S 9 U 74/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 U 74/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 U 51/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Unfalls vom 19.2. 1999 ab, da diese keinen rentenberechtigenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) verursachten (Bescheid vom 17.10.2000). Die gegen den wiederum ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 16.11.2000 erhobene Klage wurde abgewiesen. Die Berufung wurde am 26.8.2005 zurückgenommen, nach Hinweis des Senats, dass sich aus den Folgen des Unfalls vom 19.2.1999 nach der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses keine MdE von wenigstens 10 % ergebe.

Der Kläger beantragte unter dem 19.6.2006 eine Überprüfung dieser Entscheidung nach § 44 SGB X. Die Beklagte lehnte eine Rücknahme des Bescheides vom 17.10.2000 ab (Bescheid vom 16.8.2006; Widerspruchsbescheid vom 10.10.2006). Der Kläger beziehe sich nur auf bei Berufungsrücknahme bereits bekannte und berücksichtigte Gutachten. Neue Tatsachen seien nicht vorgetragen, Rechtsfehler nicht ersichtlich. Es bleibe daher bei der Bindungswirkung der früheren Bescheide.

Hiergegen richtet sich die Klage. Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Prof. C. vom 25.11.2003 sei falsch. Dr. X. habe in seinen Gutachten nach § 109 SGG für die erkennende Kammer vom 1.7.2002 und für das LSG vom 13.12. 2004 eine höhere MdE angenommen. Schon in der Berufungsverhandlung habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass die MdE mit 20 % einzuschätzen sei. Er sei weiterhin der Meinung, der Unfall vom 19.2.99 sei Folge früherer Arbeitsunfälle. Er gehe auch weiter davon aus, dass der Innenmeniskushinterhornriss rechts Folge des Unfalls vom 19.2. 1999 sei. In diesem Zusammenhang sei "somit die MdE auch in diesem Fall auf 15% einzuschätzen, weil letztlich im Bereich zur Frage der Teilursächlichkeit die kausalen Folgen den überwiegenden Anteil in sich birgt und insoweit die Festlegung einer MdE mit 15% durchaus gerechtfertigt war und ist". Im übrigen macht er Ausführungen zu nicht streitbefangenen Unfällen 1982 und 1990.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Rücknahme ihrer am 17.10.2000 getroffenen Entscheidung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2000 sowie unter Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 16.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2006 zu verpflichten, dem Kläger Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf der Grundlage einer MdE von mindestens 2/10 der Vollrente anlässlich des Unfallereignisses vom 19.02.1999 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

II.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, denn die Beklagte hat sich zu recht auf die Bestandskraft der Ausgangsbescheide berufen.

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist - soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind -, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der das erkennende Gericht folgt, gilt im Überprüfungsverfahren des § 44 SGB X folgendes (BSGE 63, 65; 68, 180; 88, 75, 79; ferner Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 44 SGB X, Rdnr. 3.1; Kass Komm - Steinwedel -, § 44 SGB X, Rdnr. 34; Louven, Soziale Sicherheit 2000, 387 f, 389; Kunze, VSSR 2001, 151 ff., 156; Jung, SGb 2002, 1 f., 3):

Ergibt sich im Rahmen eines Antrags auf Erlass eines Zugunstenbescheides nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides (§ 77 SGG) berufen. Sie soll nämlich nach zutreffender Auffassung nicht durch aussichtslose Anträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden (BSGE 68, 180; BSG SozR 3 - 1300 § 44 Nr. 1; Kass Komm - Steinwedel - a.a.O.). Dies muss erst recht gelten, wenn der frühere Verwaltungsakt - wie hier - in einem Gerichtsverfahren nach umfangreicher Beweisaufnahme inhaltlich bestätigt worden ist (LSG NRW, Urteil vom 19.10.2005 - L 17 U 25/04; Beschluss vom 20.12.2006, L 17 U 140/06, auch wenn die Bestätigung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes durch ein Urteil einer Neufeststellung nach § 44 SGB X in einem Zugunstenverfahren im Prinzip nicht entgegensteht, vgl. BSGE 64, 62; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rdnr. 5).

So liegt der Fall hier, denn der Kläger hat nichts vorgetragen, was für eine Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte. Er hat vielmehr lediglich nahtlos die Diskussion um die Würdigung der Beweisergebnisse im vorangegangenen Verwaltungs-, Klage und Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne auch nur einen einzigen neuen Gesichtspunkt einzuführen. Hier markiert aber die Berufungsrücknahme eine Zäsur, die § 44 SGB X nicht ohne weiteres beseitigen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 193, 183 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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