L 28 B 369/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 9672/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 369/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1985 geborene Antragsteller lebt mit seinen Eltern, seiner 1988 geborenen Schwester und seinem 1990 geborenen Bruder in einer Haushaltsgemeinschaft. Die Familie stammt aus Serbien-Montenegro; allen Mitgliedern sind im Frühjahr 2006 als Ergebnis der Befassung durch eine Härtefallkommission im Land Berlin Aufenthaltserlaubnisse nach § 23a Aufenthaltsgesetz (derzeit befristet bis zum 3. April 2007) erteilt worden mit der Maßgabe, dass ein Elternteil eine Vollzeiterwerbstätigkeit, ein Elternteil zumindest eine Teilzeiterwerbstätigkeit und der Antragsteller die Fortführung der am 8. August 2005 begonnenen zweijährigen Ausbildung zum Hochbaufacharbeiter am Oberstufenzentrum Bautechnik II, B-P B nachweist. Die dem Antragsteller bis dahin gewährten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sind mit Bescheid vom 4. Mai 2006 zum 1. Juni 2006 eingestellt worden. Während seine Familienangehörige seit dem 17. Mai 2006 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) erhalten, ist ein entsprechender Antrag des Antragstellers vom Antragsgegner mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Mai 2006 unter Hinweis auf § 7 Abs. 5 und 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) abgelehnt worden. Die von ihm besuchte Schule sei grundsätzlich förderfähig nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Dass er wegen § 8 Abs. 1 BAföG die individuellen Voraussetzungen der Förderung nicht erfülle, begründe keinen Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5 SGB II.

Am 23. Oktober 2006 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner die Überprüfung des zuletzt genannten Bescheides. Am selben Tag beantragte er beim Sozialgericht (SG) Berlin, ihm ab Eingang des Antrags Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren und ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Diese Anträge, die das SG dahin ausgelegt hat, dass die begehrten Leistungen hilfsweise als Darlehn verschafft werden sollten, hatten keinen Erfolg (Beschluss des SG Berlin vom 31. Januar 2007).

Hiergegen richtet sich die Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 SGG), aber unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 86b Absatz 2 SGG nicht vorliegen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit) und eines Anordnungsanspruchs (materieller Anspruch in der Sache) glaubhaft gemacht wird.

Als Grundlage für einen Anordnungsanspruch kommt vorliegend nur § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Betracht, denn der Antragsteller, der rechtskundig vertreten ist, hat ausdrücklich auf eine erneute Antragstellung beim Antragsgegner, die lediglich Anspruchszeiträume ab Antragstellung erfasst hätte, verzichtet. Soweit sich danach im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (wenn nicht einer der in § 330 Abs. 1 SGB III genannten Ausnahmefälle vorliegt). Prüfungsmaßstab in einem Verfahren nach § 44 SGB X sind stets nur die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung (Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr. 29). Eine bestandskräftige Ablehnung von Leistungen entfaltet im Übrigen keine Dauerwirkung in dem Sinne, dass sie im Fall der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden müsste (Steinwedel aaO, § 48 SGB X RdNr. 12). Insofern bestehen zwar keine Bedenken dagegen, dass eine einstweilige Anordnung grundsätzlich auch in einem Verfahren nach § 44 SGB X möglich ist. Zwischenzeitlich eingetretene Änderungen der Verhältnisse, die nicht schon bei Erlass des ablehnenden Bescheides vorgelegen haben, können im vorliegenden Verfahren aber nicht berücksichtigt werden. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann auf eine erneute Befassung des Antragsgegners mit zwischenzeitlich veränderten Tatsachen durch Entscheidung über einen neuen Antrages nicht verzichtet werden. Der ablehnende Bescheid vom 16. Mai 2006 stellt sich nach diesen Maßstäben nicht als rechtswidrig dar. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Besuch der Berufsfachschule durch ihn ist, auch wenn die Gewährung von Ausbildungsförderung in seinem Falle abgelehnt worden ist, im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II "dem Grunde nach förderungsfähig" nach dem BAföG. Denn nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für den Besuch von Berufsfachschulen geleistet. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II greift deshalb, auch wenn der Antragsteller tatsächlich keine Ausbildungsförderung erhält, weil er die in § 8 BAföG geforderten ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.

Die Beschwerdebegründung vermag an der Richtigkeit dieser Entscheidung nichts zu ändern. Insbesondere hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Gewährung entsprechender Leistungen nach § 7 Abs. 5 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) als Darlehen. Hiernach können in besonderen Härtefällen entsprechende Leistungen als Darlehen gewährt werden. Ein solcher Härtefall ist im Falle des Antragstellers nicht gegeben.

Denn nach der auch unter Geltung des SGB II in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte teilweise fortgeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 26 BSHG (grundlegend Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.10.1993, - 5 C 16/91 -, BVerwGE 94, 224 ff und im Folgenden etwa Beschlüsse des LSG Niedersachsen - Bremen vom 14.04.2005, - L 8 AS 36/05 ER -, vom 02.02.2006, - L 8 AS 439/05 ER -; LSG Berlin-Brandenburg vom 26.01.2006, - L 5 B 1351/05 AS ER - , L 5 B 1352/05 AS PKH -; Thüringer LSG, Beschluss vom 22.09.2005, - L 7 AS 635/05 ER) liegt ein besonderer Härtefall vor, wenn die Folgen des gesetzlichen Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist, wie die typische Konsequenz, dass die Ausbildung nicht begonnen oder gar abgebrochen werden muss, und auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart erscheint. Dabei war von den Instanzgerichten auch schon unter Geltung des BSHG eine typisierende Betrachtungsweise unter Herausbildung von 3 Fallgruppen bevorzugt worden (Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 RdNrn. 47 ff.; Münder, SGB II, § 7 RdNrn. 74 ff.; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 22 SGB II RdNrn. 32 ff und Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 5. Juli 2006, - L 10 AS 545/06 -, zitiert nach Juris, jeweils mit Aufzählungen von Fallgruppen). Der Senat schließt sich nach erster Prüfung dieser typisierenden Betrachtungsweise an. Die dem Antragsteller drohende Konsequenz des Leistungsausschlusses liegt darin, dass er diese Ausbildung abbrechen muss, um Leistungen nach dem SGB II zu erhalten. Diese Konsequenz ist vom Gesetzgeber auch in Bezug auf Ausländer, die Leistungen nach dem BAföG wegen der fehlenden ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erhalten können, beabsichtigt und gewollt. Dass ein für einen zahlenmäßig großen Personenkreis eingreifender gesetzlicher Regelungstatbestand zu einer atypischen Situation, und dies sogar im Sinne eines leistungsbegründenden Härtefalls, führen soll, wie der Antragsteller meint, ist in sich nicht überzeugend. Daran ändert der nunmehr eingebrachte Gesetzesentwurf der Bundesregierung eines Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BR-Drucks 120/07) nichts. Zwar ist Ziel der geplanten Neuregelung in § 8 BAföG die Förderung ausländischer Auszubildender mit dauerhafter Bleibeperspektive. Es soll die derzeit als unbefriedigend empfundene Situation, dass junge Ausländer unter Umständen auf eine sinnvolle Ausbildung verzichten, da sie sonst den Anspruch auf Arbeitslosengeld II verlieren, aber auch nach dem BAföG nicht gefördert werden können, künftig geändert werden. Es handelt sich um eine bewusste Erweiterung des Kreises der nach dem BAföG geförderten Personen (BR-Drucks. aaO S. 22). Die Gesetzesbegründung zeigt damit die einfachrechtliche Richtigkeit des auf der derzeitigen gesetzlichen Grundlage gewonnenen Ergebnisses. Es ist daher nicht angezeigt, im Vorgriff auf eine noch ungewisse Änderung der rechtlichen Grundlagen im Recht der Ausbildungsförderung den Begriff der Härte im SGB II abweichend von der bisherigen Rechtsprechung auszulegen.

Gesichtspunkte, die einen Härtefall zu begründen vermögen, sind entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht ersichtlich. Eine solche härtebegründende Sachverhaltskonstellation liegt bei typisierender Betrachtungsweise unter Heranziehung der von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen (1. der wesentliche Teil der Ausbildung wurde bereits absolviert und der bevorstehende Abschluss droht – unverschuldet - an Mittellosigkeit zu scheitern, 2. die konkrete Ausbildung ist belegbar die einzige realistische Chance Zugang zum Erwerbsleben zu erhalten und 3. die finanzielle Grundlage für die Ausbildung, die zuvor gesichert gewesen war, ist entfallen, ohne dass dies vom Hilfebedürftigen zu vertreten ist, und die Ausbildung ist schon fortgeschritten und er begründete Aussicht hat, nach der Ausbildung eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können), nicht vor.

Zwar hatte der Antragsteller die Ausbildung im Mai 2006 bereits 10 Monate und damit nahezu zur Hälfte durchlaufen. Unmittelbar stand der Abschluss aber nicht bevor, so dass ein der ersten der genannten Fallkonstellationen vergleichbarer Fall nicht vorliegt. Es kann auch nicht von einer Härte ausgegangen werden, weil zunächst eine finanzielle Grundlage für die Ausbildung bestand (nämlich durch die Leistungen nach dem AsylbLG), die entfallen ist, ohne dass dies vom Antragsteller zu vertreten wäre. Aus den Maßgaben, mit denen die Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden sind, ist ohne Weiteres der Schluss zu ziehen, dass zukunftsbezogen davon ausgegangen worden ist, dass der Wegfall von Leistungen nach dem AsylbLG durch Einnahmen kompensiert wird, die die Eltern des Antragstellers durch die ihnen nunmehr gestattete und erwünschte Arbeitsaufnahme erzielen. Aus diesem Grund ist auch ein Härtefall nicht darin zu sehen, dass dem Antragsteller ausländerrechtlich die Maßgabe erteilt worden ist, die Ausbildung fortzuführen. Es ist der zuständigen Ausländerbehörde bekannt, dass der Antragsteller öffentliche Förderleistungen nach dem BAföG, aber auch – während einer dem Grunde nach förderfähigen Ausbildung – Unterstützung nach dem SGB II nicht erhalten kann. Vor diesem Hintergrund können die der Familie erteilten Maßgaben nur dahin verstanden werden, dass wünschenswert die Finanzierung der Ausbildung durch Unterhaltsleistungen der Eltern ist. Die tatsächlichen Schwierigkeiten für die Eltern, eine Tätigkeit tatsächlich aufnehmen zu können, sind bei der zuständigen Behörde ebenfalls hinlänglich bekannt. Wenn sich das Risiko realisiert, dass die Eltern keine geeignete Tätigkeit finden, sondern auf Leistungen des SGB II angewiesen sind, kann die sich daraus gegebenenfalls ergebende Notwendigkeit, die Ausbildung abbrechen zu müssen, keine besondere Härte im Sinne des SGB II darstellen. Dies war bereits im Zeitpunkt der Erteilung der Maßgabe vorhersehbare Konsequenz.

Auch die Beschwerde gegen die Nichtbewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) musste ohne Erfolg bleiben. Entgegen der Auffassung des Antragstellers lagen die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Erfolgsaussichten des Antrags zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens vor, unabhängig davon, ob der PKH-Antrag, dem eine (angekündigte, aber erst nach Beschlussfassung eingereichte) Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt war, überhaupt vor Entscheidung über den Antrag in der Hauptsache entscheidungsreif war (vgl. dazu § 117 Abs. 2 ZPO). Weder die Auffassung, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II erfasse die vorliegende Konstellation schon dem Grunde nach nicht, noch die Annahme, es liege (unter Berücksichtigung der vom Antragsteller zitierten Rechtsprechung) ein Härtefall vor, boten eine "reale Chance zum Obsiegen" wie sie Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist. Es bestand von vornherein unter Berücksichtigung der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung (und dabei auch unter Berücksichtigung der vom Antragsteller in der Antragsschrift zitierten Beschlüsse) vielmehr nur eine entfernte Erfolgschance, so dass PKH nicht zu bewilligen war. Die Verfahrensdauer ergab sich nicht aus der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sondern daraus, dass dem SG die Verwaltungsakten des Antragsgegners trotz mehrfacher Mahnung nicht übersandt worden waren.

Aus diesem Grund scheidet auch ein Anspruch auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren aus.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung, im Übrigen auf § 127 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 73a SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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