S 11 KR 1/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 1/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 30/06 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aufgrund seiner Vorstandsmitgliedschaft von der Rentenversicherungspflicht insgesamt befreit ist.

Der 1962 geborene Kläger ist bei der T. GmbH in Köln abhängig beschäftigt. Es werden für diese Tätigkeit Beiträge zur Rentenversicherung erhoben.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 23.03.2004 bei der Beklagten die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht mit der Begründung, er sei am 06.11.2003 zum Vorstand der M. AG bestellt worden. Wegen dieser Vorstandstätigkeit bestehe Rentenversicherungsfreiheit für alle anderen daneben ausgeführten Tätigkeiten. Nach den vom Kläger vorgelegten bzw von der Beklagten ergänzend beigezogenen Unterlagen wurde am 06.11.2003 vor dem Notar Sch.-S. in Magdeburg von Herrn D. S. und unter der Firma E. 12 AG eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Magdeburg gegründet. Von dem Gründungskapital in Höhe von 50.000 Euro trugen die Aktionäre S. und W. jeweils die Hälfte. Zu Aufsichtsratmitgliedern wurden Frau M. D., Frau K. T. und Herr Th. A. bestellt. Laut Beschluss dieses Aufsichtsrates der E. 12 AG wurde zum Vorstand der Kläger sowie Herr St. K. bestellt. Die Bestellung des Vorstandes erfolgte für die Zeit ab dem 06.11.2003.

Am 16.01.2004 erschienen vor dem Notar B. in Gescher Herr St. K. sowie der Kläger handelnd aufgrund erteilter Vollmacht für Herrn D. S. und J. W ... Es wurde eine Hauptversammlung abgehalten und einstimmig beschlossen, dass die Gründer S. und W. als Aktionäre aus der E. 12 AG ausscheiden. Sogleich traten der Kläger und Herr St. K. als neue Aktionäre bzw Gründer in die Gesellschaft ein unter Übernahme der Aktien in Höhe von jeweils 25.000 Euro. Die drei Aufsichtsratsmitglieder D., T. und A. wurden entlassen. Zur neuen Aufsichtsratsmitglieder wurde Frau L. J., Frau A. Z. sowie Herr E. Z. bestellt. Die Firma der Gesellschaft wurde von E. 12 AG in M. AG geändert. Der Sitz der Gesellschaft wurde von Magdeburg nach Schermbeck verlegt. Der Vorstand wurde beibehalten.

Mit Bescheid vom 07.07.2004 lehnte die Beklagte die Feststellung der Rentenversicherungsfreiheit ab mit der Begründung, es sei aus dem zeitlichen Ablauf der Gründung zu erkennen, das diese zum Zweck der Umgehung der Rentenversicherungspflicht erfolgt sei. Zudem greife die Vertrauensschutzregelung des § 229 Abs 1 a SGB VI nicht, da die Gesellschaft nicht am Stichtag, dem 06.11.2003 sondern erst mit der Eintragung in das Handelsregister am 26.02.2004 gegründet worden sei. Für die Tätigkeit des Klägers bei der T. GmbH bestehe weiterhin Rentenversicherungspflicht.

Zur Begründung des hiergegen am 05.08.2004 erhobenen Widerspruches führte der Kläger aus, aus den Unterlagen sei ersichtlich, das die AG schon zum 06.11.2003 bestanden habe und im Januar 2004 nur in die M. AG umbenannt worden sei. Die AG sei zur Verwaltung des Nachlassensvermögens der Schwiegermutter gegründet worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, nach der Auffassung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sei die Rentenversicherungspflicht nicht ausgeschlossen, wenn die Aktiengesellschaft zum alleinigen Zweck der Umgehung der Rentenversicherungspflicht in einer neben der Vorstandstätigkeit ausgeübten Beschäftigung gegründet wird. Außerdem habe der Gesetzgeber am 06.11.2003 beschlossen, die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung ab diesem Datum nur auf die Beschäftigung als Vorstandsmitglied und Tätigkeiten in dem gleichen Unternehmen zu beschränken. Aufgrund einer extra geschaffenen Vertrauensschutzregelung blieben Vorstandsmitglieder, die am 06.11.2003 in einer weiteren Beschäftigung nicht rentenversicherungspflichtig waren weiter versicherungsfrei. Da eine Aktiengesellschaft aber erst mit der Eintragung in das Handelsregister gegründet werde und die Aktiengesellschaft, dessen Vorstand der Kläger sei erst aufgrund eines Antrages vom 21.01.2004 am 26.02.2004 in das Handelsregister eingetragen worden sei, greife die Vertrauensschutzregelung nicht. Aus dem zeitlichen Ablauf sei zudem deutlich erkennbar, das die Aktiengesellschaft zum Zweck der Umgehung der Rentenversicherungspflicht erfolgt sei. Die Rentenversicherungspflicht, die seit dem 01.01.2003 aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma T. GmbH bestehe, bleibe weiterhin erhalten.

Der Kläger hat hiergegen am 03.01.2005 Klage erhoben. Zur weiteren Begründung hat er eine Entscheidung des Sozialgerichtes Augsburg vom 09.05.2005 übersandt. Durch diese Entscheidung wurde für den dortigen Kläger die Rentenversicherungsfreiheit festgestellt mit der Begründung, nach § 29 Aktiengesetz sei mit Übernahme aller Aktien durch die Gründer die Gesellschaft errichtet worden. Zur weiteren Begründung der Klage hat der Kläger einen Auszug aus der Kommentierung von Carsten Schmidt zum Gesellschaftsrecht zur Frage des Entstehens einer Aktiengesellschaft überreicht. Der Kläger weist darauf hin, das die Anerkennung der Vorgesellschaft als eigener Rechtsträger gesichert sei. Es besteht zudem das Prinzip vollständiger Kontinuität zwischen Vorgesellschaft und anschließender Aktiengesellschaft. Die Auffassung, das vor der Eintragung kein Rechtsträger vorhanden sei sei abzulehnen. Auch eine regelrechte Vorgesellschaft sei als Rechtsträgerin anzusehen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 07.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2004 festzustellen, das er seit dem 06.11.2003 aufgrund seiner Tätigkeit als Vorstand der M. AG nicht rentenversicherungspflichtig ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides. Sie weist ergänzend darauf hin, das zwischenzeitlich in vielen sozialgerichtlichen Entscheidungen u.a. vom Sozialgericht Frankfurt mit Urteil vom 15.09.2004 zum Az.: S 20 KR 2217/04 in ihrem Sinne entschieden worden sei.

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Das Gericht hat durch Beschluss vom 19.07.2005 die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte dem Verfahren beigeladen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 07.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2004 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die neben seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied der M. AG ausgeübte Tätigkeit.

§ 1 Satz 4 SGB VI bestimmte in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung, dass die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft nicht versicherungspflichtig sind. Durch Nr 2 des zweiten Gesetzes zur Änderung des sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 27.12.2003 wurde Satz 4 wie folgt gefasst: "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sind in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes als ein Unternehmen gelten". Als Übergangsregelung hat der Gesetzgeber in § 229 SGB Vi mit dem neuen Abs 1 a folgende Bestimmung getroffen: "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, die am 06.11.2003 in einer weiteren Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig waren, bleiben in dieser Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig. Sie können bis zum 31.12.2004 die Versicherungspflicht beantragen".

Mit dem Bundessozialgericht (u.a. Urteil vom 19.06.2001 zum Az.: B 12 KR 44/00) kann zwar davon ausgegangen werden, das die wirksame Bestellung zum Vorstand einer Aktiengesellschaft nach altem Recht die generelle Versicherungsfreiheit nach sich zog, jedoch bezieht sich die Befreiungsnorm des § 1 Satz 4 SGB VI in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung nur auf die Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitgliedern einer bereits bestehenden Aktiengesellschaft (vgl. Beschluss des LSG NRW vom 18.07.2005, Az.: L 16 B 1/05 KR ER).

Bei der vorliegenden Fallgestaltung kann zwar nicht ausgeschlossen werden, das eine rechtsmissbräuchliche Fallgestaltung vorliegt, die Gründung der AG insbesondere dem Ziel der Befreiung von der Versicherungspflicht dienen sollte. Der Gründungsablauf in Form der Gründung der E.12 AG in Magdeburg unter Bestellung des Vorstandes u.a. des Kläger noch am Gründungstag, dem 06.11.2003 und die anschließende komplette Übernahme und Änderung der noch nicht im Handelsregister eingetragenen E. 12 AG mit Ausnahme der Vorstandsmitglieder erscheint doch zumindest ungewöhnlich. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, das den Sozialgerichten viele Fälle vorliegen, in denen der notarielle Gründungsvertrag noch am 06.11.2003 geschlossen worden ist und anschließend die Rentenversicherungsfreiheit beantragt worden ist. Es kommt im vorliegenden Fall jedoch garnicht darauf an, ob tatsächlich eine rechtsmissbräuchliche Fallgestaltung vorgelegen hat. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach altem Recht lagen nicht vor. Die Eintragung der Aktiengesellschaft in das Handelsregister erfolgte erst am 26.02.2004, damit nach dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 1 Satz 4 SGB VI zum 01.01.2004. Die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des § 229 Abs 1 a SGB VI sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Kläger war am 06.11.2003 nicht Mitglied des Vorstandes einer Aktiengesellschaft. Eine Aktiengesellschaft existierte zu diesem Zeitpunkt mangels Eintragung ins Handelsregister noch nicht. Gemäß § 41 Abs 1 Satz 1 des Aktiengesetzes besteht eine Aktiengesellschaft als solche vor der Eintragung in das Handelsregister nicht. Die Errichtung der AG mit § 29 Aktiengesetz ist von der rechtlichen Existenz der Aktiengesellschaft als juristischer Person zu unterscheiden. Dem steht nicht entgegen, das nach gesellschaftsrechtlicher Kommentierung mit der Vor-AG ein Rechtsträger vorhanden ist. Allerdings sind die sogenannte Vor-AG und die Aktiengesellschaft als solche auch nach der sogenannten Identitätstheorie unterschiedliche Organisationen und Rechtsformen. Auch soweit in der Literatur die sogenannte Identitätstheorie eintreten wird (vgl. Schmidt Gesellschaftsrecht 4. Auflage 2002) wonach es sich bei der Vorgesellschaft und der anschließenden Aktiengesellschaft um den selben Rechtsträger handelt, wird der Eintragung ins Handelsregister eine besondere Bedeutung zugemessen, die die Aktiengesellschaft als solche erst entstehen lässt und alle Vorschriften des Aktiengesetzes anwendbar macht. Das LSG NRW weist in seinem Beschluss vom 18.07.2004 ausdrücklich darauf hin, das auch der Praktibilitätsgedanke für eine an § 41 Abs 1 Aktiengesetz orientierte Auslegung des § 229 Abs 1 a SGB VI spricht. Das LSG weist in diesem Zusammenhang darauf hin, das das Aktiengesetz umfassende Prüfungspflichten des Registergerichts vorsieht und das Eintragungsverfahren formalisiert. Die Gründungsprüfung gemäß den §§ 33 Aktiengesetz bei einer nicht eingetragenen Aktiengesellschaft sowie die materiell rechtliche Einschätzung einer nicht eingetragenen Vorstandsbestellung müssten, wenn man nicht an eine formelle Eintragung ins Handelsregister anknüpft, durch eine schwierige und aufwendige, durch eine Massenverwaltung kaum zu leistende Parallellwertung der Einzugsstelle der Krankenversicherung nachvollzogen werden (vgl. dazu SG Frankfurt, Urteil vom 15.09.2004 zum Az.: S 20 KR 3217/04). Der Eintragungsantrag beim Handelsregister kann zudem zurückgenommen werden. Denn weder der notarielle Gründungsvertrag, die Festlegung der Satzung oder die Bestellung von Organen führt zwangsläufig immer zur Eintragung und damit nicht immer zum Entstehen der Aktiengesellschaft als solcher. All diese Prüfkriterien können kaum von den Einzugstellen im Rahmen einer Ausnahmeregelung wie dem § 229 Abs 1 a SGB VI berücksichtigt werden.

Darüberhinaus ist eine Vor-AG ungeeignet, den Schutzzweck des § 1 Satz 4 SGB VI zu erfüllen. Da sich die Befugnis des Vorstandes der Vor-AG nur auf die Rechtshandlungen erstreckt, die zur Herbeiführung der Eintragung in das Handelsregister erforderlich sind, kann die Vor-AG ihre Vorstandsmitglieder nicht gegen die Risiken des Arbeitslebens schützen und dadurch den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung überflüssig machen. Mangels einer Vergütungsregelung für die Vorstandsmitglieder der E. 12 AG, aber auch der M. AG vor ihrer Eintragung haben diese tatsächlich auch keine herausragende starke wirtschaftliche Stellung gehabt, wegen der eine Absicherung gegen die Risiken des Alters oder der Erwerbsminderung durch den Schutz der Rentenversicherung entfallen kann (vgl. dazu auch Urteil des SG Aachen vom 05.09.2005, Az.: S 6 KR 269/04).

Auch auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen. Der Gründungsvorgang der Aktiengesellschaft war vor Inkrafttreten der Neuregelung nicht abgeschlossen, da es an der Eintragung in das Handelsregister fehlte. Versicherungsfreiheit für die bei der T. GmbH ausgeübte Tätigkeit hat nie bestanden. Die Versicherungsfreiheit wurde nie festgestellt, sodass der Kläger sich auch auf eine Feststellung der Versicherungsfreiheit nicht berufen kann. Soweit vorgetragen wird, es sei eine erhebliche Aufwendung für die Gründung der Aktiengesellschaft getätigt worden, sodass ein Vertrauen auch nunmehr geschützt werden müsse, ist darauf hinzuweisen, das gleichzeitig vom Kläger vorgetragen worden ist, das die Gründung der Gesellschaft keinesfalls erfolgte mit dem Zweck, die Versicherungsfreiheit zu erzielen. Zweck der Gründung der Gesellschaft sei die Vermögensverwaltung des Vermögens der Schwiegermutter gewesen. Unter Zugrundelegung dieser Argumentation hat der Kläger dann auch keine erheblichen Aufwendungen zur Erzielung der Rentenversicherungsfreiheit durch Gründung der Aktiengesellschaft getätigt.

Für die Entscheidung kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger durch private Alterssicherung oder Vermögen des Schutzes der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bedarf. Die Versicherungspflicht bei der T. GmbH beruht auf der gesetzlichen Regelung des § 1 Nr 1 SGB VI. Im Rahmen der Kraft Gesetzes bestehenden Rentenversicherungspflicht ist es nicht entscheidend, ob der jeweilige Versicherungspflichtige des Schutzes der gesetzlichen Rentenversicherung tatsächlich bedarf oder ob er auf andere Weise ausreichend fürs Alter abgesichert ist, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen der bestehenden Ausnahmeregelungen vor. Das System der gesetzlichen Rentenversicherung ist keineswegs so ausgestaltet, das nur die Einkommensschwachen und Vermögenslosen, die keine ausreichende anderweitige Absicherung haben, rentenversicherungspflichtig sind. Unter Beachtung der geltenden Ausnahmeregelungen sind abhängig Beschäftigte grundsätzlich versicherungspflichtig in der gesetzlichen Gesamtsozialversicherung, damit u.a. der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved