L 24 KR 1218/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 146/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KR 1218/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 02. November 2005 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um mehrere Forderungen des Klägers, der bei der Beklagten krankenversichert ist.

Der Kläger wendet sich zunächst gegen mehrere Vorschriften des am 01. Januar 2004 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG). Seiner Meinung nach verletzen ihn die Vorschriften des GMG in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 14 und 20 Abs.2 Grundgesetz (GG).

Er sei chronisch erkrankt und schwerstbehindert und beziehe Arbeitslosenhilfe, weshalb es ihm nicht möglich sei, die durch die gesetzlichen Änderungen entstandenen Zahlungsverpflichtungen für die Praxis- und Rezeptgebühr zur erfüllen. Er sei seit vielen Jahren aufgrund seiner chronischen Erkrankung zuzahlungsbefreit gewesen. Die Zuzahlungsfreiheit sei nun suspendiert worden. Sie stehe ihm jedoch auch weiterhin zu, weil sie durch die jahrelange Praxis Gewohnheitsrecht geworden sei und ihm nun nicht ohne weiteres aberkannt werden könne.

Der Kläger hat mit Schreiben an die Beklagte vom 29. Dezember 2004 die Ansicht vertreten, die Beklagte habe ihm eine von den gesetzlichen Bestimmungen unabhängige Zuzahlungsbefreiung zu gewähren, ihm die Praxisgebühr mindestens hälftig zu erstatten sowie die Beitragssätze um 9 % zu senken. Weiterhin wende er sich gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ab dem 01. Januar 2006. Er befürchte, dass die auf der Karte gespeicherten empfindlichen medizinischen und persönlichen Daten Unbefugten zugänglich gemacht würden, hierin liege ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht.

Das Begehren auf sofortige Zuzahlungsbefreiung hat die Beklagte mit Schreiben vom 16. Januar 2004 abgelehnt.

Der Kläger hat am 22. Januar 2004 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat dem Vorbringen des Klägers den Antrag entnommen,

den Bescheid vom 16. Januar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2004 sowie den Bescheid vom 09. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine von den gesetzlichen Bestimmungen unabhängige Zuzahlungsbefreiung zu erteilen, die Praxisgebühr mindestens hälftig zu erstatten, die Beitragssätze um 9 % zu senken sowie die vorgesehene Speicherung auf der neuen Versichertenkarte zu unterlassen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, im Hinblick auf die Beitragssenkung um 9 % und die hälftige Erstattung der Praxisgebühr sei die Klage unzulässig, weil die Anträge erstmals mit der Klage geltend gemacht worden seien und die Beklagte noch nicht im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens darüber entschieden habe. Darüber hinaus leiste der Kläger als Arbeitslosenhilfeempfänger gar keine eigenen Beiträge und sei insoweit auch nicht beschwert.

Hinsichtlich der Zuzahlung sei auf den Widerspruchsbescheid vom 10. März 2004 und hinsichtlich der Speicherung von Patientendaten auf der elektronischen Gesundheitskarte auf den ebenfalls nach Klageerhebung erlassenen Widerspruchsbescheid vom 23. April 2004 zu verweisen.

Den während des erstinstanzlichen Verfahrens gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 23. März 2004 wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt. Mit Beschluss vom 02. Juli 2004 hat das Landessozialgericht Berlin die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 02. November 2005 als zum Teil unzulässig, zum Teil unbegründet abgewiesen. In seiner Begründung hat sich das Gericht im Wesentlichen dem Vorbringen der Beklagten angeschlossen.

Hinsichtlich der hälftigen Erstattung der Praxisgebühr und der Beitragssenkung sei die Klage mangels eines durchgeführten Verwaltungsverfahrens unzulässig. Im Sozialgerichtsverfahren gebe es keine abstrakte Normenkontrolle. Rechtsschutz bestehe daher nicht gegen bestimmte Rechtsnormen, sondern nur gegen Einzelakte der Verwaltung aufgrund dieser Normen. Hieran fehle es vorliegend.

Hinsichtlich der Speicherung von personengebundenen Daten auf der elektronischen Gesundheitskarte fehle dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis, da das Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten mittels der elektronischen Gesundheitskarte nur mit dem Einverständnis des Versicherten zulässig sei (vgl. § 292 a Abs. 3 und 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch SGB V ).

Hinsichtlich der Zahlungsneuregelungen sei die Klage unbegründet. Die Zuzahlungsbefreiung im Zeitraum vom 11. Januar 2003 bis 10. Januar 2004 sei durch Zeitablauf erledigt, so dass der Kläger hieraus eine Rechte herleiten könne.

Gegen den seinem damaligen Prozessbevollmächtigten am 16. November 2005 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. Dezember 2005 eingelegte Berufung des Klägers, in der er sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und vertieft. Seiner Auffassung nach sei die Klage in der ersten Instanz nicht als teilweise unzulässig abzuweisen gewesen, weil die Beklagte nicht der öffentlichen Verwaltung zuzurechnen sei und ein Verwaltungsverfahren vor Erhebung der Klage aus diesem Grunde nicht erforderlich gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

1. unter Änderung des Gerichtsbescheids festzustellen Art. 1 Nummern 4 a aa), cc); 15 b; 18 b; 20 b bb); 23 d, e bb); 28 b; 29; 38, 39; 40 (zu § 62 Abs. 1 SGB V); 49; 145; 149, 162 (zu § 291 a NF. SGB V = 2 Nrn. + 2, 3 Nr. 1 6, 5) und Art. 4 GMG verletzen den Kläger in seinen Rechten auf allgemeine Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG), Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 4 GG).

2. zu entscheiden Insofern wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine von den gesetzlichen Bestimmungen unabhängige Zuzahlungsbefreiung zu erteilen, ihm die Quartals-gebühren mindest hälftig zu erstatten und zu erklären, dass die vorgesehene Speicherung auf der neuen Versichertenkarte unterbleibt, ferner die Beitragssätze auf 9,0 % zu senken.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Revision wird zugelassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Den mit der Berufungsbegründung verbundenen Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 17. März 2006 mit der Begründung abgelehnt, die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Erfolgsaussicht.

Gegen diesen Beschluss sowie gegen weitere Beschlüsse des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg und den Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg hat der Kläger Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin eingelegt. Dieser verwarf die Verfassungsbeschwerden am 27. Juni 2006.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide vom 16. Januar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2004 sowie vom 09. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2004 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Hinsichtlich der Beitragssatzsenkung um 9 % sowie der hälftigen Erstattung der Praxisgebühr wird dem Sozialgericht im Ergebnis darin zugestimmt, dass die Klage insoweit unzulässig ist. Denn der Kläger hat kein individuelles Recht auf Festsetzung der Beitragssätze. Es gibt keine Norm, die ein solches Recht dem Mitglied gewährt. Dies ist vielmehr Aufgabe der Organe der Selbstverwaltung und der Aufsichtsbehörden.

Ergänzend sei hinzugefügt, dass der Kläger irrt, wenn er behauptet, für seine Begehren seien vorherige Verwaltungsverfahren nicht erforderlich, weil die Beklagte nicht öffentlich-rechtlich tätig werden könne. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Krankenkasse. Krankenkassen sind gemäß § 4 Abs. 1 SGB V rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung und unterliegen damit den Verfahrensvorschriften des SGG, das für Klagen aus dem Versicherungsverhältnis in §78 Abs. 1 die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens vor Erhebung der Klage vorschreibt, ohne dass in Bezug auf die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche eine Ausnahme geregelt wäre.

Darüber hinaus ist eine gesetzliche Grundlage für die Forderung des Klägers nach einer Senkung seiner Beiträge um 9 % nicht ersichtlich. Unabhängig davon fehlt dem Kläger jedoch das Rechtsschutzbedürfnis, weil er als Empfänger von Arbeitslosenhilfe nicht selbst für diese Kosten aufkommen muss und insoweit nicht beschwert ist. Die Klage ist daher insoweit unzulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt dem Kläger des Weiteren auch hinsichtlich seiner Forderung auf Unterlassung der Speicherung personenbezogener Daten auf der elektronischen Gesundheitskarte. Es wurde ihm gegenüber bereits mehrfach von der Beklagten, dem Sozialgericht Berlin und dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg klargestellt, dass gemäß § 291 a Abs. 3 und 5 SGB V das Erheben, Verarbeiten und Nutzen der Daten mittels der elektronischen Gesundheitskarte nur mit dem Einverständnis der Versicherten zulässig ist. Erteilt der Kläger sein Einverständnis nicht, ist er also von der Regelung nicht betroffen.

Hinsichtlich der Daten nach § 291 Abs. 2 SGB V ist ein Fehler der Beklagten nicht ersichtlich. Die Speicherung der dort genannten personenbezogenen Daten entspricht dem Gesetz und der Senat sieht insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere werden Grundrechte des Klägers nicht dadurch verletzt, dass sein Name, Geburtsdatum, Geschlecht, Anschrift, Krankenversicherungsnummer, Versichertenstatus, Zuzahlungsstatus sowie Beginn und ggf. Endzeitpunkt des Versicherungsschutzes auf der Versicherungskarte gespeichert werden. Allein die abstrakte Angst des Klägers vor Einblicken Unbefugter in seine Daten begründet daher kein Rechtsschutzbedürfnis.

Hinsichtlich der Zuzahlungsneuregelungen weist der Senat zusätzlich darauf hin, dass es ihm nicht möglich wäre, die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen, denn auch er ist an die gesetzlichen Vorgaben gebunden.

Unabhängig davon erscheint der vom Kläger als Zuzahlung zu leistende Höchstbetrag nicht so unzumutbar hoch, dass eine Verletzung von Grundrechten insoweit ernsthaft in Betracht käme. Die Beklagte hat seine Belastungsgrenze im Schreiben an den Kläger vom 04. November 2005 für 2006 mit 41,40 EUR beziffert. Nach eigenen Angaben erhält der Kläger seit dem 01. Januar 2004 monatlich 345,00 EUR Grundsicherung und 201,00 EUR für seine Mietkosten. Selbst wenn er aufgrund von Arztbesuchen und Medikamentenkosten die für ihn individuell errechnete jährliche Belastungsgrenze erreichen würde, brauchte er danach nichts mehr zu zahlen, so dass eine anfängliche Mehrbelastung kompensiert wäre. Die Zahlungen erscheinen insgesamt jedenfalls nicht so ungerechtfertigt hoch, dass der Kläger aufgrund dessen kein "menschenwürdiges Leben" mehr zu führen in der Lage ist (Art. 1 GG) oder er dadurch "in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit" (Art. 2 GG) gehindert wäre. Es ist kein weiteres Grundrecht ersichtlich, welches in diesem Zusammenhang verletzt sein könnte.

Wie das Sozialgericht Berlin zutreffend festgestellt hat, kann der Kläger aus der ihm erteilten Zuzahlungsbefreiung für die Zeit vom 11. Januar 2003 bis 10. Januar 2004 keine Rechte herleiten, weil sich diese Befreiung durch Zeitablauf erledigt hat. Ein fortlaufender, "gewohnheitsrechtlicher" Anspruch kommt nicht in Betracht.

Hinsichtlich der Forderung nach einer von den gesetzlichen Bestimmungen unabhängigen Zuzahlungsbefreiung ist die Klage daher unbegründet.

Aus den genannten Gründen war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind, zurückzuweisen.

Der Kläger ist im Erörterungstermin darauf hingewiesen worden, dass die Berufung wie ihm auch aus dem PKH Beschluss und der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin bekannt war aussichtslos ist und Verschuldenskosten verhängt werden würden, wenn eine mündliche Verhandlung notwendig wird.

Der Senat hat von der nach § 192 SGG gegebenen Möglichkeit letztlich keinen Gebrauch gemacht. Zwar ist bei der vorliegend eindeutigen Rechtslage, die dem Kläger mehrfach dargelegt wurde, die Fortsetzung des Rechtsstreits durch ihn schlicht unverständlich. Er mag zwar eine bestimmte Meinung zu den rechtlichen Regelungen haben, es ist aber nicht nachvollziehbar, dass er hierfür das grundsätzlich gebührenfreie sozialgerichtliche Verfahren missbraucht. Der Kläger, der sich nach seinen Schriftsätzen intensiv mit Literatur und Rechtsprechung befasst hat, muss nach Kenntnisnahme von den zahlreichen in dieser Angelegenheit gegen ihn ergangenen Entscheidungen einfach einsehen, dass er hier ein Verfahren führt, welches nicht zu seinen Gunsten ausgehen kann. Wer ein Verfahren unter diesen Voraussetzungen fortführt, obwohl ihm dies seitens des Gerichts nochmals dargelegt wurde, handelt missbräuchlich und erfüllt damit die Voraussetzungen, unter denen nach § 192 I Satz 2 SGG als Verschuldenskosten mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG aufzuerlegen wäre, vorliegend also für das Verfahren vor dem Landessozialgericht 225,00 EUR. Dennoch sieht der Senat im Rahmen seines Ermessens von der Verhängung derartiger Verschuldenskosten ab, da deren Beitreibung wegen der nach dem PKH Verfahren geringen Einkünfte des Klägers aussichtslos sein dürfte und lediglich weitere Kosten verursachen würde.

Die Revision wird nicht zugelassen weil die dafür erforderliche Voraussetzung (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung) gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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