Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 61 AS 8548/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 B 188/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2006 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig, ab Zustellung dieses Beschlusses bis zum 30. April 2007, spätestens jedoch bis zur Zustellung der Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerinnen gegen den die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ablehnenden Bescheid des Antragsgegners vom 8. August 2006, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 620,00 EUR, für Februar 2007 anteilig für die verbleibenden Tage vom Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses an, zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen ihre außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Das Aktivrubrum war zu ändern. Gegenstand des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind bei sachgerechter Auslegung des erstinstanzlich geltend gemachten Begehrens die Anträge der in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - des Sozialgesetzbuches (SGB II). Die Antragstellerin zu 1) kann als Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft nicht im eigenen Namen die Ansprüche der Antragstellerin zu 2) mit einer Klage oder, wie im vorliegenden Verfahren, mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgen, sondern jedes Mitglied muss seine Ansprüche im eigenen Namen geltend machen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - L 7 b AS 8/06 R - (www.bundessozialgericht.de) und bereits Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 102/06 -). Die Bevollmächtigung der Antragstellerin zu 1) für das vorliegende Verfahren konnte dabei unterstellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2006 mit dem am 22. September 2006 beim Sozialgericht eingegangenen und im Beschwerdeverfahren nunmehr bezifferten Antrag der Antragstellerinnen, den Antragsgegner im Wege einer einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 1.120,20 EUR zu gewähren, ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1.) Für die Gewährung von Leistungen ab Eintragseingang bei dem Sozialgericht Berlin bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren fehlt es an einem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde. Die Antragstellerinnen haben - auch nach Erhalt der Entscheidung des Sozialgerichts, die unter anderem auf das Fehlen des Anordnungsgrundes gestützt war - keine Umstände vorgetragen, die einen Anordnungsgrund begründen können.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände haben die Antragstellerinnen jedoch nicht vorgetragen, sie sind auch nicht sonst ersichtlich. Soweit die Antragstellerinnen insoweit unter Vorlage des Kündigungsschreibens der K vom 22. Januar 2007 vortragen, dass die Wohnung gekündigt worden sei, vermag dieser Vortrag die Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht zu begründen. Die Antragstellerinnen haben nicht hinreichend dargelegt, dass ihnen aufgrund ihrer Mietrückstände Obdachlosigkeit droht, zumal offensichtlich noch nicht einmal ein Räumungstitel vorliegt. Dies bedeutet gleichzeitig, dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und den Antragstellerinnen ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.
2.) Für die Zeit nach Zustellung des Beschlusses ist die beantragte einstweilige Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung zu treffen. Hierbei sind die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005,927 ff.). Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, wobei Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne (vgl. auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2006 - L 10 B 1052/06 AS ER -).
Der Anspruch der Antragstellerinnen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 Abs. 1 SGB II hängt davon ab, dass sie hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 9 SGB II sind, hier insbesondere von der Frage, ob der Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen gesichert werden kann. Die dazu nach §§ 11, 12 SGB II notwendigen Feststellungen sind im Verwaltungsverfahren nicht getroffen worden. Sie sind auch nach den bei Würdigung der dem Senat zur Verfügung stehenden präsenten Beweismittel, die der Entscheidung im Eilverfahren zugrunde zu legen sind, nicht mit hinreichender Sicherheit zu treffen. Dies hängt vorliegend u. a. davon ab, ob den Antragstellerinnen aufgrund der auf dem Konto der Antragstellerin zu 1) zu verzeichnenden diversen Bareinzahlungen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Antragstellerinnen haben jedenfalls im Beschwerdeverfahren verschiedene Unterlagen vorgelegt, wie den Darlehensvertrag vom 10. April 2006, die ihren Vortrag, Geld als Darlehen für den Aufbau eines selbständigen Gewebes erhalten zu haben, belegen. Im Übrigen tragen sie vor, dass das Darlehen seit September 2006 aufgebraucht sei. Auch insoweit haben die Antragstellerinnen Unterlagen vorgelegt. Soweit der Antragsgegner sich im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen darauf beschränkt hat, auf eine "eidesstattliche Versicherung" der Antragstellerin zu 1) vom 21. September 2006 zu verweisen, aus der hervorgehe, dass diese von ihrer Mutter, die in Russland lebe, unterstützt werde, übersieht er, dass die Antragstellerin zu 1) andererseits in ihrem (Widerspruchs-) Schreiben vom 11. September 2006 mitgeteilt hat, dass ihre Mutter sie nur unterstützt habe, als diese noch berufstätig gewesen sei. Von ihrer jetzigen Rente in Höhe von umgerechnet 70,00 EUR könne ihre Mutter sie aber jetzt nicht mehr unterstützen. Auch insoweit dürften noch Feststellungen zu treffen sein.
Da wegen dieser fehlenden Feststellungen über den Anspruch der Antragstellerinnen auf Leistungen nach dem SGB II nicht abschließend entschieden werden kann, muss hierüber nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts aufgrund einer Folgenabwägung entschieden werden, die sich an einer Verhinderung einer auch nur zeitweiligen Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen, wie die Sicherung des Existenzminimums, zu orientieren hat. Danach war den Antragstellerinnen jedenfalls für einen begrenzten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuzusprechen, um dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben die notwendigen Feststellungen im Widerspruchsverfahren nachzuholen. Der Senat weist darauf hin, dass der Antragsgegner, wenn er wie im vorliegenden Fall, die Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt hat, über den Anspruch der Anragstellerin auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit zu befinden hat (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R -). Im Hinblick auf den Zweck der mit diesem Beschluss ausgesprochenen zeitlich begrenzten Leistungsverpflichtung, dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben die notwendigen Feststellungen nachzuholen, waren die Leistungen allerdings auf das unabdingbar Notwendige zu beschränken. Ausgehend von einem den Antragstellerinnen monatlich zur Verfügung stehenden Einkommen in Höhe von 376,00 EUR (154,00 EUR Kindergeld, 177,00 EUR Kindesunterhalt und 45,00 EUR (Einkommen/Mittelwert aus "freier journalistischer Tätigkeit")) und einem Bedarf in Höhe des Regelsatzes von 345,00 EUR, 60 v. H. des Regelsatzes für ein Kind bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: 207,00 EUR und Kosten der Unterkunft in Höhe von 444,00 EUR (der Senat konnte über die Angemessenheit dieser Kosten im Rahmen diese Verfahrens nicht befinden) verbleibt ein Betrag von 620, 00 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung. Der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass die Antragstellerinnen erst im Beschwerdeverfahren substantiiert vorgetragen und entsprechende Nachweise vorgelegt haben.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Das Aktivrubrum war zu ändern. Gegenstand des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind bei sachgerechter Auslegung des erstinstanzlich geltend gemachten Begehrens die Anträge der in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - des Sozialgesetzbuches (SGB II). Die Antragstellerin zu 1) kann als Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft nicht im eigenen Namen die Ansprüche der Antragstellerin zu 2) mit einer Klage oder, wie im vorliegenden Verfahren, mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgen, sondern jedes Mitglied muss seine Ansprüche im eigenen Namen geltend machen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - L 7 b AS 8/06 R - (www.bundessozialgericht.de) und bereits Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 102/06 -). Die Bevollmächtigung der Antragstellerin zu 1) für das vorliegende Verfahren konnte dabei unterstellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2006 mit dem am 22. September 2006 beim Sozialgericht eingegangenen und im Beschwerdeverfahren nunmehr bezifferten Antrag der Antragstellerinnen, den Antragsgegner im Wege einer einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 1.120,20 EUR zu gewähren, ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1.) Für die Gewährung von Leistungen ab Eintragseingang bei dem Sozialgericht Berlin bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren fehlt es an einem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde. Die Antragstellerinnen haben - auch nach Erhalt der Entscheidung des Sozialgerichts, die unter anderem auf das Fehlen des Anordnungsgrundes gestützt war - keine Umstände vorgetragen, die einen Anordnungsgrund begründen können.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände haben die Antragstellerinnen jedoch nicht vorgetragen, sie sind auch nicht sonst ersichtlich. Soweit die Antragstellerinnen insoweit unter Vorlage des Kündigungsschreibens der K vom 22. Januar 2007 vortragen, dass die Wohnung gekündigt worden sei, vermag dieser Vortrag die Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht zu begründen. Die Antragstellerinnen haben nicht hinreichend dargelegt, dass ihnen aufgrund ihrer Mietrückstände Obdachlosigkeit droht, zumal offensichtlich noch nicht einmal ein Räumungstitel vorliegt. Dies bedeutet gleichzeitig, dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und den Antragstellerinnen ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.
2.) Für die Zeit nach Zustellung des Beschlusses ist die beantragte einstweilige Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung zu treffen. Hierbei sind die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005,927 ff.). Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, wobei Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne (vgl. auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2006 - L 10 B 1052/06 AS ER -).
Der Anspruch der Antragstellerinnen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 Abs. 1 SGB II hängt davon ab, dass sie hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 9 SGB II sind, hier insbesondere von der Frage, ob der Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen gesichert werden kann. Die dazu nach §§ 11, 12 SGB II notwendigen Feststellungen sind im Verwaltungsverfahren nicht getroffen worden. Sie sind auch nach den bei Würdigung der dem Senat zur Verfügung stehenden präsenten Beweismittel, die der Entscheidung im Eilverfahren zugrunde zu legen sind, nicht mit hinreichender Sicherheit zu treffen. Dies hängt vorliegend u. a. davon ab, ob den Antragstellerinnen aufgrund der auf dem Konto der Antragstellerin zu 1) zu verzeichnenden diversen Bareinzahlungen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Antragstellerinnen haben jedenfalls im Beschwerdeverfahren verschiedene Unterlagen vorgelegt, wie den Darlehensvertrag vom 10. April 2006, die ihren Vortrag, Geld als Darlehen für den Aufbau eines selbständigen Gewebes erhalten zu haben, belegen. Im Übrigen tragen sie vor, dass das Darlehen seit September 2006 aufgebraucht sei. Auch insoweit haben die Antragstellerinnen Unterlagen vorgelegt. Soweit der Antragsgegner sich im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen darauf beschränkt hat, auf eine "eidesstattliche Versicherung" der Antragstellerin zu 1) vom 21. September 2006 zu verweisen, aus der hervorgehe, dass diese von ihrer Mutter, die in Russland lebe, unterstützt werde, übersieht er, dass die Antragstellerin zu 1) andererseits in ihrem (Widerspruchs-) Schreiben vom 11. September 2006 mitgeteilt hat, dass ihre Mutter sie nur unterstützt habe, als diese noch berufstätig gewesen sei. Von ihrer jetzigen Rente in Höhe von umgerechnet 70,00 EUR könne ihre Mutter sie aber jetzt nicht mehr unterstützen. Auch insoweit dürften noch Feststellungen zu treffen sein.
Da wegen dieser fehlenden Feststellungen über den Anspruch der Antragstellerinnen auf Leistungen nach dem SGB II nicht abschließend entschieden werden kann, muss hierüber nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts aufgrund einer Folgenabwägung entschieden werden, die sich an einer Verhinderung einer auch nur zeitweiligen Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen, wie die Sicherung des Existenzminimums, zu orientieren hat. Danach war den Antragstellerinnen jedenfalls für einen begrenzten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuzusprechen, um dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben die notwendigen Feststellungen im Widerspruchsverfahren nachzuholen. Der Senat weist darauf hin, dass der Antragsgegner, wenn er wie im vorliegenden Fall, die Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt hat, über den Anspruch der Anragstellerin auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit zu befinden hat (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R -). Im Hinblick auf den Zweck der mit diesem Beschluss ausgesprochenen zeitlich begrenzten Leistungsverpflichtung, dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben die notwendigen Feststellungen nachzuholen, waren die Leistungen allerdings auf das unabdingbar Notwendige zu beschränken. Ausgehend von einem den Antragstellerinnen monatlich zur Verfügung stehenden Einkommen in Höhe von 376,00 EUR (154,00 EUR Kindergeld, 177,00 EUR Kindesunterhalt und 45,00 EUR (Einkommen/Mittelwert aus "freier journalistischer Tätigkeit")) und einem Bedarf in Höhe des Regelsatzes von 345,00 EUR, 60 v. H. des Regelsatzes für ein Kind bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: 207,00 EUR und Kosten der Unterkunft in Höhe von 444,00 EUR (der Senat konnte über die Angemessenheit dieser Kosten im Rahmen diese Verfahrens nicht befinden) verbleibt ein Betrag von 620, 00 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung. Der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass die Antragstellerinnen erst im Beschwerdeverfahren substantiiert vorgetragen und entsprechende Nachweise vorgelegt haben.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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BRB
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