Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KR 717/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 78/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Art. 3 Nr. 6 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I 4621), also die Einführung der Privilegierung des § 240 Abs. 4 Satz 2 letzter Halbsatz SGB V, ist verfassungsgemäß.
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der vom Kläger für seine freiwillige Krankenversicherung bei der Beklagten und bei der beigeladenen Pflegekasse der Beklagten zu zahlenden Versicherungsbeiträge. Der Kläger ist seit August 2000 bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Seit 1. Mai 2003 ist er als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Die Monate zuvor war er arbeitslos ohne Ansprüche auf Geldersatzleistungen. Mit Schreiben vom 12. Mai 2003 reichte der Kläger der Beklagten einen Fragebogen über seine Einnahmen ein. Er wies auf seine angespannte finanzielle Situation in den ersten Monaten der Existenzgründung hin. Gleichzeitig rügte er bereits, dass Existenzgründer wie er, die keine so genannte Ich-AG gründen könnten, gegenüber denen, welche einen solchen Existenzgründungszuschuss beanspruchen könnten, benachteiligt würden, weil § 240 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) in der durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I 4621) geänderten Fassung nur für letztere einen geringeren Mindestbeitrag für die freiwillige Krankenversicherung vorsehe. Statt des 40. Teiles der einschlägigen Bemessungsgrenze betrage dieser für Ich-AG-Existenzgründer lediglich den 60. Teil. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 14. Mai 2003 den Beitragssatz in der Krankenversicherung vorläufig auf 226,70 EUR und in der Pflegeversicherung auf 30,35 EUR fest, entsprechend dem 40.Teil der Bemessungsgrenze. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, sein geschätztes Monatseinkommen betrage lediglich 500 EUR. Ihm stehe in der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V eine Beitragsfestsetzung nach einer Mindestbemessungsgrenze von zurzeit 1.190 EUR (1/60 der Bemessungsgrenze) zu. Zwar halte sich der angefochtene Bescheid an die einfach gesetzliche Regelung. Die Festlegung einer Mindestbemessungsgrenze für hauptberuflich Selbständige sei auch grundsätzlich verfassungsgemäß (Bezugnahme auf Bundessozialgericht [BSG] BSGE 70, 13; 79, 133 sowie Bundesverfassungsgericht [BVerfG] BVerfGE 103, 392). Die Ungleichbehandlung von hauptberuflich Selbständigen gegenüber Nichtselbständigen und sonstigen freiwilligen Mitgliedern sei sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe verfassungsrechtlich keine Differenzierungen zur Erfassung einzelner Härtefälle treffen müssen (Bezugnahme auf BVerfGE 103, 392, 402). Mittlerweile habe jedoch der Gesetzgeber mit der Einführung der Ich-AG eine eigene Härtefallregelung geschaffen. Im Gegensatz zur sonstigen Mindestbemessungsgrenze (1.785 EUR) als dem 40. Teil der Beitragsbemessungsgrenze betrage diese für Ich-AGs nur 1/60 der maßgeblichen Bezugsgröße. Einen sachlichen Differenzierungsgrund zwischen Existenzgründern ohne Anspruch auf Leistungen der Arbeitsförderung gegenüber denen, die eine Ich-AG gründen könnten, bestehe nicht. Die Ausgangslage von Existenzgründern mit und ohne Anspruch auf Gewährung des Existenzgründungszuschusses sei in wirtschaftlicher, sozialer und normativer Hinsicht vergleichbar. Eine Differenzierung durch die vorangegangene Beitragsleistung zur Arbeitslosenversicherung sei nicht erlaubt. Die vorangegangene Beitragserbringung werde bereits durch den Existenzgründungszuschuss honoriert. Die Ich-AG sei vom Gesetzgeber eingeführt worden, um ganz allgemein die Arbeitslosigkeit zu senken und neue Arbeitsplätze zu schaffen (Bezug auf BT-Drucksache 15/26 S. 26). Die unterschiedliche Beitragsbemessungsgrenze in der freiwilligen Krankenversicherung tangiere auch Art. 12 Grundgesetz (GG). Existenzgründer mit Anspruch auf den Zuschuss hätten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Existenzgründern wie ihm, weil sie auf den Zuschuss zurückgreifen könnten. Gleichzeitig beantragte der Kläger beim Sozialgericht Berlin (SG), die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruches anzuordnen. Mit Beschluss vom 19. Mai 2003 lehnte dies das SG ab (Aktenzeichen S 87 KR 717/03 ER). Die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen selbständigen Existenzgründer sei im Hinblick auf die mit § 421 l SGB III verfolgten gesetzgeberischen Zwecke sachlich gerechtfertigt. Ob der Gesetzgeber damit die bestmögliche Regelung getroffen habe, liege in dessen Ermessen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10. Juli 2003 zurück. Zur Begründung heißt es u. a., der Gesetzgeber habe ausweislich der Begründung des 2. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt klargestellt, dass trotz der besonderen Mindestbeitragspflicht für Existenzgründungszuschussempfänger es grundsätzlich dabei bleibe, dass die von der Rechtsprechung bestätigten Maßstäbe für die Mindestbeitragsbe-messung bei Selbständigen weiter gelten würden. Die gesetzliche Neuregelung gelte analog auch für die Beitragsbemessung in der sozialen Pflegeversicherung (§ 57 Abs. 4 Satz 1 SGG 11. Buch [SGB XI]).
Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben (Bl. 1 ff.). Er hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend darauf hingewiesen, gerade auch nach neuerem Verständnis von Erwerbstätigkeit sei die gesetzliche Differenzierung sachwidrig. Es liege nicht im gesetzgeberischen Interesse, Existenzgründer wie ihn auf die privaten Krankenversicherungen zu verweisen. Die Beklagte hat den Kläger mit am 22. Dezember 2003 bei diesem eingegangenem Schreiben aufgefordert, ab 2004 monatlich 230,03 EUR Krankenversicherungs- und 30,79 EUR Pflegeversicherungsbeitrag zu zahlen, weil der gesetzliche Mindestbeitrag ansteige. Mit Bescheid vom 22. März 2004 hat die Beklagte für die Zeit vom 1. 5. 2003 bis 31. 12. 2003 die Beiträge endgültig auf die bisherigen Beträge und für das Jahr 2004 vorläufig festgesetzt. Ein dem von Dezember 2003 entsprechendes Schreiben für die Beiträge ab Januar 2005 (nunmehr 230,03 EUR Krankenversicherungs- und 35,32 EUR Pflegeversicherungsbeitrag) hat der Kläger am 21. Dezember 2004 erhalten.
Auf Vorschlag des Gerichts haben die Prozessbeteiligten vereinbart, die Kammer solle nur über die umstrittene beitragsrechtliche Frage für die Krankenversicherung entscheiden und die Entscheidung dann auf die Pflegeversicherung übertragen werden. Ferner haben die Beklagte und die Beigeladene für den Fall des rechtskräftigen Obsiegens die Erstattung überzahlter Beiträge zugesichert.
Das SG hat die nunmehr noch auf Aufhebung der Bescheide vom 22. März 2004, Dezember 2003 und Dezember 2004 gerichtete Klage, soweit darin höhere Beiträge zur Krankenversicherung verlangt werden, als sich bei Berücksichtigung des 60. Teils der monatlichen Bezugsgröße ergeben würde, mit Urteil vom 15. Februar 2005 abgewiesen. § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V sei verfassungsgemäß. Die Anknüpfung der Mindestbeiträge an den Existenzgründungszuschuss nach § 421l Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Bei Beziehern von Entgeltersatzleistungen, die dadurch (u. a.) günstig krankenversichert seien (§§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 251 Abs. 4a, 252 SGB V), bedürfe es besonderer Anreize, um sie zu dem risikoreichen Schritt einer Existenzgründung zu motivieren. Es sei daher sachgerecht, wenn der Gesetzgeber diese Personengruppe beitragsrechtlich günstiger behandele als Existenzgründer, die keinen derartigen krankenversicherungsrechtlichen Status zu verlieren hätten.
Hiergegen richtet sich die Berufung. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 11. April 2005 die vorläufige Beitragsfestsetzung für 2004 bestätigt. Sie hat den Kläger mit Schreiben vom 26. Januar 2006 aufgefordert, ab Januar 2006 233,30 EUR Krankenversicherungs- und 35,83 EUR Pflegeversicherungsbeitrag zu zahlen, da sich die gesetzliche Mindestbemessungsgrenze wieder erhöht habe.
Der Kläger wiederholt seine Argumente. Er weist ergänzend darauf hin, dass nach den neuen Regelungen zum Arbeitslosengeld II derjenige, der sich zum Auslaufen seines Arbeitslosengeldanspruches mit einem Existenzgründungszuschuss selbständig mache, (dadurch nach wie vor) besser dastehe als andere Existenzgründer, obgleich er im Hinblick auf die soziale Sicherung gegen Krankheit mittlerweile dann genauso dastehe, wie derjenige Arbeitslose, der von Anfang an nur Arbeitslosengeld II erhalte.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten erklärt,
dass sie sich darüber einig sind, dass die beitragsrechtliche Frage nur hinsichtlich des Bescheides vom 22. März 2004 entschieden wird und das Ergebnis dann auf den Zeitraum 1. Januar 2004 bis 30. April 2006 hinsichtlich Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge entsprechend übertragen wird.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2005 den Bescheid der Beklagten vom 22. 03. 2004 aufzuheben, soweit für den Zeitraum vom 1. 5. 2003 bis zum 31. 12. 2003 höhere Beiträge zur Krankenversicherung verlangt werden, als sie sich bei Berücksichtigung des 60. Teils der monatlichen Bezugsgröße ergeben würden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Klagegegenstand sind nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in direkter Anwendung der Einstufungsbescheid vom 22. März 2004, der den vorläufigen Bescheid vom 14. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003 ersetzt hat.
Das Begehren des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die einzig relevante Frage der Vereinbarkeit des Art. 3 Nr. 6 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt –also der fraglichen Einführung von § 240 Abs. 4 Satz 2 letzter Halbsatz SGB V- mit der Verfassung zutreffend bejaht. Auch der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG und verweist zunächst auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG).
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die un¬gleiche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfG, U. v. 12.2.2003 -1 BvR 624/01 BVerfGE 107, 205, 213f m.w.N.). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist er allerdings grundsätzlich berechtigt, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu ver¬stoßen (so BVerfG, B. v. 22.05.2001 – 1 BvL 4/96 – BVerfGE 103, 392, 402 m.w.N.).
Zwischen der Gruppe der Normadressaten, die aufgrund vorangegangener Beitragszahlung zum Erhalt eines Existenzgründungszuschusses nach § 421l SGB III berechtigt sind, und der Gruppe der Existenzgründer, bei denen es allein an vorangegangener Beitragsentrichtung fehlt, besteht ein Unterschied von solcher Art und von solchem Gewicht, dass dieser die ungleiche Behandlung rechtfertigt (vgl. auch BSG, Urteil vom 30. 3. 2000 – B 12 KR 13/99 R – NZS 2001, 87 mit Bezug auf BVerfGE 87, 234, 255 und BVerfGE 55, 72, 88):
Die Privilegierung diente speziell der Existenzgründung der Berechtigten eines Existenzgründungszuschusses. Der Existenzgründung sollten "keine übermäßig hohen Hindernisse entgegenstehen" (BT-Drucksache 15/26 S. 26). Zutreffend hat bereits das SG darauf hingewiesen, dass Beziehern von (durch Beitragszahlung erworbenen) Entgeltersatzleistungen eine günstige Krankenversicherung zusteht. § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V sollte mit der Förderung einer selbstständigen Existenz auch die Aufgabe des Anspruches auf die günstige Krankenversicherung als Arbeitsloser fördern. Unmaßgeblich ist, dass sich mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Neuregelungen im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II die Situation für potentielle Existenzgründer heutzutage (möglicherweise) anders darstellt. Auch die Ich-AG gibt es nämlich mittlerweile nicht mehr (vgl. § 421l Abs. 5 SGB III i. d. F. durch das Gesetz vom 22. 12. 2005 [BGBl I S. 3676]: Anwendung vom 1. Juli 2006 an nur noch, wenn der Anspruch auf Förderung vor diesem Tag bestanden hat; die Ich-AG sollte ursprünglich sogar nur bis 1. Januar 2006 möglich sein).
Hinzu kommt noch, dass die Beschränkung der privilegierten Mindestbeitragspflicht in der freiwilligen Krankenversicherung auf den Kreis der mit einem Existenzgründungszuschuss geförderten Personen gerade ein Ausdruck der - auch aus Sicht des Klägers- erlaubten Typisierung ist: Die Krankenkassen sind durch die Anknüpfung an den Anspruch nach § 421l SGB III nämlich von eigenen zusätzlichen Prüfungspflichten befreit. Mit der Überprüfung aller Existenzgründer wäre für sie hingegen ein zusätzlicher hoher Aufwand verbunden gewesen.
Ein wettbewerbsverzerrender Eingriff des Staates, der zu einer Verletzung von Art. 3 GG i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG führen könnte, ist schließlich nicht ersichtlich. Die Ausgangsbedingungen für Existenzgründer, die den Wettbewerb beeinflussen, sind zu vielfältig. Wer sich ohne Startkapital oder anderweitige Einnahmen selbstständig macht, muss immer damit zurechtkommen, dass es Konkurrenten mit besseren (Start-)bedingungen gibt.
Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war nicht nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Insbesondere kann von einer grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Art. 3 Nr. 6 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 nicht ausgegangen werden, da es sich beim Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III, auf den § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V speziell Bezug nimmt, wie ausgeführt um auslaufendes Recht handelt (vgl. hierzu BSG zuletzt B. v. 22.06.2006 –B 6 KA 46/05 R- Juris Rdnr. 7 mit weiteren Nachweisen). Dass die Frage ungeachtet dessen noch eine größere Zahl von Verfahren beeinflussen oder sonst fortwirkende allgemeine Bedeutung haben könnte, ist nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der vom Kläger für seine freiwillige Krankenversicherung bei der Beklagten und bei der beigeladenen Pflegekasse der Beklagten zu zahlenden Versicherungsbeiträge. Der Kläger ist seit August 2000 bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Seit 1. Mai 2003 ist er als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Die Monate zuvor war er arbeitslos ohne Ansprüche auf Geldersatzleistungen. Mit Schreiben vom 12. Mai 2003 reichte der Kläger der Beklagten einen Fragebogen über seine Einnahmen ein. Er wies auf seine angespannte finanzielle Situation in den ersten Monaten der Existenzgründung hin. Gleichzeitig rügte er bereits, dass Existenzgründer wie er, die keine so genannte Ich-AG gründen könnten, gegenüber denen, welche einen solchen Existenzgründungszuschuss beanspruchen könnten, benachteiligt würden, weil § 240 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) in der durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I 4621) geänderten Fassung nur für letztere einen geringeren Mindestbeitrag für die freiwillige Krankenversicherung vorsehe. Statt des 40. Teiles der einschlägigen Bemessungsgrenze betrage dieser für Ich-AG-Existenzgründer lediglich den 60. Teil. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 14. Mai 2003 den Beitragssatz in der Krankenversicherung vorläufig auf 226,70 EUR und in der Pflegeversicherung auf 30,35 EUR fest, entsprechend dem 40.Teil der Bemessungsgrenze. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, sein geschätztes Monatseinkommen betrage lediglich 500 EUR. Ihm stehe in der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V eine Beitragsfestsetzung nach einer Mindestbemessungsgrenze von zurzeit 1.190 EUR (1/60 der Bemessungsgrenze) zu. Zwar halte sich der angefochtene Bescheid an die einfach gesetzliche Regelung. Die Festlegung einer Mindestbemessungsgrenze für hauptberuflich Selbständige sei auch grundsätzlich verfassungsgemäß (Bezugnahme auf Bundessozialgericht [BSG] BSGE 70, 13; 79, 133 sowie Bundesverfassungsgericht [BVerfG] BVerfGE 103, 392). Die Ungleichbehandlung von hauptberuflich Selbständigen gegenüber Nichtselbständigen und sonstigen freiwilligen Mitgliedern sei sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe verfassungsrechtlich keine Differenzierungen zur Erfassung einzelner Härtefälle treffen müssen (Bezugnahme auf BVerfGE 103, 392, 402). Mittlerweile habe jedoch der Gesetzgeber mit der Einführung der Ich-AG eine eigene Härtefallregelung geschaffen. Im Gegensatz zur sonstigen Mindestbemessungsgrenze (1.785 EUR) als dem 40. Teil der Beitragsbemessungsgrenze betrage diese für Ich-AGs nur 1/60 der maßgeblichen Bezugsgröße. Einen sachlichen Differenzierungsgrund zwischen Existenzgründern ohne Anspruch auf Leistungen der Arbeitsförderung gegenüber denen, die eine Ich-AG gründen könnten, bestehe nicht. Die Ausgangslage von Existenzgründern mit und ohne Anspruch auf Gewährung des Existenzgründungszuschusses sei in wirtschaftlicher, sozialer und normativer Hinsicht vergleichbar. Eine Differenzierung durch die vorangegangene Beitragsleistung zur Arbeitslosenversicherung sei nicht erlaubt. Die vorangegangene Beitragserbringung werde bereits durch den Existenzgründungszuschuss honoriert. Die Ich-AG sei vom Gesetzgeber eingeführt worden, um ganz allgemein die Arbeitslosigkeit zu senken und neue Arbeitsplätze zu schaffen (Bezug auf BT-Drucksache 15/26 S. 26). Die unterschiedliche Beitragsbemessungsgrenze in der freiwilligen Krankenversicherung tangiere auch Art. 12 Grundgesetz (GG). Existenzgründer mit Anspruch auf den Zuschuss hätten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Existenzgründern wie ihm, weil sie auf den Zuschuss zurückgreifen könnten. Gleichzeitig beantragte der Kläger beim Sozialgericht Berlin (SG), die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruches anzuordnen. Mit Beschluss vom 19. Mai 2003 lehnte dies das SG ab (Aktenzeichen S 87 KR 717/03 ER). Die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen selbständigen Existenzgründer sei im Hinblick auf die mit § 421 l SGB III verfolgten gesetzgeberischen Zwecke sachlich gerechtfertigt. Ob der Gesetzgeber damit die bestmögliche Regelung getroffen habe, liege in dessen Ermessen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10. Juli 2003 zurück. Zur Begründung heißt es u. a., der Gesetzgeber habe ausweislich der Begründung des 2. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt klargestellt, dass trotz der besonderen Mindestbeitragspflicht für Existenzgründungszuschussempfänger es grundsätzlich dabei bleibe, dass die von der Rechtsprechung bestätigten Maßstäbe für die Mindestbeitragsbe-messung bei Selbständigen weiter gelten würden. Die gesetzliche Neuregelung gelte analog auch für die Beitragsbemessung in der sozialen Pflegeversicherung (§ 57 Abs. 4 Satz 1 SGG 11. Buch [SGB XI]).
Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben (Bl. 1 ff.). Er hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend darauf hingewiesen, gerade auch nach neuerem Verständnis von Erwerbstätigkeit sei die gesetzliche Differenzierung sachwidrig. Es liege nicht im gesetzgeberischen Interesse, Existenzgründer wie ihn auf die privaten Krankenversicherungen zu verweisen. Die Beklagte hat den Kläger mit am 22. Dezember 2003 bei diesem eingegangenem Schreiben aufgefordert, ab 2004 monatlich 230,03 EUR Krankenversicherungs- und 30,79 EUR Pflegeversicherungsbeitrag zu zahlen, weil der gesetzliche Mindestbeitrag ansteige. Mit Bescheid vom 22. März 2004 hat die Beklagte für die Zeit vom 1. 5. 2003 bis 31. 12. 2003 die Beiträge endgültig auf die bisherigen Beträge und für das Jahr 2004 vorläufig festgesetzt. Ein dem von Dezember 2003 entsprechendes Schreiben für die Beiträge ab Januar 2005 (nunmehr 230,03 EUR Krankenversicherungs- und 35,32 EUR Pflegeversicherungsbeitrag) hat der Kläger am 21. Dezember 2004 erhalten.
Auf Vorschlag des Gerichts haben die Prozessbeteiligten vereinbart, die Kammer solle nur über die umstrittene beitragsrechtliche Frage für die Krankenversicherung entscheiden und die Entscheidung dann auf die Pflegeversicherung übertragen werden. Ferner haben die Beklagte und die Beigeladene für den Fall des rechtskräftigen Obsiegens die Erstattung überzahlter Beiträge zugesichert.
Das SG hat die nunmehr noch auf Aufhebung der Bescheide vom 22. März 2004, Dezember 2003 und Dezember 2004 gerichtete Klage, soweit darin höhere Beiträge zur Krankenversicherung verlangt werden, als sich bei Berücksichtigung des 60. Teils der monatlichen Bezugsgröße ergeben würde, mit Urteil vom 15. Februar 2005 abgewiesen. § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V sei verfassungsgemäß. Die Anknüpfung der Mindestbeiträge an den Existenzgründungszuschuss nach § 421l Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Bei Beziehern von Entgeltersatzleistungen, die dadurch (u. a.) günstig krankenversichert seien (§§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 251 Abs. 4a, 252 SGB V), bedürfe es besonderer Anreize, um sie zu dem risikoreichen Schritt einer Existenzgründung zu motivieren. Es sei daher sachgerecht, wenn der Gesetzgeber diese Personengruppe beitragsrechtlich günstiger behandele als Existenzgründer, die keinen derartigen krankenversicherungsrechtlichen Status zu verlieren hätten.
Hiergegen richtet sich die Berufung. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 11. April 2005 die vorläufige Beitragsfestsetzung für 2004 bestätigt. Sie hat den Kläger mit Schreiben vom 26. Januar 2006 aufgefordert, ab Januar 2006 233,30 EUR Krankenversicherungs- und 35,83 EUR Pflegeversicherungsbeitrag zu zahlen, da sich die gesetzliche Mindestbemessungsgrenze wieder erhöht habe.
Der Kläger wiederholt seine Argumente. Er weist ergänzend darauf hin, dass nach den neuen Regelungen zum Arbeitslosengeld II derjenige, der sich zum Auslaufen seines Arbeitslosengeldanspruches mit einem Existenzgründungszuschuss selbständig mache, (dadurch nach wie vor) besser dastehe als andere Existenzgründer, obgleich er im Hinblick auf die soziale Sicherung gegen Krankheit mittlerweile dann genauso dastehe, wie derjenige Arbeitslose, der von Anfang an nur Arbeitslosengeld II erhalte.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten erklärt,
dass sie sich darüber einig sind, dass die beitragsrechtliche Frage nur hinsichtlich des Bescheides vom 22. März 2004 entschieden wird und das Ergebnis dann auf den Zeitraum 1. Januar 2004 bis 30. April 2006 hinsichtlich Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge entsprechend übertragen wird.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2005 den Bescheid der Beklagten vom 22. 03. 2004 aufzuheben, soweit für den Zeitraum vom 1. 5. 2003 bis zum 31. 12. 2003 höhere Beiträge zur Krankenversicherung verlangt werden, als sie sich bei Berücksichtigung des 60. Teils der monatlichen Bezugsgröße ergeben würden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Klagegegenstand sind nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in direkter Anwendung der Einstufungsbescheid vom 22. März 2004, der den vorläufigen Bescheid vom 14. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003 ersetzt hat.
Das Begehren des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die einzig relevante Frage der Vereinbarkeit des Art. 3 Nr. 6 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt –also der fraglichen Einführung von § 240 Abs. 4 Satz 2 letzter Halbsatz SGB V- mit der Verfassung zutreffend bejaht. Auch der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG und verweist zunächst auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG).
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die un¬gleiche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfG, U. v. 12.2.2003 -1 BvR 624/01 BVerfGE 107, 205, 213f m.w.N.). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist er allerdings grundsätzlich berechtigt, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu ver¬stoßen (so BVerfG, B. v. 22.05.2001 – 1 BvL 4/96 – BVerfGE 103, 392, 402 m.w.N.).
Zwischen der Gruppe der Normadressaten, die aufgrund vorangegangener Beitragszahlung zum Erhalt eines Existenzgründungszuschusses nach § 421l SGB III berechtigt sind, und der Gruppe der Existenzgründer, bei denen es allein an vorangegangener Beitragsentrichtung fehlt, besteht ein Unterschied von solcher Art und von solchem Gewicht, dass dieser die ungleiche Behandlung rechtfertigt (vgl. auch BSG, Urteil vom 30. 3. 2000 – B 12 KR 13/99 R – NZS 2001, 87 mit Bezug auf BVerfGE 87, 234, 255 und BVerfGE 55, 72, 88):
Die Privilegierung diente speziell der Existenzgründung der Berechtigten eines Existenzgründungszuschusses. Der Existenzgründung sollten "keine übermäßig hohen Hindernisse entgegenstehen" (BT-Drucksache 15/26 S. 26). Zutreffend hat bereits das SG darauf hingewiesen, dass Beziehern von (durch Beitragszahlung erworbenen) Entgeltersatzleistungen eine günstige Krankenversicherung zusteht. § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V sollte mit der Förderung einer selbstständigen Existenz auch die Aufgabe des Anspruches auf die günstige Krankenversicherung als Arbeitsloser fördern. Unmaßgeblich ist, dass sich mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Neuregelungen im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II die Situation für potentielle Existenzgründer heutzutage (möglicherweise) anders darstellt. Auch die Ich-AG gibt es nämlich mittlerweile nicht mehr (vgl. § 421l Abs. 5 SGB III i. d. F. durch das Gesetz vom 22. 12. 2005 [BGBl I S. 3676]: Anwendung vom 1. Juli 2006 an nur noch, wenn der Anspruch auf Förderung vor diesem Tag bestanden hat; die Ich-AG sollte ursprünglich sogar nur bis 1. Januar 2006 möglich sein).
Hinzu kommt noch, dass die Beschränkung der privilegierten Mindestbeitragspflicht in der freiwilligen Krankenversicherung auf den Kreis der mit einem Existenzgründungszuschuss geförderten Personen gerade ein Ausdruck der - auch aus Sicht des Klägers- erlaubten Typisierung ist: Die Krankenkassen sind durch die Anknüpfung an den Anspruch nach § 421l SGB III nämlich von eigenen zusätzlichen Prüfungspflichten befreit. Mit der Überprüfung aller Existenzgründer wäre für sie hingegen ein zusätzlicher hoher Aufwand verbunden gewesen.
Ein wettbewerbsverzerrender Eingriff des Staates, der zu einer Verletzung von Art. 3 GG i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG führen könnte, ist schließlich nicht ersichtlich. Die Ausgangsbedingungen für Existenzgründer, die den Wettbewerb beeinflussen, sind zu vielfältig. Wer sich ohne Startkapital oder anderweitige Einnahmen selbstständig macht, muss immer damit zurechtkommen, dass es Konkurrenten mit besseren (Start-)bedingungen gibt.
Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war nicht nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Insbesondere kann von einer grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Art. 3 Nr. 6 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 nicht ausgegangen werden, da es sich beim Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III, auf den § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V speziell Bezug nimmt, wie ausgeführt um auslaufendes Recht handelt (vgl. hierzu BSG zuletzt B. v. 22.06.2006 –B 6 KA 46/05 R- Juris Rdnr. 7 mit weiteren Nachweisen). Dass die Frage ungeachtet dessen noch eine größere Zahl von Verfahren beeinflussen oder sonst fortwirkende allgemeine Bedeutung haben könnte, ist nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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