L 19 B 603/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 21 AS 545/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 603/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 13. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung von der Antragsgegnerin Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum ab 9. Dezember 2005.

Der 1963 geborene Kläger ist selbständiger Fotograf. Er hat mit Vertrag vom 19. Mai 2005 zwei Geschäftsräume (Büro und Atelier) in der FStraße in P mit einer Fläche von 41,59 m² mit Wirkung ab dem 1. Juni 2005 angemietet, die Nettokaltmiete beträgt 350,- Euro zuzüglich einer Betriebs- und Nebenkostenvorauszahlung von 110,- Euro jeweils nebst 16 % Mehrwertsteuer. Er beantragte am 9. Dezember 2005 bei der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Er gab an, in den Geschäftsräumen auch zu wohnen.

Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 8. März 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 in Höhe von 331,- Euro monatlich. Der Antragsteller legte gegen diesen Bescheid am 3. April 2006 Widerspruch ein und beantragte am 13. April 2006 beim Sozialgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Bescheid vom 8. März 2006 abzuändern und ihm die tatsächlichen Wohnkosten ab Antrag vom 9. Dezember 2005 zu zahlen.

Das Sozialgericht Potsdam hat mit Beschluss vom 13. Juni 2006 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, an den Antragsteller ab dem 13. April 2006 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 233,24 Euro monatlich bis zum 30. Juni 2006 zu erbringen. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Es hat ausgeführt, der Antrag sei in der tenorierten Höhe begründet. Neben einem Anordnungsgrund sei in diesem Umfang auch ein Anordnungsanspruch zu bejahen. Aus der Sicht des Gerichtes sei unklar bzw. in einem Hauptsacheverfahren zu klären, inwieweit die von dem Antragsteller bezogenen Räume in der FStraße als Wohnräume im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II anzuerkennen seien. Der Antragsteller habe glaubhaft gemacht, in den Geschäftsräumen zu leben und über keinen anderweitigen Wohnraum zu verfügen. Die ersichtliche Mischnutzung als Geschäfts- und auch Wohnraum schließe nicht schlechthin aus, dass die Antragsgegnerin zumindest teilweise für die Kosten der Unterkunft aufzukommen habe. Da die Antragsgegnerin bislang keine Besichtigung der Räumlichkeiten vorgenommen habe und die Sache eilbedürftig sei, sehe das Gericht von eigenen Ermittlungen ab und gehe bei summarischer Prüfung davon aus, dass eine nach Lebensbereichen hälftige Nutzung der Räumlichkeiten vorliege. Daher sei von der Nettokaltmiete die Hälfte mit 175,- Euro zuzüglich eines Nebenkostenanteils von 58,24 Euro in Ansatz zu bringen. Die Folgenabwägung gehe daher zu Gunsten des Antragstellers aus, wenn auch nicht in Gänze.

Gegen diesen dem Antragsteller am 13. Juni 2006 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 11. Juli 2006 eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Wohnkosten bestünden seit Antragstellung am 9. Dezember 2005 und seien von ihm unter Aufzehrung fast aller Ersparnisse getragen worden. Die Zuerkennung von Ansprüchen ab 13. April 2006 sei ihm nicht verständlich.

Die Antragsgegnerin hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Soweit der Antragsteller Leistungen für den Zeitraum vor Stellung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehre, bestehe keine Anordnungsgrund.

II. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung soll durch sie eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung vornehmen wie auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Handelt es sich wie hier um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, muss die überragende Bedeutung dieser Leistungen für den Empfänger mit der Folge beachtet werden, dass ihm im Zweifel die Leistungen - ggf. vermindert auf das absolut erforderliche Minimum - aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zu gewähren sind.

Soweit der Antragsteller Leistungen für die Zeit vom 9. Dezember 2005 bis zum Eingang der Antragsschrift am 13. April 2006 begehrt, fehlt ein Anordnungsgrund. Das Sozialgericht hat dem Antrag insoweit zu Recht nicht entsprochen. Ansprüche für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anerkannt werden. Diese sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Etwas anderes könnte nur dann in Betracht kommen, wenn die sofortige Verfügbarkeit von für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Hilfen zur Abwendung eines gegenwärtig drohenden Nachteils erforderlich ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. März 2006 - L 19 B 84/06 AS ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Oktober 2006 - L 13 AS 4113/06 ER- B -). Der Antragsteller hat dazu konkret (etwa durch Nachweis von Mietschulden, drohender Zwangsräumung) nichts vorgetragen. Der vorgetragene Verbrauch von Ersparnissen, über die der Antragsteller bei Einleitung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens noch verfügte, reicht insoweit nicht aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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