L 17 B 140/05 U PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 386/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 B 140/05 U PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 02.03.2005 aufgehoben.
II. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und Rechtsanwalt M. beigeordnet.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, ob dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) im anhängigen Rechtsstreit S 11 U 386/03 vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg zu gewähren ist.

In dem Klageverfahren ist die Berechnung von Übergangsleistungen nach § 3 Berufskrankheitenverordnung (BKV) aufgrund eines im Verfahren S 11 U 75/01 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs vom 26.02.2003 streitig. In diesem Vergleich verpflichtete sich die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2001, unter Zugrundelegung eines Einkommens von 15.435,00 DM für den Zeitraum 01.09.1996 bis 01.04.1997 erneut eine Überprüfung vorzunehmen, inwieweit dem Kläger Übergangsleistungen ab 02.04.1997 zustehen und einen entsprechenden Bescheid zu erteilen.

Mit Bescheid vom 03.06.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2003 berechnete die Beklagte die Übergangsleistungen neu, sah den Betrag von 15.435,00 DM als Bruttoeinkommen an und ging unter Berücksichtigung eines Abschlags von 35 % als Selbstständiger von einem Nettoeinkommen von 1.426,43 DM monatlich aus.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger am 20.11.2003 Klage erhoben und im Wesentlichen beantragt, die Beklagte zu verpflichten, Leistungen nach § 3 BKV entsprechend dem sozialgerichtlichen Vergleich vom 26.02.2003 zu erbringen und zwar rechnerisch aufgrund eines Bruttoeinkommens von 2.194,50 DM.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 03.12.2003 beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es handele sich bei dem Betrag von 15.435,00 DM entsprechend dem vorgelegten Einkommensteuerbescheid um das Bruttoeinkommen, das auf das Nettoeinkommen umzurechnen sei.

Mit Schreiben vom 03.03.2004 hat der Kläger die Gewährung von PKH und die Beiordnung von Rechtsanwalt M. beantragt. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 02.03.2005 abgelehnt. In den Gründen hat es ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Kürzungsvorschrift des § 18b Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV), angewandt. Eine anderweitige Auslegung des Vergleichs verstoße gegen das Gesetz.

Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Beschwerde eingelegt, den Einkommensteuerbescheid für 1996 vorgelegt und ausgeführt, diese Zahlen hätten im damaligen Verfahren vorgelegen. Das Gericht habe aufgrund dieser Zahlen den Vergleich vorgeschlagen. Es handele sich bei dem Betrag um eine Berechnungsgrundlage i.S. eines Nettogehalts ohne jede weitere Kürzung.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beklagte hält die Beschwerde nicht für begründet (Schriftsatz vom 10.05.2005).

II.

Die Beschwerde des Klägers ist gemäß § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und - da sie form- und fristgerecht eingelegt worden ist (§ 173 SGG) - im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet.

Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die PKH gelten (im Sozialgerichtsrechtsstreit) entsprechend (§ 73a SGG). Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs 2 ZPO).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundgesetz (GG) eine w e i t g e h e n d e Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (so BVerfGE 81, 347 [356] mwN). Da der Gleichheitsgrundsatz des GG iVm mit dem Rechtsstaats- prinzip keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten verlangt, sondern nur eine weitgehende Angleichung, ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von PKH davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. PKH darf dann verweigert werden, wenn die Erfolgschance nur eine entfernte ist (BVerfGE aaO S 357).

Für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Hauptsache genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8.Auflage, § 73a Rdnr 7 mwN); der Erfolg braucht nicht mit Sicherheit festzustehen. Es muss nicht abschließend abzusehen sein, ob die Klage begründet ist.

Bei der im Verfahren über die Gewährung von PKH gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kann nach Auffassung des erkennenden Senats der Klage entgegen der Auffassung des SG eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit nicht abgesprochen werden. Vorliegend ist der materielle Teil des gerichtlichen Vergleichs vom 26.02.2003 auszulegen und zwar wie jede andere private Vereinbarung (vgl. BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 10 mwN). Somit sind die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu beachten und es gilt den Willen der Vertragsparteien festzustellen. Das SG wird im Rahmen dieser Prüfung zu berücksichtigen haben, dass es für die von der Beklagten vorgenommene Kürzung des im Vergleich vom 26.02.2003 genannten Einkommensbetrages von 15.435,00 DM um den Betrag von 35 vH analog § 18b SGB IV - wie der Bevollmächtigte des Klägers zu Recht vorträgt - keine gesetzliche Grundlage gibt.

Nach § 3 Abs 2 Satz 1 BKV hat der Träger der Unfallversicherung einem Versicherten zum Ausgleich der durch Aufgabe einer gefährdenden Tätigkeit verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Nachteile ist vom Unterschied zwischen dem mutmaßlich erzielbaren Nettoverdienst aus der bisherigen und jenem der neuen Beschäftigung auszugehen (BSG SozR 5677 § 3 Nr 3).

Die Parteien des Vergleichs haben das Einkommen in Höhe von 15.435,00 DM dem Einkommensteuerbescheid des Klägers für das Jahr 1996 entnommen. Dort werden die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in dieser Höhe aufgeführt. Diese Einkünfte stellen insoweit einen Nettobetrag dar, als die Betriebsausgaben die Einkünfte bereits mindern. Da der Kläger neben der selbstständigen Tätigkeit als Arbeitnehmer tätig war und somit eine weitere soziale Absicherung nicht erforderlich war, erscheint der Vorschlag des Bevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 11.08.2006 plausibel, bei der Berechnung lediglich die durch die Einkünfte aus Gewerbebetrieb entstandene weitere Einkommensteuer in Höhe von 870,00 DM als Abzug in Ansatz zu bringen.

Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist auch erforderlich (§ 121 Abs 2 ZPO). Sie entspricht der Absicht des Gesetzgebers (vgl § 73a SGG), kann also nicht unter Bezugnahme auf den in der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Amtsermittlungsgrundsatz verneint werden. Nach Art 3 GG hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Danach ist für alle gerichtliche Verfahren ein Mindestmaß an rechtlichem Gehör zu gewährleisten. Die an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten sollen Gelegenheit haben, sich zu dem für die Beurteilung des Gerichts in Betracht kommenden Sachverhalt vor der Entscheidung zu äußern (BVerfGE 7, 53 [57] mwN). Dieses Recht ist von der Ausgestaltung des Verfahrens durch die verschiedenen Verfahrensordnungen unabhängig und gilt auch im Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz. Den Beteiligten soll nicht zugemutet werden, sich darauf zu verlassen, dass das Gericht schon aufgrund der Offizialmaxime zu einer richtigen Entscheidung gelangen werde (BVerfG aaO; BayLSG Breith 99, 807). Weder die Vorschriften der §§ 62, 103 Abs 1 und 106 SGG noch sonstige, den Verfahrensbeteiligten dem Gericht gegenüber obliegende Pflichten schließen aus, dass im sozialgerichtlichen Verfahren schlechthin oder in einem Verfahren bestimmten Inhalts eine anwaltliche Vertretung erforderlich ist.

Der Rechtsstreit ist auch materiell-rechtlich nicht so einfach gelagert, dass eine anwaltliche Unterstützung entbehrlich wäre.

Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH.

Nach alledem war der Beschluss des SG Würzburg aufzuheben und dem Kläger PKH zu gewähren.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved