L 2 AR 5/07 SAB

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 12 SB 28/07
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AR 5/07 SAB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Selbstanzeige eines Richters nach § 60 SGG i. V. m. § 48 ZPO u. a. mit der ei-genen Erklärung, dass er sich für befangen halte und ihm eine unparteiische Be-handlung der Klage nicht möglich sei.
Die Selbstanzeige des Richters am Sozialgericht in dem Klagever-fahren S 12 SB 28/07 ist nicht begründet.

Gründe:

I.

In dem Klageverfahren S 12 SB 28/07 begehrt die Klägerin die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) von zumindest 70.

Die Klägerin hat am 29. Januar 2007 Klage erhoben. Über die Klage hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Kiel zu entscheiden. Vorsitzender dieser Kammer ist Richter am Sozialgericht.

Mit Schreiben vom 19. Februar 2007 hat Richter am Sozialgericht gemäß § 60 SGG in Verbindung mit § 48 ZPO angezeigt, dass er sich für befangen halte. Er kenne die Klägerin persönlich schon seit der Rechtspflegerausbildung. Sie sei seine Ausbilderin gewesen. In der Zeit danach – insbesondere während des Studiums – habe eine kollegial-freundschaftliche Beziehung bestanden. Zwar bestehe aktuell kein Kontakt mehr. Gleichwohl sei ihm eine unparteiische Behandlung der Klage nicht möglich.

Die Klägerin hat bestätigt, dass sie den Richter kenne. Allerdings bestehe schon seit Jahren tatsächlich kein Kontakt mehr. Allein aufgrund des Umstandes, dass sie Ausbilderin des Richters einmal vor vielen Jahren gewesen sei, dürfte aus ihrer Sicht noch keinen Befangenheitsgrund darstellen.

Das beklagte Land hat sich zu der Anzeige vom 19. Februar 2007 nicht geäußert.

II.

Die Anzeige von Richter am Sozialgericht vom 19. Februar 2007 ist nicht begründet.

Nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gelten für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen die §§ 41 bis 44, 45 Abs. 2 Satz 2, §§ 47 bis 49 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 48 ZPO ist über die Befangenheit eines Richters auch dann zu entscheiden, wenn ein Ablehnungsgesuch (von den Verfahrensbeteiligten) nicht angebracht (worden) ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Damit wird auf die Ausschließungsgründe des § 41 ZPO und den Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO verwiesen. Das zur Entscheidung über die Anzeige nach § 48 ZPO zuständige Gericht – hier das Landessozialgericht (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGG) – hat darüber zu entscheiden, ob die Anzeige rechtlich bedeutsame Gründe für einen Ausschluss von der (weiteren) Ausübung des Richteramtes (§ 41 ZPO) oder für die Annahme der Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO) enthält.

Aus der Anzeige vom 19. Februar 2007 ergeben sich keine Gründe, die einer weiteren Ausübung des Richteramtes durch in dem konkreten Klageverfahren entgegenstehen. Es liegt keiner der Ausschließungsgründe des § 41 ZPO vor. Dies bedarf keiner weiteren Begründung. Auch die Voraussetzungen einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 1, Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Ein die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigender Grund liegt nur vor, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Das Misstrauen muss aus der Sicht eines ruhig und vernünftig denkenden Prozessbeteiligten verständlich sein (LSG München, Beschl. v. 27. Juli 2000 – L 5 AR 126/00 KR -, zitiert nach juris); es muss ein objektiv vernünftiger Grund gegeben sein, der die Partei von ihrem Standpunkt aus befürchten lassen muss, der Richter werde in dem konkreten Verfahren nicht sachlich entscheiden (siehe Hartmann in Baumbach/Lauter-bach/ Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, Kommentar, 65. Aufl. 2007, § 42 Rdn. 10; siehe auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2005, § 60 Rdn. 7; Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 42 Rdn. 20: " alle Fälle unsachlichen, auf Voreingenommenheit oder Willkür hindeutenden Verhaltens "). Bei dieser Beurteilung kommt es weder darauf an, ob die Befürchtung eines Prozessbeteiligten, der Richter sei ihm gegenüber voreingenommen, begründet ist, noch auf die subjektive Meinung des Richters, ob er befangen sei oder nicht (LSG München, a.a.O.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 5. November 1998 – 14 W 58/98MDR 1999, 956; BFH, Beschl. v. 23. September 2004 – IX B 98/04 -, zitiert nach juris). Bei einer objektiven Beurteilung lassen sich aus der Schilderung des Bekanntschaftsverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Kammervorsitzenden in dem Schreiben vom 19. Februar 2007 keine objektiven Gründe entnehmen, die die Klägerin oder das beklagte Land befürchten lassen müssen, der Richter werde in dem konkreten Verfahren nicht sachlich entscheiden. Allein die Tatsache, dass der Richter die Klägerin persönlich seit längerem kennt, reicht nicht aus, um dessen Befangenheit annehmen zu können (siehe Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 5. April 2000 – 1 B 586/99 -, zitiert nach juris; offen gelassen für eine enge Freundschaft BFH, Beschl. v. 23. September 2004, a.a.O.). Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Klägerin damals Ausbilderin des Richters war. Ebenso ist die kollegial-freundschaftliche Beziehung in der Zeit danach – insbesondere während des Studiums – bei objektiver Würdigung und dem großen zeitlichen Abstand kein objektiver Befangenheitsgrund, insbesondere auch deshalb, weil kein aktueller Kontakt mehr besteht (Äußerung der Klägerin: " schon seit Jahren tatsächlich kein Kontakt mehr "). Damit begründen die von dem Richter aufgezeigten Verhältnisse keinen objektiven Befangenheitsgrund.

Ein Grund für eine Befangenheit des anzeigenden Richters folgt auch nicht daraus, dass der Richter in seiner Erklärung vom 19. Februar 2007 geäußert hat, dass er sich für befangen halte und ihm eine unparteiische Behandlung der Klägerin nicht möglich sei. Eine derartige Erklärung eines Richters ist – bei alleiniger Wertung dieser Aussage – im Verhältnis zu den richterlichen Pflichten von schwerwiegender Bedeutung. Diese Erklärung kann von den Verfahrensbeteiligten so verstanden werden, dass sie selbst die Schlussfolgerung ziehen, dass der Richter nicht zu einer unparteiischen und unvoreingenommenen Entscheidung in der Lage sei. Eine derartige Schlussfolgerung haben die Verfahrensbeteiligten aus der Erklärung des Richters nicht gezogen. So hat die Klägerin einen Befangenheitsgrund sinngemäß verneint. Das beklagte Land hat sich zu der Anzeige des Richters nicht geäußert. Trotz des Gewichts der abgegebenen Erklärung rechtfertigt diese Erklärung nicht den Ausschluss des Richters von der weiteren Mitwirkung in dem anhängigen Klageverfahren. Zu den im Richtereid (§ 38 DRiG) zusammengefassten Pflichten von Richtern gehört neben der Pflicht zur Verfassungs- und Gesetzestreue und der Pflicht, nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, weiter die Pflicht zur Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit. Richtern steht ein eigenes Ablehnungsrecht nicht zu. Es kommt daher bei einer Entscheidung nach § 48 ZPO nicht auf die Sicht des anzeigenden Richters an; deshalb ist es unerheblich, ob sich der Richter selbst für befangen hält (siehe Vollkommer, a.a.O., § 48 Rdn. 1 und 2; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Die Erklärung, sich selbst für befangen zu halten, gehört nicht zum notwendigen Inhalt einer Selbstanzeige nach § 48 ZPO. Mit der Selbstanzeige sollen nur Verhältnisse, wie sie in § 41 ZPO und § 42 ZPO beschrieben sind, angezeigt werden. Die Entscheidung, ob aus den angezeigten Gründen tatsächlich ein gerechtfertigter Grund für die Annahme der Befangenheit vorliegt, ist allein Aufgabe des Gerichts, das zur Entscheidung über die Selbstanzeige berufen ist. Angesichts der gesetzlichen Pflicht zur unparteilichen und unvoreingenommenen Ausübung des Richteramtes, dem hohen verfassungsrechtlich gesicherten Gebot des gesetzlichen Richters und der Tatsache, dass dem Richter ein eigenes Ablehnungsrecht nicht zukommt, könnte die Äußerung in einer Selbstanzeige nach § 48 ZPO, sich befangen zu fühlen, nur dann ausnahmsweise rechtliche Bedeutung erlangen, wenn diese Äußerung Ausdruck einer schwerwiegenden Konfliktlage des Richters wäre (Vollkommer, a.a.O., § 48 Rdn. 3: "ernstlicher Gewissenskonflikt "). Bei einer derartigen Beurteilung muss wegen des Gewichts des Gebotes des gesetzlichen Richters ein strenger Maßstab angewendet werden, da andernfalls durch Erklärungen von Richtern zu ihrer eigenen Befangenheit Einfluss genommen werden könnte auf die gesetzlich gesicherten Zuständigkeiten von Gerichten. Solange Gründe solchen Gewichts nicht vorliegen, ist der Richter aufgrund seiner gesetzlichen Stellung und seiner Dienstpflichten gehalten, Hemmnisse zu überwinden, die ihm die Entscheidung in einem konkreten Rechtsstreit erschweren. Eine schwerwiegende Konfliktlage und/oder einen ernstlichen Gewissenskonflikt kann der Senat dem Schreiben vom 19. Februar 2007 nicht entnehmen. Daher muss der Senat die eigene Erklärung des Richters, dass er sich für befangen halte, als unbeachtlich werten; ihr kommt in dem konkreten Klageverfahren daher keine rechtliche Bedeutung zu.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Arndt Kampe Rademacker Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Richterin am Landes- sozialgericht Richter am Landes- sozialgericht
Rechtskraft
Aus
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