L 28 B 166/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 21 AS 1162/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 166/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Januar 2007 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20. Dezember 2006 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2006 und des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2006 sowie die Aufhebung der Vollziehung der zuvor genannten Bescheide werden angeordnet. Die Beschwerde wird im Übrigen - soweit sie sich gegen die Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe richtet - zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Kosten des Antragsverfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren sowie des Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Januar 2007 ist begründet. Das Sozialgericht Cottbus hat den Antrag der Antragstellerin, mit dem sie bei sachdienlicher Auslegung zum einen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) der am 20. Dezember 2006 gegen den Sanktionsbescheid vom 24. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2006 erhobenen Anfechtungsklage und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bewilligungsbescheid der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2006, in dem die Antragsgegnerin den Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von insgesamt 400,77 EUR um 218,34 EUR gemindert hat, als auch die Aufhebung der Vollziehung des zuvor genannten Bescheide für den betroffenen Leistungszeitraum vom 1. Dezember 2006 bis zum 28. Februar 2007 nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG begehrt, zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen; sofern der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine derartige Sachlage ist hier gegeben, denn nach § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), der eine Regelung im Sinne von § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG trifft, haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der wie im vorliegenden Fall über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung.

Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr. 197 ff.).

Bei der gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 24. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2006 verfügten Sanktion, der vollständigen Kürzung des Leistungsanspruchs der Antragstellerin mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft und der Heizung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b, Abs. 5 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung. Danach wird das Arbeitslosengeld II bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die wie die Antragstellerin das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unter den in den Absätzen 1 und 4 genannten Vorraussetzungen auf die Leistungen nach § 22 SGB II, also auf die Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt. Im vorliegenden Fall soll die Antragstellerin entgegen der in der Eingliederungsvereinbarung vom 1./2. Juni 2006 begründeten Pflicht (Obliegenheit), eine bestimmte Anzahl von Bewerbungsunterlagen zu erstellen, nicht nachgekommen sein. An einer derartigen Pflichtverletzung bestehen im vorliegenden Fall indes ernsthafte Zweifel.

Um den genannten Sanktionstatbestand zu erfüllen, muss die in der Eingliederungsvereinbarung "festgelegte Pflicht" des Hilfebedürftigen hinreichend bestimmt sein. Eine solche Pflicht ist nur eine solche, die dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach Maßgabe seines Empfängerhorizontes das ihm abverlangte Verhalten unzweifelhaft erkennbar macht. Unklarheiten gehen zu Lasten des für die Sanktionsentscheidung zuständigen Leistungsträgers (Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 RdNr. 13). Eine diesen Anforderungen genügende Pflicht ist der Antragstellerin nach summarischer Prüfung in der Eingliederungsvereinbarung nicht auferlegt worden. In dieser ist der Antragstellerin "aufgegeben" worden, Bewerbungsunterlagen zu erstellen. Die Antragstellerin hat die "schriftliche(n) Bewerbungen nachzuweisen und bei jeder persönlichen Vorsprache dem Vermittler vorzulegen (Anschreiben der Bewerbungen)"; festgelegt wurde die Vorlage von "mindestens 7 Bewerbungen im Monat".

Diese Pflicht hat die Antragstellerin nach summarischer Prüfung entweder nicht verletzt oder die ihr auferlegte Pflicht ist mangels hinreichender Bestimmtheit nicht geeignet, die mit ihr im Falle einer Nichterfüllung verbundene Sanktion auszulösen. Denn bei verständiger und vernünftiger Auslegung dieser Vereinbarung hat die Antragstellerin in jedem Kalendermonat 7 Bewerbungen zu erstellen. Diese Pflicht hat sie jedenfalls im November 2006 erfüllt. Denn sie hat am 29. November 2006 neunzehn Bewerbungen vorgelegt. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Soweit die Antragsgegnerin ausweislich des Vermerks über die persönliche Vorsprache der Antragstellerin am 16. November 2006 festgestellt hat, dass die Antragstellerin keine Bewerbungen vorlegen konnte, vermag dies nicht die verfügte Sanktion zu begründen. Denn an diesem Tag hatte die Antragstellerin noch rund zwei Wochen Zeit, die notwendige Anzahl von Bewerbungen vorzulegen.

Soweit unter dem Begriff "Monat" in der Eingliederungsvereinbarung ein Zeitraum von einem Monat nach der letzten persönlichen Vorsprache des Hilfebedürftigen gemeint sein sollte, kann auch insoweit der Antragstellerin nicht der Vorwurf eines Pflichtenverstoßes gemacht werden. Denn insoweit wäre das von der Antragstellerin abverlangte Verhalten im Hinblick auf die dar- gelegte Auslegungsbedürftigkeit des Begriffs "Monat" nicht unzweifelhaft erkennbar. Auch hätte die Antragstellerin dann am 16. Termin 2006, dem Termin ihrer nächsten persönlichen Vorsprache nach dem letzten Vorsprachetermin am 20. Oktober 2006, die geforderten Bewerbungsunterlagen noch nicht vorlegen müssen, weil der Monatszeitraum dann jedenfalls nicht vor dem 20. November 2006 abgelaufen wäre.

Die Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren kann keinen Erfolg haben. Das Verfahren hat sich erledigt. Im Hinblick auf den in diesem Beschluss ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch der Antragstellerin für das gesamte einstweilige Rechtschutzverfahren besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr an der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog und § 73 a SGG in Verbindung mit §§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 der Zivilprozessordnung.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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