L 1 A 2763/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 A 630/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 A 2763/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Mit der Amtspflicht des hauptamtlich tätigen Vorstandsmitglieds nach § 35a Abs. 3 SGB IV ist es nicht vereinbar, wenn in einem vom Versicherungsträger selbst angestrengten gerichtlichen Verfahren die Sofortvollzuganordnung einer Maßnahme der Rechtsaufsicht bestätigt wird, der Versicherungsträger auf Betreiben des Vorstands sich aber darüber hinwegsetzt.
2. Für einen der Selbstverwaltungskörperschaft schuldhaft zugefügten Schaden haften Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane und hauptamtliche Mitglieder der Verwaltungsorgane als Gesamtschuldner (wie BGH, Urteil vom 14.02.1985, BGHZ 94,18). Die Erwägungen zur anteiligen Mithaftung von Organmitgliedern entsprechend dem Maß des Mitverschuldens (BSGE 39, 54ff) treffen auf die heutige Rechtslage nicht mehr zu.
3. Die Vereinbarung zwischen Vorstand und Verwaltungsrat über den Erlass einer Schadenersatzforderung des Krankenversicherungsträgers gegen den Vorstand bedarf der Genehmigung nach § 42 Abs. 3 SGB IV und ist bis dahin schwebend unwirksam.
4. Die Verpflichtungsverfügung der Aufsichtsbehörde, mit der dem Versicherungsträger aufgegeben wird, welche Person
im Wege der gesamtschuldnerischen Haftung in Regress
genommen werden soll, muss eine ermessengerechte
Auswahlentscheidung und die hierfür maßgeblichen Gründe
enthalten.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. März 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsverfahren mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer aufsichtsrechtlichen Maßnahme der Beklagten streitig, die die Auflage an die Klägerin enthält, ihren Vorstandsvorsitzenden, den Beigeladenen, in Regress zu nehmen.

Die Klägerin mit Geschäftssitz in Schwäbisch Gmünd ist eine bundesweit tätige gesetzliche Krankenkasse. In den Jahren nach 2001 hat sie im Internet angebotene Arzneimittel, u.a. auch der in den Niederlanden ansässigen Versandapotheke 0800D.M. (D.M.), in ihrer Mitgliedszeitung als abrechnungsfähig erklärt und die Kosten für diese bezogenen Arzneimittel ihren Mitgliedern vergütet.

Die Beklagte verpflichtete mit Bescheid vom 30.04.2002 die Klägerin, es zu unterlassen, ihre Versicherten auf die Möglichkeit des Bezugs von apothekenpflichtigen Arzneimitteln, die im Wege des Versandhandels erworben werden, hinzuweisen und ihren Versicherten Kosten für apothekenpflichtige Arzneimitteln, die über den Versandhandels erworben wurden, ganz oder teilweise zu erstatten. Dies verstoße gegen §§ 43 Abs. 1, 73 Abs. 1 Arzneimittelgesetzes (AMG). Die sofortige Vollziehung des Bescheids wurde angeordnet.

Die Klägerin erhob hiergegen Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) unter dem Aktenzeichen S 1 A 1270/02 und begehrte im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (S 1 A 1269/02 ER). Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hatte keinen Erfolg (Beschluss des SG vom 10.06.2002), die hiergegen erhobene Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) wurde zurückgewiesen (Beschluss des Senats vom 11.11.2002 - L 1 A 2881/02 ER-B). Im Klageverfahren wurde auf Antrag der Beteiligten das Ruhen angeordnet, da eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und eine Änderung des Arzneimittelgesetzes abgewartet werden sollte.

Mit Bescheid vom 06.06.2003 drohte die Beklagte die Verhängung eines Zwangsgelds bei weiteren Verstößen gegen die auferlegte aufsichtsrechtliche Verpflichtung an. Die hiergegen erhobene Klage (S 1 A 1504/04) wies das SG ab (Urteil vom 25.4.2004). Als Veröffentlichungen über Äußerungen des Beigeladenen, dass trotz Zwangsgeldandrohung an der Abrechnungspraxis der Klägerin zur Kostenerstattung der über D.M. bezogenen Arzneimitteln festgehalten werde, bekannt wurden, setzte die Beklagten mit Bescheid vom 13.08.2003 ein Zwangsgeld in Höhe von 1000 EUR fest. Die Klägerin bezahlte das Zwangsgeld unter Vorbehalt und erhob hiergegen Klage zum SG ( S 1 A 2043/03), die mit Urteil vom 25.04.2004 ebenfalls abgewiesen wurde. Das Urteil ist rechtskräftig.

Mit Urteil vom 11.11.2003 hatte zwischenzeitlich der EuGH entschieden, dass Gemeinschaftsrecht den Regelungen des deutschen AMG entgegenstehe, soweit darin ein absolutes Verbot des Versandhandels mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln oder ein Werbeverbot für solche Arzneimittel ausgesprochen sei. Zum 01.01.2004 trat eine Änderung des Arzneimittelgesetzes in Kraft, die den Versandhandel im Internet zulässt. Nach Wiederanruf des ruhenden Klageverfahrens zur aufsichtsrechtlichen Unterlassensverpflichtung erklärten die Beteiligten in dem unter dem Aktenzeichen S 1 A 248/04 fortgesetzten Verfahren die Hauptsache für erledigt, da die Beklagte aufgrund der Gesetzesänderung ab 01.01.2004 nicht mehr auf der Einhaltung der Verpflichtung bestand.

Mit Beratungsschreiben vom 24.11.2004 an den Vorsitzenden des Verwaltungsrates der Klägerin forderte die Beklagte den Verwaltungsrat auf, vom Beigeladenen den Betrag des gezahlten Zwangsgeldes im Regresswege geltend zu machen und dies innerhalb von drei Wochen nach Erhalt des Beratungsschreibens zu bestätigen. Mit der Androhung des Zwangsgeldes habe der Kasse bereits ein Schaden gedroht, den der Beigeladene durch Unterlassen der zu diesem Zeitpunkt rechtswidrigen Erstattungsleistung hätte vermeiden können. Da auch nach Ergehen der Zwangsgeldandrohung der Beigeladene in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 20.07.2003 erklärte habe, die Kasse werde auch weiterhin Kosten der im Internet erworbenen Arzneimittel ersetzen, habe er vorsätzlich den Schaden der Klägerin herbeigeführt, der durch das gezahlte Zwangsgeld entstanden sei.

Mit Schriftsatz vom 13.01.2005 äußerte sich der Verwaltungsrat hierzu. Ein Schadensersatzanspruch gegen den Vorstandsvorsitzenden liege nicht vor, weil es an der Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht fehle. Der Verwaltungsrat habe die beanstandete Erstattungspraxis in vollem Umfang mitgetragen, wie sich aus der Niederschrift der 13. Sitzung des Verwaltungsrats am 20./21.03.2002 ergebe. Darüber habe auch nach der Entscheidung des Landessozialgerichts im Beschwerdeverfahren noch Einigkeit bestanden. Wolle man gleichwohl eine Pflichtverletzung annehmen, könnten nur alle Vorstandsmitglieder und Verwaltungsratsmitglieder gemeinsam nach dem Maß ihrer Verantwortung in Anspruch genommen werden, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine gesamtschuldnerische Haftung des Versicherungsträgers durch mehrere Organmitglieder verneint werde. Ein Schaden sei der Klägerin auch nicht entstanden, da im Jahre 2003 von D.M. Rabatte in Höhe von 65.637,12 EUR gewährt worden seien. Wäre die Klägerin dem Verpflichtungsbescheid zur Unterlassung nachgekommen, hätten die Versicherten sich die benötigten Medikamente anderweitig beschaffen müssen und die Rabatte wären nicht gewährt worden. Die Rabatte überstiegen das Zwangsgeld von 1000 EUR bei weitem. Es sei nicht beabsichtigt, einen Schadensersatzanspruch gegen den Vorstandsvorsitzenden geltend zu machen. Schließlich handele es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung, bei der nicht nur rechtliche, sondern auch Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen seien. Da der Beklagten nur die Rechtsaufsicht obliege, sei eine aufsichtsbehördliche Verpflichtung des Verwaltungsrats auch aus diesem Grunde unzulässig.

Die Beklagte erließ daraufhin den an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats der Klägerin adressierten Verpflichtungsbescheid vom 14.02.2005. Darin wurde die Klägerin, vertreten durch den Verwaltungsrat, verpflichtet, gegenüber dem Beigeladenen einen Rückgriffsanspruch in Höhe von 1000 EUR auf das von der Kasse gezahlte Zwangsgeld geltend zu machen und bei Nichterfüllung durch den Erstattungspflichtigen im Rechtsweg durchzusetzen. Der hauptamtliche Vorstand der Klägerin verwalte auf der Grundlage des zwischen ihm und der Krankenkasse bestehenden Dienstvertrages die Krankenkasse. Die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts und Teil der mittelbaren Staatsverwaltung sei verpflichtet gewesen, der aufsichtsbehördlichen und gerichtlich bestätigten vollziehbaren Unterlassungsanordnung nachzukommen. Diese Verpflichtung habe der Beigeladene verletzt. Dem könne nicht entgegengehalten werden, der Verwaltungsrat habe das Handeln durch Beschluss vom 21./22.03. 2002 mitgetragen. Beschlossen worden sei, gegen die dienstaufsichtsrechtliche Maßnahme "alle rechtlich möglichen Schritte einzuleiten". Nach der obergerichtlichen Bestätigung der sofortigen Vollziehbarkeit sei die Nichtbeachtung der Anordnung rechtswidrig und auch nicht mehr vom Beschluss des Verwaltungsrats gedeckt gewesen. Den vom Beigeladenen der Kasse durch Erhebung des Zwangsgelds vorsätzlich verursachten Schaden habe er gem. § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu ersetzen. Die in Höhe als von mehr als 65.000 EUR von D.M. eingeräumten Rabatte seien ohne Belang, denn die Frage, ob und in welcher Höhe Rabatte auf Grund der Nichtbefolgung des Verpflichtungsbescheids gewährt worden sind, habe für das fällig werdende Zwangsgeld keine Bedeutung. Der entstandene Schadensersatzanspruch gehöre zu den Einnahmen, deren Erhebungspflicht § 76 SGB IV festlege. Hierbei handele es sich um eine gebundene Entscheidung, für die kein Ermessen eingeräumt sei. Im Rahmen des der Aufsichtsbehörde zustehenden Handlungsermessens für den Erlass einer Anordnung sei die besondere Intensität der Rechtsverletzung des Beigeladenen zu berücksichtigen. Die Aufsichtsbehörde müsse in einem derartigen Fall auf den Ersatz des Schadens durch den Verantwortlichen bestehen, sonst könne dies Andere zu ähnlichen Verhaltensweisen veranlassen, sodass insgesamt eine Gefährdung des Rechtsfriedens innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu befürchten wäre.

Hiergegen hat die Klägerin am 11.03.2005 beim SG Klage erhoben und hat über das bisherige Vorbringen hinaus geltend gemacht, die beanstandete Verwaltungspraxis sei von allen Vorstandsmitgliedern und nahezu allen Verwaltungsratsmitgliedern mitgetragen worden. Insofern hätten alle verantwortlichen Vorstands- und Verwaltungsratsmitglieder in Anspruch genommen werden müssen. Auf eine Erklärung der Verwaltungsratsmitglieder vom 16.03.2005 werde verwiesen. Eine Pflichtverletzung des Beigeladenen habe daher nicht vorgelegen. Selbst wenn ein Schadensersatzanspruch vorgelegen habe, sei diese Forderung durch Vertrag vom 16.06.2005 zwischen der vom Verwaltungsrat vertretenen Klägerin und dem Beigeladenen wirksam erlassen worden. Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs durch den Verwaltungsrat sei im Hinblick auf das bestehende Einvernehmen zumindest unbillig i. S. von § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV, weshalb der Erlassvertrag auch wirksam sei.

Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Es sei fraglich, ob den Mitgliedern des Verwaltungsrats beim Abschluss des Erlassvertrages die Zwangsgeldandrohung bekannt gewesen sei. Der Erlassvertrag sei unwirksam, da er gegen rechtlich geschützte Belange der Allgemeinheit verstoße und somit sittenwidrig sei. Im übrigen sei auch der Verfügungssatz des streitgegenständlichen Verpflichtungsbescheids rechtmäßig. Die Klägerin unterstehe als Versicherungsträger ihrer Aufsicht. Der Verpflichtungsbescheid richtet sich somit rechtmäßig an die Klägerin als Sozialversicherungsträger. Im vorliegenden Fall handle ausnahmsweise der Verwaltungsrat als Organ der Klägerin, weshalb er auch im Verfügungssatz des Verpflichtungsbescheids bezeichnet sei.

Mit Urteil vom 28.03.2006 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2005 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat das SG darauf abgehoben, der Bescheid sei fehlerhaft, weil er sich an die Körperschaft und nicht an den Verwaltungsrat gerichtet habe. Die Körperschaft könne eine aufsichtsrechtliche Maßnahme nicht durchführen, zuständig sei allein das den Vorstand überwachende Organ "Verwaltungsrat", der durch den Verpflichtungsbescheid hätte angesprochen werden müssen. Die Beklagte habe darüber hinaus das nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV vorgeschriebene Verfahren nicht hinreichend beachtet. Vor Erlass eines Verpflichtungsbescheids habe eine Beratung durch die Rechtsaufsichtsbehörde zu erfolgen. Diesen Grundsatz habe die Beklagte nicht beachtet, da sie auf die diskussionswürdigen Darlegungen der Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 13.01. 2002 zum Beratungsbescheid nicht in einen klärenden Dialog eingetreten sei, sondern den an die Klägerin gerichteten streitgegenständlichen Bescheid erlassen habe. Darin sei sie über das an den Verwaltungsratsvorsitzenden gerichtete Beratungsschreiben hinausgegangen. Dort sei nur zur Geltendmachung des Rückgriffsanspruchs aufgefordert worden. Zu dem weitergehenden verpflichtenden Inhalt im streitgegenständlichen Bescheid, bei Nichterfüllung den Anspruch gegen den Erstattungspflichtigen im Rechtsweg durchzusetzen, fehle es an der notwendigen Beratung.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 04.05.2006 mit Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil am 30.05.2006 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei der Verfügungssatz des streitgegenständlichen Bescheids zutreffend an die Klägerin als Körperschaft, vertreten durch den Verwaltungsrat, gerichtet. Als juristische Person handle die Klägerin, vorliegend ausnahmsweise durch ihr Organ, den Verwaltungsrat, der im Verfügungssatz ebenfalls bezeichnet sei. Dies bedeute, dass der Verwaltungsrat die aufsichtsrechtliche Verpflichtung, die sich an die Kasse als Träger der Krankenversicherung richte, umzusetzen habe. Rechtsträger und Anspruchsinhaberin des Regressanspruchs sei aber die Klägerin. Auch sei die Beratung rechtsfehlerfrei durchgeführt worden. Nachdem in der Stellungnahme des Vorsitzenden des Verwaltungsrats vom 13.01.2005 ausgeführt worden sei, dass ein Schadensersatzanspruch nicht bestehe und man der aufsichtsrechtlichen Beratung definitiv nicht folgen werde, sei das fehlende Interesse der Klägerin, in einen konstruktiven Dialog mit der Aufsichtsbehörde einzutreten, zu erkennen gewesen. Die vorgebrachten Einwendungen hätten erkennbar neben der Sache gelegen. Es sei im Aufsichtsrecht anerkannt, dass eine Beratung sogar dann ganz unterbleiben könne, wenn ein Träger eine rechtswidrige Maßnahme ergreife und zu erkennen gebe, dass er seine Entscheidung unter keinen Umständen ändern werde. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB folge, dass in diesem Fall keine weitere Beratung mehr ergehen müsse und der Beratene damit rechnen müsse, dass der im Beratungsschreiben angekündigte Verpflichtungsbescheid ergehe. Der Erlass der Forderung durch Vertrag mit dem Verwaltungsrat verstoße gegen § 138 BGB. Es sei rechtlich nicht möglich, durch Vereinbarung mit dem Verwaltungsrat sich für sein rechtswidriges Verhalten zu entlasten. Es handle sich um einen Vertrag zu Lasten Dritter, nämlich zu Lasten der Klägerin und damit zu Lasten der Versichertengemeinschaft. Außerdem sei fraglich, ob die Regelung des § 76 SGB IV auf das Innenverhältnis zwischen dem Versicherungsträger und seinen Organen anwendbar sei. Selbst wenn man davon ausginge, seien die Voraussetzungen nicht erfüllt, denn die Einziehung der Forderung sei nach Lage des Einzelfalles nicht unbillig. Die Unbilligkeit beziehe sich auf die Person des Beigeladenen und auf seine wirtschaftliche Situation, eine Existenzgefährdung liege angesichts der Höhe der Regressforderung nicht vor. Außerdem sei der Erlass einer Forderung nur zulässig, wenn eine Stundung nicht in Betracht komme. Auch sei durch das Verhalten des Beigeladenen ein Schaden entstanden. Die Berücksichtigung der gewährten Rabatte als Vermögenszuwachs sei nicht sachgerecht, denn sonst würde sich ein Verhalten des Schädigers, der bewusst gegen geltendes Recht verstoße, zu seinen Gunsten auswirken.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.03.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Sie macht geltend, ihre Stellungnahme vom 13.01.2005 hätte die Beklagte veranlassen müssen, eine weitergehende, individualisierte Beratung unter Eingehen auf ihre Einwände vorzunehmen. Darüber, dass es sich bei der Entscheidung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs um eine Ermessensentscheidung handele, werde in dem Beratungsschreiben kein Wort verloren, ebenso wenig dazu, welche Umstände bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen seien. Außerdem habe die Beklagte ihre Aufsichtsbefugnisse überschritten, indem sie ihre Rechtsansicht der Rechtsauffassung der Klägerin übergeordnet und damit ihre Ermessensfreiheit eingeschränkt habe. Eine Ermessensreduzierung auf Null habe nicht vorgelegen. Zutreffend habe das Sozialgericht ausgeführt, dass die gerichtliche Geltendmachung nicht Inhalt des Beratungsschreibens gewesen sei. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass diese Aufforderung im Beratungsschreiben an den Verwaltungsrat bereits enthalten gewesen sei, denn dort sei die Geltendmachung innerhalb von drei Wochen nach Erhalt des Schreibens der Aufsichtsbehörde zu bestätigen gewesen. Eine Pflichtverletzung habe nicht vorgelegen, da die Erstattungspraxis vom Verwaltungsrat in vollem Umfang mitgetragen worden sei. Auch habe ein etwaiger Schadensersatzanspruch durch Vereinbarung erlassen werden können. Nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV könne im Falle der Unbilligkeit die Forderung erlassen werden. Vorliegend sei die Einziehung einer unterstellten Schadensersatzforderung im Hinblick auf das bestehende Einvernehmen zwischen Vorstand und Verwaltungsrat unbillig. Tatsächlich sei auch kein Schaden entstanden, denn der Einwand der Beklagten, im Rahmen der Differenztheorie dürfe eine Vorteilsausgleich durch rechtswidrig erlangte Rabatte von D.M. nicht berücksichtigt werden, sei unzutreffend. Einen solchen Rechtssatz gebe es nicht.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er hat sich in der mündlichen Verhandlung geäußert.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des SG beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird im Übrigen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Die Anfechtungsklage ist wegen des Erlassvertrages vom 16.06.2005 nicht unzulässig geworden, weshalb die Berufung der Beklagten bereits deshalb erfolgreich wäre. Wäre der Erlass der Forderung, der nach dem Vorbringen der Klägerin einen Forderungsverzicht darstellt, wirksam, ginge die mit dem Verpflichtungsbescheid aufgegebene Handlung, die Geltendmachung der Forderung, ins Leere. Die aufsichtsrechtliche Anordnung hätte sich erledigt. Damit wäre das Rechtsschutzinteresses für die auf die Aufhebung des Verpflichtungsbescheids gerichtete Anfechtungsklage entfallen und die Berufung der Beklagten aus diesem Grund bereits begründet.

Eine solche tatsächliche Erledigung ist jedoch nicht eingetreten, da der Erlassvertrag nicht wirksam ist. Dies ergibt sich bereits aus § 42 Abs. 3 SGB IV, wonach der Versicherungsträger auf einen entstandenen Schadensersatzanspruch nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde verzichten kann. Diese Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut uneingeschränkt anwendbar auf alle Organmitglieder und nicht nur beschränkt auf Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane (so Hauck-Haines a. a. O. Rdnr. 11). Im Hinblick auf die vergleichbare Organstellung des hauptamtlichen Vorstands nach § 35a SGB IV mit Mitgliedern der Selbstverwaltungsorgane ist nach Auffassung des Senats die Vorschrift zumindest jedoch analog anwendbar. Eine Genehmigung durch die Rechtsaufsichtsbehörde liegt bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aber nicht vor, sodass der Erlassvertrag schwebend unwirksam ist.

Der angefochtene Verpflichtungsbescheid ist aber rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Das mit der Berufung angefochtene Urteil des Sozialgerichts war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Der Bescheid der Beklagten vom 14.02.2005 ist bereits formal zu beanstanden, denn er ist verfahrensfehlerhaft zu Stande gekommen.

Gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat die Aufsichtsbehörde, wenn durch Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt wird, zunächst beratend darauf hinzuwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger seiner Verpflichtung zu rechtmäßigem Verhalten innerhalb angemessener Frist nicht nach, so kann die Aufsichtsbehörde nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben.

Nach diesen Grundsätzen ist entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung der angefochtene Verpflichtungsbescheid zutreffend an die Klägerin als den der Rechtsaufsicht unterworfenen Versicherungsträger gerichtet. Im Verfügungssatz des Bescheids vom 14.02.2005 wird der Klägerin, vertreten durch den Verwaltungsrat, aufgegeben, den Schadensersatzanspruch gegen den Beigeladenen geltend zu machen. Es handelt sich um eine der Klägerin zustehende Forderung, die im Innenverhältnis der Körperschaft entstanden ist. Da sich die Forderung gegen den Vorstandsvorsitzenden der Klägerin richtet, wird der Versicherungsträger vorliegend durch den Verwaltungsrat vertreten (§ 33 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 SGB IV). Hieraus ergibt sich die mit der aufsichtsrechtlichen Anordnung aufgegebene Handlungspflicht der Klägerin, die durch deren Selbstverwaltungsorgan, den Verwaltungsrat, ausgeübt wird. Dies entspricht auch der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Streitigkeiten bei so genannten Insichprozessen, in denen ein Rechtsträger beide Parteirollen einnimmt, jeweils vertreten durch nicht selbst rechtsfähige Gremien oder Organe (vgl. u.a. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 8.11.09.1989, VBlBW 1990, 192 ff zum Insichprozess eines Landkreises als Sozialhilfeträger und Wohngeldbehörde).

Dem Verpflichtungsbescheid ist jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten keine ausreichende aufsichtsrechtliche Beratung vorausgegangen. Die Beklagte hat das nach § 89 Abs. 1 SGB IV vorgeschriebene Verfahren nicht beachtet. Der Erlass eines Aufsichtsbescheides hat in einem abgestuften Verfahren zu erfolgen, wobei die Durchführung einer Beratung grundsätzlich Voraussetzung der Rechtmäßigkeit einer Verpflichtungsanordnung ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2003 - B 10 A 1/02 R - , SozR 4-2400 § 89 Nr. 2 m. H. auf BSGE 61, 254 , 257 = SozR 7223 Art 8 § 2 Nr. 3 S 4; BSGE 67, 85 , 87 = SozR 3-2400 § 89 Nr. 1).

Durch den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2005 wird der Klägerin aufgegeben, einen Schadensersatzanspruch gegen den Beigeladenen geltend zu machen. Hierüber hat die Beklagte die Klägerin mit dem an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats gerichteten Schreiben vom 24.11.2004 beraten. Dabei ist zu unterscheiden, ob der Beigeladene wegen schuldhaften Verstoßes gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten auf Schadensersatz haftet und inwiefern die Klägerin zur Geltendmachung eines solchen Schadensersatzanspruches verpflichtet ist.

Nach dem Wortlaut des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV setzt bereits das Aufsichtsmittel der Beratung eine Rechtsverletzung durch den Versicherungsträger voraus. Eine ordnungsgemäße Beratung erfordert daher einen die individuellen und speziellen Verhältnisse des beratenen Versicherungsträgers berücksichtigenden und entsprechend begründeten Hinweis darauf, dass und aus welchen Gründen gerade durch sein Handeln oder Unterlassen das Recht verletzt worden ist, und dem folgend eine Darlegung der dem Versicherungsträger möglichen Maßnahmen, mit welchen er in rechtlich zulässiger Weise die nach Meinung der Aufsichtsbehörde vorliegende Rechtsverletzung beheben kann (BSG, Urteil vom 11.12.2003, a. a. O.).

Eine mit dem Inhalt des Aufsichtsbescheides korrespondierende Rechtsverletzung der Klägerin hat die Beklagte bereits mit Erlass des Zwangsgeldbescheides vom 13.08.2003 festgestellt. Nicht nur die mit den Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzende Unterlassungspflicht ist als Rechtsverstoß dem Zwangsgeldbescheid zu entnehmen, sondern auch der Umstand, dass die Festsetzung eines Zwangsgeldes als Mittel der Rechtsaufsicht aufgrund der anhaltenden Weigerungshaltung der Klägerin als ultima ratio mangels anderer milderer Mittel erforderlich war. Im Beratungsschreiben vom 24.11.2004 konnte daher zu dem vorgeworfenen Rechtsverstoß grundsätzlich auf die im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung ergangenen Bescheide Bezug genommen werden. Das Beratungsschreiben enthält außerdem noch den ausdrücklichen Hinweis, dass bereits mit Androhung des Zwangsgeldes der Kasse in Höhe des Zwangsgeldes ein Schaden drohte. Aus diesen Darlegungen ergibt sich auch, wie der aus der aufgezeigten Rechtsverletzung entstandene Schaden zu beheben ist. Demzufolge hat die Beklagte im Beratungsschreiben auch die Geltendmachung des Betrages von 1000 EUR im Regresswege vom Vorstandsvorsitzenden verlangt, der nach § 280 Abs. 1 BGB hierfür hafte.

Eine im Vergleich zum Beratungsbescheid überschießende Regelung im streitgegenständlichen Verpflichtungsbescheid ist entgegen der Auffassung der Klägerin und des Sozialgerichts ebenso wenig festzustellen. Im Beratungsbescheid wird auf die Notwendigkeit der Geltendmachung der Regressforderung hingewiesen. Soweit im Verpflichtungsbescheid der Klägerin aufgegeben wird, die Forderung "bei Nichterfüllung durch den Erstattungspflichtigen im Rechtsweg durchzusetzen", ist dies keine, eine zusätzliche Beratungspflicht auslösende aufsichtsrechtliche Auflage. Die staatliche Aufsicht nach § 87 SGB IV erstreckt sich auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem für die Versicherungsträger maßgebenden Recht, insbesondere können die Aufsichtsbehörden nach § 88 Abs. 1 SGB IV die Geschäfts- und Rechnungsführung des Versicherungsträgers prüfen. Da die Versicherungsträger von Gesetzes wegen verpflichtet sind, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben (§ 76 Abs. 1 SGB IV), erschöpft sich der Hinweis im Beratungsschreiben auf die Geltendmachung der Schadensersatzforderung nicht darin, den Beigeladenen zur Zahlung aufzufordern, sondern ist darauf gerichtet, zum Rechnungsausgleich die offene Forderung zu realisieren. Aus dem Empfängerhorizont der Klägerin, der die Prinzipien der Haushaltsführung bekannt sind, ist dies aus objektiver Sicht auch erkennbar gewesen. Die im Beratungsschreiben gesetzte Frist von drei Wochen zwingt zu keinem anderen Verständnis des Hinweises auf "die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs", da hiermit nur in dieser Frist die von der Klägerin in die Wege geleiteten Maßnahmen angezeigt werden sollten.

Es fehlt aber an einer inhaltlichen Auseinandersetzung der Beklagten mit den Argumenten und Bedenken der Klägerin. Die nach § 89 Abs 1 SGB IV erforderliche Beratung ist nach der Rechtsprechung des BSG Ausdruck des Bemühens um partnerschaftliche Kooperation zwischen Selbstverwaltung und Aufsicht, also Teil einer geistigen Auseinandersetzung zwischen ernsthaft im Interesse der versicherten Bevölkerung um optimale Lösungen bemühten Partnern. Dabei ist eine auf die speziellen Verhältnisse des betroffenen Versicherungsträgers abgestellte Individualisierung der Beratung unumgänglich. Das Beratungsverfahren erschöpft sich demnach nicht in der Darlegung der Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörde. Dem Versicherungsträger muss die Möglichkeit eröffnet werden, von sich aus die Rechtslage zu prüfen und der Aufsichtsbehörde seinen gegebenenfalls abweichenden Rechtsstandpunkt darzulegen mit dem Ziel, dass sie sich diesen ihrerseits zu Eigen macht und von weiteren Aufsichtsmaßnahmen Abstand nimmt. Insgesamt bezweckt die Beratung als Ausgangspunkt eines möglichen Dialogs zwischen Versicherungsträger und Aufsichtsbehörde gerade die Vermeidung aufsichtsbehördlicher Anordnungen (BSG a. a. O.). Von einem derartigen Dialog kann aber nur gesprochen werden, wenn die Beteiligten auf das gegenseitige Vorbringen substantiiert eingehen. Diese Grundsätze hat die Beklagte nicht beachtet, weil sie auf die Stellungnahme der Klägerin vom 13.01.2005, in der diese ihre abweichende Rechtsauffassung näher dargelegt hat, nicht eingegangen ist und es damit versäumt hat, eine weitergehende, individualisierte Beratung vorzunehmen.

Auf eine atypische Fallgestaltung, die es ausnahmsweise erlaubt, von einer Beratung überhaupt oder einer etwaigen weiteren abzusehen, kann sich die Beklagte nicht berufen. § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV ist eine Sollvorschrift, die eine vorherige Beratung des Versicherungsträgers durch die Aufsichtsbehörde ausnahmsweise entbehrlich machen kann, wenn besondere Umstände vorliegen. Das kann der Fall sein, wenn die Behebung der Rechtsverletzung keinen Aufschub duldet, der Versicherungsträger vorsätzlich und in Kenntnis einer gegenteiligen Auffassung der Aufsichtsbehörde eine rechtswidrige Maßnahme vornimmt oder die Umstände im Einzelfall ergeben, eine Beratung werde keinen Erfolg haben (vgl. zu diesen Voraussetzungen BSG a. a. O.). Vorliegend ergibt sich aus der Stellungnahme der Klägerin vom 13.01.2005, dass ihr Verwaltungsrat trotz der die vorläufige Vollstreckbarkeit der Unterlassungsverfügung bestätigenden Entscheidung des erkennenden Senats vom 11.11.2002 mit dem Handeln des Beigeladenen einverstanden gewesen sein soll und damit auch die als rechtmäßig bestätigte Zwangsgeldfestsetzung zumindest billigend in Kauf genommen hat. Die Ausführungen der Klägerin, dass eine unterstellte Pflichtverletzung des Vorstands daher eine Mithaftung der Mitglieder des Verwaltungsrats begründen würde, und ein Schadensersatzanspruch gegen den Beigeladenen nicht gegeben sei, weshalb auch nicht beabsichtigt sei, ein Schadensersatzanspruch geltend zu machen, hat in der konkreten Situation noch nicht die Bewertung - wie die Beklagte meint - erlaubt, dass eine weitere aufsichtsrechtliche Beratung des Verwaltungsrats ohne Erfolg sein wird.

Vielmehr hätte der Hinweis auf die Billigung der Verfahrensweise des Vorstands durch den Verwaltungsrat auch nach Erlass der Entscheidung des Senats vom 11.11.2002 gerade Anlass zu weiterer rechtlicher Beratung sein müssen. Damit waren nämlich nicht einfache Rechtsfragen zu einer etwaigen Mithaftung der Mitglieder des Verwaltungsrats aufgeworfen worden. Einerseits bedurfte es somit der Darlegung der maßgeblichen Rechtsbeziehungen zwischen Körperschaft, Vorstand und Verwaltungsrat wegen der angenommenen Regressforderung. Andererseits hat die Notwendigkeit bestanden, der Klägerin auch die Möglichkeit zu geben, den aus Sicht der Beklagten unklaren Sachverhalt insoweit aufzuklären, als sie ausdrücklich bezweifelt, dass alle oder auch nur bestimmte Verwaltungsratsmitglieder von der gerichtlichen Bestätigung der Sofortvollzugsanordnung gewusst haben.

Als erörterungsbedürftige Rechtsfrage hätte sich vorliegend aufdrängen müssen, ob der Gesamtbetrag der in Betracht kommenden Regressforderung allein vom Beigeladenen gefordert werden kann. Eine anteilige Mithaftung von Vorstands- und Verwaltungsratsmitgliedern, die den Anspruch entsprechend dem Maß des Mitverschuldens gegen den Beigeladenen mindern würde, kommt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in Betracht. Die Klägerin bezieht sich hierbei auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.12.1974 (BSG 39,54 ff = SozR 5330 § 7 Nr. 1), die zum damals geltenden Gesetz über die Selbstverwaltung vom 22.02.1951 (BGBl I S. 124) bzw. dem Gesetz über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 23.08.1967 (BGBl I S. 918) erging. Danach war beim Regress einer Selbstverwaltungskörperschaft gegen die Selbstverwaltungsorgane keine gesamtschuldnerische Haftung, wie die Bezugnahme der genannten Vorschriften auf die Haftung des Vormundes gegenüber dem Mündel nahe gelegt hatte, anzunehmen, denn auf Grund des Amtsermittlungsgrundsatzes sei bei gleicher Haftungsgrundlage das unterschiedliche Maß des Verschuldens der an der Schadensverursachung mitwirkenden verschiedenen Organmitglieder zu ermitteln und in Rechnung stellen. Diese Erwägungen treffen aber auf die heutige Rechtslage nicht mehr zu, da für Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane und sonstige Organmitglieder des Versicherungsträgers unterschiedliche Haftungsgrundlagen heranzuziehen sind. § 42 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IV gelten für Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane einerseits und für hauptamtlich tätige Mitglieder der Verwaltungsorgane die dienstvertraglichen/arbeitsrechtlichen Grundlagen andererseits. Im Schrifttum wird daher eine gesamtschuldnerische Haftung bejaht (vgl. Hauck-Haines a. a. O. § 42 Rdnr. 9 m. w. N.). Da in den Fällen der Mithaftung von Mitgliedern der Selbstverwaltungsorgane und hauptamtlichen Mitgliedern der Verwaltungsorgane (Geschäftsführer oder Vorstände nach § 35a SGB IV) ggf. Prozesse wegen Regressforderung vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und der Zivilgerichtsbarkeit zu führen sind, ergibt sich auch keine Notwendigkeit im Rahmen der Amtsermittlung den jeweiligen Haftungsanteil der Schadensmitverursacher zur einheitlichen Entscheidung über die Mithaftung aufzuklären (so BGH, Urteil vom 14.02.1985, BGHZ 94, 18 ff).

Vor diesem Hintergrund sind auch Erwägungen zur alleinigen Haftung des Beigeladenen bzw. einer etwaigen vorrangigen Haftung von Verwaltungsratsmitgliedern, wenn eine "Weisung" an den Vorstandsvorsitzenden erteilt worden sein sollte oder eine hiermit vergleichbare Lage entstanden ist, angezeigt gewesen, die Gegenstand einer weiteren aufsichtsrechtlichen Beratung hätten sein müssen. Der Schluss der Beklagten, dass eine weitere Beratung, die auf die Stellungnahme der Klägerin vom 13.01.2005 eingeht, auf keinen Fall geeignet gewesen sei, den Erlass eines Verpflichtungsbescheid zu vermeiden und daher verzichtbar gewesen sei, war bei dieser Ausgangslage nicht begründet.

Der angefochtene Verpflichtungsbescheid ist darüber hinaus aber auch materiell-rechtlich fehlerhaft.

Der Beigeladene ist als Vorstandsvorsitzender Mitglied des verwaltenden Organs der Klägerin (§ 35 a SGB IV) und nimmt als hauptamtlich tätiges Vorstandsmitglied (§ 35a Abs. 3 SGB IV) die ihm aus dem Amt des Vorstands (vgl. u. a. § 35a Abs. 1 und Abs. 7 SGB IV) erwachsenden Verpflichtungen im Rahmen der ihm durch Dienstvertrag übertragenen Aufgaben wahr (vgl. zu Differenzierung von Amts- und arbeitsrechtlichen Pflichten Hauck-Haines, Kommentar SGB IV, § 30 a Rdnr. 15). Der Vorstand vertritt die Krankenkasse gerichtlich und außergerichtlich (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Als solcher ist er als vertretungsberechtigtes Organ siegelführende Behörde (§ 31 Abs. 3 SGB IV). Zu den Amtspflichten gehört ein Handeln nach Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz). Der Beigeladene hat diese Amtspflicht verletzt. Mit der Amtspflicht ist es nicht vereinbar, wenn in einem vom Versicherungsträger sogar selbst angestrengten gerichtlichen Verfahren die sofortige Vollziehbarkeit einer Maßnahme der Rechtsaufsicht unter Bezugnahme auf die hierfür geltenden gesetzlichen Vorschriften bestätigt wird und die von dieser aufsichtsrechtlichen Maßnahme betroffene öffentlich-rechtliche Körperschaft sich gleichwohl darüber hinwegsetzt. Ob damit zugleich eine Verletzung der dienstvertraglichen Verpflichtungen vorgelegen hat, was bei einem Handeln auf "Weisung" des Verwaltungsrats fraglich sein könnte, lässt der Senat offen. Ebenso kann der Eintritt eines hierdurch verursachten Schadens dahinstehen.

Im vorliegenden Verfahren sind keine rechtlich überzeugenden Gründe geltend gemacht worden, die dem Vorwurf der Missachtung des angeordneten Sofortvollzugs entgegengehalten werden können. Solche sind auch nicht ersichtlich. Eine Verletzung der Amtspflicht entfällt nicht dadurch, dass der Vorstand im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat, wie behauptet, gehandelt hat. Die Organe der Körperschaft nehmen im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Aufgaben des Versicherungsträgers selbständig wahr (§ 31 Abs. 2 SGB IV). Die Verwaltungskompetenz obliegt dem Vorstand. Soweit nach § 197 Abs. 1 Nr. 1b SGB V der Verwaltungsrat für alle Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung auch im Rahmen der Verwaltungstätigkeit zuständig ist, ist bereits fraglich, ob eine Angelegenheit grundsätzlicher Bedeutung in diesem Sinne vorliegt, denn die Beachtung aufsichtsrechtlicher, gerichtlich bestätigter Maßnahmen ist einer Fragestellung mit grundsätzlicher Bedeutung prinzipiell nicht zugänglich. Selbst wenn dies im Hinblick auf die bundesweite Auswirkung und die zu diesem Zeitpunkt rechtlich und politisch aktuelle Frage des Umgangs mit über das Internet bezogenen Arzneimitteln ausnahmsweise zu bejahen wäre, wäre eine konkrete Weisung des Verwaltungsrats ebenfalls ein Rechtsverstoß, wie dies bereits für das Handeln des Vorstands dargelegt worden ist.

Angesichts dieser Umstände ist für eine fachgerechte Entscheidung der Aufsichtbehörde von Bedeutung, welche Person im Wege der gesamtschuldnerischen Haftung von der Klägerin in Anspruch zu nehmen ist. Insoweit hat die Beklagte als Rechtsaufsichtsbehörde eine ermessensgerechte Auswahl unter den in Betracht kommenden Schuldnern zu treffen, wenn sie mit aufsichtsrechtlicher Auflage die Klägerin verpflichten will, den Schadensersatzanspruch durchzusetzen. Eine ermessensgerechte Auswahlentscheidung ist dem angefochtenen Verpflichtungsbescheid nicht zu entnehmen. Entgegen ihrer in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Rechtsauffassung ist diesbezüglich eine Ermessensreduzierung auf Null nicht eingetreten. Zwar war der Vorstandsvorsitzende der für die Klägerin nach außen Handelnde, worauf die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat abgestellt hat. Dies rechtfertigt aber allein seine Inanspruchnahme nicht. Das Vorbringen des Beigeladenen, sich im Konflikt zwischen den Wünschen des Verwaltungsrats und den Anforderungen des gerichtlich bestätigten Sofortvollzugs der Unterlassungsverfügung befunden zu haben, ist von der Beklagten weder ermittelt noch widerlegt worden. Eine andere Auswahlentscheidung, d. h. den Regress gegen den Verwaltungsratsvorsitzenden oder sonstige Verwaltungsratsmitglieder geltend zu machen, ist nach der Sachlage nicht von vornherein ausgeschlossen. Hierzu finden sich aber keine Ermessenserwägungen im angefochtenen Verpflichtungsbescheid der Beklagten. Ein Nachschieben von Ermessensgründen ist hinsichtlich des maßgeblichen Entscheidungszeitpunkts bei einer reinen Anfechtungsklage, um die es sich bei der hier streitgegenständlichen handelt, bereits fraglich, da es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verpflichtungsbescheids auf den Zeitpunkt der letzten möglichen Behördenentscheidung ankommt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 54 Rdnr. 32. m. w. N.). Vorliegend hat die Beklagte im Übrigen bereits keine ausreichenden Ermessenserwägungen nachträglich angestellt, denn der relevante Sachverhalt ist nach ihrem eigenem Vortrag nicht geklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der bei unterlassener Antragstellung kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 2 VwGO), waren nicht aus Gründen der Billigkeit der Beklagten aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO)

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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