S 26 R 46/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 46/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 94/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger ist am 00.00.1961 geboren. Er hat keinen Beruf mit Abschluss erlernt. Er war bisher bei verschiedenen Arbeitgebern als angelernter Arbeiter tätig und ist seit 2003 arbeitslos gemeldet, bei gelegentlicher geringfügiger Beschäftigung als Pizza-Taxi-Fahrer. Derzeit erhält der Kläger Leistungen von der ARGE.

Am 18.05.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung. Ärztliche Berichte wurden zur Verwaltungsakte gereicht bzw. eingeholt. Die Beklagte zog auch den Bericht einer Rehabilitationsklinik bei, in der der Kläger im März/April 2003 war. Diese Klinik stellte psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch Alkohol bzw. ein Abhängigkeitssyndrom fest, eine depressive Episode und Kreuzschmerzen. Auch mit diesen Befunden sei der Kläger aber noch leistungsfähig für 6 Stunden und mehr täglich für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Die Beklagte veranlasste auch noch die Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens durch F. Dieser Gutachter hielt den Kläger auch mit dem depressiven Syndrom und der Alkoholkrankheit und den weiteren Erkrankungen auch auf internistischem Fachgebiet für noch in der Lage, alle geistig einfachen und körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeiten verrichten zu können, dies auch vollschichtig bzw. 6 Stunden und mehr täglich. Der Kläger könne auch noch als Kran- und Staplerfahrer arbeiten.

Mit Bescheid vom 04.11.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung nahm sie Bezug auf die ärztlichen Feststellungen. Nach diesen sei der Kläger auch mit seinen Erkrankungen noch in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten und damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Dagegen legte der Kläger am 03.12.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung gab er an, die Beklagte verkenne den Gesundheitszustand und seine Beschwerden. Die Beklagte zog daraufhin noch einen Bericht des behandelnden Nervenarztes N bei, den sie durch ihren beratungsärztlichen Dienst prüfen ließ, der aber bei seiner Meinung und der bisherigen Leistungsbeurteilung blieb.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie begründete dies damit, dass der Kläger nach ihren ärztlichen Feststellungen weder als voll noch als teilweise erwerbsgemindert anzusehen sei. Zwar sei das Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben weiterhin beeinträchtigt, jedoch nicht derart weitgehend, das leidensangepasste Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit einer körperlich leichten Belastung nicht mehr möglich wären. Im übrigen komme es auf die Arbeitsmarktlage nach dem Gesetz nicht an.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 14.02.2006 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Er begründet die Klage damit, dass die Beklagte seinen Gesundheitszustand verkenne und sein Leistungsvermögen falsch beurteile. Er sei nicht mehr in der Lage, im bisherigen Beruf oder zumutbaren Verweisungsberufen oder sonst auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Die bisherigen Gutachter würden die Leistungsfähigkeit falsch beurteilen. Der Gutachter des Gerichts U1 habe ihn nicht richtig angehört und ausreden lassen. Wenn er mit ihm gesprochen habe, habe er immer wieder das Thema gewechselt. Er möchte deshalb lieber durch einen anderen Arzt beurteilt werden. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird Bezug genommen auf Blatt 78 bis 80 der Gerichtsakte.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2006 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Versicherungsfalls vom 18.05.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, ein Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit bzw. der Erwerbsminderung sei nicht eingetreten. Sie nimmt Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Alle Gutachten bestätigten ihre Auffassung.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen. Der Orthopäde T berichtet über wiederholt geklagte Rückenschmerzen, die aber die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht einschränken würden. Der behandelnde Nervenarzt N und der Allgemein-Mediziner U2 berichten über verschiedene Diagnosen und dass die Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sei durch Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen, Verhaltensauffälligkeiten und Persönlichkeitsstörung.

Sodann hat das Gericht durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Beweis darüber erhoben, welche Erkrankungen im Einzelnen bei dem Kläger vorliegen und wie diese sich auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie U1, der gerichtsbekannt als griechischer Arzt in der Türkei studiert hat und sich dort lang aufgehalten hat und auch türkisch spricht, kommt in seinem Gutachten aufgrund einer Befunderhebung und Exploration auf türkischer Sprache und einer psychologischen Testung in türkischer Sprache zur Beurteilung, bei dem Kläger lägen im wesentlichen vor: Dysthymia narzistische Persönlichkeitsstörung (ICD 10/F60.8) Alkoholabhängigkeit, gegenwärtiger Substanzgebrauch (ICD 10/F10.24) Die Erkrankung Dysthymia sei gekennzeichnet durch eine langandauernde depressive Verstimmung bei regelmäßiger Fähigkeit, die wesentlichen Anforderungen des täglichen Lebens noch zu bewältigen. Die narzistische Persönlichkeitsstörung versuche der Kläger zu kompensieren durch Suchtverhalten. Die Selbständigkeit sei aber nicht wesentlich beeinträchtigt. Mit den vorhandenen Befunden könne der Kläger noch vollschichtig eine geistig einfache und körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung verrichten, ohne ungünstige Bedingungen wie Zwangshaltungen und Nachtschicht und Arbeiten unter Zeitdruck oder hohen Anforderungen an Reaktionsvermögen und Anpassungsvermögen. Eine darüber hinausgehende wesentliche Einschränkung des geistigen Leistungsvermögens bestehe nicht, also nicht für geistig einfache nicht anspruchsvolle Tätigkeiten. Das Umstellungsvermögen sei noch genügend und eine psychische Fehlhaltung liege nicht vor. In Betracht käme auch noch eine Tätigkeit als Sortierer und Montierer von Kleinteilen, dies vollschichtig. Die derzeit ausgeübte Tätigkeit als Pizza-Taxi-Fahrer werde nicht auf Kosten der Gesundheit ausgeübt, und sei sogar gesundheitsfördernd, weil der Kläger ohne diese geringfügige Tätigkeit noch mehr das Selbstwertgefühl verlieren würde und sonst noch mehr zu trinken drohe. Im übrigen könne der Kläger noch Wegstrecken zu Fuß von 4 x wenigstens 500 Metern täglich zurücklegen in einer Zeit von nicht mehr als 15-20 Minuten für 500 Meter, er könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen oder einen PKW als Fahrer.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 04.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2006, sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war damit nicht zu entsprechen.

Zur Meidung unnötiger Wiederholungen wird gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug genommen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide; das Gericht folgt diesen Begründungen, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid vom 04.11.2004 auch bereits den Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften des § 43 Abs. 1, 2 und 3 SGB VI wiedergegeben.

Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Auch nach den weiteren Ermittlungen des Gerichts, also auch nach dem Gutachten von U1 besteht kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung im Sinne von § 43 SGB VI. Denn auch nach diesem Gutachten kann der Kläger noch vollschichtig - also 8 Stunden täglich, § 3 Arbeitszeitgesetz - und damit auch noch mindestens 6 Stunden täglich körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in wechselnder Körperhaltung verrichten, bei Meidung von Zwangshaltungen und Zeitdruck und Nachtschicht, ohne dass ungewöhnliche Leistungseinschränkungen vorlägen. Bei dieser Beurteilung stützt sich die Kammer auf das Gutachten des erfahrenen Sachverständigen U1. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass bei dem Kläger diejenigen Diagnosen vorliegen, die in dem Gutachten von U1 genannt sind und dass damit und auch mit den orthopädischen Leiden entsprechend dem Bericht von T keine wesentlichen weitergehenden Leistungseinschränkungen oder Diagnosen vorliegen als bereits in dem Gutachten von U1 beschrieben. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass schon der Vorgutachter der Beklagten F zu einer im wesentlichen ähnlichen Leistungsbeurteilung gelangt ist und dass auch die Rehabilitationsklinik keine wesentlichen weitergehenden Diagnosen bzw. Leistungseinschränkungen feststellen konnte. Die Einwände des Klägers gegen das Gutachten von U1 vermögen die Kammer nicht zu überzeugen. Der Gutachter U1, der in der Türkei studiert hat und die türkische Sprache beherrscht und auch mit den soziokulturellen Hintergründen türkischer Kläger vertraut ist, hat den Kläger eingehend befragt und ist zu einer nachvollziehbaren Leistungsbeurteilung gelangt. Soweit der Kläger beanstandet, einige Details zu Daten würden nicht stimmen, handelt es sich um keine das Leistungsvermögen wesentlich berührenden Gesichtspunkte. Soweit U1 im Rahmen des Gespräches mit dem Kläger die Themen gewechselt hat und den Kläger auch schon mal unterbrochen hat, um auf einen anderen Gesichtspunkt zu kommen, handelte es sich um eine nicht untypische Vorgehensweise nervenärztlicher Gutachter, die auch die Flexibilität und Belastbarkeit eines Probanden testen wollen. Hier war gerade der Wechsel von Themen sinnvoll, weil N, der behandelnde Nervenarzt, die Konzentrationsfähigkeit als beeinträchtigt ansah; U1 wollte also gerade austesten, ob der Kläger noch flexibel reagieren kann. Das ist zu bejahen; denn nach der letzten Seite des Gutachtens von U1 konnte dieser ein psychisch wesentlich auffälliges Verhalten gerade nicht feststellen und gefährdende Verhaltensstörungen nicht eruieren und auch nicht eine mittelgradige depressive Episode. Damit konnte dem Bericht von N nicht gefolgt werden. Für eine noch verbliebene Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben im beschriebenen Umfang spricht auch gerade, dass der Kläger - wenn auch in geringfügige Beschäftigung - aushilfsweise als Pizza-Taxi-Fahrer tätig ist. Gerade eine solche derzeitige Tätigkeit und auch andere Tätigkeiten würden sich für den Kläger als gesundheitlich stabilisierend darstellen, denn durch die Arbeit an den Wochentagen, an denen er einen PKW fahren muss, muss er insoweit alkoholabstinent bleiben und dies gelingt dem Kläger auch nach dem Gutachten von U1. Die Ausübung einer - wenn auch derzeit nur geringfügigen - Tätigkeit als Pizza-Taxi-Fahrer führt auch auch zu einer gewissen Tagesstruktur mit einem deutlich verbesserten Selbstwertgefühl, was gerade noch gesteigert werden würde, wenn der Kläger in weiterem Umfang tätig werden würde. Kann der Kläger aber wie oben beschrieben leichte Tätigkeiten geistig einfacherer Art zumindest bis zu 6 Stunden täglich verrichten, so ist er nach dem Wortlaut des Gesetzes weder teilweise noch voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 oder 2 SGB VI. Der Benennung konkreter Verweisungstätigkeiten bedarf es bei der Prüfung der allgemeinen teilweisen oder vollen Erwerbsminderung nicht, deshalb hat der Gesetzgeber ausdrücklich § 43 in der jetzt gültigen Fassung geschaffen. Im übrigen könnte der Kläger mit dem beschriebenen Leistungsbild durchaus beispielsweise eine Tätigkeit als Pförtner oder als Sortierer und Montierer von kleinen Teilen verrichten, welche Tätigkeit auch auf dem Arbeitsmarkt noch vorhanden ist und körperlich nur leichter Art ist (vgl. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28.10.2003 - L 5 RJ 588/01 - und Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.06.2005 - S 26 (11) RJ 201/02). Solche Tätigkeiten als Sortierer und Montierer gibt es beispielsweise in der Montage von kleinen Haushaltsgeräten oder in der Montage von Türschlössern für PKW und LKW. Diesbezügliche Einschränkungen hat auch U1 nicht gemacht.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI kommt für den Kläger schon allein deshalb nicht in Betracht, weil er nach dem 01.01.1961 geboren ist.

Im übrigen kommt es auch auf die Vermittlungsaussichten des Klägers auf dem Arbeitsmarkt nicht an, also auch nicht darauf, ob das Arbeitsamt seinerseits den Kläger für vermittlungsfähig hält oder nicht (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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