L 7 B 875/06 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 1191/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 B 875/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 2. Oktober 2006 wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 21. Juli 2006 und der Klage gegen diesen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2006 angeordnet.
II. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
III. Dem Beschwerdeführer wird für das Antrags- und Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt G. R. beigeordnet.

Gründe:

I.

Der 1962 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf.) bezieht von der Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Bg.) Arbeitslosengeld (Alg) II. Mit Schreiben vom 27.02.2006 schlug sie dem Bf. eine Arbeitsstelle im Rheumazentrum O. vor, die sie als "Hilfsdienst im Pflegebereich - Ein-Euro-Job-Arbeitsgelegenheit -" bezeichnete. Die Arbeitszeit wurde mit 20 Stunden pro Woche angegeben. Laut Mitteilung des Rheumazentrums vom 21.03.2006 meldete sich der Bf. nicht. Mit weiterem Schreiben vom 22.05.2006 wurde dem Bf. erneut beim Rheumazentrum eine Tätigkeit als "Hilfsarbeiter/in ohne nähere Tätigkeitsangabe" angeboten; auch hierauf stellte sich der Bf. nicht vor.

Zu dem Vermittlungsvorschlag vom 22.05.2006 angehört nahm der Kläger im Schreiben vom 09.07.2006 Bezug auf ein Telefongespräch vom 29.06.2006 und gab an, im Mai keinen Vermittlungsvorschlag erhalten zu haben. Am 10.07.2006 sprach er persönlich bei der Bg. vor.

Diese erließ den Bescheid vom 21.07.2006, mit dem sie für die Zeit vom 01.08. bis 31.10.2006 die Regelleistung um 30 v.H. absenkte und die ursprünglichen Bewilligungsbescheide insoweit aufhob. Die Angebote vom 27.02. und 22.05.2006 seien zumutbar gewesen. Unabhängig davon, ob er den Vorschlag vom 22.05.2006 erhalten habe, sei bereits am 27.02.2006 für die gleiche Arbeitsgelegenheit ein Vermittlungsvorschlag unterbreitet worden, auf den er sich nicht beworben habe mit der Begründung, er sei für diese Stelle nicht qualifiziert.

Hiergegen hat der Bf. Widerspruch eingelegt und beim Sozialgericht München (SG) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Er habe eine abgeschlossene Ausbildung zum Bürokaufmann, es sei ihm nicht zumutbar, reine Hilfsarbeiten zu verrichten. Er sei nicht schriftlich zu dem Vermittlungsvorschlag vom 27.02.2006 und den Folgen der fehlenden Mitwirkung angehört worden.

Während des Antragsverfahrens hat die Bg. mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2006 den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Beschluss vom 02.10.2006 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) abgelehnt. Es bestünden keine rechtlichen Bedenken gegen den Bescheid vom 21.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2006. Gemäß § 10 Sozialgesetzbuch (SGB) II sei dem Bf. grundsätzlich jede Arbeit zumutbar, zu der er körperlich und geistig in der Lage sei. Gemäß § 10 Abs.2 SGB II sei sie nicht deshalb unzumutbar, weil sie der früheren beruflichen Tätigkeit nicht entspreche und im Hinblick auf die Ausbildung als geringerwertig anzusehen sei. Auch der Vortrag des Bf., er leide an einer Hüftarthrose und könne sich deshalb nicht bücken, rechtfertige es nicht, sich für die Tätigkeit nicht zu bewerben; erst in einem Bewerbungsgespräch könne geklärt werden, ob die vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen dazu führten, dass die angebotene Arbeitsgelegenheit nicht zumutbar sei. Es sei unerheblich, dass die schriftliche Anhörung zu dem Vermittlungsangebot vom 22.05.2006 erfolgt sei, da für die Anhörung eine Schriftform nicht erforderlich sei und der Bf. sich zu dem Vermittlungsangebot vom 27.02.2006 bei seiner Vorsprache geäußert habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Bf., der geltend macht, durch das Vermittlungsangebot vom 22.05.2006 sei das Angebot vom 27.02.2006 überholt gewesen und könne eine Sanktion nicht mehr stützen. Im Übrigen sei eine Eingliederungsvereinbarung nicht geschlossen worden. Das Angebot vom 27.02.2006 habe aus gesundheitlichen Gründen nicht angenommen werden können.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Zulässige Beschwerde ist auch sachlich begründet.

Die aufschiebende Wirkung ist gemäß § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzuordnen. Das Interesse des Bf., die Leistungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache ungekürzt zu erhalten, überwiegt das Interesse der Bg., den Kürzungsbescheid bereits vor dieser Entscheidung in der Hauptsache zu vollziehen. Zu berücksichtigen ist, dass die Kürzung der Regelleistung um 30 v.H. einen schwerwiegenden Eingriff darstellt, da der Bf. nicht das für die Bestreitung der Bedarfe im Sinne des § 20 Abs.1 SGB II Erforderliche erhält. Deshalb ist der sofortige Vollzug einer solchen Absenkung nur interessengerecht, wenn keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen.

Der vorliegende Akteninhalt lässt eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 21.07.2006 nicht zu. Voraussetzung für eine Absenkung nach § 31 Abs.1 Satz 1 Nr.1c SGB II ist, dass dem Bf. ein inhaltlich eindeutiges Angebot einer Arbeitsgelegenheit im Sinne des § 16 Abs.3 Satz 1 SGB II unterbreitet worden ist; jedenfalls stützt die Bg. ihren Absenkungsbescheid darauf, dass sie eine solche Arbeitsgelegenheit schaffen wollte. Die Schaffung einer Arbeitsgelegenheit im Sinne des § 16 Abs.3 Satz 1 SGB II beinhaltet den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leistungsempfänger und dem Leistungsträger, hier also zwischen dem Bf. und der Bg. (vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, Rdnrn.209 ff. zu § 16; Schumacher in Oestreicher, SGB XII/SGB II, Rdnrn.70 ff. zu § 16 SGB II). Solches geht aber aus dem Angebot vom 27.02.2006 nicht eindeutig hervor. Ob zuvor zwischen dem Bf. und der Bg. entsprechende aufklärende Gespräche stattgefunden haben, ist aus der vorliegenden Akte nicht ersichtlich. Die Verwendung des Begriffes "Ein-Euro-Job-Arbeitsgelegenheit" spricht andererseits dafür, dass die Bg. mit ihrem Angebot eine Gelegenheit für eine im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeit im Sinne des § 16 Abs.3 Satz 2 SGB II schaffen wollte, für die sie zuzüglich zum Alg II eine Mehraufwandsentschädigung zahlen wollte; gemäß § 16 Abs.3 Satz 2 SGB II begründen diese Arbeiten kein Arbeitsverhältnis. Ob die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Angebot einer solchen Arbeitsgelegenheit vorgelegen haben, ist nicht ersichtlich und im Hauptsacheverfahren zu prüfen, unabhängig davon, ob das Angebot insoweit dem Erfordernis der ausreichenden Klarheit gerecht wird (Rdnr.80 a.a.O.).

Weiterhin ist im Hauptsacheverfahen gegebenenfalls zu klären, ob das Angebot mit einer Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche den einzuhaltenden zeitlichen Begrenzungen gerecht wird (vgl. Schumacher Rdnr.79 a.a.O. einerseits und Eicher Rdnr.227 a.a.O. andererseits).

Angesichts dieser Zweifelsfragen erscheint es interessengerecht, die Absenkung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.

Aus den dargelegten Gründen kann die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche Erfolgsaussicht nicht verneint werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved