L 4 B 955/06 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 32 KR 1268/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 955/06 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 20. November 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, die bei der Antragsgegnerin seit 15.05.1968 Mitglied ist, ist als hauptberuflich Selbstständige (Handelsvertretung für Sportartikel) in die Versicherungsklasse F11 0 eingestuft und entrichtete im Jahr 2002 Beiträge auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze.

Auf den Antrag ihrer Steuerberaterin vom 04.06.2004 auf Neufeststellung der Beiträge ab Januar 2003 im Anschluss an Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheide erließ die Antragsgegnerin am 28.06.2004 Einstufungsbescheide für Selbständige über eine einkommensbezogene Einstufung unter Vorbehalt, wobei die Antragsgegnerin und deren Pflegekasse die Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.01.2002 bzw. 01.01.2004 anhand der angegebenen beitragspflichtigen Einnahmen und der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage berechnete (monatlicher Beitrag in der Krankenversicherung ab 01.01.2003 255,26 Euro, ab 01.01.2004 249,96 Euro; monatlicher Beitrag in der Pflegeversicherung ab 01.01.2003 30,34 Euro, ab 01.01. 2004 30,80 Euro).

Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheids von 27.05.2005, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 25.07.2005, erließen die Antragsgegnerin und deren Pflegekasse am 27.07.2005 weitere Beitragsbescheide für die Zeit ab 01.01.2003 nach den im Einkommensteuerbescheid nachgewiesenen Einnahmen, mit denen die Antragsgegnerin monatlich 299,98 Euro und die Pflegekasse 35,66 Euro Beiträge sowie einen Beitragsrückstand in Höhe von 1.589,12 Euro geltend machte.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch vom 16.08.2005 forderte die Steuerberaterin der Antragstellerin die Berücksichtigung der im Einkommensteuerbescheid nachgewiesenen negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und damit eine günstigere Beitragseinstufung. Die Antragsgegnerin lehnte mit den schriftlichen Erläuterungen vom 22.08.2005 und 04.11.2005 unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Berücksichtigung des geltend gemachten horizontalen Verlustausgleichs ab.

Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 12.07.2006, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 24.07.2006, hatte die Klägerin wieder Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen und negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung versteuert. Daraufhin erließen die Antragsgegnerin und die Pflegekasse am 22.09.2006 Beitragsbescheide für die Zeit vom 01.01.2004 bis über den 01.01.2006 hinaus auf der Grundlage der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung (Monatsbeitrag zur Krankenversicherung ab 01.01.2004 481,28 Euro, ab 01.01.2005 486,46 Euro, ab 01.01.2006 491,62 Euro; Monatsbeitrag zur Pflegeversicherung ab 01.01.2004 59,28 Euro, 01.01.2005 59,92 Euro und ab 01.01.2006 60,56 Euro). Außerdem forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin die Zahlung der rückständigen Beiträge in Höhe von 10.612,40 Euro und bot ihr wieder Ratenzahlung an.

Auch hiergegen legte die Antragstellerin am 09.10.2006 Widerspruch ein und beantragte außerdem die Aussetzung der Vollziehung; ferner erhob sie am 16.10.2006 beim Sozialgericht München (SG) Untätigkeitsklage.

Am 23.10.2006 hat sie beim SG beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.07.2005 und die Änderungsbescheide vom 04.11.2005 und 22.09.2006 mit der Maßgabe anzuordnen, dass sie lediglich die Hälfte der in den Beitragsbescheiden ausgewiesenen Beiträge für die freiwillige Krankenversicherung und für die Pflegeversicherung zu zahlen hat. Das SG hat mit Beschluss vom 20.11.2006 im Verfahren gegen die Antragsgegnerin den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung bestünden nicht, die Vollziehung der Beitragsbescheide stelle für die Antragstellerin keine unbillige Härte dar.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 28.11.2006. Sie habe gegenüber der Antragsgegnerin Anspruch auf Berechnung der Beiträge auch unter Berücksichtigung der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (horizontaler Verlustausgleich) sowie auf Anpassung der Beiträge aufgrund der nachlassenden Einkommensentwicklung. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 14.12.2006 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch gegen die Bescheide vom 27.07.2005 und 22.09.2006 zurückgewiesen und die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Die Pflegekasse bei der Antragsgegnerin hat mit dem Widerspruchsbescheid vom gleichen Tag den Widerspruch ebenfalls zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Akten des SG und der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber unbegründet.

Streitig ist hier allein der vorläufige Rechtsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage, - wie hier - keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG regelt, dass die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über die Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt. Die Aussetzung der Vollziehung nach § 86a Abs. 2 S. 2 SGG soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Es ist hier die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bzw. die Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren sowie das Dringlichkeitsinteresse zu prüfen. Bei der Interessenabwägung ist das öffentliche Interesse an der Beitreibung der Beitragsschulden mit dem privaten Interesse des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen.

Der Senat hat aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen und pauschalen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzungen der gesetzlichen Krankenversicherung der Antragstellerin.

Gemäß § 240 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) wird für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung durch die Satzung geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Nach § 240 Abs. 2 SGB V muss die Satzung der Krankenkasse mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen sind. § 240 Abs. 4 SGB V schreibt vor, dass als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße gilt. Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der 40. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Diesen gesetzlichen Vorgaben trägt die Satzungsvorschrift der Antragsgegnerin Rechnung.

Die Antragsgegnerin war verfahrensrechtlich nicht gehindert, die Beitragsfestsetzung im Bescheid vom 28.06.2004 zu ändern, die Beiträge zur Krankenversicherung anhand der Einkünfte aus dem Steuerbescheid für das Jahr 2003 bzw. der Beitragsbemessungsgrundlage neu zu berechnen und in den Bescheiden vom 27.07.2005 und 22.09.2006 höhere Beiträge für die Jahre 2003 und 2004 und darüber hinaus zu fordern. Denn die Beitragsbescheide vom 28.06.2004 enthielten eine einkommensbezogene Einstufung unter Vorbehalt. Voraussetzung für die einkommensbezogene Einstufung ist, dass die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit durch einen Einkommensteuerbescheid nachgewiesen werden, dieser Nachweis lag am 28.06.2004 für das Jahr 2003 noch nicht vor. Gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch X (SGB X) darf ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßen Ermessen mit einem Widerrufsvorbehalt erlassen oder verbunden werden. Dies bedeutet, dass die Krankenkasse sich vorbehalten kann, den Bescheid unter den angegebenen oder sich aus dem Gesetz ergebenden Gründen zu widerrufen. Durch den Widerrufsvorbehalt wird die Bindungswirkung des Bescheides eingeschränkt. Er führt dazu, dass bei der auf ihn gestützten Rücknahme eines Bescheides Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht zu berücksichtigen sind.

Mit der Regelung des § 240 Abs. 1 SGB V, wonach die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen muss, wird erreicht, dass auch das Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) bei der Beitragsberechnung erfasst wird. Danach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Hierzu rechnen die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit. Ein wesentliches Kriterium für diese Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit ist, dass die hieraus erzielten Gewinne steuerrechtlich entweder durch Bilanzierung oder Überschussrechnung ermittelt werden (§ 4 Abs. 1, 3 Einkommensteuergesetz). Der von der Antragstellerin geltend gemachte vertikale Verlustausgleich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Kapitalvermögen mit den negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ist nicht zulässig. Postive und negative Einkünfte innerhalb einer Einkunftsart sind zu verrechnen (horizontaler Verlustausgleich). Werden mehrere selbständige Tätigkeiten (Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständige Arbeit) ausgeübt, sind bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens Verluste aus einzelnen dieser Tätigkeiten mit den in anderen dieser Tätigkeiten erzielten Gewinnen auszugleichen. Dieser vertikale Verlustausgleich erfolgt aber nur innerhalb der beim Arbeitseinkommen zu berücksichtigenden Einkunftsarten nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 bis 2 Einkommensteuergesetz, weil nur diese zum sozialversicherungsrechtlichen Begriff des Arbeitseinkommens zählen (ständige Rechtsprechung des BSG, z. B. BSG vom 16.05.2001 BSGE 88, 117).

Es bestehen auch insoweit keine Bedenken gegen die angegriffenen Beitragsbescheide, als die Antragsgegnerin die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage heranzieht bzw. sich auf die in den Einkommensteuerbescheiden nachgewiesenen Einkünfte stützt. Denn aus § 15 Abs. 1 S. 2 SGB IV, wonach Einkommen als Arbeitseinkommen zu werten ist, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist, ergibt sich, dass den Entscheidungen der Finanzbehörden und -gerichte eine Feststellungswirkung beizumessen ist. Die Regelung soll der Verwaltung der Vereinfachung dienen und es dem zuständigen Versicherungsträger erlauben, den steuerlichen Gewinn unverändert aus dem Steuerbescheid des Selbständigen zu entnehmen. Gemäß § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V erfolgt die Beitragseinstufung für hauptberuflich selbständig Erwerbstätige, wie hier für die Antragstellerin, grundsätzlich nach der Beitragsbemessungsgrenze. Veränderungen der Beitragsbemessung auf eines vom Versicherten geführten Nachweises von niederigeren Einnahmen könne nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden (§ 240 Abs. 4 S. 3 SGB V). Es ist auch rechtmäßig, dass bei der Beitragsbemessung anhand von Steuerbescheiden die jeweils vorhandenen neuesten Steuerunterlagen herangezogen werden. Die darauf aufbauende Beitragsberechnung ist bis zu einer neuen, wieder nur für die Zukunft wirkenden Bestimmung des Einkommens aufgrund später Unterlagen rechtmäßig.

Gründe für das Vorliegen eine unbilligen Härte sind weder glaubhaft gemacht worden, noch den Akten zu entnehmen. Damit ist das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der Beitreibung der Beiträge gegenüber den wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin vorrangig.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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