L 4 P 3286/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 3279/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 3286/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger ab 02. Dezember 2003 Pflegegeld mindestens nach Pflegestufe I im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) zusteht.

Der am 2001 geborene Kläger war zunächst bei der Pflegekasse der DAK über seine Mutter familienpflegeversichert; vom 02. Dezember 2003 bis 18. März 2004 war er bei der Beklagten über seine Mutter und seit 19. März 2004 ist er dort über seinen Vater familienpflegeversichert. Er leidet seit Januar 2003 an Diabetes mellitus Typ I. Nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) ist bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 19. Januar 2003 festgestellt. Der Kläger besucht seit September 2004 den Waldorfkindergarten in Weinheim, und zwar täglich von 07.30 Uhr bis 12.15 Uhr.

Im Januar 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen aus der Pflegeversicherung. Die Beklagte veranlasste dessen Untersuchung in seiner häuslichen Umgebung, die am 08. März 2004 durch Dr. L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg in M. durchgeführt wurde. Im daraufhin erstatteten Gutachten vom 18. März 2004 wurde für den Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf von acht Minuten täglich bei der Kontrolle der Diabetes-Diät angenommen. Es wurden die Zeiten der Nahrungsaufnahme um 07:30 Uhr, 09:00 Uhr, 10:30 Uhr, 12:30 Uhr, 14:30 Uhr, 16:30 Uhr, 18:30 Uhr, 19:30 Uhr und gegebenenfalls 22:00 Uhr und 23:00 Uhr angegeben. Den Eltern obliege die Kontrolle, dass die angebotene Nahrung auch aufgegessen werde. Für den Bereich der Hauswirtschaft wurde ein Hilfebedarf von 60 Minuten angenommen. Dazu wurden die Eltern des Klägers angehört; der Vater des Klägers machte dabei geltend, die Kontrolle der Nahrungsaufnahme dauere allein beim Abendessen mindestens 30 Minuten. Die ermittelten acht Minuten entsprächen absolut nicht der Realität. Es wurde auch ein für die Zeit vom 06. bis 19. September 2004 geführtes Pflegetagebuch eingereicht. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Oktober 2004 bestätigte Dr. L., dass im Bereich der Grundpflege lediglich ein Mehrbedarf von acht Minuten bestehe; dies sei der Wert, der über den Pflegebedarf eines altersentsprechend entwickelten Kindes dieses Alters hinausgehe. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2004 lehnte daraufhin die Beklagte die Gewährung von Pflegegeld ab, da die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht erfüllt seien. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch schilderte der Kläger den täglichen Ablauf beim Essen eines an Diabetes mellitus erkrankten Kleinkindes. Daraus ergebe sich, dass ein Hilfebedarf von acht Minuten im Bereich der Ernährung völlig daneben liege. Es werde bei ihm noch schwieriger, wenn er krank sei. Zu Unrecht würden auch die Zeiten für das Blut- und Urinzuckermessen sowie für die Insulininjektionen der Behandlungspflege zugerechnet. Auch insoweit handle es sich um Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Grundfunktionen. Zum Bereich der Mobilität zählten bei ihm auch zusätzliche Kinderarztbesuche, Augenarztbesuche, Besuche der Diabetesambulanz. Im Übrigen seien auch die Zeiten für den Besuch eines Sportvereins, für das Fahrradfahren, das Rollerfahren und die Waldausflüge zu berücksichtigen, denn dies diene der Vorbeugung von Spätschäden und dem Ankurbeln der Eigeninsulinproduktion. Insoweit liege der tägliche Hilfebedarf weit über drei Stunden, wobei mehr als zwei Stunden auf die Grundpflege entfielen. Die Beklagte erhob ein weiteres Gutachten der Dr. O. vom MDK Baden-Württemberg in H.; die Ärztin untersuchte den Kläger in seiner häuslichen Umgebung am 13. Mai 2005; in dem am 19. Mai 2005 erstatteten Gutachten verneinte sie einen vermehrten Hilfebedarf gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2005). Im Widerspruchsbescheid wurde u. a. ausgeführt, speziell im Zusammenhang mit an Diabetes mellitus erkrankten Kindern habe das Bundessozialgericht (BSG) in mehreren Urteilen Feststellungen zur Zuordnung von krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen und zur Abgrenzung der Verrichtungen der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, der Nahrungsaufnahme und der hauswirtschaftlichen Versorgung getroffen. Danach gehörten die Tätigkeiten des Berechnens, Abwiegens, Zusammenstellens und Zubereitens der Speisen zur Herstellung der erforderlichen Diät zur Nahrungszubereitung und damit zur Verrichtung "Kochen" im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Zum Zusammenstellen und Zubereiten der Speisen zähle - nach Abschluss der Verrichtung "Kochen" - auch das anhand der Diätvorschriften vorzunehmende Bemessen und Zuteilen der zubereiteten Nahrung bzw. einzelner Nahrungsbestandteile. Die Blutzuckertests sowie das Spritzen von Insulin zählten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nicht zur Grundpflege. Es handle sich dabei um krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (Behandlungspflege), die nur dann zu berücksichtigen seien, wenn sie einer der in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen zugerechnet werden könnten. Daran fehle es aber, denn die Messungen des Zuckerspiegels und das Führen eines Blutzuckertagebuchs dienten als Vorbereitungshandlungen dem Berechnen, Zusammenstellen, Abwiegen und Zuteilen der Mahlzeiten. Das Spritzen von Insulin sei nach den Feststellungen des BSG zeitlich zu weit vom Vorgang des Essens entfernt, um noch unter "Aufnahme der Nahrung" subsumiert zu werden. Ein Mehraufwand könne gegebenenfalls im Bereich der Mobilität vorliegen, da krankheitsbedingt häufiger Arztbesuche (Aufsuchen der Diabetesambulanz, Augenarzt, Kinderarzt) erforderlich seien. In diesem Zusammenhang könnten jedoch nur solche außerhäusliche Verrichtungen berücksichtigt werden, die mit gewisser Regelmäßigkeit wenigstens einmal pro Woche anfielen. Andere Verrichtungen und Unternehmungen außer Haus, wie Waldspaziergänge oder sportliche Aktivitäten, könnten im Rahmen der Pflegeversicherung generell nicht berücksichtigt werden. Insoweit liege beim Kläger allenfalls ein berücksichtigungsfähiger Mehraufwand bei der Nahrungsaufnahme von acht Minuten täglich vor. Unabhängig von der Höhe des Mehraufwands bei der Nahrungsaufnahme liege damit aber auch ein zusätzlicher Hilfebedarf nur bei einer Verrichtung der Grundpflege vor. Voraussetzungen für Leistungen aus der Pflegeversicherung sei jedoch, dass bei wenigstens zwei Verrichtungen bei der Grundpflege ein Hilfebedarf gegeben sei.

Deswegen erhob der Kläger am 11. November 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim. Er reichte verschiedene Unterlagen ein und trug vor, die Verneinung einer Pflegestufe könne er nicht nachvollziehen. Er betrachte das Insulinspritzen als lebenserhaltend. In jedem Fall zählten zur Grundpflege Handlungen im Bereich Mobilität sowie Hilfen bei der Körperpflege und der Nahrungsaufnahme. Die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des BSG sei auf ihn nicht anwendbar, denn er sei nicht 14, sondern bei der Antragstellung erst zweieinhalb Jahre alt gewesen. Insoweit ergäben sich bei ihm im Hinblick auf sein Alter völlig andere Zeiten bei der Überwachung und Aufforderung zur Nahrungsaufnahme. Der Tagesablauf bei Kleinkindern mit Diabetes sehe anders aus; er verlange das Blutzuckermessen ungefähr zehnmal, drei- bis viermaliges Insulinspritzen, zusätzliche Zwischenmahlzeiten fünf- bis sechsmal, speziellen Einkauf/Kochen sowie Berechnen und Abwiegen, mundgerechtes Zubereiten, Überwachung und Besprechen der Nahrungsaufnahme, Arztbesuche (Augenarztbesuche, Heilpraktiker). Ferner müssten bei Krankheit starke Blutzuckerschwankungen irgendwie ausgeglichen werden, bei Einladungen müsse stets eine Begleitperson mitgehen und nachts seien zusätzlich bis zu dreimal Blutzuckermessungen notwendig. Ferner müsse für zusätzliche Bewegung gesorgt werden. Es gehe insoweit nicht um generelle Zeiten für Betreuung und Beaufsichtigung, sondern um verrichtungsbezogene Zeiten im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme. Ferner müssten trockene Hautflecken ständig eingecremt werden. Auch sei bei nächtlichem Einnässen ein Windelwechseln erforderlich. Er gab für die Grundpflege 121 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung 172 Minuten täglich an. Dabei seien die Zeiten der Behandlungspflege (Verabreichung von Insulin, Blutzuckerkontrollen unabhängig von der Nahrungsaufnahme und Urinketonbestimmung) noch nicht berücksichtigt. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen. Mit Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2006, der den Eltern des Klägers am 30. Mai 2006 zugestellt wurde, wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen der Pflegestufe I seien beim Kläger nicht erfüllt, da er weniger als 45 Minuten durchschnittlich der Hilfe durch dritte Personen bedürfe. Schon aus seinem eigenen tatsächlichen Vorbringen ergebe sich ein rechtlich zu berücksichtigender Hilfebedarf von allenfalls 34 Minuten pro Tag. Ohne nähere Prüfung könne zunächst unterstellt werden, dass im Bereich der Körperpflege der vom Kläger angegebene tagesdurchschnittliche Hilfebedarf von 19 Minuten bestehe. Im Hinblick auf die Ernährung könne allenfalls ein zusätzlicher Hilfebedarf von 15 Minuten gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern angenommen werden. Auch bei einem gesunden Kind im Alter von bis zu fünf Jahren sei es üblich, dass es seine Mahlzeiten zusammen mit der Familie bzw. einem Elternteil gemeinsam einnehme. Insofern entsprächen auch die zeitlichen Angaben für die Überwachung und Anleitung bzw. das Auffordern zum Essen von jeweils 20 Minuten während der Hauptmahlzeiten der üblichen Dauer solcher Mahlzeiten und begründeten keinen zusätzlichen wesentlichen Zeitaufwand, abgesehen davon, dass es sich dabei nicht um eine Hilfeleistung handle, die der Intensität des Fütterns gleichstehe. Gleiches gelte für die Einnahme jeweils einer Zwischenmahlzeit zwischen den Hauptmahlzeiten. Allenfalls die "Überwachung" der späten Mahlzeit von angegebenen zehn bzw. der jeden dritten Tag erforderlichen Nachtmahlzeit von geltend gemachten fünf Minuten tagesdurchschnittlich könne als zusätzlicher Hilfebedarf angesehen werden. Der vorgebrachte Hilfebedarf im Bereich der Mobilität für die Begleitung zu Arztbesuchen sei nicht anzurechnen. Verrichtungen, die seltener als mindestens einmal pro Woche vorkämen, blieben außer Betracht, auch wenn sie einen hohen Zeitaufwand verursachten.

Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 22. Juni 2006 mit Fernkopie Berufung beim SG zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Kläger hat verschiedene Unterlagen eingereicht und trägt ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen vor, dass das SG auf die Frage der Verletzung des Gleichheitsprinzips im Hinblick auf die Einstufung bei diabeteskranken Kindern nicht eingegangen sei. Auch seien die unterschiedlichen Schätzungen von acht bzw. null bzw. 34 Minuten, so zuletzt durch das SG, nicht nachvollziehbar. Nach der Aussage der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie übersteige der zeitliche Aufwand für die Pflegetätigkeit bei diabeteskranken Kindern 90 Minuten am Tag. Insoweit müsse berücksichtigt werden, dass er stets etwas essen müsse, weil er Kohlehydrate benötige, und zwar auch dann, wenn er krank sei. Insoweit habe er den täglichen Ablauf im Widerspruchsverfahren geschildert. Bei der Annahme von 34 Minuten pro Tag verkenne das SG, dass nur die Überwachung der Spätmahlzeit und die eventuell anfallende Nachtmahlzeit als zusätzlicher Hilfebedarf berücksichtigt werde. Tatsächlich fehle es aber auch insoweit daran, dass die täglich anfallenden Zusatzminuten für das Zusammenschustern der Kalorieneinheiten nicht berücksichtigt werde, zumal er nicht täglich alles esse, was seine Eltern für ihn vorbereitet hätten. Deswegen sei es nicht zulässig, die von ihm angegebenen Zeiten für Frühstück, Mittagessen und Abendessen ebenso zu bewerten, wie in einer Familie ohne ein an Diabetes leidendes Kind. Ferner gehe es um das Besprechen des Essens im Kindergarten und der Nachmittagsmahlzeit. Auch falle die Spätmahlzeit jetzt an jedem zweiten Tag oder häufiger an. Zu berücksichtigen sei auch ein Hilfebedarf in Ausnahmefällen, wie bei Krankheiten, oder bei Sonderaktivitäten, wie beim Besuch von Kindergeburtstagen oder Ähnlichem. Dann sei eine Betreuung 24 Stunden am Tag erforderlich. Weiter müsse der Aufwand für den Besuch der Kleinkinderdiabetikerkurse im Krankenhaus Herdecke bei Hagen berücksichtigt werden. An diesen nehme er jeweils Ende September fünf Tage einschließlich Übernachtungen mit einem Elternteil teil. Dieses gelte auch für Besuche von Veranstaltungen der Mini-Insuliner. Im Bereich der Körperpflege kämen noch mindestens fünf Minuten täglich für das Wechseln von Unterhosen, Hosen und gegebenenfalls Unterhemden und T-Shirts bzw. Pullovern dazu, da zurzeit drei- bis viermal täglich während des Tages die Hose nass sei. Er könne bei schlechten Zuckerwerten seine Blase nicht mehr kontrollieren. Bei der Mobilität seien täglich 25 Minuten zusätzlich zu berücksichtigen für die "ausgeprägte Bewegungsinitiative" seiner Eltern zur Vorbeugung von Spätschäden. Damit ergebe sich ein zusätzlicher Hilfebedarf von 83 Minuten, der dem vom SG ermittelten Wert von 34 Minuten hinzugerechnet werden müsse.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2005 zu verurteilen, ihm ab 02. Dezember 2003 Pflegegeld mindestens nach Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Aus dem Vorliegen einer bestimmten Erkrankung könne nicht automatisch auf Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI geschlossen werden. Entscheidend sei die konkrete Funktionseinschränkung. Die Tatsache, dass ein Kind an Diabetes leide, besage deshalb nicht, dass es automatisch pflegebedürftig sei. Es komme jeweils auf die individuelle Ausprägung der Erkrankung und der Fähigkeitsstörungen und den daraus resultierenden Hilfebedarf an. Beispielsweise habe im Fall des Klägers nicht die Notwendigkeit eines stündlichen Windelwechsels bestanden, wie in einem von ihm benannten Beispielsfall. Eine Ungleichbehandlung bei der Einstufung von an Diabetes erkrankten Kindern liege nicht vor. Soweit sich der Kläger auf Zeitungsartikel zu dem Urteil des BSG vom 28. Mai 2003 (B 3 P 6/02 R) beziehe, seien die Urteilsgründe nur unvollständig wiedergegeben. Es obliege dem Gesetzgeber, einer möglichen Ungleichbehandlung durch entsprechende gesetzliche Regelungen zu begegnen. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Pflegeversicherung bewusst nicht als umfassende Absicherung des Pflegerisikos konzipiert worden sei.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht weder ab 02. Dezember 2003 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Pflegegeld gegen die Beklagte zu, denn schon der für die Pflegestufe I erforderliche Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten bei Grundpflegemaßnahmen ist nicht erfüllt. Deswegen ist der Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2005 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Ein Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 SGB XI setzt u.a. voraus, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Pflegesachleistungen nach § 36 Abs. 1 SGB XI besteht. Erforderlich ist, dass der Pflegebedürftige in eine Pflegestufe einzuordnen ist. Die niedrigste Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sind. Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI muss in der Pflegestufe I der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- oder Blasenentleerung, § 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (mundgerechtes Zubereiten oder Aufnahme der Nahrung, § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (selbstständiges Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Die hauswirtschaftliche Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI umfasst das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Bei Kindern ist nach § 15 Abs. 2 SGB XI für die Zuordnung zu einer Pflegestufe lediglich der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend.

Der Senat vermag nicht festzustellen, dass beim Kläger bei der Grundpflege ein Hilfebedarf von täglich mehr als 45 Minuten besteht. Dies ergibt sich weder im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren noch auf das im SG-Verfahren (insbesondere Schriftsatz vom 15. Januar 2006), aber auch nicht aus seinem Vorbringen in der Berufungsinstanz (Schriftsätze vom 18. August und 11. November 2006 sowie Angaben des Vaters des Klägers in der mündlichen Verhandlung). Die vom Kläger in den Schriftsätzen vom 15. Januar und 11. November 2006 in Ansatz gebrachten Zeitwerte für die Nahrungsaufnahme, die Mobilität und die Körperpflege einerseits, wobei er den Hilfebedarf mit täglich 121 Minuten ansetzt, sowie für die hauswirtschaftliche Versorgung andererseits, vermag der Senat nicht zu berücksichtigen. Der Kläger trägt vor allem vor, es liege eine Ungleichbehandlung bei der gesetzlichen Einstufung zur Pflegeversicherung bei diabeteskranken Kindern, insbesondere Kleinkindern, wie er, vor, weil deren hoher Behandlungspflegeanteil zu Hause im Gegensatz zur Grundpflege nicht berücksichtigt werde. Entgegen der Ansicht des Klägers rechtfertigt nicht allein das Vorliegen von Diabetes mellitus Typ I beim Kind, unabhängig von seinem Alter, dass deswegen unter Berücksichtigung auch des § 15 Abs. 2 SGB XI die Pflegestufe I zu bejahen ist. Die Einstufung in die Pflegestufen erfolgt nicht aufgrund von Krankheitsdiagnosen. Gleichfalls ergibt sich das Vorliegen der Pflegestufe I nicht daraus, dass beim Kläger ein GdB von 50 anerkannt ist. Die Bestimmung des Hilfebedarfs in der Pflegeversicherung erfolgt verrichtungsbezogen im Hinblick auf die Katalogverrichtungen des § 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI einerseits, also der Grundpflege, andererseits der Nr. 4 der genannten Bestimmung, d.h. der hauswirtschaftlichen Versorgung. Auch bei Kindern kann ein unter 46 Minuten liegender Mehrbedarf bei der Grundpflege nicht durch einen erhöhten, über 45 Minuten liegenden Bedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ausgeglichen werden (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr. 2; BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 7). Daraus ergibt sich auch, dass die Pflegeversicherung keine Vollversicherung ist, die auch jeden allgemeinen Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf, selbst zur Vermeidung lebensbedrohlicher Situationen, berücksichtigt. Auch krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (Behandlungspflege) werden nur dann berücksichtigt, wenn sie entweder Bestandteil der Hilfe für die Katalog-Verrichtungen des § 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI sind oder wenn sie in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werden. Bei Diabetikern, auch soweit es sich um Kinder handelt, rechnen Blutzuckertests (einschließlich der Führung eines Blutzucker-Tagebuchs) sowie das Spritzen von Insulin, sowohl als Basisinsulin als auch als Korrekturinsulin, zu den Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen auch beim Kläger kein unmittelbarer Zusammenhang mit der "Aufnahme der Nahrung" im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI besteht (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 7 Bl. 23). Auch soweit es beim Kläger um die der "Aufnahme der Nahrung" vorbereitenden Tätigkeiten des Berechnens, Abwiegens, Zusammenstellens und der Zubereitung der Speisen zur Herstellung der für ihn erforderlichen Diät geht, zählt dies zum "Kochen" und ist der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen; krankheitsbedingte Besonderheiten sind insoweit nicht zu berücksichtigen. Zur Hauswirtschaft gehört dann auch als Abschluss des "Kochens" das anhand der Diätvorschriften vorzunehmende Bemessen und Zuteilen der zubereiteten Nahrung bzw. Nahrungsbestandteile. Letzteres rechnet auch nicht zum mundgerechten Zubereiten der Nahrung im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI, bei dem es nur darum geht, dass die zubereitete Nahrung so aufbereitet wird, dass der Pflegebedürftige sie greifen, zum Mund führen, zerkauen und schlucken kann (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 7 Bl. 22 f.). Danach sind auch die vom Kläger in Ansatz gebrachten Zeiten für "Besprechung bzgl. Essen im Kindergarten" und "Besprechung der Nachmittagsmahlzeit" bei der Grundpflege nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt, worauf auch das SG zutreffend hingewiesen hat, für die mit jeweils 20 Minuten in Ansatz gebrachte "Überwachung und Anleitung, Aufforderung" während des Frühstücks, des Mittagessens und des Abendessens. Vielmehr geht auch der Senat davon aus, dass es beim Kläger, wie auch bei gleichaltrigen Kindern, die nicht an Diabetes mellitus leiden, um die Beaufsichtigung geht, ob der Kläger die Nahrung im vorgesehenen Maße aufnimmt. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass hier die Eltern bei den jeweiligen gemeinsamen Mahlzeiten der Familie auch zusammen mit dem etwas älteren Bruder durch die Überwachung der Nahrungsaufnahme in solchem Umfang zeitlich und örtlich eingebunden sind, dass sie anderweitigen Tätigkeiten nicht nachgehen können (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8; BSG SozR 4-3300 § 14 Nr. 3). Eine solche zeitliche und örtliche Einbindung der Pflegeperson könnte allenfalls für die Überwachung der Spätmahlzeit bzw. derjenigen um 23.00 Uhr angenommen werden, woraus sich ein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten pro Tag jedoch nicht ergibt. Soweit der Kläger, der im Dezember 2003 zweieinhalb Jahre alt war und jetzt sechs Jahre alt ist, für die Körperpflege einen Hilfebedarf von fünf Minuten pro Tag für die jeden zweiten Tag vorzunehmende Kontrolle wegen möglichen Verletzungen und die Anleitung zur speziellen Körperpflege angerechnet wissen will, vermag der Senat nicht festzustellen, dass es sich insoweit um einen zusätzlichen Hilfebedarf im Sinne des § 15 Abs. 2 SGB XI handelt, der bei einem nicht an Diabetes mellitus leidenden gleichaltrigen Kind nicht anfallen würde. Gleiches gilt dafür, dass der Kläger einen Hilfebedarf von zehn Minuten pro Tag für das Eincremen trockener Haut berücksichtigt wissen will. Ferner hat der Kläger im Schreiben vom 15. Januar 2006 geltend gemacht, dass nächtliches Einnässen derzeit nur mit dem Tragen von Windeln und nächtlichem Windelwechseln behoben werden könne, weswegen für das Windelwechseln ein Hilfebedarf von vier Minuten pro Tag geltend gemacht wird. Aus diesem Vorbringen ergibt sich schon nicht, dass es sich insoweit um einen Dauerzustand, der mehr als sechs Monate angehalten hat, handelt. Jedoch auch unter Berücksichtigung dieses Zeitwerts von vier Minuten pro Tag errechnet sich kein Hilfebedarf von insgesamt mehr als 45 Minuten pro Tag. Gleiches gilt dafür, dass der Kläger zuletzt mit Schreiben vom 11. November 2006 noch geltend gemacht hat, dass er bei schlechten Zuckerwerten seine Blase nicht mehr kontrollieren könne, weshalb täglich mehrmals seine Hosen gewechselt werden müssten. Auch der insoweit angegebene Zeitwert von fünf Minuten pro Tag ergäbe jedoch im Übrigen keinen Gesamtwert von mehr als 45 Minuten. Soweit der Kläger zusätzlichen Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, z.B. anlässlich von Arztbesuchen bzw. Besuchen von Heilpraktikern, aber auch anlässlich der Teilnahme an Kleinkinderdiabetikerkursen sowie an den Veranstaltungen an der Mini-Insuliner, geltend macht, vermag der Senat nicht festzustellen, dass solche Besuche durchschnittlich einmal wöchentlich stattfinden, worauf auch das SG hingewiesen hat. Der Kläger hat nämlich selbst vorgetragen, dass er den Kinderarzt nur alle 14 Tage aufsuche, dass alle zwei Monate eine Untersuchung in der Diabetesambulanz der Universitätsklinik H. stattfinde und dass die Augenärztin in Heidelberg alle sechs Monate konsultiert werde. Nach dem Vorbringen des Klägers finden auch die Kleinkinderdiabetikerkurse im Krankenhaus H. bei H. lediglich einmal im Jahr statt. Es ergibt sich auch kein wöchentlicher Besuch von Veranstaltungen der Mini-Insuliner in H., sodass es nicht darauf ankommt, ob die Zeit für die Begleitung des Klägers zur Teilnahme an den Veranstaltungen einer solchen Selbsthilfegruppe überhaupt berücksichtigungsfähig wäre. Soweit der Kläger im Übrigen noch Betreuungsaufwand bei der "Bewegungsinitiative" zur Vermeidung von Spätschäden geltend macht, ist dieser Zeitaufwand für den Bereich der Mobilität ebenso wenig zu berücksichtigen wie der Betreuungsaufwand bei Sonderaktivitäten, wie dem Besuch von Kindergeburtstagen oder Ähnlichem. Danach ergibt sich kein zu berücksichtigender Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten im Bereich der Grundpflege. Auf den Umfang des zusätzlichen Hilfebedarfs im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung kommt es danach nicht an.

Die Berufung des Klägers war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des BSG zum Hilfebedarf bei Kindern, die an Diabetes leiden, nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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