L 19 R 584/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 995/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 584/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 R 25/07 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.06.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten besteht Streit, in welchem Umfang in Rumänien vom 01.01.1967 bis 31.12.1968, 01.01.1970 bis 12.04.1971 und vom 04.08.1971 bis 31.12.1977 zurückgelegte Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bei der Rente der Klägerin zu berücksichtigen sind.

Die im Jahre 1942 in Rumänien geborene Klägerin ist Inhaberin des Vertriebenenausweises A. Sie siedelte am 25.11.1991 in die Bundesrepublik über. In Rumänien war sie von 1965 bis 1987 als Mitglied der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) "R." (S.) in deren Gärtnerei tätig. Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Adeverinta Nr 10/10.01.1994/ 65259/1993, in der für die Jahre 1965 bis 1989 die geplanten und realisierten Normen, die gearbeiteten Tage und der Tätigkeitsbereich verzeichnet sind, bewilligte die Beklagte mit Bescheiden vom 08.02.2002/11.03.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.01.2002. Für die Zeiten vom 01.01. bis 31.12.1969 und 01.01. bis 31.07.1991 sind in diesen Bescheiden die Tabellenwerte um 1/5 erhöht, für die übrigen Zeiten erfolgte eine Anrechnung lediglich zu 5/6.

Mit Antrag vom 23.08.2004 begehrte die Klägerin eine Erhöhung der Tabellenwerte für die Zeit von Januar 1967 bis Dezember 1977. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 30.08.2004 die Rente der Klägerin für die Zeit ab 01.01.2002 neu fest und lehnte gleichzeitig eine Erhöhung der Tabellenwerte ab. Ein Nachweis der Beitragszeit liege nur dann vor, wenn für das Kalenderjahr mindestens 300 Tage an Arbeitstagen nachgewiesen seien. Dies sei nur für das Jahr 1969 der Fall, weshalb insoweit eine ungekürzte Anrechnung erfolgt sei. Die übrigen Zeiten vom 01.1.1967 bis 31.12.1968, 01.01.1970 bis 12.04.1971 und 04.08.1971 bis 31.12.1977 seien lediglich glaubhaft gemacht, so dass eine Anerkennung nur zu 5/6 möglich gewesen sei. Der gegen diesen Bescheid am 13.09.2004 erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 08.12.2004).

Das hiergegen angerufene Sozialgericht Nürnberg (SG) hat mit Urteil vom 17.06.2005 die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 08.02.2002/11.03.2002 und 30.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2004 antragsgemäß verurteilt, bei der Rente wegen voller Erwerbsminderung die Zeiten vom 01.01.1967 bis 31.12.1968, 01.01.1970 bis 12.04.1971 und vom 04.08.1971 bis 31.12.1977 als nachgewiesene Beitragszeiten gemäß § 15 FRG zu 6/6 ab 01.01.2002 rentensteigernd zu berücksichtigen. Aufgrund der Angaben der Klägerin und der Adeverinta Nr 10 vom 10.01.1994 stehe fest, dass die Klägerin in den genannten Zeiträumen ununterbrochen Mitglied der LPG Sintana gewesen sei. Nach dieser Adeverinta sei auch von einem ganzjährigen Beschäftigungsverhältnis auszugehen. Für Mitglieder der LPG in Rumänien sei eine gesetzliche Sozialversicherung als Pflichtversicherung eingeführt worden. Der Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigung in den streitigen Zeiträumen sei nicht erforderlich. Denn die Beitragszeit gemäß § 15 FRG sei bereits aufgrund der LPG-Mitgliedschaft anzuerkennen. Maßgeblich allein sei die ununterbrochene LPG-Mitgliedschaft. Die anzuerkennenden Beitragszeiten seien daher allein aufgrund der LPG-Mitgliedschaft der Klägerin als nachgewiesene Beitragszeiten anzuerkennen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie bringt im Wesentlichen vor, entgegen der Auffassung des Erstgerichts komme es auch für die Anerkennung der hier streitigen Beitragszeiten darauf an, dass neben der Mitgliedschaft auch Unterbrechungstatbestände, z.B. durch Krankheit, nachgewiesen seien oder eine taggenaue Aufstellung der Arbeitsleistung vorliege. Die Anzahl der in den Adeverintas enthaltenen Arbeitsnormen gebe über den Umfang der tatsächlichen Arbeitsleistung keine Auskunft. Sie schließe sich in dieser Hinsicht den Ausführungen in dem Gutachten des Instituts für Ostrecht vom 22.01.1999 und dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.12.1989 - 5 BJ 116/97 - an. Danach könne der Nachweis einer ununterbrochenen ganzjährigen Beitragszeit aus der Erfüllung oder Übererfüllung von Arbeitsnormen nicht hergeleitet werden. Die Anerkennung von Beitragszeiten allein aufgrund der Mitgliedschaft in einer LPG führe zur Ungleichbehandlung. So könne im äußersten Falle eine ohne tatsächliche Mitarbeit allein aufgrund eingebrachten Vermögens bestehende Mitgliedschaft zur Anerkennung einer ungekürzten Beitragszeit führen. Dies widerspreche aber dem Sinn und Zweck des § 15 FRG. Diese Auffassung habe auch das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 08.09.2004 - L 2 RJ 1664/02 - vertreten. Ohne weitere Nachweise gehe sie nach wie vor davon aus, dass entgegen der erstgerichtlichen Entscheidung die Vorausstzungen für eine wertmäßig ungekürzte Anrechnung der als Mitglied einer rumänischen LPG zurückgelegten Beitragszeit nicht erfüllt seien. Der Auffassung des BSG im Urteil vom 08.09.2005 - B 13 RJ 44/04 R - folge sie nicht.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 17.06.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, im Hinblick auf das beim BSG anhängige Revisionsverfahren mit dem Aktenzeichen B 4 R 39/06 R die mündliche Verhandlung zu vertagen, hilfweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 17.06.2005 zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des SG Nürnberg nicht zu beanstanden sei. So habe selbst die Beklagte inzwischen - entgegen ihrer bisherigen Auffassung - die Beitragszeiten der Jahre 1966/1969 als nachgewiesen ungekürzt anerkannt (Bescheid vom 06.12.2005). Dem Urteil des BSG vom 08.09.2005 - B 13 RJ 44/04 R - komme richtungsweisende Bedeutung zu.

Beigezogen sind neben den Verwaltungsunterlagen der Beklagten einschließlich Kontenklärungsverfahren die Streitakten erster und zweiter Instanz mit der Akte über die einstweilige Anordnung L 19 R 744/05 ER.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel erweist sich aber als nicht begründet. Das SG hat in dem angefochtenen Urteil vom 17.06.2005 zu Recht entschieden, dass die Zeiten vom 01.01.1967 bis 31.12.1968, vom 01.01.1970 bis 12.04.1971 und vom 04.08.1971 bis 31.12.1977 ab 01.01.2002 als nachgewiesene Beitragszeiten zu 6/6 der Rentenberechnung zugrunde zu legen sind.

Nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Zur Beurteilung der Rechtslage ist auf die Vorschriften des § 22 Abs 3 FRG idF ab 1.Januar 2002 bzw. bezügl. des § 15 FRG auf die ab 1.Januar 1992 geltende Fassung abzustellen. Die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bescheide vom 08.02.2002/11.03.2002 sind erfüllt, denn die o.g. rumänischen Beitragszeiten stellen nachgewiesene Beitragszeiten dar.

Zutreffend hat das SG im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, dass die Klägerin in den streitigen Zeiträumen Mitglied der LPG R. in Rumänien war und gleichzeitig in der Gärtnerei dieser LPG gearbeitet hat. Dies ergibt sich aus der Adeverinta Nr 10/10.01.1994. Nach dem rumänischen Dekret Nr 535/1996 wurde für Mitglieder einer LPG eine gesetzliche Sozialversicherung als Pflichtversicherung eingeführt. Zutreffend hat das SG dazu ausgeführt, dass für die Klägerin somit entsprechend dem rumänischen Recht Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet wurden, die als Beiträge i.S. des FRG anzusehen sind. Auch ist das angefochtene Urteil insoweit nicht zu beanstanden, als es davon ausgeht, dass eventuelle Unterbrechungen der Arbeitsleistung für die Beurteilung des Vorliegens einer Beitragszeit keine Rolle spielen. Der Senat hat keinen Anlass gesehen, von der Rechtsprechung des 20. Senats des BayLSG (vgl. Urteil vom 21.07.1999 - L 20 RJ 620/93 -) abzuweichen, zumal die Rechtsauffassung des 20. Senats durch das Urteil des BSG vom 08.09.2005 (B 13 RJ 44/04) bestätigt wurde.

Nach alledem hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 08.02.2002, 11.03.2002 und 30.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2004 zu Recht abgeändert und die streitigen Zeiten als nachgewiesene Beitragszeiten gewertet. Der Senat weist deshalb die Berufung der Beklagten aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht von einer weiterern Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung der Beklagten erfolglos blieb.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Trotz der Entscheidung des BSG vom 08.09.2005 - B 13 RJ 44/04 R - erscheint die Rechtsfrage noch nicht abschließend geklärt. Die Rechtsprechung des BSG ist erheblicher Kritik ausgesetzt. So schließt sich die Beklagte der BSG-Rechtsprechung ausdrücklich nicht an. Auch kann insoweit noch nicht von einer ständigen Rechtsprechung des BSG ausgegangen werden.
Rechtskraft
Aus
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