L 9 R 4869/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 515/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4869/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Reutlingen vom 31. August 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtlichen Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu er- statten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 1949 geborene Klägerin wurde von Oktober 1968 bis April 1974 zur Lehrerin ausgebildet. Sie war ab Dezember 1975 im Beamtenverhältnis als Gymnasialrätin tätig. Mit Ablauf des 31.10.2004 wurde sie in den Ruhestand versetzt und erhält seit 1.11.2004 Ruhegehalt von brutto 1.779,15 EUR.

Die am 4.3.1971 geschlossene Ehe der Klägerin wurde durch Urteil des Amtsgerichts R. vom 6.10.1992 (rechtskräftig seit dem 24.11.1992) geschieden, wobei der Klägerin im Wege des Versorgungsausgleichs Rentenanwartschaften in Höhe von DM 610,63 monatlich, bezogen auf den 31.3.1992, übertragen wurden, was 14,7353 Entgeltpunkten (EP) entspricht.

Am 16.10.2004 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Mit Bescheid vom 24.11.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin weise in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit auf. Sie habe in ihrem gesamten Versicherungsleben keine Pflichtbeiträge entrichtet. Die auf Grund des Versorgungsausgleichs im Jahr 1992 begründeten Rentenanwartschaften könnten den Pflichtbeiträgen nicht gleichgestellt werden. Sie führten lediglich dazu, dass die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt sei. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7.2.2005 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 23.2.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) R., mit der sie die Gewährung von Erwerbsminderungsrente weiter verfolgte.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.8.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht gegeben. Beiträge, die lediglich auf Grund eines durchgeführten Versorgungsausgleichs übergeleitet worden seien, stellten keine Pflichtbeiträge i. S. v. § 55 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VI dar. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 6.9.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25.9.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie habe die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllt. Im Rahmen des Versorgungsausgleichs seien jahrelang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt worden. Es würde eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bedeuten, wenn die gezahlten Beiträge anders bewertet werden würden als Beiträge von Pflichtversicherten. Im Rahmen des Versorgungsausgleichs sei sie Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung geworden. Sie sei nie darauf hingewiesen worden, dass es sich nicht um Pflichtbeiträge handele. Sie habe auch einen Anspruch auf Grund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Sie habe am 20.11.2004 zum ersten Mal erfahren, dass die von ihr geleisteten Beiträge keine Pflichtbeiträge seien. Die Beklagte habe sie trotz eines konkreten und sich aufdrängenden Anlasses nicht beraten und sie habe deswegen die Gelegenheit verpasst, ihre Rechte aufrechtzuerhalten. Sie legt die Mitteilung der Beklagten vom 22.1.1993 über die Begründung der Rentenanwartschaften durch den Versorgungsausgleich ohne eigene Beitragsentrichtung vor.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. August 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24 November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. November 2004 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, ein Beratungsanlass habe beim Versorgungsausgleich nicht bestanden. Denn irgendwelche durch Ausübung eigener Gestaltungsrechte verbesserungsfähige Rechtspositionen würden beim Versorgungsausgleich nicht erworben.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung scheitert schon daran, dass die Klägerin keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung zurückgelegt hat.

Zwar ist die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs. 1 Nr. 2, SGB VI), obwohl die Klägerin keinen Beitrag zur Rentenversicherung entrichtet hat, auf Grund des Versorgungsausgleichs erfüllt. Dies folgt aus § 52 Abs. 1 SGB VI, wonach im Falle eines zugunsten des Versicherten durchgeführten Versorgungsausgleichs auf die Wartezeit die volle Anzahl von Monaten angerechnet wird, die sich ergibt, wenn die Entgeltpunkte (EP) für übertragene oder begründete Rentenanwartschaften in der allgemeinen Rentenversicherung durch die Zahl 0,0313 geteilt werden. Im Falle der Klägerin ergeben sich hieraus 471 Monate. Diese Anzahl von Monaten ist jedoch nur zu berücksichtigen, soweit sie die Anzahl der Ehemonate nicht übersteigt. Die Ehezeit der Klägerin betrug 253 Monate, sodass 253 Monate auf die Wartezeit anzurechnen sind.

Dagegen fehlt es an der dreijährigen Entrichtung von Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 SGB VI), der so genannten Drei-Fünftel-Belegung. Auch Pflichtbeiträge i. S. v. § 55 Abs. 2 SGB VI sind nicht vorhanden. Die im Wege des Versorgungsausgleichs übertragenen Rentenanwartschaften sind keine mit Pflichtbeiträgen "für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" belegte Zeiten". Da schon die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht gegeben sind, kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin i. S. v. § 43 SGB VI erwerbsgemindert ist.

Die Neuregelung der Zugangsvoraussetzungen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 im Sinne einer Verschärfung verfolgt das Ziel, die Lohnersatzfunktion dieser Rente zu stärken, d. h. die Leistungen auf solche Versicherte zu beschränken, die bis zum Eintritt des Versicherungsfalles durch mit Beiträgen belegte Zeiten "für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" persönlich eine ausreichende enge Beziehung zum Kreis der pflichtversicherten Arbeitnehmer oder Selbstständigen geschaffen haben. Diese vom Gesetz geforderte enge Beziehung zum Personenkreis der Pflichtversicherten ist aber nicht hergestellt, wenn und soweit Rentenanwartschaften des geschiedenen Ehegatten im Wege des Versorgungsausgleichs übertragen werden, selbst wenn bei den ausgleichspflichtigen Ehegatten Pflichtbeiträge zugrunde liegen. Die in § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 2 SGB VI vorausgesetzten Pflichtbeiträge muss der Versicherte selbst geleistet haben, was bei der Klägerin nicht der Fall ist. Die Übertragung oder Begründung von Rentenanwartschaften im Wege des Versorgungsausgleichs ist hierfür nicht ausreichend. Die beschränkte Wirkung der Übertragung bzw. Begründung von Rentenanwartschaften im Wege des Versorgungsausgleichs verletzt nicht den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und begegnet auch sonst keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BSGE 65, 107 ff m. w. N. und unter Hinweis auf BVerfGE 53, 257, 305; BSG, Urt. vom 19.4.1990 - 1 RA 63/69 - und vom 29.11.1990 - 5 RJ 9/90 in JURIS).

Die Klägerin kann die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch nicht mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfüllen. Der von der Rechtsprechung entwickelte Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenen Pflichten, insbesondere zur Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Die gesetzliche Grundlage der Beratungspflicht ist § 14 Satz 1 SGB I. Danach hat jeder Anspruch auf Beratung und Belehrung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz. Die Versicherungsträger sind gehalten, die Versicherten bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem Verständigen mutmaßlich genutzt werden (BSG SozR 3-5750 Art. 2 § 6 Nr. 7 ff m. w. N.).

Die Beklagte hat jedoch keinerlei Beratungspflichten verletzt. Die Klägerin hätte nämlich nur dann die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllen können, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre versicherungspflichtig tätig geworden wäre, was ihr angesichts ihrer Beschäftigung als Beamtin gar nicht möglich gewesen wäre. Irgendwelche Gestaltungsmöglichkeiten, auf die die Beklagte hätte hinweisen können und die im Einklang mit dem Gesetz gestanden hätten, lagen gar nicht vor.

Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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