L 2 U 4348/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 U 591/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 4348/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. August 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung (und Entschädigung) des Ereignisses vom 05.06.2004 als Arbeitsunfall (AU) streitig.

Der 19xx geborene Kläger führt einen selbstständigen Malerbetrieb. Am 05.06.2004 war der Kläger mit Mäharbeiten auf einem zum H. (Gemeindehaus der katholischen Kirchengemeinde St. B.) in S. gehörenden Grundstück beschäftigt, geriet hierbei mit den Beinen unter die Mähmaschine und verletzte sich schwer (drittgradige offene Außenknöcheltrümmerfraktur, Tibiaschaftfraktur rechts, Rissquetschwunden rechts).

Nach der Vereinbarung der katholischen Kirchengemeinde und dem Verein der F. des H. e.V. vom 01.04.1987 übernimmt der Verein im Auftrag der katholischen Kirchengemeinde die Instandsetzung, Modernisierung, Verwaltung und Betrieb des Gemeindehauses (vgl. § 1 der Satzung des Vereins 20.03.1990).

In der Unfallanzeige des katholischen Pfarramtes St. B. vom 07.06.2004 gab diese an, der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt als ehrenamtlicher Helfer tätig gewesen. Mit Bescheid vom 28.07.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, weil der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz gestanden habe. Er sei nicht als Beschäftigter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)) tätig gewesen; ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII scheide aus, weil der Kläger als Vereinsmitglied nur dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hätte, wenn Arbeitsleistungen erbracht worden wären, die über die Mitgliedspflichten hinausgingen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug u.a. vor, im Zeitpunkt des Unfalls sei er nicht Mitglied des Vereins gewesen und später auch nie geworden. Zum Unfallzeitpunkt habe dem Verein zwar seine schriftliche Beitrittserklärung vorgelegen, eine förmliche Entscheidung des Vorstandes über seine Aufnahme, wie nach § 2 der Satzung des Vereins vorgeschrieben, sei jedoch nicht erfolgt. Im Übrigen seien die vorgenommenen Arbeiten über die normalen mitgliedschaftlichen Pflichten hinausgegangen. Des weiteren bestehe auch Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII, weil er für eine öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft ehrenamtlich tätig geworden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte u.a. aus, die Beurteilung der Mitgliedschaft beurteile sich nicht danach, dass formal über die Mitgliedschaft noch nicht entschieden worden sei. Der Kläger sei als Mitglied anzusehen, wobei die Tätigkeit nicht über die normalen Pflichten eines Mitglieds hinausgegangen seien

Am 18.02.2005 hat der Kläger hiergegen zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und an seinem Begehren festgehalten. Das SG hat den Vorsitzenden des Vereins der F. des H., J. M., in der mündlichen Verhandlung vom 04.08.2005 als Zeugen vernommen. Bezüglich der Aussage des Zeugen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen. Mit Urteil vom 04.08.2005 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids verurteilt, das Ereignis vom 05.06.2004 als Arbeitsunfall anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in gesetzlicher Höhe zu gewähren. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es u.a. ausgeführt, der Kläger habe unter Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gestanden. Der Kläger sei nie Mitglied des Vereins geworden, weshalb auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Ausschluss des Unfallversicherungsschutzes bei Tätigkeiten auf Grund einer Vereinsmitgliedschaft nicht angewendet werden könne. Selbst dann, wenn er als Vereinsmitglied zu betrachten wäre, sei ein Versicherungsschutz gegeben, weil die Tätigkeit (Mäharbeiten eines 10.000m² großen Grundstücks, Arbeitsaufwand 1,5 Tage) über die Vereinspflichten eines normalen Mitglieds hinausgegangen sei.

Gegen das am 28.09.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.10.2005 eingelegte Berufung der Beklagten, mit der sie vorgetragen hat, es sei unerheblich, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht offiziell Mitglied des Vereins gewesen sei, denn - wie der Vereinsvorsitzende bestätigt habe - habe nichts gegen die Aufnahme in den Verein gesprochen. Der Vorstandsbeschluss sowie die Ausgabe des Mitgliedsausweises seien eine reine Formalie gewesen. Im Übrigen seien die geplanten Tätigkeiten des Klägers über den Umfang der Pflichten eines Vereinsmitglieds nicht hinausgegangen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. August 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Neben der zutreffenden Argumentation des SG bestehe Versicherungsschutz auch bereits nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII, weil die Tätigkeit des Klägers unmittelbar der katholischen Kirche gedient habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Denn der Kläger hat am 05.06.2004 einen (von der Beklagten zu entschädigenden) AU erlitten. Vorliegend sind die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch (SGB VII) in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung bis 31.12.2004 maßgebend. Richtige Klageart zur Erreichung des klägerischen Ziels (seinen Unfall vom 05.06.2004 als AU "anzuerkennen") ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 46/03 R). Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 8 SGB VII; nach dessen Abs.1 Satz 1 sind AU Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Dabei bestimmt § 2 SGB VII den kraft Gesetzes, § 3 den kraft Satzung und § 6 den kraft freiwilliger Versicherung versicherten Personenkreis; bei vorliegendem Sachverhalt kommt eine Versicherung nach den §§ 3 und 6 SGB VII jedoch von vornherein nicht in Betracht. Kraft Gesetzes sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert "Beschäftigte". Das sind Personen, die in einer nicht selbständigen Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt sind; Anhaltspunkte hierfür sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV -). Der vorliegende Sachverhalt bietet keinen Anhaltspunkt für ein Beschäftigungsverhältnis, weswegen ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ausscheidet. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII in der oben genannten Fassung sind u.a. kraft Gesetzes versichert Personen, die für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften oder für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, denn er ist nicht für die römisch-katholische Kirche (als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft) ehrenamtlich tätig gewesen, sondern für den Verein der F. des H. e.V. Die Tatsache, dass die Tätigkeit auch der katholischen Kirchengemeinde indirekt zugute gekommen ist, begründet keinen Unfallversicherungsschutz. Die maßgebliche Handlungstendenz des Klägers ist darauf gerichtet gewesen, dem Verein der F. des H., der die Instandhaltungsarbeiten des Grundstücks satzungsmäßig übernommen hat, zu dienen. Unabhängig von der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Vereins von der katholischen Kirchengemeinde ist ein Versicherungsschutz somit nicht eröffnet, weil der Kläger nicht unmittelbar für die katholische Kirchengemeinde als ehrenamtlicher Helfer tätig gewesen ist. Eine entsprechende Erweiterung auf privatrechtliche Vereine, hier dem Verein der F. des H. e.V., ist nicht eröffnet (vgl. u.a. Urteil des BSG vom 10.10.2002, B 2 U 14/02 R, veröffentlicht in Juris). Der Versicherungsschutz ergibt sich jedoch aus § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Danach sind Personen versichert, die "wie Beschäftigte" tätig werden. Ein Versicherungsschutz als "Wie-Beschäftigter" setzt voraus (hierzu und zum Nachfolgenden: BSG, Urteile vom 12.04.2005 - B 2 U 5/04 R - und 31.05.2005 - B 2 U 35/04 R - ; beide veröffentlicht in Juris), dass es sich um eine ernstliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert handelt, die dem in Betracht kommenden fremden Unternehmen dienen soll (Handlungstendenz), die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und ungeachtet des Beweggrundes für den Entschluss, tätig zu werden, unter solchen Umständen tatsächlich geleistet wird, dass sie ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht und nicht auf einer Sonderbeziehung, z.B. als Familienangehöriger oder Vereinsmitglied, beruht. Eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen ist demgegenüber nicht erforderlich. Ohne Bedeutung für den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII ist auch, ob der Verletzte gegen Entgelt oder unentgeltlich handelte. Diese Voraussetzungen liegen vor. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist die Handlung des Klägers darauf gerichtet gewesen, dem Verein der F. des H. e.V. bei der Erfüllung der satzungsgemäßen Aufgaben zu helfen. Hierzu gehören auch die vom Kläger durchgeführten Mäharbeiten. Der Kläger hat insoweit auch eine Tätigkeit ausgeübt, die im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses (z.B. als Gärtner) hätte ausgeübt werden können und sie hat objektiv dem wirklichen Willen des Unternehmers (hier: dem Verein der F. des H. e.V.) entsprochen. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger diese Tätigkeit nicht im Rahmen einer Mitgliedschaft zum Verein der F. des H. e.V. verrichtet, die einen Versicherungsschutz nur dann begründet hätte, wenn die Tätigkeit über die allgemeinen Mitgliedspflichten hinausgegangen wäre (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 13.08.2002 - B 2 U 5/02 R - m.w.N, veröffentlicht in Juris). Der Kläger ist weder zum Unfallzeitpunkt noch danach Mitglied des Vereins gewesen bzw. geworden. Zwingende Voraussetzung für die Begründung der Mitgliedschaft ist nach § 2 der Satzung des Vereins der F. des H. e.V. eine zustimmende Entscheidung des Vorstands. Eine solche Entscheidung ist weder vor noch nach dem Unfall durch den Vorstand herbeigeführt worden, weshalb eine Mitgliedschaft nie begründet worden ist. Eine "faktische Vereins-Mitgliedschaft" gibt es nicht. Die Rechtsposition als Mitglied eines e.V. kann nur nach den gesetzlichen Vorschriften und den satzungsgemäßen Bestimmungen des Vereins erfolgen. Die Mitgliedschaft in einem Verein wird entweder durch Gründung (Gründungsmitglied) oder durch Vertrag zwischen dem Verein und dem neuen Mitglied begründet. Hierfür notwendig sind beiderseitige Willenserklärungen, nämlich die Beitrittserklärung einerseits und die Erklärung der Aufnahme andererseits (vgl. Palandt, BGB, 66. Aufl. (2007), § 38 Rdnr. 4). Die Aufnahme in den Verein der F. des H. erfolgt durch die Aufnahmeerklärung und -entscheidung des Vorstands, die durch die Aushändigung der Mitgliedskarte, wie von dem Zeugen M. ausgesagt, dokumentiert wird. Da eine Aufnahmeentscheidung des Vereinsvorstands zu keinem Zeitpunkt erfolgt, liegt auch keine Aufnahmeerklärung des Vereins vor, sodass eine Mitgliedschaft nicht begründet worden ist. Es kann schließlich auch keine konkludente Annahmeerklärung des Vorstands durch das "Mitarbeiten-lassen" konstruiert werden, denn - wie der Zeuge Mohr ausgesagt hat - sind sowohl Mitglieder als auch Nicht-Mitglieder für den Verein tätig geworden, da die Aufgaben von den Mitgliedern allein nicht hätten bewältigt werden können. Deswegen kann allein darin keine Annahmeerklärung hinsichtlich einer beantragten Vereinsaufnahme gesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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