L 13 AL 522/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 2749/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 522/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 13 AL 5393/06 durch die seitens des Klägers am 16. Januar 2007 erklärte Berufungsrücknahme erledigt ist. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob das Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 13 AL 5393/06 durch die seitens des Klägers im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 16. Januar 2007 erklärte Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Dem 1946 geborenen Kläger bewilligte das (damals) Arbeitsamt L. (AA) mit bestandkräftigem Bescheid vom 19. August 2002 ab 1. Juni 2002 Arbeitslosengeld (Alg) mit einer Anspruchsdauer von 540 Kalendertagen. In der Folge bezog der Kläger für 354 Kalendertage Alg. Am 27. Mai 2003 nahm der Kläger als Grenzgänger in der S. eine dort versicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigung auf. Insgesamt stand er bis zum 28. Februar 2005 in der S. in mehreren versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Am 1. März 2005 meldete sich der vom 7. Dezember 2004 bis 28. Februar 2005 arbeitsunfähig krank gewesene Kläger bei der Agentur für Arbeit L. (AA) arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Ausgehend davon, dass der Kläger in der Rahmenfrist vom 1. Juni 2002 bis zum 28. Februar 2005 insgesamt 17 Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, bewilligte die AA mit Bescheid vom 24. März 2005 Alg ab 1. März 2005 mit einer Anspruchsdauer von insgesamt 426 Tagen; inbegriffen waren dabei "unverbrauchte" 186 Tage aus dem am 1. Juni 2002 entstandenen Anspruch auf Alg. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2005 zurück. Die hiergegen am 6. Juli 2005 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage (Az: S 7 AL 2749/05) begründete der Kläger im Wesentlichen damit, dass ihm sowohl ab 1. Juni 2002 als auch ab 1. März 2005 jeweils ein Anspruch auf Alg mit einer Dauer von 960 Tagen zugestanden habe. Nachdem der Kläger im Klageverfahren weitere versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten in der S. in einem Umfang von insgesamt 20 Monaten nachweisen konnte, bewilligte die AfA mit Änderungsbescheid vom 22. Juni 2006 Alg ab 1. März 2005 mit einer Anspruchsdauer von insgesamt 486 Tagen; wiederum inbegriffen waren dabei "unverbrauchte" 186 Tage aus dem Alg-Anspruch vom 1. Juni 2002. Mit Gerichtsbescheid vom 18. September 2006 wies das SG die Klage ab.

Im vom Kläger hiergegen eingeleiteten Berufungsverfahren (L 13 AL 5393/06) hat er an seinem bisherigen Vorbringen festgehalten und nochmals ausgeführt, dass ihm sowohl ab 1. Juni 2002 als auch ab 1. März 2005 jeweils ein Anspruch auf Alg mit einer Anspruchsdauer von 960 Tagen zugestanden habe. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 16. Januar 2007 hat der Kläger die Rücknahme der Berufung erklärt; ausweislich der Niederschrift wurde diese Erklärung dem Kläger vorgespielt und dieser hat sie genehmigt.

Mit am 30. Januar 2007 beim Landessozialgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er das Berufungsverfahren L 13 AL 5393/06 fortführen will. Er sei wie bereits in einem früheren Erörterungstermin ausgetrickst worden. Er habe alles über sich ergehen lassen müssen. Dass der Termin in einer sachlichen und korrekten Atmosphäre abgelaufen sei, stimme nicht.

Der Kläger beantragt,

unter Fortsetzung des Verfahrens den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. September 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2005 sowie des Bescheides vom 22. Juli 2006 zu verurteilen, ihm ab 1. März 2005 Arbeitslosengeld mit einer Anspruchsdauer von 960 Tagen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Berufungsverfahren durch die seitens des Klägers am 16. Januar 2007 erklärte Berufungsrücknahme erledigt ist.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG (S 7 AL 2749/05) und die Berufungsakten des Senats (L 13 AL 5393/06 und L 13 AL 522/07) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Begehren des Klägers hat keinen Erfolg. Der Rechtsstreit L 13 AL 5393/06 ist aufgrund der vom Kläger formwirksam und ohne Einschränkungen erklärten Berufungsrücknahme erledigt.

Über die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme war in Fortsetzung des Berufungsverfahrens zu entscheiden, indem diese erklärt wurde (Bundessozialgericht [BSG] SozR 1500 § 73 Nr. 6). Gemäß § 156 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann die Berufung bis zur Rechtskraft des Urteils oder eines nach § 153 Abs. 4 oder § 158 Satz 2 SGG ergangenen Beschlusses zurückgenommen werden. Die Rücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (§ 156 Abs. 2 Satz 1 SGG). Diese Rechtswirkung ist vorliegend eingetreten. Der prozessfähige Kläger hat im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 16. Januar 2007 die Berufung wirksam zurückgenommen. Dies ergibt sich bereits aus der Niederschrift über diesen Termin, der insofern Beweiskraft zukommt (vgl. § 122 SGG i.V.m. § 165 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die maßgeblichen Protokollierungsvorschriften des § 122 SGG i.V.m. §§ 160 Abs. 3 Nr. 8, 162 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO sind gewahrt worden. Der Berichterstatter hat die seitens des Klägers erklärte Berufungsrücknahme protokolliert und anschließend vermerkt, dass die vorläufige Aufzeichnung vorgespielt und genehmigt wurde. Ob die Einhaltung dieser Vorschriften für die Wirksamkeit der protokollierten Prozesshandlung erforderlich ist (bejahend LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1974, 906 ff. und 993 ff.; Meyer-Ladewig, SGG, § 156 Rdnr. 2; Bley in Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 156 Rdnr. 18; a. A. BSG SozR 1500 § 102 Nr. 4), brauchte der Senat deshalb nicht zu entscheiden. Für die Rücknahme spricht auch, dass der Kläger einen Antrag auf Berichtigung der Niederschrift (§ 122 SGG i.V.m. § 164 Abs. 1 ZPO) nicht gestellt hat und im übrigen nicht bezweifelt, diese Erklärung abgegeben zu haben.

Als den Rechtsstreit beendende Prozesserklärung kann die vom Kläger zu Protokoll erklärte Berufungsrücknahme weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums (§ 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) angefochten werden (BSG, Beschluss vom 24. April 2003 - B 11 AL 33/03 B m. w. N., veröffentlicht in juris; Mayer-Ladewig, SGG, § 156 Rdnr. 2a). Zwar können auch Prozesshandlungen grundsätzlich im Verlauf des weiteren Verfahrens widerrufen, ergänzt, geändert oder berichtigt werden, dies gilt jedoch nur solange der Rechtsstreit anhängig ist (Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, Einleitung III, Rdnr. 21). Unwiderruflich und nicht abänderungsfähig sind darüber hinaus solche Prozesshandlungen, durch die der Prozessgegner eine Rechtsstellung erlangt oder aufgrund derer er seine Rechtsstellung eingerichtet hat (Bundesfinanzhof (BFH) BFH/NV 1992, 49; Bayerisches LSG, Urteil vom 16. Oktober 2001 - L 15 V 37/01- veröffentlicht in juris). Dies ist bei der Berufungsrücknahme der Fall. Für eine Anfechtung der Rücknahme in entsprechender Anwendung des § 123 BGB ist schon deshalb kein Raum, weil insoweit der Vortrag des Klägers völlig unsubstantiiert ist, abgesehen davon, dass auch insoweit die Anfechtung der Berufungsrücknahme ausgeschlossen wäre (vgl. BSG SozR Nr. 6 zu § 102 SGG).

Auch ein Widerruf der Berufungsrücknahme entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 1980 - 9 RV 16/79- veröffentlicht in juris) kommt nicht in Betracht, da ein gesetzlicher Restitutionsgrund im Sinne des § 179 Abs. 1 SGG i. V. m. § 580 ZPO (insbesondere: falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, strafbares falsches Zeugnis oder Gutachten, Urteilserschleichung, strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters, Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde) weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich ist; abgesehen davon wären auch die Voraussetzungen des § 581 Abs. 1 ZPO nicht erfüllt. Ob ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 ZPO ebenfalls einen Widerruf rechtfertigen könnte, kann dahingestellt bleiben, denn die in § 579 Abs. 1 ZPO aufgeführten Nichtigkeitsgründe (unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts, Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen oder wegen Befangenheit abgelehnten Richters, den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechende Vertretung eines Beteiligten) liegen offensichtlich ebenfalls nicht vor. Ebensowenig findet sich ein Anhalt und ist auch vom Kläger - nicht substantiiert - behauptet, dass Richter am LSG K. auf den Kläger in unzulässiger Weise Druck ausgeübt hat.

Letztlich finden auch die Regeln der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) keine Anwendung. Dieses Rechtsinstitut ist auf die Zulassung versäumter und verspätet nachgeholter Prozesshandlungen gerichtet (vgl. Mayer-Ladewig, SGG, § 67 Rdnr. 1), es dient hingegen nicht dem Widerruf bereits wirksam abgegebener Prozesserklärungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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