab (Schriftsatz vom 25. Januar 1995). Auf Veranlassung des Sozialgerichts führte die Beklagte das förmliche Widerspruchsverfahren durch und wies den Widerspruch der Kläger (Schriftsatz vom 9. Februar 1995) mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 1995 zurück.

Das Sozialgericht Kassel hat die AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen – Pflegekasse – zum Rechtsstreit beigeladen (Beschluss vom 13. Juni 1995) und die Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 14. August 1995 (Berichtigungsbeschluß vom 23. Oktober 1995) abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, daß die Kläger nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu dem in der sozialen Pflegeversicherung versicherten Personenkreis gehörten. Die von den Klägern hiergegen vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken teile die Kammer nicht. Die Kopplung der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung an die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein sachlicher Anknüpfungspunkt, wenn auch eine allgemeine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung möglich und vielleicht sogar wünschenswerter gewesen wäre. Die Verpflichtung zur Versicherung bei einem privaten Versicherungsunternehmen und die dagegen vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken seien nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits, sondern müßten im Rahmen eines Bußgeldverfahrens behandelt werden.

Gegen diesen den Klägern mit Postzustellungsurkunde am 19. August 1995 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die mit Schriftsatz vom 23. August 1995 – eingegangen beim Sozialgericht Kassel am 25. August 1995 – eingelegte Berufung, mit der sich die Kläger unter Wiederholung ihres Rechtstandpunktes gegen die getroffene Entscheidung des Sozialgerichts wenden. Zwar ließen die gesetzlichen Bestimmungen nach ihrem Wortlaut für sie nicht die Mitgliedschaft bei der Beklagten zu. Der Ausschluß von Beamten und privat Krankenversicherten vom Zugang zur sozialen Pflegeversicherung sei aber verfassungswidrig.

Die Kläger beantragen (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie in der sozialen Pflegeversicherung als Mitglieder aufzunehmen und zu versichern.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat den Beiladungsbeschluß des Sozialgerichts Kassel vom 13. Juni 1995 im Senatstermin am 8. August 1996 aufgehoben.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. August 1996 waren die Kläger weder erschienen noch vertreten.

Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung auch in Abwesenheit der Kläger aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, da sie auf diese Möglichkeit in der schriftlichen Terminsladung hingewiesen worden sind (§§ 124 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 SGG).

Die Berufung ist aber sachlich nicht begründet.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel ist zu Recht ergangen, denn ein Anspruch der Kläger auf Mitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung bei der Beklagten besteht nicht.

Nach § 1 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) sind kraft Gesetzes in den Schutz der sozialen Pflegeversicherung alle einbezogen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Wer gegen Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, muß eine private Pflegeversicherung abschließen. § 20 SGB XI bestimmt sodann im einzelnen abschließend den Kreis der Versicherungspflichtigen in der sozialen Pflegeversicherung.

Hiernach ist es für die Kläger, die bei der "Vereinigte Krankenversicherung AG” privat krankenversichert sind, ausgeschlossen, sich bei der Beklagten oder einem anderen Träger der sozialen Pflegeversicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit zu versichern. Vielmehr gilt für sie § 23 Abs. 1 SGB XI, wonach Personen, die gegen das Risiko der Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen versichert sind, vorbehaltlich des Absatzes 2 die Verpflichtung, bei diesem Unternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Der Vertrag muß ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht für sie selbst und ihre Angehörigen, für die in der sozialen Pflegeversicherung nach § 25 eine Familienversicherung bestünde, Vertragsleistungen vorsehen, die nach Art und Umfang den Leistungen des Vierten Kapitels gleichwertig sind. Dabei tritt an die Stelle der Sachleistungen eine der Höhe nach gleiche Kostenerstattung.

Soweit die Kläger diese Verpflichtung zum Abschluß einer privaten Pflege-Pflichtversicherung für verfassungswidrig halten, vermochte ihnen der Senat nicht zu folgen:

Mit dem Inkrafttreten des SGB XI am 1. Januar 1995 ist erstmals eine Pflichtversicherung für alle Bürger gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit eingeführt worden. Dabei hat sich der Gesetzgeber (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5617) zur Durchführung des Gesetzes für eine Anbindung an bereits vorhandene Strukturen in der Krankenversicherung entschieden, um den "Aufbau einer neuen, kostenträchtigen Verwaltung zu vermeiden und zugleich Erfahrungen der Krankenkassen in der Prävention, Rehabilitation und häuslichen Pflege ” zu nutzen. Abgesehen von der organisatorischen Zuordnung der Pflegeversicherung zu einem Träger der sozialen Pflegeversicherung bzw. einem privaten Träger der Pflegeversicherung, hat der Gesetzgeber aber – im Unterschied zur Krankenversicherung – in einem Gesetz für beide Personengruppen einheitlich die Bedingungen für die Pflegeversicherung geregelt.

Entgegen der Auffassung der Kläger müssen Art und Umfang der Leistungen privat Pflegeversicherter nach § 23 Abs. 1 SGB XI den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertig sein. Für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit sowie die Zuordnung zu einer Pflegestufe sind dieselben Maßstäbe anzulegen (§ 23 Abs. 6 Nr. 1 SGB XI). Es besteht ein Kontrahierungszwang für den privaten Versicherungsträger (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI), wobei der Inhalt des Vertrages unabdingbar durch das SGB XI vorgegeben ist. Auch hinsichtlich der Beitragshöhe ist sichergestellt, daß die privat Pflegeversicherten nicht schlechter gestellt werden können als Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung. Nach § 110 Abs. 1 Nr. 2 e SGB XI darf nämlich keine Prämienhöhe vereinbart werden, die den Höchstbetrag in der sozialen Pflegeversicherung übersteigt. Im übrigen schließt § 110 SGB XI ausdrücklich eine Vielzahl von Vereinbarungen, die in der privaten Krankenversicherung üblich sind, aus. Vorerkrankungen können ebensowenig vertraglich ausgeschlossen werden wie bereits pflegebedürftige Personen. Eine Staffelung der Prämien nach Geschlecht und Gesundheitszustand ist unzulässig. Kinder sind beitragsfrei mitzuversichern.

Angesichts dessen sind die Befürchtungen der Kläger, daß sie wegen ihres Alters oder im Hinblick auf die bestehende Pflegebedürftigkeit der Klägerin von einem privaten Träger übervorteilt werden könnten, nicht berechtigt.

Schließlich hat der Gesetzgeber im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung und Kontrolle der gesetzlichen Vorgaben in § 51 Abs. 2 Nr. 2 SGG eine Rechtswegzuweisung zu den Sozialgerichten in Angelegenheiten nach dem SGB XI bestimmt. Hiermit wird Rechtsschutz auch für privat Pflegeversicherte durch die Sozialgerichte, nicht die Zivilgerichte, gewährt, wie der Senat in einem Beschluss vom 15. Juli 1996 (L-1/B-20/96) entschieden hat.

Angesichts dessen vermag der Senat nicht zu erkennen, daß grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen der Kläger bei einer Verpflichtung zum Abschluß eines privaten Pflegeversicherungsvertrages verletzt sein könnten. Die Art und Weise der Durchführung eines gesetzgeberischen Anliegens fällt jedenfalls in das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers und muß als politische Entscheidung hingenommen werden. Die Berufung mußte deshalb zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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