L 13 R 1617/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 802/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1617/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1950 geborene Klägerin erlernte nach dem Hauptschulabschluss keinen Ausbildungsberuf und war zunächst als Verpackerin in einer Großbäckerei beschäftigt. Anschließend arbeitete sie als Montagearbeiterin in einer Elektronikfirma und in der Folge für die Dauer von zwölf Jahren als Badewärterin in einem Thermalbad. Nach der Geburt ihres Sohnes 1988 war sie zunächst als Hausfrau tätig; seit 1992 arbeitete sie bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 26. April 2004 halbtags als Näherin in einem Kinder- und Jugendheim.

Am 14. Juni 2004 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung und trug zur Begründung vor, sie halte sich seit April 2004 für erwerbsgemindert. Die Beklagte bewilligte der Klägerin (aufgrund eines Antrags vom 3. Mai 2004) zunächst medizinische Leistungen zur Rehabilitation in der Reha-Klinik G. in G ... Die Klägerin absolvierte in dieser Klinik in der Zeit vom 21. Juni bis 15. Juli 2004 ein stationäres Heilverfahren. Im Entlassungsbericht vom 27. Juli 2004 führten Prof. Dr. H. und Dr. F. aus, die Klägerin leide an einer mittelgradigen depressiven Episode, an Adipositas, an einer Stoffwechselstörung, an einer Gonarthrose und an Lumboischialgie. Trotz dieser Erkrankungen könne sie sowohl ihre letzte Tätigkeit als Näherin als auch sonstige leichte bis mittelschwere Tätigkeiten arbeitstäglich über sechs Stunden und mehr verrichten. In der Folge ließ die Beklagte die Klägerin von Fachärztin für Anästhesie Dr. S. begutachten. Diese führte in ihrem Gutachten vom 13. Oktober 2004 aus, die Klägerin lehne sämtliche Medikamente ebenso ab, wie eine nervenfachärztliche Behandlung. Die Klägerin begehre allein eine Erwerbsminderungsrente; auch der behandelnde Hausarzt habe jegliche Therapieversuche mangels ausreichender Kooperation der Klägerin aufgegeben. Eine Leistungsbeurteilung sei auf dieser Grundlage nicht möglich. In seiner nach Aktenlage erstellten abschließenden prüfärztlichen Stellungnahme vom 25. Oktober 2004 hielt Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. die Leistungsbeurteilung im ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik G. für weiterhin ausreichend begründet und nachvollziehbar. Gestützt auf diese sozialmedizinische Beurteilung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Oktober 2004 den Rentenantrag ab; den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2005 zurück.

Mit ihrer am 7. März 2005 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin unter Vorlage eines Attestes von Dr. H. vom 10. März 2005 ihr Begehren weiterverfolgt. Sie leide unter einer Phobie vor Ärzten und befinde sich in einer tiefen Depression. Das SG hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen von Dr. S., Dr. H. und Dr. S. eingeholt. Der Allgemeinarzt und Chirurg Dr. S. hat in seiner am 25. April 2005 beim SG eingegangenen Aussage eine schwere Depression mit Psychose, eine psychogene Adipositas, ein metabolisches Syndrom, eine Gonarthrose rechts und eine akute Lumboischialgie beschrieben. Neben den körperlichen Beschwerden, die von der Klägerin nicht mehr so stark erlebt würden, werde von ihr die allgemeine Erwerbsunfähigkeit in den Vordergrund gestellt. Der Arzt für Orthopädie Dr. H. hat dargelegt, von orthopädischer Seite lägen degenerative Wirbelsäulenveränderungen vor, die gelegentlich zu schmerzhaften Funktionseinschränkungen führten. Eine Tätigkeit als Näherin sollte die Klägerin weiterhin bis zu vier Stunden pro Tag durchführen können (Aussage vom 21. April 2005). Neurologe und Psychiater Dr. S. hat in seiner Aussage vom 24. April 2005 ausgeführt, die psychischen Beschwerden der Klägerin seien behandelbar. Ob eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliege könne erst nach einer entsprechenden Therapie beurteilt werden. Eine solche setzte aber eine Mitwirkung der Klägerin, die bislang keinerlei therapeutische Vorschläge anzunehmen bereit gewesen sei, voraus. Das SG hat daraufhin den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachten beauftragt. Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 1. November 2005 ausgeführt, eine definitive Stellungnahme zu Erkrankungen auf neurologischem Fachgebiet sei nicht möglich, da die Klägerin eine körperlich-neurologische Untersuchung nicht geduldet habe. Aus der Beschwerdeschilderung hätten sich allerdings keine Hinweise auf das Vorliegen eines neurologischen Leidens ergeben. Auf psychiatrischem Fachgebiet liege eine Anpassungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen vor. Unter Beachtung qualitativer Einschränkungen könne die Klägerin noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche bei einer arbeitsmarktüblichen Höchstdauer von acht Stunden Arbeitszeit je Arbeitstag verrichten. Weitere Begutachtungen zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit halte er nicht für erforderlich. Mit Urteil vom 14. Februar 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, sechs Stunden und mehr je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.

Gegen das ihren damaligen Prozessbevollmächtigten am 14. März 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28. März 2006 schriftlich beim SG Berufung eingelegt. Sie sei nur noch gering belastbar und könne ihre Arbeit nicht mehr fortsetzten. Mit dem Urteil des SG sei sie deshalb nicht einverstanden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2005 zu verurteilen, ihr ab 1. Mai 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und das Urteil des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG (S 6 R 802/05) und die Berufungsakte des Senats (L 13 R 1617/06) Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss der Berufsrichter und ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Der Klägerin ist Gelegenheit gegeben worden, sich zu dieser Verfahrensform zu äußern; der Eingang einer ablehnenden Äußerung war nicht zu verzeichnen.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2600 § 44 Nr. 7) ist der den Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung ablehnende Bescheid vom 28. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2005. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in subjektiven Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung.

Durch das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827 ff.) hat der Gesetzgeber das Recht der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundlegend neu geordnet. Kernstück der Neuregelung ist die Abschaffung der bisherigen Berufsunfähigkeitsrente für nach dem 1. Januar 1961 geborene Versicherte und die Einführung einer zweistufigen Erwerbsminderungsrente mit einer vollen Erwerbsminderungsrente bei einem Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei einem Restleistungsvermögen von drei bis sechs Stunden. Berufsunfähige Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, können nun gemäß § 240 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit beanspruchen.

Gemäß § 302b Abs. 1 SGB VI besteht ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit, der bereits am 31. Dezember 2000 bestanden hat, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres weiter, solange die Voraussetzungen vorliegen, die für die Gewährung dieser Leistungen maßgebend waren. Dementsprechend bleiben §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a. F.) anwendbar, wenn sich bei Eintritt des Leistungsfalls der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 ergibt (vgl. §§ 99 ff. SGB VI). Dies gilt unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt der Rentenanspruch anerkannt wurde. Ergibt sich hingegen ein späterer Rentenbeginn, findet das neue Recht (§§ 43, 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung) Anwendung (vgl. hierzu Jörg in Kreikebohm, SGB VI, § 302b Rdnr. 3). Im Fall der Klägerin richtet sich der Rentenanspruch nach neuem Recht. Unter Zugrundelegung des am 14. Juni 2004 gestellten Rentenantrags könnte sich ein vor dem 1. Januar 2001 liegender Rentenbeginn nicht ergeben.

Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzen fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben darüber hinaus Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Sätze 2 und 4 SGB VI).

Die Klägerin ist zur vollen Überzeugung des Senats noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Sie ist damit weder erwerbsgemindert, noch berufsunfähig und hat deshalb keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung.

Auf nervenärztlichem Fachgebiet leidet die Klägerin unter einer Anpassungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen. Dies steht fest aufgrund der schlüssigen und auch im Ergebnis überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. in seinem Gutachten vom 1. November 2005. Bei solchen Anpassungsstörungen handelt es sich um Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und Leistungen behindern. Sie treten während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach einem belastenden Lebensereignis, z. B. einer schweren körperlichen Erkrankung auf; auslösend kann auch das Fehlen sozialer Unterstützung sein. Im Fall der Klägerin ist die Anpassungsstörung jedoch - dies hat Dr. H. aus den von ihm erhobenen Befunden nachvollziehbar herausgearbeitet - nicht so gravierend, als dass sie der Ausübung leichter körperlicher Arbeiten in einem mindestens sechsstündigen Umfang entgegenstünden. Das Vorliegen einer eigenständigen depressive Erkrankung hat Dr. H. wegen Fehlens entsprechender Kriterien definitiv ausgeschlossen und damit die entgegenstehende diagnostische Einordnung der von der Klägerin geklagten Beschwerden durch den ärztlichen Entlassungsbericht der Reha-Klinik G., Dr. S. und Dr. S. widerlegt. Auch die Kriterien einer Dysthymie oder auch nur leichten depressiven Episode erfüllt die Klägerin nicht. Das Gleiche gilt für das Vorliegen einer somatoformen Störung, einer Angsterkrankung, einer psychotischen Erkrankung, einer Persönlichkeitsstörung, einer Demenz oder eines hirnorganischen Psychosyndroms. Für das Vorliegen einer relevanten, im übrigen auch während des dreiwöchigen Heilverfahrens nicht zu Tage getretenen neurologischen Erkrankung ergaben sich aus der Beschwerdeschilderung der Klägerin keine Anhaltspunkte. Nachdem die sozialmedizinische Beurteilung von Dr. H. mit derjenigen im ärztlichen Entlassungsbericht der Reha-Klinik G. sowie der Einschätzung von Dr. G. in seiner Stellungnahme vom 25. Oktober 2004 übereinstimmt und auch der behandelnde Nervenarzt Dr. S. keine abweichende Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens zu treffen vermochte, besteht für den Senat kein Anlass, an der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. zu zweifeln.

Auch die internistischen (Übergewicht, metabolisches Syndrom) und orthopädischen (Wirbelsäulenleiden, Fuß- und Kniegelenksbeschwerden) Leiden begründen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf ein unter sechsstündiges und damit rentenberechtigendes Maß. Dies haben bereits die die Klägerin während des Heilverfahrens in der Reha-Klinik G. behandelnden Ärzte Prof. Dr. H. und Dr. F. im Entlassungsbericht vom 27. Juli 2004, den der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten kann, überzeugend dargelegt. Dr. G. hat diese Einschätzung in seiner nach Aktenlage abgegebenen Stellungnahme vom 25. Oktober 2004 nochmals bestätigt. Weder die vom SG im Verlauf des Klageverfahrens eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. S. und Dr. H., noch der Vortrag der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren gibt Anlass, an der Richtigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten sozialmedizinischen Beurteilung zu zweifeln. Allgemeinarzt und Chirurg Dr. S. hat ausgesagt, die körperlichen Beschwerden würden von der Klägerin nicht mehr so stark erlebt, im Vordergrund stehe ihre "allgemeine Erwerbsunfähigkeit". Orthopäde Dr. H. hat in seiner Aussage vom 21. April 2005 dargelegt, die Wirbelsäulenveränderungen verursachten nur gelegentlich schmerzhafte Funktionseinschränkungen. Dessen (älterem) von der Klägerin vorgelegten Attest vom 10. März 2005 sind ebenfalls keine Befunde zu entnehmen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten. Soweit Dr. H. in seiner Aussage vom 21. April 2005 eine Tätigkeit als Näherin mit Reparaturarbeiten nur noch in einem bis zu vierstündigen Umfang für möglich gehalten hat, steht dies der Annahme eines Leistungsvermögens von sechs Stunden und mehr bezogen auf leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkes nicht entgegen. Nachdem der vom SG beauftragte Sachverständige Dr. H., gegen dessen Gutachten die Klägerin keine substantiierten Einwände erhoben hat, weitere Ermittlungen zur Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens nicht für erforderlich gehalten und die Klägerin eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nicht behauptet hat, bestand auch für den Senat keine Veranlassung zur Durchführung weiterer Ermittlungen von Amts wegen.

Der Ausnahmefall einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; auch Großer Senat BSGE 80, 24, 33 ff.) ist nicht gegeben. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 110). Einschränkungen, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, liegen bei der Klägerin nicht vor. In qualitativer Hinsicht muss diese aufgrund der orthopädischen Leiden Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeiten in fixierter Stellung, Überkopfarbeiten und ständiges Stehen vermeiden; wegen der nervenärztlichen Erkrankungen verbieten sich Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit sowie Tätigkeiten, die mit besonderem Zeitdruck oder besonders hohen Ansprüchen an Auffassung, Konzentration, geistige Beanspruchung oder Verantwortung verbunden sind. Die internistischen Erkranken begründen das Erfordernis regelmäßiger Nahrungsaufnahme. Diese Einschränkungen können zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Ein Erfordernis betriebsunüblicher Pausen ist ebenso wenig gegeben wie eine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit; die Klägerin ist in der Lage, vier mal täglich eine Wegstrecke von über 500 Metern in zumutbarem Zeitaufwand zurückzulegen und zwei mal täglich öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 - B 5 RJ 36/01 R - veröffentlicht in Juris). Auch insoweit schließt sich der Senat der überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. H. an.

Letztlich liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 Abs. 1 SGB VI nicht vor; die Klägerin ist nicht berufsunfähig. Ausgangspunkt der Prüfung ist auch hier entsprechend der zu § 43 SGB VI a. F. entwickelten Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 107 und 169). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Kann der Versicherte diesen "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann. Das Bundessozialgericht hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rdnr. 24 ff. m.w.N.) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der "oberen Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und "unteren Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23).

Ausgehend von diesem Schema ist die Klägerin allenfalls der Gruppe der unteren Angelernten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von höchstens zwölf Monaten zuzuordnen. Die Klägerin hat nach ihren Angaben keinen Ausbildungsberuf erlernt und war zuletzt als Näherin in einem Kinder- und Jugendheim versicherungspflichtig beschäftigt. Hierbei handelte es sich um eine Tätigkeit, die eine längere Anlernzeit nicht erforderte. Die Klägerin genießt damit keinen qualifizierten Berufsschutz und kann auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, ohne dass es der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedarf. Da sie jedenfalls noch im Stande ist, leichte körperliche Arbeiten sechs Stunden täglich auszuüben, kann der Senat offen lassen, ob gesundheitsbedingte Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens einer Wiederaufnahme der zuletzt verrichteten Tätigkeit als Näherin entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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