L 9 R 243/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 5915/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 243/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 14.12.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beschwerdegegnerin (Bg.) dem Beschwerdeführer (Bf.) Rente wegen Erwerbsminderung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu gewähren hat.

Der 1951 geborene Bf. absolvierte von 1965 bis 1968 in Polen erfolgreich eine Lehre zum Maschinenschlosser und arbeitete bis zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1988 in diesem Beruf. In der Bundesrepublik Deutschland war er von 1989 bis zur betriebsbedingten Kündigung im Jahr 2002 als Lagerarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Danach bezog er Leistungen der Arbeitsverwaltung.

Am 17.05.2006 beantragte er bei der Bg. die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung wegen Beschwerden am rechten Fuß, Kreislauf- und Blutdruckbeschwerden und einem Diabetes und wies außerdem auf sein künstliches Auge links hin. Sein Hausarzt Dr. T. berichtete unter dem Datum vom 15.02.2006, die Arbeitsverwaltung habe dem Kläger als Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Rentenantragstellung geraten.

Nach den vorgelegten berufsgenossenschaftlichen Unterlagen erlitt der Bf. im Februar 1967 einen Arbeitsunfall mit den Folgen einer Schrumpfung des linken Augapfels bei Verlust des Sehvermögens und bezieht wegen dieses Arbeitsunfalles von der Süddeutschen Eisen- und Stahl- Berufsgenossenschaft (BG) eine Verletztenrente nach einer MdE um 25 v.H. Wegen eines weiteren Arbeitsunfalles vom September 1991 mit einer Kalkaneusfraktur rechts bezieht er von der Lederindustrie-BG eine Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H.

Nach Vorlage von medizinischen Unterlagen durch Dr. T. veranlasste die Bg. eine Begutachtung des Bf. durch den Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Anästhesiologie Dr. Z ... Dieser stellte in seinem Gutachten vom 29.06.2006 folgende Diagnosen: 1. Beginnende, posttraumatische Arthrose des oberen Sprunggelenks rechts nach Arbeitsunfall mit Anlaufschmerzen und bewegungs- und haltungsabhängig verstärkten Beschwerden. 2. Schmerzen linker Unterschenkel bei ausgeprägter Varikosis links stärker als rechts trotz Kompressionsstrumpftherapie, mit geringer Mobilitätseinschränkung. 3. Arterielle Hypertonie, einfach medikamentös angegangen mit unzureichender Blutdruckeinstellung. 4. Wiederholter schädlicher Alkoholmehrgebrauch seit 2002, derzeit unregelmäßiger, geringer Konsum. 5. Zustand nach perforierender Augenverletzung links als Kind, Amaurose links. Trotz dieser Diagnosen und der damit verbundenen Beschwerden bestehe ein über 6- stündiges Leistungsvermögen für mittelschwere körperliche Tätigkeit überwiegend im Sitzen und zeitweise im Gehen und Stehen.

Hierauf lehnte die Bg. den Rentenantrag des Bf. mit Bescheid vom 06.07.2006 ab, da aufgrund der ärztlichen Untersuchungsergebnisse ein Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich vorhanden sei und daher weder volle noch teilweise Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit vorliege.

Seinen dagegen erhobenen Widerspruch vom 07.08.2006 begründete der Bf. unter Hinweis auf die Folgen der erlittenen Arbeitsunfälle. Wegen der Beschwerden am rechten Fuß sei er schon 8 Wochen krankgeschrieben. Im beigezogenen Arztbrief des Chirurgen Dr. B. vom 20.07.2006 wird die Diagnose einer Stammvarikosis der Vena saphena magna links im Stadium IV nach Hach genannt. Es sei geplant, am 01.02.2007 eine Varizenoperation ambulant durchzuführen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2006 wies die Bg. den Widerspruch des Bf. zurück. Ergänzend zur Begründung im angefochtenen Bescheid wurde ausgeführt, der Bf. könne zwar die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Lagerarbeiter weniger als 3 Stunden arbeitstäglich verrichten. Diese Tätigkeit sei jedoch nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Schema der Gruppe der ungelernten Arbeiten zuzuordnen. Der Bf. müsse sich daher auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen. Derartige Tätigkeiten seien ihm noch mindestens 6 Stunden täglich zumutbar. Der Widerspruchsbescheid wurde am 31.10.2006 an den Bf. zur Post gegeben.

Am 29.11.2006 richtete der Bf. ein Schreiben an das Sozialgericht Freiburg (SG) überschrieben mit den Worten "in dem Eilverfahren – Kläger wegen Widerspruch vom 30.10.2006". Zur Begründung trug er vor, der Anordnungsanspruch ergebe sich aus einem ihn betreffenden Bewilligungsbescheid nach dem SGB II. Der Anordnungsgrund liege darin, dass durch den Widerspruchsbescheid dramatisch in sein "soziokulturelles Existenzminimum" eingegriffen werde. Als rechtsunkundiger Bürger bitte er ausdrücklich um richterliche Belehrung. Auf Anfrage des SG teilte er ferner mit, sein Antrag richte sich gegen die Bg. (und nicht gegen die Arbeitsverwaltung).

Unter dem Datum vom 30.11.2006 wurde vom Landratsamt Ortenaukreis – Kommunale Arbeitsförderung – schriftlich mitgeteilt, der Bf. und seine Ehefrau erhielten Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 433,52 EUR für den Bewilligungszeitraum 01.07.2006 bis 31.12.2006.

Die Bg. trat dem Antrag entgegen, da weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch vorliege.

Mit Beschluss vom 14.12.2006 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Zur Begründung führte es aus, nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchzuführenden summarischen Prüfung fehle es an einem Anordnungsanspruch. Das SG stützte sich hierbei insbesondere auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. Z. vom 29.06.2006. Die vom Bf. vorgebrachten Tatsachen, dass er am 30.11.2006 eine ärztliche Untersuchung gehabt habe, bestimmte Medikamente einnehme und derzeit arbeitsunfähig sei, begründeten keine andere Einschätzung der Sach- und Rechtslage. Darüber hinaus fehle es am Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Da der Bf. vom Landratsamt O. – Kommunale Arbeitsförderung – Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 433,52 EUR sowie eine Unfallrente in Höhe von monatlich 303,99 EUR beziehe, sei sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert und es sei für das Gericht nicht ersichtlich, welche wesentlichen Nachteile er bei einem Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache erleiden würde.

Gegen den ihm am 16.12.2006 zugestellten Beschluss hat der Bf. am 15.01.2007 beim Landessozialgericht Baden – Württemberg (LSG) sinngemäß Beschwerde (bezeichnet als "Klage Widerspruch") eingelegt. Zur Begründung hat er verschiedene Gesundheitsstörungen und Medikamente aufgeführt und mitgeteilt, er sei seit dem 19.06.2006 bis voraussichtlich 31.01.2007 arbeitsunfähig. Er hat erneut ausdrücklich um richterliche Beratung gebeten.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Dezember 2006 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin beantragt (sinngemäß),

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Sozialgericht hat auf telefonische Anfrage des Senats mitgeteilt, dass kein Klageverfahren gegen den Widerspruchsbescheid vom 31.10.2006 eingetragen worden sei. Wegen des weiteren Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Akten der Bg., des SG und des Senats.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Gem. § 86b Abs.2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts (Anordnungsanspruch) des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert (Anordnungsgrund) werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind gemäß Satz 2 auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).

Die hier in Betracht kommende Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs.2 S.2 SGG war abzulehnen, weil sich der Senat aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht davon überzeugen konnte, dass ein Anordnungsanspruch des Bf. überwiegend wahrscheinlich besteht und ein Anordnungsgrund vorliegt.

Zwar ist ein Anordnungsanspruch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nach der Auskunft des SG kein Klageverfahren beim SG gegen den Widerspruchsbescheid vom 31.10.2006 eingetragen ist. Ohne eine fristgemäße Klage wären die den Rentenantrag ablehnenden Bescheide nämlich in Bindungswirkung erwachsen.

Der Senat neigt allerdings der Auffassung zu, dass der Bf. mit dem innerhalb der Klagefrist beim SG eingegangenen Schreiben vom 29.11.2006 nicht nur einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen, sondern gleichzeitig auch Klage erheben wollte. Hierfür spricht, dass der Bf. die Rechtsbegriffe Eilverfahren und Kläger verwandte und er durch die Nennung der Anschriften seiner behandelnden Ärzte, der von ihm eingenommenen Medikamente und der verschlüsselten Diagnose das SG sinngemäß bat, weitere Sachverhaltsermittlungen anzustellen. Auch ist die ausdrückliche Bitte des Bf. als rechtsunkundiger Bürger um richterliche Beratung zu berücksichtigen.

Selbst wenn dem nicht zu folgen wäre, käme eventuell eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist in Betracht, da mangels eines entsprechenden Hinweises des SG die rechtzeitige Erhebung der Klage möglicherweise ohne Verschulden des Bf. unterblieben ist.

Unabhängig davon steht aber dem Anordnungsanspruch der bisher ermittelte medizinische Sachverhalt entgegen, der der summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im einstweiligen Rechtschutzverfahren zugrunde zu legen ist.

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, folgt aus den vorliegenden Unterlagen, insbesondere dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. Z. vom 29.06.2006, dass der Kläger bei einem noch vorhandenen Leistungsvermögen von sechs Stunden täglich und mehr nicht erwerbsgemindert ist und daher die Voraussetzungen für die beantragte Rente nicht vorliegen. Hieran ändert sich auch nichts durch die vom Bf. aufgezählten Gesundheitsstörungen, die Medikamente und die Nennung der ihn behandelnden Ärzte sowie die Angabe von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit. Erwerbsminderung (im Sinne der Rentenversicherung) und Arbeitsunfähigkeit (im Sinne der Krankenversicherung) sind an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft.

Ergänzend ist noch auszuführen, dass dem Bf. nach Aktenlage aufgrund der zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit als Lagerarbeiter kein Berufsschutz als Facharbeiter oder Angelernter mit einer Anlernzeit von über einem Jahr zukommt. Sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die der Bf. mit seinem qualitativen Leistungsvermögen zumutbar verrichten kann, sind daher Maßstab für die Frage, ob der Kläger erwerbsgemindert ist.

Neben dem fehlenden Anordnungsanspruch mangelt es für die beantragte einstweilige Anordnung auch an einem hinreichenden Anordnungsgrund. Eine einstweilige Anordnung darf grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen. Deswegen ist es in der Regel nicht zulässig, die Behörde zum Erlass eines im Hauptsacheverfahren beantragten Verwaltungsaktes zu verpflichten – wobei hier, wie erwähnt, erst noch zu klären ist, ob überhaupt ein Hauptsacheverfahren anhängig ist. Nur ausnahmsweise kann es im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, da sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller / Beschwerdeführer unzumutbar wäre (vgl. Meyer–Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., Anm. 31 zu § 86b).

Derartige Gründe, die es dem Bf. unzumutbar machen, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten, sind vorliegend nicht ersichtlich. Denn es ist nach den vorliegenden Unterlagen weder glaubhaft gemacht, dass der Bf. in seiner Erwerbsfähigkeit im Sinn des § 43 SGB VI gemindert ist, noch ist es ihm aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse unzumutbar, bis zu einer gerichtlichen Entscheidung die Ablehnung der begehrten Rente durch die Bg. hinzunehmen. Das SG hat zwar die - allein - dem Bf. gewährten monatlichen Leistungen zu hoch angesetzt, da nach dem Änderungsbescheid des Landratsamts O. – Kommunale Arbeitsförderung – vom 18.07.2006 die Verletztenrente des Bf. nach dem SGB VII bedarfsmindernd als Einkommen berücksichtigt wird, und sich daher für den Bf. und seine mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau (d.h. also für 2 Personen) nur ein Zahlungsanspruch nach dem SGB II in Höhe von monatlich 433,52 EUR ergibt. Dennoch sichern die dem Bf. gewährte Verletztenrente und die Leistungen der Grundsicherung auch nach Auffassung des Senats seinen erforderlichen Bedarf.

Im übrigen steht sich der Kläger finanziell nicht schlechter als die Vielzahl der Rentenantragsteller und Bezieher von Leistungen der Grundsicherung, die nach Ablehnung ihres Rentenantrages durch den Rentenversicherungsträger im Klageweg ihr Rentenbegehren weiterverfolgen. Auch wenn derartige Klageverfahren in der Regel weitere Ermittlungen zum Gegenstand haben, und daher die Verfahrensdauer gegenüber einem Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz in der Regel deutlich länger ist, so rechtfertigt dies für sich allein nicht die Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache in einem Eilverfahren. Ferner ist zu bedenken, dass aufgrund einer einstweiligen Anordnung gewährte Rentenzahlungen bei erfolglosem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache zu erstatten sind. Angesichts der finanziellen Verhältnisse des Bf. erschiene eine Realisierung einer Erstattungsforderung der Bg. zumindest als fraglich.

Aus den genannten Gründen war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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