S 1 U 83/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 1 U 83/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatteten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger wegen der Folgen des Unfalles vom 00.00.2003 Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente hat.

Der am 00.00.1955 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger albanischer Abstammung. In dem Zeitraum vom 23.06.2003 bis 13.12.2003 war der Kläger bei der Firma L. KG als Arbeiter in der Konditorei beschäftigt und hatte am 04.12.2003 Schicht von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Gegen 21:40 Uhr fand ihn der Schichtführer W1. bzw. Herr W2. bei einem Rundgang auf dem Boden liegend. Der Kläger erzählte ihnen offensichtlich , er habe sich mit dem Kopf an dem Stollenformen-Förderband, als er mit der Reinigung von diesem fertig war und sich aufrichten wollte, gestoßen. Der Schichtführer und Herr W1. fanden keine sichtbaren Verletzungen, riefen aber den Rettungswagen, da der Kläger benommen und kaum ansprechbar war. Um 22:45 Uhr traf der Kläger mit dem Rettungswagen im N. Z. Kreis B. GmbH ein und Dr. F. (unfallchirurgische Abteilung) diagnostizierte eine Gehirnerschütterung. Er fand keine offene Wunde, keine signifikante Prellmarke, der Kläger gab aber einen Kalottenklopfschmerz an. Er sei mit dem Kopf irgendwo gegengeschlagen, könne sich an gar nichts mehr erinnern und habe im Rettungswagen erbrochen. Das Computertomogramm des Schädels und der Halswirbelsäule ergab keine Fraktur und keine intracerebrale Blutung. Der Kläger zeigte sich zu Ort und Zeit nicht voll orientiert und wies ausgedehnte anamnestische Lücken auf (konnte sich an die Namen seiner Kinder nicht erinnern). Weiterhin klagte der Kläger über diffuse Gefühlsstörungen beider Arme und Kraftminderungen beider Hände ohne klare Dermatonzuordnung. Der direkte wie indirekte Pupillenreflex links war verzögert. Der stationäre Aufenthalt in der Unfallchirurgie dauerte vom 00.00. bis 00.00.2003. Der neurologische Befund war unauffällig. Es wurden mnestische Lücken und Wortfindungsstörungen festgestellt. Bei der konsiliarischen neurologischen Untersuchung in der entsprechenden Abteilung des N. Z. Kreis B. GmbH wurde im EEG und in der klinischen Untersuchung kein pathologischer Befund erhoben. Dort gab der Kläger an, er habe das gesamte Ereignis mitbekommen, im Krankenwagen jedoch das Bewusstsein verloren. Seitdem leide er in wechselnder Intensität unter einem Kopfdruck und Schwindelgefühl. Es folgte eine stationäre Aufnahme in dem Zeitraum vom 00. bis 00. und vom 00. bis 00.00.2003 in der Klinik für Neurologie des Betriebsteils C. Neurologisch-psychologische Störungen konnten dort nicht objektiviert werden. Mehrfach durchgeführte Schädel-CCT s nativ und mit Kontrastmittel ergaben keinen Hinweis auf eine Läsion. Als Diagnose wurde eine Gehirnerschütterung und eine Somatisierungsstörung festgehalten. Der Kläger wurde am 00.00.2003 aus der neurologischen Klinik entlassen.

Am 00.00.2004 untersuchte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. I. T. den Kläger (Bl. 13). Eine Nachuntersuchung erfolgte am 00.00.2004 (Bl. 17). Danach litt der Kläger weiterhin an Schwindel, Kopfdruck, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen, wurde als klagsam und labil beschrieben und bis zum 00.00.2004 arbeitsunfähig krank geschrieben. Bei ihr gab der Kläger an, er sei nach der Kopfverletzung für kurze Zeit bewußtlos gewesen, habe sich erbrochen und sei erst nach ca. zwei Stunden im Krankenhaus wieder richtig zur Besinnung gekommen. Vor dem Unfall habe er nie Kopfschmerzen gehabt. Bei hno-ärztlichen Untersuchungen am 00. und 00.00.2004 stellte Dr. J. fest, der Kläger, der über diffusen Schwindel und Kopfschmerzen klage, habe sich mit ähnlichen Symptomen im September 2001 bereits schon einmal vorgestellt (Bl. 27). Die Diagnostik sei zu beiden Zeitpunkten ohne krankhaften Befund gewesen. Am 00.00.2004 berichtete der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. A. von einer Untersuchung am 00.00.2004, wonach der Kläger trotz unauffälliger neurologischer und radiologischer Untersuchungsbefunde weiter über therapieresistente Kopfschmerzen, Schwindel, Störungen der Konzentration klagte. Er sei nach dem Unfall sieben Stunden im Koma gewesen. Bei der EEG-Untersuchung sei der Kläger immer wieder aufgestanden und habe den Untersuchungsplatz verlassen; insgesamt habe sich kein pathologischer verwertbarer Befund ergeben. Psychopathologisch sei er bewußseinsklar, allseits scharf orientiert ohne Wahrnehmungsstörungen oder Denkstörungen gewesen (Bl. 44).

Am 00.00.2004 wurde der Kläger durch den Neurologen und Psychiater Dr. C. im Auftrag der Beklagten in E. untersucht. Bei der Untersuchung schwieg der Kläger und vermied jeden Blickkontakt und gab lediglich Druck im Kopf an. Dabei zeigte er auch ein infantiles Verhalten. Bei der Bitte, die Oberbekleidung abzulegen, setzte er sich auf einen Stuhl und wartete ab. Erst aufgrund intensiver Aufforderung führte er die entsprechende Handlung aus und vermied auch hierbei wiederum Blickkontakt. Danach habe er sich das Hemd mit beiden Händen um den Kopf gewickelt und es so zugeknotet, dass es eine Art Turban bildete. Danach habe er sich auf die Liege gelegt und nicht mehr angesprochen werden wollen. Dr. C. attestierte wegen einer Schädelprellung mit einer allenfalls leichten Gehirnerschütterung eine Arbeitsunfähigkeit von maximal vier Wochen. Die ausgeprägten psychogenen Merkmale im Sinne eines pseudodemenziellen Verhaltens seien nicht als Unfallfolge zu erklären.

Daraufhin stellte die AOK zunächst die Zahlung von Krankengeld ein. Auf Anregung von Dr. A. befand sich der Kläger in der Zeit vom 00.00. bis 00.00.2004 in der neurologischen und anschließend bis zum 00.00.2004 in der psychiatrischen Abteilung des Universitätsklinikums B. Die AOK zahlte das Krankengeld im Anschluss daraufhin bis zur Anspruchshöchstdauer am 00.00.2005.

Mit Bescheid vom 00.00.2004 erkannte die Beklagte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum 00.00.2004 an. Die weitere Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit sei nicht unfallabhängig.

Wegen desorientiertem Verhalten wurde er vom 00.00. - 00.00.2004 in der Neurologie und vom 00.00. - 00.00.2004 stationär in der Psychiatrie des Klinikums B. beobachtet. In dem Arztbericht an den behandelnden Hausarzt des Klägers Dr. N. berichtete der Assistenzarzt L. am 00.00.2004 von einer schweren gemischten dissoziativen Störung mit pseudodemenziellem Verhalten, Ganser-Syndrom, dissoziativer Anamnesie und dissoziativer Bewegungsstörung (ICD-10:F44.7) und hielt einen kausalen Zusammenhang mit dem Unfall für gegeben, da ein klarer zeitlicher Zusammenhang mit demUnfall bestehe, er seitdem durchgängig das beschriebene Zustandsbild zeige und keine vorbestehende psychische Erkrankung und keine positive Familienanamnese aufweise.(Bl. 91).

Die Beklagte beauftragte daraufhin Prof. Dr. T., Psychiatrie Uniklinikum B., mit einem psychiatrischen Zusammenhangsgutachten, das dieser unter dem 00.00.2005 (Bl. 111 ff) erstattete. Die Assistenzärztin M. B. stellte eine schwere dissoziative Störung mit pseudodemenziellem Verhalten und Ganser-Syndrom fest (ICD 10: F44.7) und meinte, auch wenn keine Hirnschädigung im MRT darstellbar sei, sei es wahrscheinlich trotzdem zu einem relevanten Schädelhirntrauma gekommen, das zur Ausbildung einer dissoziativen Störung geführt habe. Das hirnorganische Psychosyndrom direkt nach dem Trauma weise darauf hin. Die Symptomatik sei mit einer MdE von 40 v. H. vom 00.00.2003 bis 00.00.2004 und 80 v. H. ab dem 00.00.2004 zu bewerten.

Dieses Gutachten legte die Beklagte ihrem beratenden Arzt Dr. C. vor, der am 00.00.2005 ausführte, der Kläger habe ein Bagatelltrauma erlitten ohne äußere Schädelverletzungsfolgen. Hinweise für eine substantielle Hirnschädigung hätten sich zu keinem Zeitpunkt ergeben. Eine Schädelprellung sei zwar anerkannt worden, ein objektiver Befund habe sich dafür jedoch nie gefunden. Selbst die allenfalls leichte Gehirnerschütterung sei nicht einmal als Primärschaden im Vollbeweis nachgewiesen. Die Argumentation, der Kläger habe vor dem Unfallereignis keinerlei psychiatrische Auffälligkeiten gezeigt und deshalb sei das Verletzungsereignis Ursache der folgenden Symptomatik, sei eine unzureichende Argumentation. Die zeitliche Koinzidenz sei noch kein hinreichender Nachweis. Voraussetzung für eine Kausalität sei ein adäquates Trauma, das im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden konnte. Wenn man einen Zusammenhang begründen wollte, müsste man von einer besonders leicht ansprechbaren Persönlichkeitsanlage ausgehen, die auch durch andere alltägliche Ereignisse gleichermaßen hätte angesprochen werden können.

Mit Bescheid vom 00.00.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auf die Begründung wird Bezug genommen.

Mit seiner am 00.00.2005 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Der Kläger beantragt,

unter Bezugnahme auf seinen Schriftsatz vom 00.00.2007, S. 16, ein Ergänzungsgutachten einzuholen zu der dort schriftlich formulierten Beweisfrage,

hilfsweise den Bescheid der Beklagten vom 00.00.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 00.00.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalles vom 00.00.2003 Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Befundberichte eingeholt von den behandelnden Ärzten des Klägers Dr. G., Dr. N. und Dr. J. Weiterhin hat das Gericht ein Vorerkrankungsverzeichnis von der AOK S. und eine Arbeitgeberauskunft von der Firma L. beigezogen. Auf die Befundberichte von Dr. N. und Dr. J. wird Bezug genommen. In der Bescheinigung der AOK wird eine Arbeitsunfähigkeitszeit vom 00.00. bis 00.00.2000 ausgestellt von Dr. G. wegen Neurosen bestätigt. Die Firma L. erklärt die drei Monate zu spät erfolgte Unfallmeldung damit, der Unfall habe zunächst nicht bearbeitet werden können, da der Kläger darauf nicht ansprechbar gewesen sei. Der Schichtführer, Herr W1., habe bei seinem Durchgang durch die Konditorei den Kläger auf dem Boden liegen sehen. Die herbeigerufenen Rettungssanitäter hätten ebenso wie der Schichtführer und Herr W2. keine sichtbaren Verletzungen festgestellt. In ihrem Befundbericht vom 00.00.2006 teilt die Hausärztin Dr. G. mit, sie habe den Kläger am 00.00.1999 wegen eines psychovegatativen Erschöpfungszustandes mit pseudosomatischen Beschwerden und Grübelneigung bei sozialen Problemen, am 00.00.2000 wegen Spannungskopfschmerz, Schwindel, psychovegetativer Erschöpfungszustand mit psychosomatischen Beschwerden bei noch ungeklärtem Aufenthaltsstatus, am 00.00.2001 wieder wegen Schwindel ohne Ursachen und am 00.00.2002 wegen Schwindel mit Erbrechen und Konzentrationsstörung behandelt. Der Kläger habe damals eine Überweisung zum Neurologen und Augenarzt erhalten. Die psychosomatischen Störungen seien immer wieder in Stresssituationen aufgetreten. Weiterhin hat das Gericht das Protokoll über den Einsatz des Rettungswagens beigezogen. Hier wird die Bewusstseinslage als getrübt geschildert. Der Blutdruck betrug 130/80 und der Puls 80. Der Kläger habe über mittelstarke Schmerzen geklagt. Über Erbrechen wird nicht berichtet. Daraufhin hat das Gericht ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. U. F. vom N. Z. Kreis B. GmbH vom 00.00.2007 eingeholt. Er kommt zum Ergebnis, der Kläger habe ein Bagatelltrauma erlitten. Die anschließend geklagten Kopfschmerzen und das psychische Erscheinungsbild sei nicht unfallbedingt. Über Kopfschmerzen und Schwindel habe der Kläger nämlich bereits in den Jahren 1999 bis 2002 nach ärztlichen Berichten immer wieder geklagt. Die Hausärzte hätten Beschwerdebilder im Sinne psychovegetativer Erschöpfungszustände und psychosomatischer Beschwerden angegeben. Die ersten Monate nach dem Unfall sei der Kläger von den Nervenärzten Frau Dr. T. und Dr. A. in seinem psychischen Verhalten als weitgehend unauffällig geschildert worden. Das heißt, es hätten in den ersten zwei Monaten Symptome wie auch vor dem Unfall vorgelegen. Erst im Verlauf der darauffolgenden Monate habe sich ein schweres neurotisches Fehlverhalten entwickelt, das in den Jahren zuvor unterschwellig vorhanden , also in der Primärpersönlichkeit angelegt gewesen sei. Diese krankhafte Entwicklung sei nicht ursächlich bedingt durch das erlittene Gelegenheits- bzw. Bagatelltrauma und habe sich auch nicht abrupt entwickelt. Eine Schädelprellung bzw. Gehirnerschütterung bilde sich innerhalb von Wochen bzw. einigen wenigen Monaten folgenlos zurück und zeige eine stetige Besserung, aber keinesfalls eine Verschlechterung. Die Angaben des Klägers, er habe vor dem Unfall nie Kopfschmerzen und Schwindelgefühle gehabt, seien durch die Aussagen aller untersuchenden Ärzte widerlegt. Dass der Kläger vor dem Unfallereignis nie psychisch auffällig gewesen sei, wie der Gutachter Prof. Dr. T./Frau B. annehmen, sei durch die Berichte der behandelnden Hausärzte ebenfalls widerlegt. Die Äußerung der Gutachter Prof. Dr. T./Frau B., aufgrund des festzustellenden hirnorganischen Psychosyndroms sei von einem relevanten Schädelhirntrauma auszugehen, sei ein unzulässiger Umkehrschluss. Ein derartiger Unfallbefund sei von keinem der zuvor tätigen Untersucher je geäußert bzw. als gegeben angesehen worden. Somit beruhe das Gutachten von Prof. Dr. T. auf mehreren nicht zu bestätigenden Annahmen, nämlich dass ein relevantes Schädelhirntrauma vorlag und der Kläger vor dem Unfall nie psychisch auffällig gewesen ist und der Beginn der psychischen Symptome abrupt nach dem Unfall eingesetzt hatte. Dr. F. empfahl aufgrund der weiteren AU-Bescheinigungen der Nervenärztin Dr. T. bis zum 00.00.2004 Behandlungsbedürftigkeit anzunehmen, wozu sich die Beklagte bereiterklärte.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht beschwert, denn sie sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Entschädigungsleistungen über den 00.00.2004 hinaus. Der Unfall hat auch keine Folgen hinterlassen, die ihn über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus in seiner Erwerbsfähigkeit mindern.

Die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Arbeitsunfalles setzt voraus, dass die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der geltend gemachte Gesundheitsschaden mit Gewissheit bewiesen sind. Der Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Gesundheitsschaden, dessen Entschädigung begehrt wird, muss zwar nicht nachgewiesen, aber hinreichend wahrscheinlich gemacht sein; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus. Dieser Zusammenhang ist unter Zugrundelegung der herrschender unfallmedizinischen Lehrauffassung, die bei der Beurteilung maßgebend ist, erst dann gegeben, wenn mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel an einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Argumente müssen die gegenteiligen deutlich überwiegen.

Die unfallrechtliche Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung, wonach ursächlich oder mitursächlich nur die Bedingungen sind, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben, gilt auch für die - besonders schwierige - Zusammenhangsbeurteilung psychiatrischer Störungen nach körperlichen bzw. seelischen Traumen (BSGE 18, 173, 177; 19, 275, 278; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 26; BSG Urteil vom 31.01.1989 - 2 RU 17/88 - sowie die Darlegungen bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 526 ff m.w.N.) Die besonderen Probleme der Zusammenhangsbeurteilung psychischer Störungen rühren daher, dass seelische Empfindungsstörungen ohne organische Grundlage nach einem Unfallereignis und Erlebnis höchst unterschiedlich ausfallen können und nicht direkt erfahrbar oder objektivierbar sind. Vorgetäuschte Störungen (Agravation/Simulation) sowie Wunsch- und Zweckreaktion, die sich zum Beispiel aus der Tatsache des Versichertseins ergeben, oder die im Wesentlichen aus persönlichen Lebenskonflikten her rühren, können Entschädigungsansprüche nicht begründen.

Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Ursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob es eine konkurrierende Ursache war ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig weniger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, so lange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannten Ursachen wesentlich und damit Ursachen im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechtes ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. hierzu BSG-Entscheidung vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - m.w.N.).

Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben a) der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, b) die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, c) der zeitliche Ablauf des Geschehens - wobei eine Ursache nicht deswegen wesentlich ist, weil sie die letzte war - , d) weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, e) die Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes f) sowie die gesamte Krankengeschichte vor und nach dem Unfall. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (vgl. BSGE 38, 127, 129 = SozR 2200, § 548 Nr. 4; BSG SozR 4 2200 § 589 Nr. 1).

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Dies erfordert zwar nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch epidemiologische Forschungen geben muss. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden. Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind (vgl. BSGE 18, 173, 176 = SozR Nr. 61 zu § 542 RVO).

Dass auch psychische Reaktionen rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis verursacht werden können, und zwar als unmittelbare Folge eines Schädelhirntraumas mit hirnorganischer Wesensänderung oder aber auch ohne physische Verletzungen, z. B. nach einem Banküberfall, ist herrschende Meinung und unbestritten. Sie können auch Folge eines erlittenen Körperschadens, z. B. einer Amputation sein, wie sie sich auch infolge der Behandlung eines gesundheitlichen Erstschadens erst herausbilden können (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., Kap. 5.1 S. 227 ff).

Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörung, die bei dem Verletzten vorliegt und seine Erwerbsfähigkeit mindern. In diesem Zusammenhang ist auf das Gutachten der Klinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums B. vom 00.00.2005 zurückzugreifen. Danach liegt bei dem Kläger entsprechend der internationalen Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation eine schwere dissoziative Störung mit pseudodemenziellem Verhalten und Ganser-Syndrom (ICD 10: F 44.7) vor. Bei dissoziativen Störungen handelt es sich um Krankheitsbilder, bei denen es zu einer teilweisen oder vollständigen Entkopplung von seelischen und körperlichen Funktionen kommt. Seltene Sonderformen der dissoziativen Störung stellen das Ganser-Syndrom und Pseudodemenz dar. Beim Ganser-Syndrom (demonstratives Vorbeireden, Vorbeihandeln, Nicht-wissen-wollen) wirkt der Kranke desorientiert und zeigt oft groteske Fehlhaltungen, in denen er systematisch alles falsch macht. Das Verhalten ist oft infantil. Es handelt sich gewöhnlich um eine dicht unter der Bewußtseinsschwelle ablaufende Wunsch- oder Zweckreaktion. Die Symptome sind meist unter willentlicher Kontrolle. Bei der Pseudodemenz fehlt die Umdämmerung. Der Patient versagt bei leichten Leistungs- und Gedächtnisaufgaben. Differenzialdiagnostisch sind diese Symptome von Simulation schwer zu unterscheiden. Die Kammer sieht keine Veranlassung an den von der Psychiatrie des Klinimums B. gestellten Diagnosen zu zweifeln. Der in diesem Gutachten geäußerten Kausalitätsbeurteilung schließt sich die Kammer jedoch aus den nachstehenden Gründen nicht an:

Der Gutachter führt aus, das Ganser-Syndrom werde nach posttraumatischen, postiktalen Dämmerzuständen, Hirntumoren, Hirnverletzungen und progressiver Paralyse beobachtet. Er schließt weiter, der Kläger müsse - wenn auch keine Hirnschädigung im MRT darstellbar sei - trotzdem ein relevantes Schädelhirntrauma erlitten haben, das zu einer Ausbildung eines dissoziativen Störung geführt habe, da 1.das hirnorganische Psychosyndrom direkt nach dem Trauma darauf hinweise 2.von der Familie nach dem Unfallereignis lückenlos und durchgehend eine dissoziative Symptomatik beschrieben werde und 3.der Kläger vor dem Unfallereignis offensichtlich nie psychisch auffällig gewesen sei, vielmehr vor dem Unfall keine besonderen Sorgen gehabt habe, immer leistungsfähig gewesen sei und ein fröhlicher, freundlicher, interessierter und zufriedender Mensch mit einer anspruchsvollen Ausbildung gewesen sei.

Die drei als Proargumente angeführten Kriterien halten einer kritischen Überprüfung nicht stand. Ein hirnorganisches Psychosyndrom ist nach dem Unfall von keinem der erstbehandelnden Ärzte festgestellt worden. Die dissoziative Störung mit pseudodementem Verhalten und Ganser-Syndrom entwickelte sich bei dem Kläger nach der nervenärztlichen Untersuchung durch Dr. A. am 00.00.2004, also nach über zwei Monaten nach dem Unfall und wurde erstmals im B. 2004 von dem Nervenarzt Dr. C. beschrieben. Nach dem Unfallereignis liegt somit nicht lückenlos und durchgehend eine dissoziative Symptomatik vor, sondern der Kläger war in der ersten Zeit nach dem Unfall bis auf die geklagten Kopfschmerzen und die Schwindelerscheinungen, die er schon vor dem Unfall hatte und die ihn mehrfach in ärztliche Behandlung brachten, insofern beschwerdefrei. Die ersten Monate nach dem Unfall wird der Kläger von den Nervenärzten Frau Dr. T. und Dr. A. in seinem psychischen Verhalten als weitgehend unauffällig geschildert und es bestehen in den ersten zwei Monaten Symptome, wie sich auch schon vor dem Unfall vorgelegen haben. So hat die behandelnde Hausärztin Dr. G. in ihrem Bericht vom 00.00.2006 für die Zeit vor dem Unfall von wiederholten psychovegetativen Erschöpfungszuständen mit psychosomatischen Beschwerden und Grübelneigung bei sozialen Problemen, ungeklärtem Aufenthaltsstatus und Erschöpfung berichtet. Sie hatte den Kläger schon vor dem Unfall ebenso wie der HNO-Arzt Dr. J. mit Kopfschmerzen und Schwindelerscheinungen gesehen und entsprechend behandelt. Über Kopfschmerzen und diffusen Schwindel wird auch in den ersten Monaten nach dem Unfall berichtet. So sah auch der Nervenarzt Dr. Q. die geklagten Kopfschmerzen und Schwindelgefühle bereits 1999 in Zusammenhang mit einem seit Jahren anhängigen Asylantrag. Die Ausführungen von Prof. T. wie auch die Angaben des Klägers bei einzelnen Ärzten, er habe vor dem Unfall nie unter Kopfschmerzen und Schwindel gelitten und sei vor dem Unfallereignis nie psychisch auffällig gewesen, ist damit widerlegt.

Wenn somit Prof. Dr. T. die wissenschaftliche Lehrmeinung dahingehend zitiert, dass das Ganser-Syndrom nach Hirntumoren und Hirnverletzungen beobachtet wird, so spricht der Umstand, dass eine ebensolche Hirnverletzung bei dem Kläger nicht nachgewiesen werden kann, gegen einen naturwissenschaftlich-medizinischen Zusammenhang.

Das Gericht hat keine Veranlassung gesehen, den Sachverhalt auf medizinischem Gebiet durch Einholung eines - wie vom Klägerbevollmächtigten beantragt - Ergänzungsgutachtens weiter aufzuklären. Ein solches Ergänzungsgutachten ist auch nicht zu der vom Klägerbevollmächtigten formulierten Frage, ob "das Unfallereignis eine wesentliche Ursache für den jetzigen Krankheitszustand des Klägers gesetzt haben könnte", erforderlich. Wie oben ausgeführt, ist allein beweiserheblich, ob das Unfallereignis mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit wesentliche Ursache für die jetzt bei dem Kläger diagnostizierte psychische Erkrankung ist. Ob das Unfallereignis möglicherweise wesentliche Ursache sein kann, ist unerheblich und reicht nicht aus.

Dass das Unfallereignis wahrscheinlich keine wesentliche Ursache für den jetzigen Krankheitszustand des Klägers ist, hat Dr. F. in seinem Sachverständigengutachten ausführlich und nachvollziehbar dargelegt. Hierbei hat er sich an der in der gesetzlichen Unfallversicherung - wie oben dargelegt - geltenden Ursachentheorie der wesentlichen Bedingung orientiert. Die maßgeblichen Gesichtspunkte für die Beantwortung der Frage, ob das Unfallereignis wesentlich war, hat er unter zutreffender Berücksichtigung der Vorgeschichte des Klägers, der Art und des Ausmaßes der Unfalleinwirkung und des zeitlichen Ablaufes des Geschehens nach dem Unfall dezidiert herausgearbeitet. Als entscheidende Argumente gegen einen Unfallzusammenhang hat er angeführt, dass der von Prof. T. für den Verlauf dissoziativer Störungen als typisch bezeichnete abrupte Beginn nach dem belastenden Ereignis oder Trauma (vgl. hierzu Bl. 33 unten den Gutachtens von Prof. T.) im Fall des Klägers gerade nicht vorgelegen hat. Zur Krankheitsvorgeschichte hat er zutreffend ausgeführt, die von Prof. T. als dissoziative Störungen bezeichneten Kopfschmerzen und Schwindelsymptomatik habe anders als Prof. T. angenommen , nachweislich bereits Jahre vor dem Unfall bestanden. Schließlich hat Dr. F. auch die Art und Schwere des eigentlichen Unfallgeschehens in seine Kausalitätsbewertung mit aufgenommen und in Übereinstimmung mit Dr. C. sogar festgestellt, dass der Nachweis einer über eine leichte Schädelprellung hinausgehenden Gehirnerschütterung bereits nicht mit dem entsprechenden Vollbeweis erbracht ist. Diesen Hinweis erachtet die erkennende Kammer als zutreffend, insbesondere im Hinblick auf den Umstand, dass niemand den eigentlichen Unfallhergang gesehen hat und bezeugen kann. Die Auskunft der Firma L. vom 00.00.2006 hat insoweit klargestellt, dass die Angabe in der Unfallanzeige vom 00.00.2004, der Kläger habe sich den Kopf an dem Stollenförderband gestoßen, von dem Kläger selbst stammt. Objektive Hinweise dafür, dass dieses Anstoßtrauma überhaupt stattgefunden hat, ergeben sich aus der Akte nicht. Die Mitarbeiter der Firma L. Herr W1. und Herr W2. haben von Anfang an bezweifelt, dass sich der Unfall, so wie ihn der Kläger geschildert hat, ereignet hat. Weder sie noch die herbeigerufene Rettungssanitäter konnten eine sichtbare Verletzung feststellen. Letztere haben sich nach Aussage der Mitarbeiter der Firma L. gewundert, dass keine erkennbaren Verletzungen vorhanden waren. Auch in dem Aufnahmebericht von Dr. F. wird keine Wunde und keine Prellmarke als objektiver auf eine Prellung hindeutender Befund festgestellt. Sämtliche auf eine Prellung oder Gehirnerschütterung hindeutenden Befunde sind subjektive Befunde, die der Kläger schildert. Auch das von ihm geschilderte Erbrechen hat das Gericht nicht als wichtigen ersten Brückenbefund mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen können. Das beigezogene Rettungsdienstprotokoll (Bl. 58, 59 Gerichtsakte) enthält hinsichtlich von Erbrechen im Unfallwagen keine Angaben, was zu erwarten wäre, hätte es stattgefunden. Insofern geht das Gericht davon aus, dass der im Durchgangsarztbericht unter Unfallhergang aufgenommene Passus: "Patient ist mit dem Kopf irgendwo gegen geschlagen, kann sich an nichts mehr erinnern, auf der Anreise zu uns erbrochen" in dieser Form auch vom Kläger stammt. Damit ist auch das auf eine Gehirnerschütterung hinweisende Symptom "Erbrechen" nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen. Das Gericht hat davon abgesehen, die Fahrer des Rettungswagens als Zeugen hierzu zu vernehmen, da diesem Umstand letztlich keine entscheidende Bedeutung zukommt, da dieses nur eines von vielen gegen einen Unfallverursachung der psychischen Störungen sprechenden Indizien ist. Dr. F. weist also zu Recht darauf hin, dass über eine allenfalls leichte Gehirnerschütterung hinaus kein Hirntrauma nachgewiesen ist in dem Ausmaß, wie Prof. T. es unterstellt.

Soweit der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung die Notwendigkeit der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens durch das Gericht betont, ist darauf hinzuweisen, dass Dr. F. entsprechend seiner Berufsausbildung und Facharztbezeichnung ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten erstattet hat und hierzu auch vom Gericht beauftragt worden ist. Im Übrigen hat sich das Gericht im Wege des Urkundsbeweises auch auf die eingehende psychiatrische Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch die Ärzte der psychiatrischen Abteilung des Klinikums B. gestützt. Die dort erhobenen Befunde und Ausführungen zur Entstehungsursache derartiger psychischer Störungen sind in die Beurteilung der erkennenden Kammer mit eingeflossen. Schließlich spricht auch der Umstand, dass der Kläger unmittelbar nach dem Unfall in der von Dr. F. geführten Abteilung des N. Z. Kreis B. im Dezember 2003 einige Tage stationär untersucht worden ist, nicht gegen seine Beauftragung als gerichtlicher Sachverständiger. Dr. F. hat den Kläger seitdem nicht mehr gesehen und auch nicht behandelt, so dass Anhaltspunkte dafür, dass er dem Kläger nicht objektiv und unvoreingenommen entgegentritt, nicht bestehen. Auch in der psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums B. war der Kläger im Sommer 2004 behandelt worden, ohne dass dies die Beklagte gehindert hätte, aus der entsprechenden Abteilung des Klinikums ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage anzufordern. Dr. F. ist dem Gericht im Übrigen seit Jahren als erfahrener Sachverständiger sowohl auf neurologischem als auch auf psychiatrischem Gebiet bekannt. Seine Gutachten zeichnen sich durch eine sorgfältige Auseinandersetzung mit sämtlichen für eine Zusammenhangsbeurteilung maßgeblichen Umständen aus. Auch das vorliegende Gutachten erfüllt diese Qualitätsanforderungen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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