L 6 R 229/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 R 72/05 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 229/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 203/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 25. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1944 geborene Kläger lebt in Bosnien-Herzegowina und bezieht dort seit 01.02.1997 Invalidenpension. Er hat keine Berufsausbildung absolviert und war in Deutschland von 1970 bis 1975 beschäftigt, zuletzt in einem Unternehmen für Feuerungsbau. Der Kläger gibt an, er sei als hochqualifizierter Feuerungsmaurer beschäftigt gewesen. Das Unternehmen hat keine Unterlagen mehr und kann keine Auskünfte mehr erteilen. In Bosnien-Herzegowina war der Kläger von 1976 bis 1997 versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 03.05.2000 stellte er in seiner Heimat einen Rentenantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 19.07.2000 ablehnte, weil der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht erfülle.

Am 21.08.2002 bat der Kläger um Überprüfung dieses Bescheides. Die Beklagte lehnte eine Rentengewährung erneut mit Bescheid vom 01.10.2002 ab, weil der Kläger nach den in seiner Heimat eingeholten Gutachten und der Einschätzung ihres Prüfarztes zwar nicht mehr in dem Beruf des Feuerschutzmaurers, mit bestimmten Einschränkungen jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch wenigstens sechs Stunden täglich tätig sein könne. Die von der Beklagten gehörten Sachverständigen waren insoweit zu einem vollschichtigen Einsatzvermögen gekommen. Den hiergegen am 20.12.2002 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit der gleichen Begründung mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2003 als unbegründet zurück. Das Aktenexemplar des Widerspruchsbescheides trägt einen Absendevermerk vom 19.02.2003. Eine bestimmte Form der Bekanntmachung ist nicht ersichtlich.

Am 29.04.2003 wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Landshut und bedankte sich für das Schreiben vom 17.02.2003 mit Widerspruchsbescheid. Er sei in Deutschland vier Jahre und drei Monate beschäftigt gewesen. Seine Frage sei, ob er bei Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente für seine Beschäftigung in Deutschland erhalte. Er wisse nicht, was er tun solle. Ihm sei alles unklar, er bitte um Antwort.

Das Sozialgericht gab das Schreiben zur zuständigen Beantwortung an die Beklagte weiter und unterrichtete den Kläger entsprechend. Mit Schreiben vom 22.05.2003 klärte die Beklagte den Kläger über seine Rentenansprüche wegen Alters mit Vollendung des 63. und des 65. Lebensjahres auf.

Am 03.05.2004 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte, schilderte einen Schriftverkehr mit ihr und dem Gericht, der in den Akten nicht ersichtlich ist, und führte u.a. aus, dass er sich zuletzt am 15.11.2003 an das Gericht gewandt habe. Er bat um Rat, was er tun solle, ob er Widerspruch/Klage einreichen solle und gegen wen. Die Beklagte wies ihn auf die vorhergehenden Bescheide und die abgelaufene Rechtsmittelfrist hin und auf die Möglichkeit einer erneuten Rentenantragstellung. Am 28.04.2004 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte, warf ihr vor, sie habe ausgenutzt, dass er keine Sprachkenntnisse habe, und kündigte an, sich wieder an das Gericht zu wenden. Er werde sich an einen Anwalt wenden, damit ihm dieser eine Berufung an den internationalen Gerichtshof aufsetze.

Am 20.01.2005 wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Landshut mit einer Beschwerde gegen die Entscheidung vom 17.02.2003. Er habe sich schon dreimal deswegen an das Gericht gewandt und das Gericht habe dies nicht berücksichtigt. Er fragte u.a. auch, ob das Gericht es ausgenutzt habe, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig sei und dadurch alle Ansprüche verloren habe, und ob sein Fall nicht wieder in Erwägung gezogen und er zur Untersuchung vor eine Kommission geladen werden könne.

Auf den Hinweis des Gerichts, dass seine Klage verspätet und damit unzulässig sei, antwortete der Kläger, er habe die Schreiben nicht verstehen können und kein Geld für einen Übersetzer.

Mit Gerichtsbescheid vom 25.01.2006 hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Widerspruch sei drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugegangen anzusehen und die Klagefrist damit versäumt.

Hiergegen hat der Kläger am 28.02.2006 Berufung eingelegt. Er trägt vor, er habe nichts verstanden, kein Geld für einen Übersetzer, habe nicht gewusst, was er tun solle und so sei es gekommen, dass er sich manchmal auch verspätet habe.

Aus dem Berufungsschreiben ergibt sich, dass der Kläger weiter seinen Anspruch auf Rente geltend macht.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Landshut in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig, weil verspätet, abgewiesen.

Nach § 87 Abs.1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate. Nach Abs.2 der Vorschrift beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat. Bekannt gegeben ist ein Verwaltungsakt regelmäßig mit dem Zeitpunkt des Zugangs (vgl. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr.32). Der Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheides ist im vorliegenden Fall nicht bekannt, da es an einem entsprechenden Nachweis fehlt. Auf die Zugangsfiktion des § 4 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) kann schon deshalb nicht zurückgegriffen werden, weil die Vorschrift nur für Einschreiben gilt und aus den Akten nicht ersichtlich ist, dass mittels Einschreiben zugestellt worden wäre. Auch auf die Zugangsfiktion des § 37 Abs.2 Sozialgesetzbuch (SGB) X, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post als am dritten Tag nach der Absendung bekannt gegeben gilt, ist nicht anzuwenden, weil sie nur bei einer Versendung im Inland gilt.

Der Widerspruchsbescheid muss spätestens zu dem Zeitpunkt als dem Kläger bekannt gegeben angesehen werden, zu dem er nachweislich in dessen Besitz war (vgl. § 63 SGG i.V.m. § 189 Zivilprozessordnung - ZPO - zur Heilung eines Formmangels bei Zustellung eines Schriftstückes). Dem am 29.04.2003 dem Sozialgericht Landshut zugegangenen Schreiben des Klägers ist zu entnehmen, dass er sich bei dessen Abfassung im Besitz des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2003 befunden hatte. Da er bei der kürzest denkbaren Postlaufzeit den Widerspruchsbescheid damit spätestens am 28.04.2003 erhalten haben musste, hätte eine zulässige Klage bis spätestens 28.07.2003 eingelegt werden müssen. Alle weiteren Schreiben des Klägers, ob an die Beklagte oder das Sozialgericht, waren damit nicht mehr fristgerecht.

Die Rechtsbehelfsfrist ist auch durch die deutschsprachige Rechtsbehelfsbelehrung in Gang gesetzt worden, der Übersetzung für einen sprachunkundigen Ausländer bedarf es nicht (Keller in Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 8. Auflage § 61 Rdnr.7d). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt ausnahmsweise in Frage, wenn ein sprachunkundiger Ausländer an der Wahrung der Frist gehindert war, weil er nicht rechtzeitig für eine Übersetzung sorgen konnte. Ein Ausländer, der ein Schriftstück erhält, dessen Rechtsmittelbelehrung er nicht versteht, aber ersehen kann, dass es sich um ein amtliches Schriftstück mit möglicherweise belastender Verfügung handelt, muss zumutbare Anstrengungen unternehmen, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den Inhalt zu verschaffen (Keller, a.a.O., Rdnr.7e m.w.N). Ein solcher Fall der Wiedereinsetzung liegt hier jedoch nicht vor. Der Kläger hat die Frist nicht versäumt, weil die Bemühungen um eine Übersetzung eine entsprechende Zeit in Anspruch genommen hätten. Der Kläger hat sich nach seinem Vorbringen vielmehr gar nicht um eine Übersetzung bemüht. Der Kläger musste nach dem vorhergehenden Verfahren wissen, welcher Art die ihm zugegangene Entscheidung war und er war z.B. beim Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.10.2002 in der Lage, fristgerecht zu reagieren. Im Übrigen ergibt der gesamte Schriftwechsel, dass der Kläger bei Unverständnis von der getroffenen Regelung der Beklagten in der Lage war, wenigstens dieses, verbunden mit der Äußerung seines materiellen Begehrens in seiner Sprache zum Ausdruck zu bringen. Dies hätte für die Einlegung einer Klage gereicht.

Das am 29.04.2003 dem Sozialgericht Landshut zugegangene Schreiben des Klägers enthält keinen Rechtsbehelf, vielmehr ausdrücklich nur die Frage nach dem Recht auf Altersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres. Ein irgendwie gearteter Einwand gegen die Entscheidung der Beklagten ist dem Schreiben nicht zu entnehmen, auch kein Antrag an das Gericht auf Überprüfung des Vorgangs. Das nächste Schreiben des Klägers, das der Beklagten am 03.05.2004 zuging, war nicht mehr fristgemäß.

Da das Sozialgericht die Klage zu Recht als verfristet angesehen hat, war die Berufung nicht begründet.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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