S 4 KG 1/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KG 1/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid der Beklagten vom 07.02.2000 und der Widerspruchsbescheid vom 18.02.2000 werden teilweise aufgehoben, soweit die Rücknahme die Zeit vom 01.03.2000 bis 31.05.2000 betrifft.
II. Die Beklagte hat die entsprechenden Leistungen nachzuzahlen.
III. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu tragen.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Zah- lung von Kindergeld für H. S. ab März 2000 einstellen durfte.

Der am 1989 in B. in der Türkei geborene H. S. (im Folgenden: Betroffener) ist zusammen mit Geschwistern am 14.02.1996 ins Bundesgebiet eingereist. Am 17.10.1996 wurde festgestellt, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz a.F. gegeben sind. Im Folgenden wurde eine Aufenthaltsbefugnis erteilt. Das Sozialamt der Klägerin gewährte dem Betroffenen ab Dezember 1996 Hilfe zum Lebensunterhalt und beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 19.02.1997 am 21.02.1997 Kindergeld für alleinstehende Kinder und meldete einen Erstattungsanspruch an.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 06.10.1997 dem Betroffenen Kindergeld ab Oktober 1996, das der Beklagten aufgrund ihres Erstattungsanspruches zustehe. Der Bescheid führt aus, dass die Verpflichtung bestehe, der Familienkasse jede Änderung in den Verhältnissen mitzuteilen, z.B. wenn der Aufenthalt der Eltern bekannt werde.

Bei einer Prüfung des aufenthaltsrechtlichen Status durch die Beklagte im Oktober 1999 erhielt diese die Auskunft, dass sich der Betroffene nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung befinde. Die Beklagte kam zum Ergebnis, dass die Kindergeldbewilligung für die Zukunft zurückzunehmen sei, da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) nicht vorliegen würden und das öffentliche Interesse an der Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes überwiege.

Mit Bescheid vom 07.02.2000 hob die Beklagte die Bewilligung des Kindergeldes nach § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab März 2000 auf. Mit einem bei der Beklagten am 14.02.2000 eingegangenem Schreiben ohne Datum legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 07.02.2000 unter Bezug- nahme auf § 91 a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein. Der Betroffene sei Flüchtling nach § 51 Abs. 1 Ausländergesetz a.F. und sei damit hinsichtlich der Sozialleistungen Deutschen gleichgestellt.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2000 - zur Post am 21.02.2000 - zurückgewiesen. Der Betroffene erfülle nicht die Voraussetzungen für die Kindergeldbewilligung und im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens sei eine Rücknahme der Kindergeldbewilligung für die Zukunft gemäß § 45 Abs. 1 SGB X vorzunehmen gewesen. Eine Aufenthaltsbefugnis sei keine ausrei- chende Leistungsvoraussetzung, was auch für anerkannte Flüchtlinge gelte. Die ursprüngliche Bewilligung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen und es sei weder ein Vertrauensschutz noch eine unzumutbare Härte zu bejahen gewesen. Der Widerspruch sei daher nicht begründet.

Daraufhin erhob die Klägerin mit Schreiben vom 16.03.2000 am 21.03.2000 Klage zum Sozialgericht Würzburg. Die Klägerin sei im Rahmen der §§ 97, 98 und 100 BSHG sowie der Delegationsrege- lung des § 10 Abs. 2 und 3 AGBSHG sachlich und örtlich zuständig für die Gewährung von Sozialhilfe für Ausländer in ihrem Bereich. Die Bewilligung von Kindergeld für den Betroffenen sei zu Unrecht aufgehoben worden, da dieser als anerkannter Flüchtling Deutschen gleichgestellt sei und die zusätzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG a.F. nicht erfüllt sein müssten. Zwar sei dies aus dem Gesetzestext nicht explizit zu entnehmen, gehe aber aus den Dienstanweisungen der Beklagten hervor. Die Beklagte entgegnete, dass die Dienstanweisung im August 1996 und nochmals im September 1999 geändert worden sei. Eine Berufung auf die früheren Anweisungen sei daher gegenstandslos.

Am 29.04.2002 wurde ein neuerlicher Kindergeldantrag für den Betroffenen gestellt, der von der Beklagten mit Bescheid vom 04.06.2002 abgelehnt wurde. Zwischenzeitlich sei der Aufenthalt der Mutter bekannt, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld für sich selbst nicht erfüllt seien. Der Bescheid werde gemäß § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens.

Mit Beschluss vom 01.06.2005 wurde das Ruhen des Verfahrens an- geordnet, da nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.07.2004 (1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97) die Verfassungswidrigkeit der hier einschlägigen Vorschrift festge- stellt worden sei und dem Gesetzgeber bis zum 01.01.2006 eine Neuregelung aufgegeben worden sei.

Im Januar 2006 wurde die Fortführung des Verfahrens beantragt. Das Gericht ermittelte im Folgenden, dass der Betroffene am 08.09.2005 eingebürgert wurde und die Ausländerakte bereits vernichtet sei. Zum Verfahren wurde die Einbürgerungsakte beigezogen und es wurde (im Parallelverfahren S 4 KG 2/06) beim Einwohnermeldeamt der Beklagten ermittelt, dass die Mutter des Betroffenen, Frau B. S., sich in der Zeit vom 12.05.2000 bis 23.10.2002 in Würzburg aufgehalten hat. Der ältere Bruder des Betroffenen, Herr V. S., hat gegenüber dem Gericht angegeben, dass der Aufenthalt der Mutter zwischenzeitlich wieder unbekannt sei.

Die Klägerin trägt vor, dass sie Zahlungen bis Ende 2004 gelei- stet habe und für diesen Zeitraum ein Interesse an einem Er- stattungsanspruch bestehe. Die Klägerin beantragt:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 07.02.2000 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2000 wird aufgehoben. Ferner wird der Bescheid vom 04.06.2002 aufgehoben und eine Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin veranlasst.

2. Die Kosten sind von der Beklagten zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen waren die einschlägige Kindergeldakte der Beklagten und die ebenfalls einschlägige Einbürgerungsakte der Klägerin. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten sowie der Akten im Parallelverfahren S 4 KG 2/06 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben (§§ 51, 54, 57, 87, 90 SGG i.V.m. § 91a BSHG a.F.).

Die Klage ist zur Überzeugung des Gerichtes auch teilweise begründet.

Für das Gericht ergibt sich unproblematisch, dass die Klägerin für die Zeit ihrer Leistungsgewährung einen Erstattungsanspruch in dem Umfang geltend machen kann, in dem der Betroffene einen eigenen Kindergeldanspruch hatte. Der Klägerin stand nach dem für den streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen BSHG auch die Möglichkeit der Geltendmachung anderweitiger Sozialleistungen sowie deren gerichtliche Verfolgung zu (§ 91a BSHG a.F.).

Das Gericht ist zur Überzeugung gelangt, dass die Bewilligung von Kindergeld an den Betroffenen und die daraus resultierende Erstattungszahlung an die Klägerin nicht von Anfang an rechtswidrig war. Zwar würde sich aus dem Wortlaut des § 1 BKGG, in der Fassung, wie sie vom Gesetzgeber für die Zeit ab der Antragstellung beschlossen war, ergeben, dass der Betroffene keinen Anspruch gehabt hätte. Diese gesetzliche Regelung, wonach bei Vorliegen ausschließlich einer Aufenthaltsbefugnis ein Kindergeldanspruch generell ausgeschlossen ist, wurde vom Bundesverfassungsgericht jedoch als verfassungswidrig bezeichnet (1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97). Gleichzeitig wurde dem Gesetzgeber unter Fristset- zung eine Neuregelung aufgegeben, wobei für den Fall der fehlenden Neuregelung festgelegt wurde, dass dann das Gesetz in der früher - d.h. vor In-Kraft-Treten der inkriminierten Regelung - geltenden Fassung anzuwenden sei.

Der Gesetzgeber hat innerhalb der Frist eine Neuregelung des BKGG veranlasst, wobei dies schon im Hinblick auf die Änderung des Ausländerrechtes angezeigt schien. Die neue Regelung ist nach Auffassung der Fachgerichte auch verfassungsgemäß (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2007, 10 K 5107/05 Kg). Eine neuerliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht ist bisher nicht erfolgt. Nach Auffassung des Gerichtes wäre für den Fall der Verfassungswidrigkeit einer Neuregelung im allgemeinen auch ein neuerliches Verfahren abzuwarten bzw. zu veranlassen. Wenn jedoch - wie im vorliegenden Fall - der Gesetzgeber bestimmte Zeiträume der Geltung der verfassungswidrigen Bestimmungen in seiner Neuregelung offensichtlich nicht berücksichtigt, ist zur Überzeugung des Gerichtes keine neuerliche verfassungsgerichtliche Prüfung erforderlich. Vielmehr gilt für den abgrenzbaren und vom Gesetzgeber nicht neu geregelten Teil die in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vorgesehene Rechtslage.

Zur Überzeugung des Gerichtes war daher auf den Fall des Be- troffenen und den Anspruch der Klägerin die Rechtslage in der bis zum 31.12.1993 geltenden Fassung des BKGG anzuwenden. Dort ist in § 1 Abs. 2 BKGG geregelt gewesen, dass Anspruch auf Kindergeld für sich selbst hat, wer den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt, einen Wohnsitz im Geltungsbereich des BKGG hat und nicht bei einer anderen anspruchsberechtigten Person als Kind zu berücksichtigen ist. Ergänzt wird dies durch § 1 Abs. 3 BKGG, wonach Ausländer einen Anspruch nach dem BKGG haben, wenn sie nach den §§ 51, 53 oder 54 Ausländergesetz auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und sich bereits ein Jahr hier aufhalten. Diese Voraussetzungen waren im Fall des Betrof- fenen zu bejahen. Die Bewilligung von Kindergeld an den Betrof- fenen war daher nicht rechtswidrig und eine Aufhebung nach § 45 SGB X kam nicht in Betracht.

Dementsprechend ergibt sich für das Gericht, dass die Klägerin über März 2000 hinaus im Wege des Erstattungsanspruches einen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld an sie selbst hatte.

Allerdings ist im Mai 2000 eine Änderung der Verhältnisse ein- getreten, dadurch dass die Mutter des Betroffenen am 12.05.2000 nach Würzburg gezogen ist und in der Folgezeit mit dem Betrof- fenen auch zusammen gewohnt hat. Dementsprechend waren die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG a.F. ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erfüllt, weil der Aufenthalt der Mutter nicht mehr unbekannt war. Nach § 12 BKGG entfällt mit Ablauf des Monats in dem die Änderung eintrat, die Anspruchsberechtigung. Somit lag ab Juni 2000 eine Anspruchsberechtigung des Betroffenen nicht mehr vor.

Die Ablehnung der Bewilligung von Kindergeld an den Betroffenen im Bescheid vom 04.06.2002 ist daher nicht zu beanstanden. Eine Aufhebung dieses Bescheides kam nicht in Betracht.

Aus den Darlegungen der Beklagten im Bescheid vom 04.06.2002 ist zu entnehmen, dass die Beklagte auch zur Aufhebung der Be- willigung von Kindergeld an den Betroffenen ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gewillt gewesen wäre, zumal sie bereits im Bewilligungsbescheid auf die Pflicht zur Mitteilung des Bekanntwerdens des Aufenthaltes der Eltern hingewiesen hat- te und ihr dies nicht zeitnah mitgeteilt worden war. Der Aufhe- bungsbescheid vom 07.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbe- scheides vom 18.02.2000 war daher soweit nicht als rechtswidrig anzusehen, als die Aufhebung auf eine Änderung der Verhältnisse wegen des Zuzuges der Mutter im Rahmen des § 48 SGB X hätte gestützt werden können. Für das Gericht ergibt sich somit eine wirksame Aufhebung für die Zeit ab Juni 2000.

Im Hinblick auf den nicht beanstandeten Bescheid vom 04.06.2002 folgt für das Gericht auch, dass mit dem neuerlichen Wegzug der Mutter und dem Verlust des Kontaktes in der Folgezeit kein automatisches Wiederaufleben eines Anspruches verbunden war, sondern gegebenenfalls ein neuer Antrag auf Kindergeld zu stellen gewesen wäre. Dies liegt jedoch außerhalb der streitgegenständlichen Bescheide und damit außerhalb des hier laufenden Rechtsstreites.

Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 07.02.2000 und der Wi- derspruchsbescheid vom 18.02.2000 waren daher teilweise aufzuheben, soweit der Klägerin Erstattungsleistungen für die Zeit vom März 2000 bis einschließlich Mai 2000 versagt wurden und dies mit der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides sowie seiner Aufhebung nach § 45 SGB X begründet wurde. Im Übrigen war die Aufhebung im Ergebnis nicht zu beanstanden, da ab Juni 2000 eine Rechtswidrigkeit der Bewilligung und eine Aufhebungsmöglichkeit nach § 48 SGB X bestanden haben. Der Aufhebungsbescheid war insoweit umzudeuten.

Nachdem die Klägerin mit ihrer Klage teilweisen Erfolg hatte, war eine Teilung der Kosten aus Sicht des Gerichtes sachgerecht. Dabei erschien ihm eine hälftige Kostenübernahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin durch die Beklagte als angemessen, nachdem die Klägerin mit dem einen Themenkreis (ausländerrechtliche Voraussetzungen) Erfolg hatte und mit dem anderen (Anwesenheit der Mutter) keinen Erfolg hatte.

Die Kostenregelung war noch nach § 193 SGG a.F. vorzunehmen, da der zwischenzeitlich einschlägige § 197 a SGG für die bereits im Jahr 2000 erhobene Klage nicht nachträglich Geltung finden konnte.

Der Anspruch der Klägerin im Übrigen war aus den dargelegten Gründen abzuweisen.
Rechtskraft
Aus
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