Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 AL 688/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 5049/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgericht Stuttgart vom 22.6.2006 wird zurückgewiesen.
2) Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Dauer des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg).
Der 1946 geborene Kläger war seit 1976 als Schreiner und Monteur bei der Firma W. Ladenbau GmbH beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis wurde durch Kündigung des Arbeitgebers vom 28.1.2003 zum 30.9.2003 gekündigt. Am 29.7.2003 meldete sich der Kläger zum 1.10.2003 arbeitslos und beantragte Alg. Dabei wurde ihm das Merkblatt für Arbeitslose Nr. 1 ausgehändigt. Am 6.8.2003 wurde der Kläger im Rahmen eines Startseminars ("Check in") über die Rechte und Pflichten während des Leistungsbezugs informiert.
Mit Bescheid vom 19.8.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1.10.2003 Alg für eine Anspruchsdauer von 780 Tagen (26 Monaten). Änderungsbescheide (auch bezüglich der Anspruchsdauer) ergingen am 7.2.2004 am 11.2.2005.
Mit Schreiben vom 27.9.2004 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bewilligungsbescheides. Er sei nicht darauf hingewiesen worden, dass ihm bei einer Antragstellung nach Vollendung seines 57. Lebensjahres, also nach dem 19.10.2003, eine längere Anspruchsdauer von 960 Tagen (32 Monaten) zugekommen wäre. Diese Möglichkeit hätte der Kläger genutzt.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30.9.2004 den Überprüfungsantrag ab. Der Bewilligungsbescheid sei nicht fehlerhaft. Der Kläger sei durch das Startseminar am 6.8.2003 und durch das Merkblatt für Arbeitslose darüber informiert gewesen, von welchen Umständen die Dauer des Alg-Anspruchs abhängig sei. Die Beklagte sei ihrer Beratungspflicht nachgekommen.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2.2.2005 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 9.2.2005 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Die Beklagte hätte bereits bei Antragstellung erkennen müssen, dass der Kläger kurz vor der Vollendung des 57. Lebensjahres stehe. Sie hätte den Kläger deshalb bei der Arbeitslosmeldung am 29.7.2003, spätestens bei der Antragsabgabe am 8.8.2003 darauf hinweisen müssen, dass es günstiger sei, den Antrag erst nach Vollendung des 57. Lebensjahres am 19.10.2003 zu stellen, um in den Genuss einer Anspruchsdauer von 32 Monaten zu gelangen. Bei entsprechender Aufklärung hätte der Kläger diesen Weg auch gewählt.
Das SG hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22.6.2006 durch Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen. Es hat unter ausführlicher Darstellung der hier anzuwendenden Rechtsnormen festgestellt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Alg über den bewilligten Zeitraum von 26 Monaten hinaus. Er habe auch keinen Anspruch darauf, von der Beklagten im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe er sich erst am 19.10.2003, dem Tag der Vollendung seines 57. Lebensjahres, arbeitslos gemeldet.
Zwar scheitere ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht bereits daran, dass eine Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung nicht revidierbar sei. Zwar könne eine fehlende Arbeitslosmeldung wegen ihrer spezifischen Funktion nicht ersetzt, nicht fingiert werden. Anders als beim Ersetzen einer fehlenden Arbeitslosmeldung gehe es hier um die zeitliche Verschiebung einer tatsächlich erfolgten Arbeitslosmeldung. Dies sei grundsätzlich möglich.
Allerdings lägen die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht vor. Nachdem der Kläger im Zusammenhang mit der Antragstellung nicht konkret um eine Beratung bei der Beklagten nachgesucht habe, komme nur die Verletzung einer Verpflichtung zur Spontanberatung in Betracht. Ein offensichtliches Beratungsbedürfnis sei für die Kammer jedoch weder am Tag der Arbeitslosmeldung, dem 29.7.2003, noch bei der Antragsrückgabe am 8.8.2003 ersichtlich. Es würde eine Überspannung der Beratungspflichten der Beklagten darstellen, wollte man diese verpflichtet sehen, den Arbeitslosen bereits bei der Arbeitslosmeldung auf die Altersstufen aufmerksam zu machen. Primäre Aufgabe der Beklagten sei es, den Arbeitslosen wieder baldmöglichst in Arbeit zu vermitteln. Eine Verpflichtung, auf Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich einer möglichst langen Anspruchsdauer hinzuwirken, gehe demnach eher in die falsche Richtung. Angesichts der hier vorliegenden Zeitspanne von annähernd drei Monaten zwischen Arbeitslosmeldung und Vollendung des 57. Lebensjahres könne allein aus dem Geburtsdatum eine sich aufdrängende Verpflichtung zur Spontanberatung nicht bejaht werden. Nachdem über den Umstand der alsbaldigen Vollendung des 57. Lebensjahres hinaus im vorliegenden Fall kein weiterer Anlass zu einer Spontanberatung gegeben gewesen sei, sei die Beklagte auch nicht von sich aus verpflichtet gewesen, dem Kläger die Möglichkeit einer späteren Antragstellung aufzuzeigen. Für die Beklagte sei auch nicht ohne weiteres erkennbar gewesen, dass der Kläger auf Grund einer etwaigen günstigen Einkommenssituation ohne weiteres eine Zeit der Mittellosigkeit finanziell hätte überbrücken können. Anderenfalls müsste man von der Beklagten verlangen, bereits bei der ersten Arbeitslosmeldung den finanziellen Hintergrund des Antragstellers abzufragen. Eine Pflicht zur Spontanberatung wäre selbst dann zu verneinen, wenn man nicht auf den Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung und Antragstellung, sondern auf die Zeitspanne zwischen Anspruchsvollendung und Vollendung der anspruchsverlängernden Altersstufe abstellen würde. Angesichts der dann immer noch gegebenen konkreten Zeitspanne von 19 Tagen dränge sich auch insoweit eine Beratungspflicht nicht auf.
Gegen dieses am 15.9.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5.10.2006 Berufung eingelegt. Er meint, entgegen den Ausführungen des SG habe ein offensichtliches Beratungsbedürfnis vorgelegen. Die Beklagte hätte erkennen müssen, dass hier eine besondere Konstellation vorgelegen habe und der Kläger ab dem Bewilligungszeitpunkt 1.10.2003 zwar einen Alg-Anspruch gehabt habe, dieser aber bei einem Zuwarten um nur 19 Kalendertagen sich von 26 auf 32 Monate erhöhen würde. Jeder vernünftige Antragsteller hätte in der Situation des Klägers in Kenntnis dieses Umstandes mit der Antragstellung abgewartet. Dies hätte auch der Beklagten klar sein müssen. Dem Argument des SG, dass es primäre Aufgabe der Beklagten sei, den Arbeitslosen wieder baldmöglichst in Arbeit zu vermitteln, sei entgegenzuhalten, dass im Alter des Klägers kaum noch realistisch mit einer Vermittlung zu rechnen sei. Angesichts der langjährigen Dauer des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses hätte die Beklagte auch davon ausgehen müssen, dass der Kläger ausreichend vermögend sei, um eine Verzögerung im Bezug des Alg von 19 Tagen überbrücken zu können. Es hätte bei der Antragstellung ins Auge springen müssen, dass bei einem verzögerten Beginn des Bezugszeitraums um 19 Kalendertagen sich ein sechs Monate längerer Alg-Anspruch ergebe. Damit sei eine Spontanberatungspflicht der Beklagten offensichtlich.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgericht Stuttgart vom 22.6.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.9.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.2.2005 zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung der Bescheide vom 19.8.2003, 7.2.2004 und 11.2.2005 erstmalig ab 19.10.2003 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für 960 Tagen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist wiederholend darauf hin, dass dem Kläger bei der Antragstellung das Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt worden sei. Aus diesem Merkblatt gehe u. a. eindeutig hervor, dass die Anspruchsdauer vom Lebensalter abhängig sei. Des weiteren sei dieses Thema im Startseminar am 6.8.2003 behandelt worden, der Kläger sei somit hinreichend über die gesetzliche Regelung informiert gewesen. Zur finanziellen Lage des Klägers weist die Beklagte darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der Insolvenz des Arbeitgebers gekündigt worden sei. Der Kläger habe im Antrag auch angegeben, dass er gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt erhebe. Die Beklagte habe deshalb nicht davon ausgehen können, dass der Kläger nicht auf die schnellstmögliche Gewährung des Alg angewiesen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet. Zu Recht haben es die Beklagte und das SG abgelehnt, den Kläger so zu stellen, als habe er sich erst zum 19.10. 2003 arbeitslos gemeldet.
Das SG hatte im angefochtenen Urteil die hier anzuwendenden Rechtsnormen ausführlich und zutreffend dargestellt. Das SG hat auch zutreffend festgestellt, dass und aus welchen Gründen dem Kläger ein sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht zusteht. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Er nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und verzichtet auf eine eigene Begründung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Zum Berufungsvorbringen des Klägers ist anzumerken, dass auch der Senat der Überzeugung ist, dass hier eine Veranlassung der Beklagten zu einer Spontanberatung des Klägers nicht bestand. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat in der vom SG ersichtlich zugrundegelegten Entscheidung (vom 5.11.2003 - L 12 AL 46/03 -) eine Pflicht des Arbeitsamtes zur (spontanen) Beratung eines Arbeitslosen am Tag der Arbeitslosmeldung verneint, wenn zu diesem Zeitpunkt nur das Geburtsdatum, nicht aber die Versicherungszeit oder finanzielle Situation bekannt sei und ein Zeitraum von 17 Tagen zwischen der Arbeitslosmeldung und der Vollendung einer anspruchsverlängernden Altersstufe liege. Im vorliegenden Fall spricht noch weniger für eine Pflicht der Beklagten zur Spontanberatung:
Hier hat der Kläger bei seiner Arbeitslosmeldung am 29.7.2003 das Antragsformular mit dem Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt bekommen, in dem die Anspruchsdauer in Abhängigkeit von Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses in der Rahmenfrist und von dem Lebensalter tabellarisch aufgeführt ist und mit einem Beispiel erklärt wird. Die Anspruchsdauer war in allgemeiner Form auch - nach Angaben der Beklagten, der Kläger hat dem nicht widersprochen - Gegenstand der Informationen im Startseminar am 6.8.2003. Damit war der Kläger vor Abgabe des Leistungsantrags am 8.8.2003 aktuell über die Systematik der Staffelung der Anspruchsdauer informiert. Wenn der Kläger sich angesichts dessen noch im Unklaren gewesen sein sollte, welche Auswirkungen eine Antragstellung zum jeweiligen Zeitpunkt hätte, so hätte er bei der Beklagten um eine konkrete Auskunft nachsuchen müssen.
Dem Kläger ist auch zu widersprechen, dass es sich hier um eine ins Auge springende oder sich aufdrängende Gestaltungsmöglichkeit handelte, die die Beklagte zu einer Spontanberatung hätte veranlassen müssen. Sowohl im Zeitpunkt der (telefonischen) Arbeitslosmeldung als auch im Zeitpunkt der Abgabe des Leistungsantrags wusste die Beklagte vom Kläger zwar das Geburtsdatum und die langjährige Beschäftigung. Jedoch hatte der Kläger auch angegeben, er habe gegen seinen letzten Arbeitgeber noch Ansprüche wegen fehlenden Einmalzahlungen und der Abfindung, in der Arbeitsbescheinigung ist ebenfalls ein schwebendes Arbeitsgerichtsverfahren angegeben. Angesichts dessen musste sich der Beklagten eine Antragstellung erst mit Wirkung zum 19.10.2003 nicht als offenkundig günstige Gestaltungsmöglichkeiten aufdrängen, die jeder "verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde" (BSG SozR 3 - 4100 § 110 Nr. 2).
Hinzukommt, dass die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers im Zusammenhang mit der Insolvenz seines Arbeitgebers stand und der Kläger in dieser Zeit (im Oktober 2003) bei der Beklagten auch Insolvenzgeld für die Monate Juli, August und September 2003 geltend machte. Auch angesichts dessen musste die Beklagte sehr viel eher davon ausgehen, dass der Kläger die laufende Leistung zum Lebensunterhalt vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit an beantragen wollte, weil er sie brauchte.
Weil der Kläger durch das Merkblatt für Arbeitslosen und durch die Informationen im Startseminar am 6.8.2003 über die Anspruchsdauer informiert war, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob es angesichts der Aufgabenstellung der Beklagten überhaupt eine Verpflichtung zu einer Spontanberatung über eine möglichst lange Anspruchsdauer gibt. Die Voraussetzungen für eine solche Spontanberatung liegen auch nach der Überzeugung des Senats jedenfalls nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
2) Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Dauer des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg).
Der 1946 geborene Kläger war seit 1976 als Schreiner und Monteur bei der Firma W. Ladenbau GmbH beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis wurde durch Kündigung des Arbeitgebers vom 28.1.2003 zum 30.9.2003 gekündigt. Am 29.7.2003 meldete sich der Kläger zum 1.10.2003 arbeitslos und beantragte Alg. Dabei wurde ihm das Merkblatt für Arbeitslose Nr. 1 ausgehändigt. Am 6.8.2003 wurde der Kläger im Rahmen eines Startseminars ("Check in") über die Rechte und Pflichten während des Leistungsbezugs informiert.
Mit Bescheid vom 19.8.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1.10.2003 Alg für eine Anspruchsdauer von 780 Tagen (26 Monaten). Änderungsbescheide (auch bezüglich der Anspruchsdauer) ergingen am 7.2.2004 am 11.2.2005.
Mit Schreiben vom 27.9.2004 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bewilligungsbescheides. Er sei nicht darauf hingewiesen worden, dass ihm bei einer Antragstellung nach Vollendung seines 57. Lebensjahres, also nach dem 19.10.2003, eine längere Anspruchsdauer von 960 Tagen (32 Monaten) zugekommen wäre. Diese Möglichkeit hätte der Kläger genutzt.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30.9.2004 den Überprüfungsantrag ab. Der Bewilligungsbescheid sei nicht fehlerhaft. Der Kläger sei durch das Startseminar am 6.8.2003 und durch das Merkblatt für Arbeitslose darüber informiert gewesen, von welchen Umständen die Dauer des Alg-Anspruchs abhängig sei. Die Beklagte sei ihrer Beratungspflicht nachgekommen.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2.2.2005 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 9.2.2005 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Die Beklagte hätte bereits bei Antragstellung erkennen müssen, dass der Kläger kurz vor der Vollendung des 57. Lebensjahres stehe. Sie hätte den Kläger deshalb bei der Arbeitslosmeldung am 29.7.2003, spätestens bei der Antragsabgabe am 8.8.2003 darauf hinweisen müssen, dass es günstiger sei, den Antrag erst nach Vollendung des 57. Lebensjahres am 19.10.2003 zu stellen, um in den Genuss einer Anspruchsdauer von 32 Monaten zu gelangen. Bei entsprechender Aufklärung hätte der Kläger diesen Weg auch gewählt.
Das SG hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22.6.2006 durch Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen. Es hat unter ausführlicher Darstellung der hier anzuwendenden Rechtsnormen festgestellt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Alg über den bewilligten Zeitraum von 26 Monaten hinaus. Er habe auch keinen Anspruch darauf, von der Beklagten im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe er sich erst am 19.10.2003, dem Tag der Vollendung seines 57. Lebensjahres, arbeitslos gemeldet.
Zwar scheitere ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht bereits daran, dass eine Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung nicht revidierbar sei. Zwar könne eine fehlende Arbeitslosmeldung wegen ihrer spezifischen Funktion nicht ersetzt, nicht fingiert werden. Anders als beim Ersetzen einer fehlenden Arbeitslosmeldung gehe es hier um die zeitliche Verschiebung einer tatsächlich erfolgten Arbeitslosmeldung. Dies sei grundsätzlich möglich.
Allerdings lägen die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht vor. Nachdem der Kläger im Zusammenhang mit der Antragstellung nicht konkret um eine Beratung bei der Beklagten nachgesucht habe, komme nur die Verletzung einer Verpflichtung zur Spontanberatung in Betracht. Ein offensichtliches Beratungsbedürfnis sei für die Kammer jedoch weder am Tag der Arbeitslosmeldung, dem 29.7.2003, noch bei der Antragsrückgabe am 8.8.2003 ersichtlich. Es würde eine Überspannung der Beratungspflichten der Beklagten darstellen, wollte man diese verpflichtet sehen, den Arbeitslosen bereits bei der Arbeitslosmeldung auf die Altersstufen aufmerksam zu machen. Primäre Aufgabe der Beklagten sei es, den Arbeitslosen wieder baldmöglichst in Arbeit zu vermitteln. Eine Verpflichtung, auf Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich einer möglichst langen Anspruchsdauer hinzuwirken, gehe demnach eher in die falsche Richtung. Angesichts der hier vorliegenden Zeitspanne von annähernd drei Monaten zwischen Arbeitslosmeldung und Vollendung des 57. Lebensjahres könne allein aus dem Geburtsdatum eine sich aufdrängende Verpflichtung zur Spontanberatung nicht bejaht werden. Nachdem über den Umstand der alsbaldigen Vollendung des 57. Lebensjahres hinaus im vorliegenden Fall kein weiterer Anlass zu einer Spontanberatung gegeben gewesen sei, sei die Beklagte auch nicht von sich aus verpflichtet gewesen, dem Kläger die Möglichkeit einer späteren Antragstellung aufzuzeigen. Für die Beklagte sei auch nicht ohne weiteres erkennbar gewesen, dass der Kläger auf Grund einer etwaigen günstigen Einkommenssituation ohne weiteres eine Zeit der Mittellosigkeit finanziell hätte überbrücken können. Anderenfalls müsste man von der Beklagten verlangen, bereits bei der ersten Arbeitslosmeldung den finanziellen Hintergrund des Antragstellers abzufragen. Eine Pflicht zur Spontanberatung wäre selbst dann zu verneinen, wenn man nicht auf den Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung und Antragstellung, sondern auf die Zeitspanne zwischen Anspruchsvollendung und Vollendung der anspruchsverlängernden Altersstufe abstellen würde. Angesichts der dann immer noch gegebenen konkreten Zeitspanne von 19 Tagen dränge sich auch insoweit eine Beratungspflicht nicht auf.
Gegen dieses am 15.9.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5.10.2006 Berufung eingelegt. Er meint, entgegen den Ausführungen des SG habe ein offensichtliches Beratungsbedürfnis vorgelegen. Die Beklagte hätte erkennen müssen, dass hier eine besondere Konstellation vorgelegen habe und der Kläger ab dem Bewilligungszeitpunkt 1.10.2003 zwar einen Alg-Anspruch gehabt habe, dieser aber bei einem Zuwarten um nur 19 Kalendertagen sich von 26 auf 32 Monate erhöhen würde. Jeder vernünftige Antragsteller hätte in der Situation des Klägers in Kenntnis dieses Umstandes mit der Antragstellung abgewartet. Dies hätte auch der Beklagten klar sein müssen. Dem Argument des SG, dass es primäre Aufgabe der Beklagten sei, den Arbeitslosen wieder baldmöglichst in Arbeit zu vermitteln, sei entgegenzuhalten, dass im Alter des Klägers kaum noch realistisch mit einer Vermittlung zu rechnen sei. Angesichts der langjährigen Dauer des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses hätte die Beklagte auch davon ausgehen müssen, dass der Kläger ausreichend vermögend sei, um eine Verzögerung im Bezug des Alg von 19 Tagen überbrücken zu können. Es hätte bei der Antragstellung ins Auge springen müssen, dass bei einem verzögerten Beginn des Bezugszeitraums um 19 Kalendertagen sich ein sechs Monate längerer Alg-Anspruch ergebe. Damit sei eine Spontanberatungspflicht der Beklagten offensichtlich.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgericht Stuttgart vom 22.6.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.9.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.2.2005 zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung der Bescheide vom 19.8.2003, 7.2.2004 und 11.2.2005 erstmalig ab 19.10.2003 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für 960 Tagen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist wiederholend darauf hin, dass dem Kläger bei der Antragstellung das Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt worden sei. Aus diesem Merkblatt gehe u. a. eindeutig hervor, dass die Anspruchsdauer vom Lebensalter abhängig sei. Des weiteren sei dieses Thema im Startseminar am 6.8.2003 behandelt worden, der Kläger sei somit hinreichend über die gesetzliche Regelung informiert gewesen. Zur finanziellen Lage des Klägers weist die Beklagte darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der Insolvenz des Arbeitgebers gekündigt worden sei. Der Kläger habe im Antrag auch angegeben, dass er gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt erhebe. Die Beklagte habe deshalb nicht davon ausgehen können, dass der Kläger nicht auf die schnellstmögliche Gewährung des Alg angewiesen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet. Zu Recht haben es die Beklagte und das SG abgelehnt, den Kläger so zu stellen, als habe er sich erst zum 19.10. 2003 arbeitslos gemeldet.
Das SG hatte im angefochtenen Urteil die hier anzuwendenden Rechtsnormen ausführlich und zutreffend dargestellt. Das SG hat auch zutreffend festgestellt, dass und aus welchen Gründen dem Kläger ein sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht zusteht. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Er nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und verzichtet auf eine eigene Begründung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Zum Berufungsvorbringen des Klägers ist anzumerken, dass auch der Senat der Überzeugung ist, dass hier eine Veranlassung der Beklagten zu einer Spontanberatung des Klägers nicht bestand. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat in der vom SG ersichtlich zugrundegelegten Entscheidung (vom 5.11.2003 - L 12 AL 46/03 -) eine Pflicht des Arbeitsamtes zur (spontanen) Beratung eines Arbeitslosen am Tag der Arbeitslosmeldung verneint, wenn zu diesem Zeitpunkt nur das Geburtsdatum, nicht aber die Versicherungszeit oder finanzielle Situation bekannt sei und ein Zeitraum von 17 Tagen zwischen der Arbeitslosmeldung und der Vollendung einer anspruchsverlängernden Altersstufe liege. Im vorliegenden Fall spricht noch weniger für eine Pflicht der Beklagten zur Spontanberatung:
Hier hat der Kläger bei seiner Arbeitslosmeldung am 29.7.2003 das Antragsformular mit dem Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt bekommen, in dem die Anspruchsdauer in Abhängigkeit von Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses in der Rahmenfrist und von dem Lebensalter tabellarisch aufgeführt ist und mit einem Beispiel erklärt wird. Die Anspruchsdauer war in allgemeiner Form auch - nach Angaben der Beklagten, der Kläger hat dem nicht widersprochen - Gegenstand der Informationen im Startseminar am 6.8.2003. Damit war der Kläger vor Abgabe des Leistungsantrags am 8.8.2003 aktuell über die Systematik der Staffelung der Anspruchsdauer informiert. Wenn der Kläger sich angesichts dessen noch im Unklaren gewesen sein sollte, welche Auswirkungen eine Antragstellung zum jeweiligen Zeitpunkt hätte, so hätte er bei der Beklagten um eine konkrete Auskunft nachsuchen müssen.
Dem Kläger ist auch zu widersprechen, dass es sich hier um eine ins Auge springende oder sich aufdrängende Gestaltungsmöglichkeit handelte, die die Beklagte zu einer Spontanberatung hätte veranlassen müssen. Sowohl im Zeitpunkt der (telefonischen) Arbeitslosmeldung als auch im Zeitpunkt der Abgabe des Leistungsantrags wusste die Beklagte vom Kläger zwar das Geburtsdatum und die langjährige Beschäftigung. Jedoch hatte der Kläger auch angegeben, er habe gegen seinen letzten Arbeitgeber noch Ansprüche wegen fehlenden Einmalzahlungen und der Abfindung, in der Arbeitsbescheinigung ist ebenfalls ein schwebendes Arbeitsgerichtsverfahren angegeben. Angesichts dessen musste sich der Beklagten eine Antragstellung erst mit Wirkung zum 19.10.2003 nicht als offenkundig günstige Gestaltungsmöglichkeiten aufdrängen, die jeder "verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde" (BSG SozR 3 - 4100 § 110 Nr. 2).
Hinzukommt, dass die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers im Zusammenhang mit der Insolvenz seines Arbeitgebers stand und der Kläger in dieser Zeit (im Oktober 2003) bei der Beklagten auch Insolvenzgeld für die Monate Juli, August und September 2003 geltend machte. Auch angesichts dessen musste die Beklagte sehr viel eher davon ausgehen, dass der Kläger die laufende Leistung zum Lebensunterhalt vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit an beantragen wollte, weil er sie brauchte.
Weil der Kläger durch das Merkblatt für Arbeitslosen und durch die Informationen im Startseminar am 6.8.2003 über die Anspruchsdauer informiert war, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob es angesichts der Aufgabenstellung der Beklagten überhaupt eine Verpflichtung zu einer Spontanberatung über eine möglichst lange Anspruchsdauer gibt. Die Voraussetzungen für eine solche Spontanberatung liegen auch nach der Überzeugung des Senats jedenfalls nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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