L 13 SB 212/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 212/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 18. Dezember 2006 wird abgelehnt.

Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hat sich in der Hauptsache gegen die Aberkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) gewandt. Der 1965 geborenen Antragstellerin war durch Bescheid vom 29. September 1998 u. a. das Merkzeichen "aG" zuerkannt worden. Durch Bescheid vom 13. November 2001 in der Fassung eines Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2002 erkannte der Antragsgegner der Antragstellerin das Merkzeichen wieder ab, die Voraussetzungen hierfür seien nach dem Ergebnis der ärztlichen Ermittlungen nicht mehr gegeben. Eine hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin durch Urteil vom 4. Oktober 2004 abgewiesen. Die Aberkennung des Merkzeichens sei rechtmäßig, da sich der gesundheitliche Zustand der Antragstellerin gebessert habe. Die hiergegen eingelegte Berufung hat die Antragstellerin im Termin vom 1. November 2006 zurückgenommen. Am 18. Dezember 2006 hat die Antragstellerin zu Protokoll der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zum einen ihre Rücknahmeerklärung widerrufen und begehrt, dass das Verfahren fortgeführt werde. Außerdem hat sie einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und ausgeführt, den Schwerbehindertenausweis weiter zu benötigen. Aus dem Vorbringen der Antragstellerin folgt ihr Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig und vorbehaltlich einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen. Es sei weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag der Antragstellerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes richtet sich vorliegend nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn es liegt weder ein Fall des § 86 a SGG vor, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, dem hier eingelegten Rechtsbehelf der Wiederaufnahmeklage jedoch eine solche Wirkung nicht zuerkannt ist, noch kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Anwendung des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Betracht, wonach das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen kann, da aufgrund der Wirkung der Berufungsrücknahme das frühere Anfechtungsklageverfahren beendet wurde und die formalen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nicht vorliegen, wie noch ausgeführt wird. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein mögliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der geltend gemachte Anspruch mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist und erfolgreich durchgesetzt werden kann. Bei Vornahmesachen ist einstweiliger Rechtsschutz wegen des Anordnungsanspruches abzulehnen, wenn eine Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Dies ist vorliegend der Fall. Das Rechtschutzbegehren der Antragstellerin ist unzulässig. Die Antragstellerin hat im Termin vom 1. November 2006 die Berufung zurückgenommen. Die Zurücknahme der Berufung bewirkt nach § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG den Verlust des Rechtsmittels. Eine Anfechtung oder ein Widerruf der Berufungsrücknahme sind grundsätzlich nicht möglich (Bundessozialgericht, SozR 1500 § 102 Nr. 2; Bundesverwaltungsgericht, NJW 1997, 2897 und Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, 2005, § 156 Rdnr. 2 a, m. w. N.). Eine Anfechtung scheidet aus, weil die Grundsätze des materiellen Rechts über die Anfechtung wegen Irrtums oder anderer Willensmängel auf Prozesshandlungen nicht anwendbar sind. Die Zurücknahme eines Rechtsmittels ist grundsätzlich ebenfalls unwiderruflich. Eine Ausnahme kommt lediglich dann in Betracht, wenn ein Wiederaufnahmegrund gegeben ist. Eine Wiederaufnahme ist nach § 179 Abs. 2 SGG zulässig bei einer strafgerichtlichen Verurteilung eines Beteiligten und nach § 180 SGG im Fall widersprechender Entscheidungen mehrerer Versicherungsträger, was vorliegend nicht gegeben ist. Im Übrigen verweist § 179 Abs. 1 SGG für das Wiederaufnahmeverfahren auf die Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO). § 578 ZPO bestimmt als erste Norm des Vierten Buches der ZPO, dass die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage oder durch Restitutionsklage erfolgen kann. Die in § 579 ZPO geregelte Nichtigkeitsklage findet statt in verschiedenen Fällen einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts. Zur Zulässigkeit dieser Klage gehört, dass ein Prozessverstoß behauptet wird, der unter § 579 ZPO eingeordnet werden kann (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Auflage 2005, § 579 Rdnr. 1 m. w. N.); ein derartiger Verstoß wurde nicht vorgetragen. Auch ein Fall der Restitutionsklage liegt nicht vor. Diese Klage findet nach § 580 ZPO dann statt, wenn der Gegner sich einer Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat, wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gestützt war, verfälscht war, wenn ein Zeuge oder Sachverständiger sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat, wenn das Urteil durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt wurde, wenn ein Richter sich einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflicht gegen die Partei schuldig gemacht hat, wenn das Urteil eines ordentlichen oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist oder wenn die Partei ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Derartige Gründe liegen nicht vor. In § 586 Abs. 1 ZPO ist weiter bestimmt, dass die Klagen vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben sind. Die Frist beginnt mit positiver sicherer Kenntnis der Tatsachen, die den Wiederaufnahmegrund ausfüllen. Auch diese Notfrist hat die Antragstellerin mit ihrem erst am 18. Dezember 2006 gestellten Antrag versäumt. Der geltend gemacht Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer erneuten Zuerkennung des Merkzeichens "aG" Erfolg haben. Hierfür fehlen sowohl ein Antrag als auch ein zunächst durchzuführendes Verwaltungsverfahren. Weiter sind nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" bei der Antragstellerin auch nicht ansatzweise erfüllt. Die von dem Antragsgegner eingeholten versorgungsärztlichen Gutachten des Arztes Dr. Krzonkalla vom 27. Juli 2000 und der Ärztin Dr. Wittig vom 4. Juni 2002 beschrieben einen freien, sicheren Gang der Klägerin und verneinten die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG". Die im Rentenverfahren (S 22 RJ 1202/00) gehörten Gutachter Prof. Dr. Noack und Dr. Weinelt hatten sogar eine vollschichtige Arbeitsfähigkeit der Antragstellerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und keine Einschränkungen der Wegefähigkeit festgestellt (Gutachten vom 27. Juni und 16. Dezember 2001). Nach alledem war der Antrag daher abzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf eine entsprechende Anwendung des § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Diese Entscheidung ergeht endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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