Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AL 3042/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 292/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.12.2006 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren noch die Erstattung von Beiträgen der Beklagten zur Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers im Streit.
Der 1955 geborene Kläger bezog von der Beklagten ab dem 08.12.1997 Arbeitslosenhilfe, nachdem er in seinem Antrag die Frage nach dem Vorhandensein von Vermögen verneint hatte. Als die Beklagte im Jahr 2005 über das Hauptzollamt S. von einem am 09.08.1996 bei der türkischen Nationalbank (TCMB) mit einem Betrag von 50.000 DM angelegtes Konto erfuhr, erließ sie nach Anhörung des Klägers am 24.02.2006 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für die Zeit vom 01.12.1997 bis zum 28.11.1998, da durch die Geldanlage bei der TCMB für 51 Wochen keine Bedürftigkeit bestanden habe. Leistungen seien in Höhe von 7.313,46 Euro (Arbeitslosenhilfe) sowie 1.919,03 Euro (Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) zu Unrecht erbracht worden.
Im Widerspruchsverfahren erließ die Beklagte am 22.03.2006 einen Änderungsbescheid, in dem sie ein (weiteres) Schonvermögen von 10.000 DM anerkannte. Dadurch reduzierte sich die Erstattungsforderung der Beklagten auf 5.065,78 Euro zu unrecht gezahlter Arbeitslosenhilfe und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.329,43 Euro.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2006 wies die Beklagte den Widerspruchs des Kläger im Übrigen zurück. Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht Stuttgart mit Urteil vom 13.12.2006 den Bescheid vom 24.02.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2006 hinsichtlich der Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Erstattungsforderung der Beklagten sei betreffend die zu Unrecht gewährte Arbeitslosenhilfe rechtmäßig geltend gemacht worden, da der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bedürftig gewesen sei. Allerdings bestehe keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung der für den Kläger gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Der im Widerspruchbescheid zitierte § 157 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) komme als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, da das AFG mit Ablauf des 31.12.1997 außer Kraft getreten sei. Nach § 335 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) seien die genannten Beiträge zu ersetzen, sofern die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden sei. Die Sozialleistung der Arbeitslosenhilfe werde in dieser Ermächtigungsgrundlage jedoch seit dem 01.01.2005, dem Inkrafttreten des Hartz-IV-Gesetzes vom 24.12.2003, nicht mehr genannt. Wegen dieser Änderung bestehe ab dem 01.01.2005 keine Rechtsgrundlage mehr für die Rückforderung von Beiträgen bei aufgehobener Bewilligung von Arbeitslosenhilfe, auch wenn sich die Aufhebung auf Zeiträume vor dem 31.12.2004 beziehe (unter Berufung auf Eicher/Schlegel, SGB III, § 335 Rdnr. 37; Düe in Niesel, SGB III, 3. Auflage § 335 Rdnr. 1). Das Urteil des SG ist der Beklagten am 28.12.2006 zugestellt worden.
Die Beklagte hat am 16.01.2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Ansicht des SG liege ein gesetzgeberisches Versehen vor, welches durch eine analoge Anwendung zu § 335 Abs. 1 SGB III zu schließen sei.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts S. vom 13.11.2006 abzuweisen und hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass das Urteil des SG in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden sei.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des Sozialgerichts sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Das SG hat im angefochtenen Urteil die hier anzuwendenden Rechtsnormen zutreffend zitiert. Das SG hat auch ausführlich und zutreffend dargelegt, dass es keine Rechtsgrundlage für das Erstattungsbegehren der Beklagten bezüglich der im Überzahlungszeitraum geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (mehr) gibt. Der Senat schließt sich dieser Begründung an, er nimmt auf die Entscheidungsgründe Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Die streitige Rechtsfrage ist im Übrigen auch bereits durch den erkennenden Senat im Sinne des angefochtenen Urteils entschieden worden (vgl. Urteil des Senats vom 15.12.2006 - L 12 AL 3541/06 -, ebenfalls mit Zulassung der Revision).
Auch nach Ansicht des Senats ist im vorliegenden Fall keine erweiternde oder analoge Anwendung der Rechtsnorm möglich. Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass dadurch, dass es nach dem 01.01.2005 keine Erstattungsforderung bezüglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei überzahlter Arbeitslosenhilfe mehr gibt, eine planwidrige Gesetzeslücke entstanden ist. Damit jedoch eine planwidrige Gesetzeslücke im Wege der Auslegung oder der Analogie "planvoll geschlossen" werden kann, muss es sich um eine unbeabsichtigte oder unbewusste Gesetzeslücke handeln. Davon kann hier keinesfalls die Rede sein. Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des § 335 Abs. 1 SGB III bewusst das Wort Arbeitslosenhilfe gestrichen und hat dies sogar ausdrücklich als "Folgeänderung zur Aufhebung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe auf Grund der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zweiten Buch" begründet. Der Gesetzgeber wollte die Arbeitslosenhilfe aus § 335 Abs. 1 SGB III streichen und hat dies bewusst und begründet getan. Bei dieser Sachlage kann keinesfalls durch Rechtsauslegung oder Analogiebildung die Rechtsnorm so gelesen werden, als habe der Gesetzgeber die Änderung nicht vorgenommen.
Eine erweiternde Auslegung oder eine Analogie ist hier auch deswegen nicht möglich, weil die von der Beklagten gewünschte Auslegung im Wortlaut des Gesetzes keinerlei Anklang gefunden hat. Für Eingriffe in die Rechte Betroffener muss jedoch eine klare gesetzliche Grundlage gefordert werden, an der es hier gerade fehlt. Auch der Senat weist darauf hin, dass aus dem in Art. 20 GG normierten Rechtsstaatsprinzip ein allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes bei staatlichen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen von Betroffenen folgt. Wenn eine staatliche Maßnahme in Grundrechte eingreift, gerät der Stufenbau der Rechtsordnung durcheinander, weil Grundrechte Verfassungsrang haben und auch durch einfaches Recht eingeschränkt werden können. Für Grundrechtseingriffe ist also stets eine spezielle Ermächtigung in der Form eines Gesetzes zu fordern (siehe hierzu Umbach/Clemens, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rdnr. 73 ff.).
Eine im übrigen gesetzmäßige Maßnahme bedarf lediglich dann keiner weiteren speziellen gesetzlichen Grundlage, wenn sie begünstigen soll, insbesondere durch finanzielle Leistungen. Denn Eingriffe schränken Handlungsmöglichkeiten ein, Leistungen erweitern sie. Mit der Einschränkung bestehender Handlungsmöglichkeiten muss niemand rechnen, auf ihre Erweiterung darf niemand hoffen. Leistungen stellen deshalb geringere Rechtfertigungsansprüche als Eingriffe (Umbach/Clemens, aaO, Rdnr. 76).
Dass die (frühere) gesetzliche Erstattungsforderung bezüglich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bei überzahlter Alhi einen Grundrechtseingriff mindestens in Art. 2 Abs. 1 GG darstellt, hat das SG bereits zutreffend ausgeführt. Ein solcher Grundrechtseingriff muss als Rechtfertigung eine klare und eindeutige gesetzliche Grundlage haben. Dies schließt es im vorliegenden Fall aus, die ausdrückliche Gesetzesänderung durch den Gesetzgeber so zu behandeln, als wäre sie nicht erfolgt. Auch die Kommentarliteratur hält demzufolge eine Auslegung in dem von der Beklagten gewünschten Sinne nicht für möglich. Z. B. weist Niesel in der 3. Auflage des SGB III-Kommentars darauf hin, dass ab dem 1.1.2005 keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Beiträgen bei aufgehobener Alhi-Bewilligung besteht, auch wenn sich die Aufhebung auf Zeiträume vor dem 31.12.2004 bezieht; "Dieses wohl kaum beabsichtigte Ergebnis (das bei der Aufhebung der Uhg-Bestimmungen zum 1.1.2004 vermieden wurde, indem § 335 nicht geändert wurde) ist de lege lata nicht zu vermeiden".
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren noch die Erstattung von Beiträgen der Beklagten zur Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers im Streit.
Der 1955 geborene Kläger bezog von der Beklagten ab dem 08.12.1997 Arbeitslosenhilfe, nachdem er in seinem Antrag die Frage nach dem Vorhandensein von Vermögen verneint hatte. Als die Beklagte im Jahr 2005 über das Hauptzollamt S. von einem am 09.08.1996 bei der türkischen Nationalbank (TCMB) mit einem Betrag von 50.000 DM angelegtes Konto erfuhr, erließ sie nach Anhörung des Klägers am 24.02.2006 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für die Zeit vom 01.12.1997 bis zum 28.11.1998, da durch die Geldanlage bei der TCMB für 51 Wochen keine Bedürftigkeit bestanden habe. Leistungen seien in Höhe von 7.313,46 Euro (Arbeitslosenhilfe) sowie 1.919,03 Euro (Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) zu Unrecht erbracht worden.
Im Widerspruchsverfahren erließ die Beklagte am 22.03.2006 einen Änderungsbescheid, in dem sie ein (weiteres) Schonvermögen von 10.000 DM anerkannte. Dadurch reduzierte sich die Erstattungsforderung der Beklagten auf 5.065,78 Euro zu unrecht gezahlter Arbeitslosenhilfe und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.329,43 Euro.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2006 wies die Beklagte den Widerspruchs des Kläger im Übrigen zurück. Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht Stuttgart mit Urteil vom 13.12.2006 den Bescheid vom 24.02.2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2006 hinsichtlich der Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Erstattungsforderung der Beklagten sei betreffend die zu Unrecht gewährte Arbeitslosenhilfe rechtmäßig geltend gemacht worden, da der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bedürftig gewesen sei. Allerdings bestehe keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung der für den Kläger gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Der im Widerspruchbescheid zitierte § 157 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) komme als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, da das AFG mit Ablauf des 31.12.1997 außer Kraft getreten sei. Nach § 335 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) seien die genannten Beiträge zu ersetzen, sofern die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden sei. Die Sozialleistung der Arbeitslosenhilfe werde in dieser Ermächtigungsgrundlage jedoch seit dem 01.01.2005, dem Inkrafttreten des Hartz-IV-Gesetzes vom 24.12.2003, nicht mehr genannt. Wegen dieser Änderung bestehe ab dem 01.01.2005 keine Rechtsgrundlage mehr für die Rückforderung von Beiträgen bei aufgehobener Bewilligung von Arbeitslosenhilfe, auch wenn sich die Aufhebung auf Zeiträume vor dem 31.12.2004 beziehe (unter Berufung auf Eicher/Schlegel, SGB III, § 335 Rdnr. 37; Düe in Niesel, SGB III, 3. Auflage § 335 Rdnr. 1). Das Urteil des SG ist der Beklagten am 28.12.2006 zugestellt worden.
Die Beklagte hat am 16.01.2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Ansicht des SG liege ein gesetzgeberisches Versehen vor, welches durch eine analoge Anwendung zu § 335 Abs. 1 SGB III zu schließen sei.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts S. vom 13.11.2006 abzuweisen und hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass das Urteil des SG in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden sei.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des Sozialgerichts sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Das SG hat im angefochtenen Urteil die hier anzuwendenden Rechtsnormen zutreffend zitiert. Das SG hat auch ausführlich und zutreffend dargelegt, dass es keine Rechtsgrundlage für das Erstattungsbegehren der Beklagten bezüglich der im Überzahlungszeitraum geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (mehr) gibt. Der Senat schließt sich dieser Begründung an, er nimmt auf die Entscheidungsgründe Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Die streitige Rechtsfrage ist im Übrigen auch bereits durch den erkennenden Senat im Sinne des angefochtenen Urteils entschieden worden (vgl. Urteil des Senats vom 15.12.2006 - L 12 AL 3541/06 -, ebenfalls mit Zulassung der Revision).
Auch nach Ansicht des Senats ist im vorliegenden Fall keine erweiternde oder analoge Anwendung der Rechtsnorm möglich. Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass dadurch, dass es nach dem 01.01.2005 keine Erstattungsforderung bezüglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei überzahlter Arbeitslosenhilfe mehr gibt, eine planwidrige Gesetzeslücke entstanden ist. Damit jedoch eine planwidrige Gesetzeslücke im Wege der Auslegung oder der Analogie "planvoll geschlossen" werden kann, muss es sich um eine unbeabsichtigte oder unbewusste Gesetzeslücke handeln. Davon kann hier keinesfalls die Rede sein. Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des § 335 Abs. 1 SGB III bewusst das Wort Arbeitslosenhilfe gestrichen und hat dies sogar ausdrücklich als "Folgeänderung zur Aufhebung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe auf Grund der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zweiten Buch" begründet. Der Gesetzgeber wollte die Arbeitslosenhilfe aus § 335 Abs. 1 SGB III streichen und hat dies bewusst und begründet getan. Bei dieser Sachlage kann keinesfalls durch Rechtsauslegung oder Analogiebildung die Rechtsnorm so gelesen werden, als habe der Gesetzgeber die Änderung nicht vorgenommen.
Eine erweiternde Auslegung oder eine Analogie ist hier auch deswegen nicht möglich, weil die von der Beklagten gewünschte Auslegung im Wortlaut des Gesetzes keinerlei Anklang gefunden hat. Für Eingriffe in die Rechte Betroffener muss jedoch eine klare gesetzliche Grundlage gefordert werden, an der es hier gerade fehlt. Auch der Senat weist darauf hin, dass aus dem in Art. 20 GG normierten Rechtsstaatsprinzip ein allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes bei staatlichen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen von Betroffenen folgt. Wenn eine staatliche Maßnahme in Grundrechte eingreift, gerät der Stufenbau der Rechtsordnung durcheinander, weil Grundrechte Verfassungsrang haben und auch durch einfaches Recht eingeschränkt werden können. Für Grundrechtseingriffe ist also stets eine spezielle Ermächtigung in der Form eines Gesetzes zu fordern (siehe hierzu Umbach/Clemens, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rdnr. 73 ff.).
Eine im übrigen gesetzmäßige Maßnahme bedarf lediglich dann keiner weiteren speziellen gesetzlichen Grundlage, wenn sie begünstigen soll, insbesondere durch finanzielle Leistungen. Denn Eingriffe schränken Handlungsmöglichkeiten ein, Leistungen erweitern sie. Mit der Einschränkung bestehender Handlungsmöglichkeiten muss niemand rechnen, auf ihre Erweiterung darf niemand hoffen. Leistungen stellen deshalb geringere Rechtfertigungsansprüche als Eingriffe (Umbach/Clemens, aaO, Rdnr. 76).
Dass die (frühere) gesetzliche Erstattungsforderung bezüglich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bei überzahlter Alhi einen Grundrechtseingriff mindestens in Art. 2 Abs. 1 GG darstellt, hat das SG bereits zutreffend ausgeführt. Ein solcher Grundrechtseingriff muss als Rechtfertigung eine klare und eindeutige gesetzliche Grundlage haben. Dies schließt es im vorliegenden Fall aus, die ausdrückliche Gesetzesänderung durch den Gesetzgeber so zu behandeln, als wäre sie nicht erfolgt. Auch die Kommentarliteratur hält demzufolge eine Auslegung in dem von der Beklagten gewünschten Sinne nicht für möglich. Z. B. weist Niesel in der 3. Auflage des SGB III-Kommentars darauf hin, dass ab dem 1.1.2005 keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Beiträgen bei aufgehobener Alhi-Bewilligung besteht, auch wenn sich die Aufhebung auf Zeiträume vor dem 31.12.2004 bezieht; "Dieses wohl kaum beabsichtigte Ergebnis (das bei der Aufhebung der Uhg-Bestimmungen zum 1.1.2004 vermieden wurde, indem § 335 nicht geändert wurde) ist de lege lata nicht zu vermeiden".
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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