L 11 B 977/06 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SO 104/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 977/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9b SO 4/07 S
Datum
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 07.12.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Ast) bezog seit 01.01.2003 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem GSiG und ab dem 01.01.2005 nach dem SGB XII.

Mit Bescheid vom 22.04.2005 nahm die Antragsgegnerin (Ag) die Bewilligungsbescheide für die Zeiträume vom 01.11.2003 bis 28.02.2005 teilweise zurück, weil die Ast verschwiegen hatte, dass sie seit 27.10.2003 mit ihrer Tochter zusammenwohnt, und forderte überzahlte Leistungen in Höhe von 932,54 EUR zurück. Den Bescheid griff die Ast nicht mit Rechtsmitteln an.

Da die Ast den Betrag nicht zurückerstattete erklärte die Ag mit Schreiben vom 05.07.2005 gegenüber der Ast, dass sie die ausstehende Forderung in Höhe von 50,00 EUR monatlich mit dem (laufenden) Leistungsanspruch aufrechnen werde.

In der Folgezeit behielt die Ag ab dem 01.08.2005 monatlich 50,00 EUR zur Tilgung der Forderung ein.

Nach dem Fortzahlungsantrag vom 15.05.2006 bewilligte die Ag der Ast weiterhin Leistungen (Bescheide vom 17.05.2006 (zur Post gegeben am 17.05.2006) und 07.09.2006 (zur Post gegeben am 08.09.2006)) für die Zeit vom 01.07.2006 bis 30.11.2007. Für die Zeit ab dem 01.10.2006 bewilligte die Ag einen monatlichen Betrag von 443,64 EUR. Dieser wurde in Höhe von 251,60 EUR direkt an den Vermieter der Ast überwiesen, 50,00 EUR behielt die Ag zur Tilgung der Forderung weiterhin ein und ein Betrag von 142,04 EUR wurde an die Ast ausgezahlt.

Mit Widerspruch vom 14.11.2006 machte die Ast gegenüber der Ag geltend, dass die in den Bescheiden ausgewiesenen 50,00 EUR nicht überwiesen worden wären und sie lediglich 143,01 EUR bzw. ab 01.10.2006 nur noch 142,04 EUR monatlich erhalten habe.

Am gleichen Tag beantragte die Tochter der Ast den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, der Ast möge ein Betrag ausgezahlt werden, der zum Leben reiche, da dies mit dem Auszahlungsbetrag von 142,04 EUR nicht möglich wäre.

Diesen Antrag lehnte das Sozialgericht Würzburg (SG) mit Beschluss vom 07.12.2006 ab, weil weder ein Anordnungsanspruch, noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sei. Entgegen der Darstellung der Ast bewilligte die Ag mehr als 142,04 EUR monatlich, da die Mietkosten in voller Höhe direkt an den Vermieter überwiesen würden und 50,00 EUR zur Begleichung der noch offenen Forderung einbehalten würden. Auch sei die Angelegenheit nicht eilbedürftig, da die Aufrechnung seitens der Ag seit August 2005 vorgenommen würde und die Ast bisher keinen Anlass gesehen habe, dies zu beanstanden. Darüber hinaus sei die Forderung mit der Aufrechnung im Februar 2007 getilgt.

Gegen diesen Beschluss hat die Ast am 12.12.2006 Beschwerde beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt und erneut vorgebracht, sie könne von 142,04 EUR monatlich nicht leben. Es sei erforderlich, dass die Aufrechnung sofort eingestellt werde, da sie gesundheitliche Probleme habe. Auch sei ihr nicht klar, aus welchen Gründen die Ag 1.634,00 EUR einbehalte, obgleich sie lediglich eine Überzahlung von 932,54 EUR zu begleichen habe.

Die Ag hat dem entgegen gehalten, dass sie im Hinblick auf die Situation der Ast eine Aufrechnung in Höhe von 50,00 EUR als zumutbar erachte. Des Weiteren habe man bisher wunschgemäß die Gesamtmiete aus dem Regelsatz der Ast an den Vermieter überwiesen. Ab dem 01.02.2007 würde man, in Absprache mit der für die Tochter der Ag zuständigen ARGE, lediglich den hälftigen Mietanteil aus dem Regelsatz der Ast an den Vermieter überweisen. Für den Monat Februar 2007 behielte man auch nur noch 32,54 EUR im Rahmen der Aufrechnung ein, so dass ab dem 01.03.2007 ohnehin der zustehende Regelsatz an die Ast erbracht würde.

Mit Bescheid vom 27.12.2006 bewilligte die Ag der Ast für die Zeit ab dem 01.02.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 447,80 EUR. Hiervon wurde zur Zahlung an die Ast ein Betrag von 290,46 EUR angewiesen, der hälftige Mietanteil (124,80 EUR) wurde direkt an den Vermieter der Ast ausbezahlt und die Aufrechnung der Restforderung erfolgte in Höhe von 32,54 EUR für den Monat Februar 2007.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 SGG. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, § 174 SGG. Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als nicht begründet.

Nachdem das Vorbringen der Ast ungeordnet und stellenweise nicht nachvollziehbar ist, und auch eine Nachfrage bei der Ast keine Klarstellung ermöglichte, ist das Gericht gehalten das Antragsziel durch Auslegung des bisherigen Vortrages zu ermitteln.

Die Ast macht geltend, dass die von der Ag durchgeführte Aufrechnung zu Unrecht erfolge und der Forderungsbetrag bereits getilgt sei. Die Ag habe lediglich Anspruch auf einen Betrag von 932,54 EUR, wohingegen bereits 1.634,00 EUR einbehalten worden wären. Die Forderung gegenüber der Ag, einen Betrag von mehr als 142,04 EUR auszuzahlen, da man hiervon nicht leben könne, ist daher dahingehend zu verstehen, dass die Aufrechnung beendet werden soll, da nicht die Höhe des Leistungssatzes an sich in Frage gestellt wird. Allein der Hinweis auf ihre gesundheitlichen Einschränkungen kann auch nicht zwingend dahingehend verstanden werden, dass ein Mehrbedarf geltend gemacht wird, zumal sich die Ast nur ausdrücklich gegen die Aufrechnung wendet und auch in der Vergangenheit zu keiner Zeit einen gesundheitlich bedingten Mehraufwand gegenüber der Ag geltend gemacht hat.

Der Hinweis auf die gesundheitliche Gefährdung ist daher als Einwand iS des § 26 Abs 4 SGB XII zu verstehen, dass eine Aufrechnung nicht erfolgen soll, soweit dadurch der Gesundheit dienende Leistungen gefährdet werden.

Nachdem eine Aufrechnung - wie in § 26 SGB XII geregelt - keinen Verwaltungsakt darstellt, solange sie nicht in dieser Form erklärt wird (vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink Kommentrar zum SGB II § 39 RdNr 15 mwN), ist sie lediglich als ein unselbständiges Berechnungselement der Leistungsbewilligung anzusehen, das nicht gesondert angefochten werden kann. Soweit daher eine Aufrechnung im Rahmen einer bewilligten Leistung Berücksichtigung findet, ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungs- klage zutreffende Klageart, um die ungeschmälerten Leistungen zu erhalten.

Da die Ag die streitgegenständliche Aufrechnung ab 01.12.2005 in ihren Leistungsbewilligungsbescheiden vom 15.11.2005, 17.05.2006 und 07.09.2006 lediglich im Rahmen einer Abrechnung berücksichtigt, ist im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).

Soweit die Ast geltend macht die Aufrechnung ab August 2005 bis heute sei in unzutreffender Weise erfolgt und die Ag habe zuviel Geld einbehalten, das ihr nun auszuzahlen sei, hat sie einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Ist die Sache zu diesem Zeitpunkt nicht im o.g. Sinne dringlich, so kann eine einstweilige Anordnung nicht ergehen.

Es ist es ständige Rechtsprechung des Senates, dass vorläufige Regelungen von Leistungsansprüchen, die abgelaufene Zeiträume betreffen, regelmäßig nicht mehr nötig sind, um wesentliche Nachteile abzuwenden (BayLSG Beschluss vom 02.03.2005 - L 11 B 51/05 SO ER), und es sind vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ein Abweichen hiervon geboten erscheinen lassen.

Die Ag hat mitgeteilt, dass die letzte Rate der Forderung in Höhe von 32,54 EUR mit der Auszahlung der Leistungen für den Monat Februar 2007 berücksichtigt wird, so dass der Ast zukünftig der volle Regelsatz wieder ungeschmälert zur Verfügung steht.

Nachdem die Ast somit nur eine Überprüfung der in der Vergangenheit liegenden Leistungsbewilligung geltend machen kann, und keine Gründe dargelegt worden sind, dass ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar wäre, ergeben sich keine Anhaltspunkte, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, die Leistungsbewilligung für die Vergangenheit bereits im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu Gunsten der Ast zu korrigieren.

Des Weiteren ist - soweit die Ast die Einbehaltung von Leistungen über die Forderung von 932,54 EUR hinaus in Höhe von 1.634,00 EUR bemängelt - auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ausweislich der Akten der Ag hat diese in der Zeit vom 01.08.2005 bis 31.01.2007, d.h. für 18 Monate, jeweils 50,00 EUR monatlich von den an die Ast zu erbringenden Leistungen einbehalten, so dass sich für diesen Zeitraum ein Betrag von 900,00 EUR errechnet. Mit der Aufrechnung im Februar 2007 (32,54 EUR) ist der gesamte Forderungsbetrag von 932,54 EUR getilgt, worauf die Ag bereits hingewiesen hat. Darüber hinaus sind - nach Lage der Akten - weitere Einbehaltungen der Ag nicht ersichtlich, und die Ast hat - trotz gerichtlicher Aufforderung vom 26.01.2007 - den von ihr geltend gemachten Forderungsbetrag nicht nachvollziehbar dargelegt.

Nachdem die Beschwerde zurückzuweisen ist, hat die Ast keinen Anspruch auf die Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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