L 2 P 3/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 1 P 67/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 3/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 30. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld nach der Stufe I zustehen.

Der 1929 geborene Kläger beantragte am 27.12.2003 Pflegegeld. Die Beklagte ließ eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) durchführen. Im Gutachten vom 04.02.2004 kam der MDK nach einem Hausbesuch am 30.01.2004 zum Ergebnis, im Vordergrund der pflegerelevanten Erkrankungen stünden eine Herzerkrankung, Hauterkrankung (Psoriasis), Geschwürskrankheit (Ulcus cruris), ein Zustand nach Tumoroperation und Diabetes mellitus. Ein Selbstpflegedefizit resultiere aus der Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule und der Schultergelenke. Insoweit ergebe sich ein Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche, beim Duschen und beim Stuhlgang von insgesamt 11 Minuten. Nach der Ganzkörperwäsche und dem Duschen müssten Einreibungen mit Hautpflegemitteln im Bereich der Unterschenkel und des Rückens vorgenommen werden. Im Bereich der Ernährung wurde kein Hilfebedarf gesehen, jedoch beim Ankleiden und Entkleiden des Unterkörpers, insbesondere beim An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen, die der Kläger wegen des Geschwürsleidens benötige. Hierfür betrage der Hilfebedarf 12 Minuten und somit insgesamt im Bereich der Grundpflege 23 Minuten pro Tag. Für die hauswirtschaftliche Versorgung müsse eine Pflegeperson 45 Minuten aufwenden.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 13.02.2004 Leistungen aus der Pflegeversicherung ab, weil im Grundpflegebedarf kein täglicher Hilfeaufwand von mehr als 45 Minuten erreicht werde. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Er brachte vor, die Hautgeschwüre müssten mit speziellen Salben behandelt und die gesamte Haut täglich zur Rückfettung eingecremt werden. Allein hierfür würden 45 Minuten benötigt. Die Beklagte gab erneut ein Gutachten in Auftrag. Der MDK stellte am 22.04.2004 im Bereich der Körperpflege zwar einen etwas höheren Hilfebedarf, nämlich von 14 Minuten für das Unterstützen beim Abtrocknen und Einreiben mit Hautsalben nach dem Duschen, jedoch insgesamt nur von 24 Minuten im Grundpflegebereich fest. Ein der Pflegestufe I entsprechender Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten werde nicht erreicht. Am 22.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage erhoben und ein Pflegetagebuch vorgelegt. Für den 03.08.2004 werden darin insgesamt 83 Minuten an Pflegeunterstützung dokumentiert. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und den Internisten und Sozialmediziner Dr. G. zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat im Gutachten vom 10.05.2005 für Duschen und Waschen des Unterkörpers einen Hilfebedarf von jeweils 12 Minuten, für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen insgesamt 12 Minuten und damit im Grundpflegebereich insgesamt 36 Minuten an Hilfe für erforderlich gehalten. Er hat hervorgehoben, dass die vom Kläger angeführten Lymphdrainagen, Salbeneinreibungen und das Anlegen von Verbänden der Behandlungspflege und nicht der Grundpflege zuzurechnen seien. Auf die Einwendungen des Klägers hat Dr. G. am 14.11.2005 erklärt, man könne noch zusätzlich 5 Minuten für das Eincremen wegen der Schuppenflechte ansetzen, weil dies unmittelbar mit der Körperwäsche zusammenhänge. Insgesamt werde damit ein Hilfebedarf von 41 Minuten im Grundpflegebereich erreicht.

Nach Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.12.2005 abgewiesen. Es hat sich die Ausführungen des Dr. G. zu eigen gemacht und auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Bezug genommen, wonach Maßnahmen der Behandlungspflege, wie beim Kläger das Anlegen von Verbänden und Lymphdrainagen nur dann den Verrichtungen des täglichen Lebens zugeordnet werden könnten, wenn diese nicht bloß zweckmäßigerweise, sondern notwendigerweise und unerlässlich mit Maßnahmen der Grundpflege verbunden seien.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und darauf verwiesen, zwangsläufig müssten die Verbände an den Unterschenkeln vor dem Duschen abgenommen und danach wieder angelegt werden. Nach dem Waschen müsse die Haut unbedingt zur Rückfettung eingecremt werden. Auch Lymphdrainagen und Hydropressbehandlungen seien aus gesundheitlichen Gründen erforderlich. All diese Maßnahmen erbringe sein Schwiegersohn, der von Beruf Altenpfleger sei. Die Beklagte hat im Vorbringen des Klägers keine neuen Umstände gesehen und betont, die Behandlungspflege werde lediglich aus praktischen Gründen in zeitlichem Zusammenhang mit Verrichtungen des täglichen Lebens durchgeführt, was nicht ausreiche.

Auf Rückfrage des Senats hat Dr. G. am 21.05.2006 erläutert, ein Verbandswechsel, der ca. 10 Minuten in Anspruch nehme, wäre auch ohne das Duschen erforderlich und sei als qualifizierte Behandlungspflege, für die medizinische Fachkunde vorausgesetzt werde, die der Schwiegersohn des Klägers besitze, zu werten. Allenfalls stünden Salbeneinreibungen nach dem Duschen zur Rückfettung mit einer Verrichtung der Grundpflege in unmittelbarem Zusammenhang. Hierfür sei - wie bereits vorgeschlagen - ein täglicher Mehrbedarf von 5 Minuten angemessen. Insgesamt rechtfertige das Vorbringen des Klägers keine Änderung seiner Beurteilung im Gutachten vom 10.05.2005.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.12.2005 und des Bescheides vom 13.02.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2004 zu verurteilen, ihm ab Antrag Leistungen der sozialen Pflegeversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.12.2005 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Aktenheftung der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Zutreffend stellte das SG fest, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung wenigstens nach der Stufe I nicht erfüllt sind. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege gem. § 37 Abs. 1 des Elften Sozialgesetzbuchs (SGB XI). Der Anspruch auf Pflegegeld setzt voraus, dass der Antragsteller zum Personenkreis der Pflegebedürftigen gehört. Gem. § 14 Abs. 1 SGB XI ist pflegebedürftig, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung des mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung und im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Geben, Stehen, Treppen steigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. § 15 SGB XI regelt die Stufen der Pflegebedürftigkeit. Der Pflegestufe I (erhebliche Pflegebedürftigkeit) sind Personen zuzuordnen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für diese Leistungen der Grundpflege benötigt, muss pro Tag im Wochendurchschnitt mehr als 45 Minuten betragen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI).

Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers nicht erfüllt. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG an und sieht gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab.

Die Einwendungen des Klägers im Berufungsverfahren vermögen nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen. Zwar rechtfertigen die Ausführungen des Dr. G. in der vom Senat erbetenen Stellungnahme vom 14.11.2005 die Feststellung, dass das Eincremen der Schuppenflechte in unmittelbarem und notwendigem Zusammenhang mit der Körperwäsche bzw. dem Duschen steht (BSG vom 31.08.2000 - B 3 P 14/99 R). Jedoch wird auch unter Einbezug eines hierfür notwendigen Zeitbedarfs von 5 weiteren Minuten kein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten pro Tag, sondern nur ein solcher von insgesamt 41 Minuten erreicht.

Der Ansatz von Hilfe beim Entfernen und Wiederanlegen von Verbänden im Bereich der Unterschenkel ist rechtlich nicht zu begründen. Dies sind Maßnahmen der Behandlungspflege; sie stehen nur in einem mehr oder weniger zufälligen Zusammenhang mit den Waschvorgängen. Zwar ist es richtig, dass ein Verband beim Duschen abgenommen oder abgedeckt werden muss, damit er nicht durchfeuchtet. Jedoch steht hier das auch ohne den Waschvorgang notwendige Neuverbinden derart im Vordergrund, dass der lediglich zeitliche und zweckmäßige Zusammenhang mit dem Waschen als Verrichtung im Grundpflegebereich in den Hintergrund tritt. Gut nachvollziehbar legt Dr. G. dar, dass für den Verbandwechsel Kenntnisse einer medizinisch geschulten Person erforderlich sind, was damit zum typischen Bereich der Behandlungspflege gehört. Allenfalls könnte man das Entfernen des Verbands als Vorbereitungshandlung des Duschens werten. Allerdings wären auch, wenn beim Duschen keine fachkundige Pflegekraft zur Verfügung stünde, eine Teilwäsche bzw. ein Abdecken beim Duschen möglich, um eine Durchnässung des Verbandes zu verhindern. Dadurch könnte ein zeitliches Auseinanderklaffen zwischem Waschvorgang und Verbandswechsel zwanglos erreicht werden. Aus diesem Grunde konnte der Senat dahingestellt sein lassen, ob für das Abnehmen des Verbandes tatsächlich ein Hilfebedarf von wenigstens 5 Minuten erforderlich ist, womit ein täglicher Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten erreicht würde.

Es mag dem Kläger unangemessen erscheinen, eine derartige Aufteilung ohne Zweifel notwendiger Maßnahmen zur Erhaltung bzw. Verbesserung seines Gesundheitszustands vorzunehmen. Jedoch fordert dies die Abgrenzung von Leistungen der Pflegeversicherung von solchen der Krankenversicherung. Insgesamt kommt der Senat zum Ergebnis, dass die Feststellungen des Sozialgerichts auch unter Berücksichtigung des neueren Vorbringens im Berufungsverfahren der Sach- und Rechtslage entsprechen. Zutreffend hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegeleistungen zumindest nach der Stufe I hat. Seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.12.2005 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, ist nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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