L 15 B 837/06 SB KO

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SB 41/02 Ko
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 B 837/06 SB KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
Nachträgliche Korrektur der Notwendigkeit einer Taxibenutzung durch die ärztliche Sachverständige noch am Sitzungstag möglich. Zumutbarkeit für die Klägerin, eine Verlegung des Untersuchungs- und Verhandlungstermins zu beantragen, bis ihr wieder eine Begleitperson zur Verfügung gestanden hätte. Im Rahmen der so genannten fiktiven Vergleichsberechnung ist der Entschädigungsantrag auf alle in Frage kommenden Entschädigungsleistungen gerichtet anzusehen (ständige Rechtsprechung).
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 26.09.2006 wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 31.08.2006 - S 10 SB 41/02 Ko - insoweit abgeändert, als die Entschädigung der Beschwerdeführerin für ihr Erscheinen zur Untersuchung und zur mündlichen Verhandlung am 20.03.2003 in Landshut auf 96,80 EUR festgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

I.

In dem am Sozialgericht Landshut anhängig gewesenen Streitverfahren nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) ist die Beschwerdeführerin gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vor Beginn der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2003 durch Dr.L. untersucht worden. Sie ist mit dem Taxi angereist und begehrt die Erstattung der Taxikosten in Höhe von 199,80 EUR.

Der Vizepräsident des Sozialgerichts Landshut hat mit Verfügung vom 20.02.2003 Termin zur mündlichen Verhandlung auf Donnerstag, den 20.03.2003 bestimmt. Gleichzeitig ist die Erstellung eines Gutachtens durch Dr.L. angeordnet worden (Beginn der Untersuchung um 9.30 Uhr).

Die Beschwerdeführerin hat am 24.02.2003 telefonisch darauf hingewiesen, dass sie regelmäßig Morphium einnehmen müsse und ihr deshalb immer schwindlig sei. Sie benötige einen Krankentransport oder die Übernahme von Taxikosten. Sie ist am 26.02.2003 durch die zuständige Kostenbeamtin informiert worden, dass Taxikosten bzw. Kosten für eine Begleitperson übernommen würden, wenn dies die gerichtsärztliche Sachverständige bei der Untersuchung bestätige. Der Beschwerdeführerin ist dies zu unsicher gewesen. Sie kündigte an, sich mit ihrem Rechtsanwalt in Verbindung zu setzen. Das Sozialgericht Landshut hat mit Telefax vom 18.03.2003 nochmals mitgeteilt, dass die notwendigen Taxikosten übernommen werden, wenn die gerichtliche Sachverständige Dr.L. dies für medizinisch notwendig erachte.

Dr.L. hat auf Seite 7 ihres Gutachtens vom 23.03.2003 darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin eine Schmerztherapie mit Morphinderivaten erhält. Sie leide seit der Einnahme der Morphinderivate unter einem leichten ständigen Schwindelgefühl, verlasse seither das Haus nicht mehr ohne Begleitung. Dieses werde auch vom Hausarzt bestätigt und sei medizinischerseits in Anbetracht der vorliegenden medikamentösen Therapie auch glaubhaft und nachvollziehbar. Eine Begleitperson sei beim Bewegen im öffentlichen Verkehr erforderlich. Die Gehfähigkeit sei bisher nicht wesentlich eingeschränkt.

In der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2003 hat der Bevollmächtigte des Beklagten ein Anerkenntnis abgegeben und zugesichert, 7/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu übernehmen. Der Bevollmächtigte der Klägerin und Beschwerdeführerin hat dieses Anerkenntnis angenommen.

Ausweislich der Anwesenheitsbescheinigung von Dr.L. vom 20.03.2003 hat diese anfänglich die Benutzung eines Taxis für erforderlich erachtet, weil die Beschwerdeführerin Schwindelgefühle infolge der Schmerztherapie vorgetragen hat. Die Notwendigkeit der Benutzung eines Taxis ist von der ärztlichen Sachverständigen jedoch noch am 20.03.2003 schriftlich widerrufen worden: "Auf Grund ihrer Behinderungen ist die Klägerin in der Lage, mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit einer Begleitperson zur Verhandlung einzureisen, wobei die Genehmigung einer Begleitperson bereits als großzügig zu bewerten ist, da sich bei der Untersuchung keinerlei Anzeichen für Schwindel oder Gangunsicherheiten ergaben."

Den Stellungnahmen von Dr.L. vom 20.03.2003 und von Regierungsamtmann G. vom 10.04.2003 ist zu entnehmen, dass die Frage der Übernahme der Taxikosten in der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2003 nicht geklärt worden ist. Der Vizepräsident des Sozialgerichts Landshut hat der Beschwerdeführerin und ihrem Rechtsanwalt mitgeteilt, dass die medizinische Sachverständige in diesem Fall die Entscheidungsbefugnis habe.

Dementsprechend hat die Kostenbeamtin des Sozialgerichts Landshut an fiktiven Kosten den Preis für eine Rückfahrtkarte R. - Landshut in Höhe von 30,80 EUR zweifach = 61,60 EUR (Beschwerdeführerin und fiktive Begleitperson) angewiesen.

Der Urkundsbeamte hat eine Entschädigung der Taxikosten mit Schreiben vom 02.04.2003 abgelehnt. Es habe keine medizinische Notwendigkeit für die Benutzung eines Taxis bestanden. Es könnten lediglich Kosten für die Inanspruchnahme eines öffentlichen Verkehrsmittels mit einer Begleitperson erstattet werden.

Gegen diese Festsetzung hat der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 25.04.2003 die richterliche Festsetzung der Entschädigung beantragt. - Das Sozialgericht Landshut hat mit Beschluss vom 31.08.2006 - S 10 SB 41/02 Ko - die Entschädigung der Antragstellerin und Beschwerdeführerin für ihr Erscheinen zur Untersuchung und zur mündlichen Verhandlung am 20.03.2003 in Landshut auf 61,60 EUR festgesetzt. Es hätten keine "besonderen Umstände" im Sinne von § 9 Abs.1 ZSEG vorgelegen, die die Benutzung eines Taxis erforderlich gemacht hätten.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 26.09.2006 ging am 28.09.2006 im Sozialgericht Landshut ein. Zur Begründung hoben die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin hervor, die Frage einer notwendigen Begleitperson bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln sei keine Frage der Höhe von fiktiven Erstattungskosten; vielmehr sei eine Entscheidung auch aus medizinischer Sicht notwendig, ob die Antragstellerin mangels einer Begleitperson ohne diese öffentliche Verkehrsmittel benutzen müsse oder ein Taxi benutzen könne. Auf die Gefahren für sich und andere werde hingewiesen, die sich aus der Schmerztherapie mit Morphinderivaten ergäben (ständiges Schwindelgefühl). Anfänglich habe Dr.L. die Notwendigkeit einer Taxibenutzung auf der Anwesenheitsbescheinigung mit "Taxi, ja" angekreuzt. Die spätere Korrektur sei nicht nachvollziehbar bzw. medizinisch nicht begründet. Vielleicht sei auch die "Drohung" der Beschwerdeführerin ausschlaggebend gewesen, dass der Rechtsanwalt und sie selbst "die Verhandlung ohne die Genehmigung der Taxianreise gar nicht verlassen hätten", also sich auch heute noch dort aufhalten müssten. Es werde daher beantragt, die Entschädigung auf 199,80 EUR festzusetzen bzw. den Differenzbetrag in Höhe von 138,20 EUR nachzuzahlen, auf welchen der Taxiunternehmer seit dreieinhalb Jahren immer noch warte.

Das Sozialgericht Landshut half der Beschwerde nicht ab und legte die Akten samt Kostenbeiakte dem Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vor.

Der Beschwerdegegner führte mit Schriftsatz vom 05.12.2006 aus, dass dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 31.08.2006 - S 10 SB 41/02 Ko zunächst von seinem Grundsatz her zuzustimmen sei. Im Rahmen der sog. fiktiven Vergleichsberechnung sei der Entschädigungsantrag auf alle in Frage kommenden Entschädigungsleistungen gerichtet anzusehen (vgl. z.B. Beschluss des BayLSG vom 14.02.2002 - L 16 RJ 609/98. Ko). Unter Berücksichtigung weiterer fiktiver Kosten für insgesamt vier Fahrten mit einem Bus sowie einer allgemeinen Zeitentschädigung für die Beschwerdeführerin selbst ergäbe sich eine Gesamtentschädigung in Höhe von 96,80 EUR, so dass 35,20 EUR nachzuzahlen seien.

Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin erwiderten mit Schriftsatz vom 22.12.2006, dass es hier letztendlich um eine prinzipielle Frage gehe: Bereits vor dem streitigen Termin am 20.03.2003 sei unter Vorlage eines ärztlichen Attestes angefragt worden, ob Taxikosten übernommen würden, da die Beschwerdeführerin mit einem Taxi anreisen müsse. Trotz dieses Attestes sei dies lediglich unter dem Vorbehalt zugesichert worden, dass die bei Gericht anwesende Ärztin dies bestätigen würde. Die Bestätigung sei erfolgt und wurde dann - aus welchen Gründen auch immer - wieder "zurückgenommen": Was sollte die Klägerin unter den gegebenen Umständen eigentlich tun, um zum Gerichtstermin am fraglichen Tag um 9.30 Uhr zu gelangen, wenn sie - und das dürfe als richtig und wahr unterstellt werden - tatsächlich keine Begleitperson zur Verfügung gehabt habe, die mit ihr - mangels Erstattungsanspruch auch noch kostenlos - die Tagesfahrt nach Landshut unternommen hätte. Es helfe dabei keine fiktive Person oder Anrechnung von Kosten, da die Beschwerdeführerin auf eine tatsächliche Hilfsperson auf Grund der Einnahme von morphinhaltigen Tabletten angewiesen gewesen sei und als allein fahrende Person eine Gefahr für sich und andere dargestellt hätte.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 16 Abs.2 Satz 1 ZSEG zulässig, da der Beschwerdewert 50,00 EUR übersteigt. Die Beschwerdeführerin begehrt die Nachzahlung des Differenzbetrages in Höhe von 138,20 EUR zu den tatsächlich zu zahlenden Taxikosten in Höhe von 199,80 EUR.

Der 15. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts ist entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan A (Rechtsprechung) der Kostensenat des BayLSG und damit zuständig für die Entschädigung der Beschwerdeführerin anlässlich der Wahrnehmung des Untersuchungs- und Verhandlungstermins im Sozialgericht Landshut am 20.03.2003.

Entsprechend dem Telefonvermerk des Sozialgerichts Landshut vom 26.02.2003 und den Ausführungen der Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 22.12.2006 ist diese am 20.03.2003 auf eigenes Kostenrisiko mit dem Taxi angereist, weil eine Anreise auf Grund der Schmerztherapie mit morphinhaltigen Tabletten mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur mit einer Begleitperson möglich gewesen wäre, eine solche jedoch nicht zur Verfügung gestanden hat. Die Beschwerdeführerin hat auch gegenüber Dr.L. berichtet, dass eine Begleitperson derzeit nicht zur Verfügung stehe und sie aus diesem Grunde mit dem Taxi angereist sei.

Nachdem weder vor dem Untersuchungs- und Verhandlungstermin vom 20.03.2003 noch nachträglich eine richterliche Genehmigung der An- und Rückreise mit einem Taxi erfolgt ist, ist im Rahmen von § 9 Abs.1 ZSEG entscheidungserheblich, ob die hier wesentlich höheren Fahrtkosten in Höhe von 199,80 EUR wegen "besonderer Umstände" notwendig gewesen sind.

Insoweit ist ungewöhnlich, dass von Dr.L. anfänglich die Notwendigkeit einer Taxibenutzung bejaht, anschließend noch am gleichen Tag mit umfassender Stellungnahme vom 20.03.2003 dies jedoch wieder verneint worden ist: "Auf Grund ihrer Behinderungen ist die Klägerin in der Lage, mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit einer Begleitperson zur Verhandlung anzureisen, wobei die Genehmigung einer Begleitperson bereits als großzügig zu bewerten ist, da sich bei der Untersuchung keinerlei Anzeichen für Schwindel oder Gangunsicherheiten ergaben."

Ausweislich des Gutachtens zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) vom 09.05.2001 ist die Beschwerdeführerin in der Lage, ihren Rheumatologen Dr.E. in Z. mit dem Bus aufzusuchen. Auch Dr.K. hat mit Attest vom 06.03.2003 lediglich bestätigt, dass die Beschwerdeführerin wegen der Einnahme eines Opiat-Analgetikums nicht in der Lage ist, selbst Auto zu fahren oder ohne Begleitperson öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Für die Fahrt nach Landshut ist ein Taxi befürwortet worden. Dies beinhaltet, dass die Benutzung eines Taxis als sachdienlich beziehungsweise nützlich eingestuft worden ist, nicht jedoch als zwingend notwendig. Demzufolge sind die Ausführungen von Dr.L. vom 20.03.2003 auch für den erkennenden Senat schlüssig und überzeugend, wenn sie ihr anfänglich positives Votum hinsichtlich der Notwendigkeit einer Taxibenutzung noch am gleichen Tag korrigiert hat.

Zur Frage der Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin, was diese aus ihrer Sicht denn hätte tun sollen, ist anzumerken, dass eine Verlegung des Untersuchungs- und Verhandlungstermins vom 20.03.2003 hätte beantragt werden können, bis der Beschwerdeführerin wieder eine Begleitperson zur Verfügung gestanden hätte.

Der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 31.08.2006 - S 10 SB 41/02 Ko - ist daher dem Grunde nach zu bestätigen. Im Rahmen der sog. fiktiven Vergleichsberechnung ist der Entschädigungsantrag jedoch auf alle in Frage kommenden Entschädigungsleistungen gerichtet anzusehen (ständige Rechtsprechung des BayLSG, vgl. z.B. Beschluss vom 14.02.2002 - L 16 RJ 609/98. Ko).

Hier hat der Beschwerdegegner mit Schriftsatz vom 05.12.2006 zutreffend darauf hingewiesen, dass nicht nur die Bahnkosten in Höhe von 30,80 EUR x 2 = 61,60 EUR zu berücksichtigen sind, sondern darüber hinaus auch insgesamt vier Fahrten mit dem Bus für die Beschwerdeführerin und die (fiktive) Begleitperson in R. sowie in Landshut hätten angesetzt werden müssen: 1,40 EUR x 4 x 2 = 11,20 EUR.

Nachdem die Beschwerdeführerin von der Wohnung von 6.00 bis 16.30 Uhr abwesend gewesen ist, kommt gemäß § 10 Abs.1 bis 3 ZSEG eine Aufwandsentschädigung von 6,00 EUR sowie eine allgemeine Zeitentschädigung für Kranke und Rentner für sechs Stunden à 2,00 EUR = 12,00 EUR hinzu. - Für die (fiktive) Begleitperson ist lediglich deren (fiktive) Abwesenheit von der Wohnung von ebenfalls 6.00 bis 16.30 Uhr = 6,00 EUR in Ansatz zu bringen. Nachzuzahlen sind daher 35,20 EUR (61,60 EUR + 35,20 EUR = 96,80 EUR).

Nach alledem ist der Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 26.09.2006 nur in dem beschriebenen Umfange stattzugeben gewesen. Dies gilt auch in Berücksichtigung der aktenkundig angespannten finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin.

Dieser Beschluss ist endgültig (§ 16 Abs.2 Satz 4 ZSEG, § 177 SGG); er ergeht kostenfrei (§ 183 SGG).
Rechtskraft
Aus
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