L 14 B 1218/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 10503/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 1218/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2006 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin I J beigeordnet, Raten aus dem Einkommen oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis 31. März 2007 "Leistungen unter Ansatz der tatsächlichen Unterkunftskosten (580,72 Euro) zu gewähren".

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann eine einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn dies in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sind diese Voraussetzungen hier nicht gegeben. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs, 2. Buch (SGB II) sind Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit diese angemessen sind. Übersteigen die Aufwendungen für Unterkunft den angemessenem Umfang, so sind sie als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Nach Auffassung des Senats hat der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, weil diese das Maß des Angemessenen übersteigen. "Angemessenheit" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der richterlichen Nachprüfung unterliegt. Entsprechend vermögen die von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Berlin erlassenen Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) den Senat nicht zu binden. Sie geben aber Hinweise darauf, was in der Praxis für angemessen gehalten wird (Beschluss des erkennenden Senats vom 31. Juli 2006 - L 14 B 168/06 AS ER -). Nach Nr. 4 Abs. 2 der AV-Wohnen ist für den Ein-Personen-Haushalt des Antragstellers angemessen lediglich eine Warmmiete bis zu 360 EUR monatlich. Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser Bewertung jedenfalls im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz insoweit anzuschließen, als er die von dem Antragsteller gegenwärtig innegehabte Wohnung für unangemessen groß (79 qm) und teuer (534,71 EUR Brutto-Warmmiete) hält.

Ein Anspruch auf (weitere) Übernahme dieser unangemessen hohen Kosten ist nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller vorträgt, dass er bei seinen bisherigen Versuchen, eine andere Wohnung in der Nähe der jetzigen Wohnung zu finden, erfolglos geblieben sei, reicht das nicht aus, um glaubhaft werden zu lassen, dass ihm ein Wohnungswechsel nicht möglich ist. Denn es fehlen jegliche Angaben dazu, wann der Antragsteller bei welchen Vermietern wegen welcher Wohnung vorgesprochen haben will. Der Antragsgegner hat eine Reihe von Wohnungsangeboten in der Nähe der bisherigen Wohnung des Antragstellers vorgelegt. Danach ist nicht davon auszugehen, dass keine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung für den Antragsteller konkret verfügbar gewesen ist.

Der Antragsteller kann auch nichts daraus herleiten, dass er vom Antragsgegner nicht auf die angemessene Größe einer Wohnung, den angemessenen Mietpreis pro qm und eine Verpflichtung zur Dokumentation seiner Wohnungssuchbemühungen hingewiesen worden ist. Zwar mag ein Hinweis auf die Unangemessenheit der Unterkunftskosten erforderlich sein, um das schutzwürdige Vertrauen eines Leistungsempfängers darauf zu beseitigen, dass Leistungen für Unterkunft und Heizung weiter in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden. Ein solcher Hinweis hat indessen lediglich Aufklärungs- und Warnfunktion, der Hilfebedürftige soll Klarheit über die aus Sicht des Leistungsträgers angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und gegebenenfalls Heizung erhalten sowie auf die Rechtslage aufmerksam gemacht werden (Bundessozialgericht, Urteil v. 7. November 2006 – B 7 b AS 10/06 R - Rdnr. 29/30). Für die Wirksamkeit des Hinweises genügt regelmäßig die Angabe des angemessenen Mietpreises; Angaben zur Wohnungsgröße sind nicht erforderlich, ebenso wenig müssen die Anforderungen an die Eigenbemühungen des Leistungsempfängers konkretisiert werden. Der Antragsgegner hatte den Antragsteller durch Schreiben vom 21. Februar 2006 darauf hingewiesen, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch sind, und die maßgebenden Richtwerte nach der AV-Wohnen aufgelistet, um dem Antragsteller die Notwendigkeit einer Reduzierung der Unterkunftskosten zu verdeutlichen. Dieser Hinweis ist nicht deswegen weniger aussagekräftig, weil er sich auf die Bruttowarmmiete einschließlich Heizkosten bezieht und nicht für Kaltmiete (einschließlich Betriebskosten) und Heizkosten jeweils einen eigenen Wert angibt. Angemessen müssen sowohl die Kosten der Unterkunft als auch die der Heizung sein, so dass die Angabe der Bruttowarmmiete ausreicht, um den vom Antragsgegner für angemessen gehaltenen Gesamtbetrag erkennen zu können. Es kommt hinzu, dass die Kaltmiete des Antragstellers (einschließlich Betriebskosten) 448,71 Euro betrug, so dass sie schon ohne Vorauszahlungen für Heizkosten über dem vom Antragsgegner für angemessenen gehaltenen Betrag lag. Deswegen konnte dem Antragsteller nicht zweifelhaft sein, dass seine gegenwärtige Wohnung aus Sicht des Antragsgegners unangemessen teuer war. Soweit die Angabe der Bruttowarmmiete die Möglichkeit eröffnet, unangemessen hohe Aufwendungen für Kaltmiete durch niedrige Heizkosten auszugleichen (und umgekehrt), werden Leistungsempfänger dadurch nicht beschwert.

Der Antragsteller hat demnach nur noch Anspruch auf Erstattung seiner angemessenen Aufwendungen. Deren Grenze sieht der Senat – zumindest in dem vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Anlehnung an die AV-Wohnen – bei einem Betrag von mehr als 360 EUR im Monat überschritten. Nur bis zu dieser Grenze kann der Antragsteller also die Übernahme seiner Aufwendungen verlangen. Dass unter dieser Voraussetzung kein Leistungsanspruch gegen den Antragsgegner besteht, ergibt sich aus der Berechnung in dem Bescheid vom 11. Oktober 2006, deren Richtigkeit im Übrigen auch vom Antragsteller nicht in Frage gestellt wird. Demnach besteht kein Grund, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung weiterer Leistungen zu verpflichten.

Nach alledem war der Beschwerde stattzugeben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG unter Berücksichtigung des Ergebnisses in der Sache.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den – insoweit bedürftigen - Antragsteller unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten beruht auf § 73 a Abs. 1 SGG iVm §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 2 der Zivilprozessordnung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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