Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 149/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 9/07 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin vom 16./18.01.2007 wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 21.12.2006 geändert. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht unter Beiordnung von Rechtsanwalt A bewilligt.
Gründe:
I. Die Klägerin (d. Kl.) und Beschwerdeführerin begehrt Prozesskostenhilfe (PKH). In der Hauptsache begehrt sie vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund die Erstattung von ihr aufgewendeter Kosten für sechs krankengymnastische (krgymn.) Übungsbehandlungen, die sie auf vertragsärztliche Verordnung der behandelnden Ärztin E in der Zeit nach dem 06.12.2005 erhalten und selbst bezahlt hat. Ihr geht es um eine grundsätzliche Klärung, da sie auch in der Folgezeit wiederholt krankengymnastische Behandlungen in Anspruch genommen hat, nachdem sich die Beklagte (d. Bekl.) geweigert hatte, die begehrten Kosten zu tragen.
D. Kl. ist 1919 geboren und in die Pflegestufe (PflSt.) II nach den Vorschriften des 11. Buchs des Sozialgesetzbuchs - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) eingestuft. Sie leidet im Wesentlichen an Gelenkfunktionsstörungen im Bereich aller Gliedmaßen und an den Folgen mehrerer Hüft- und Knie-Operationen, bei denen ihr Teil-Endoprothesen (TEP) eingesetzt wurden. Es besteht eine komplette Stuhl- und Harninkontinenz. Sie ist altersschwach. Sie wird derzeit in einer Kurzzeit-Pflegeeinrichtung betreut (monatliche - mtl. - Kosten von über 2.800 Euro, denen mtl. Einkünfte von ca. 1.600 Euro gegenüber stehen).
Schon im September 2005 hatte ihr die behandelnde Ärztin sechs Mal krankengymnastische Übungsbehandlungen (1-2 x wöchentlich (wtl.)) außerhalb des Regelfalls (a.d.R.) verordnet und zur Begründung angegeben, Ziel der Behandlung sei, eine Besserung der gestörten Beweglichkeit und der gestörten Muskelfunktion bei d.Kl. zu erreichen. Die Fortsetzung der Krankengymnastik (KrGymn.) sei zur Kontraktur-Vorbeugung dringend erforderlich; es drohe Immobilität, wenn die regelmäßige KrGymn. vorübergehend eingestellt würde. Die Behandlung a.d.R. wurde von d. Bekl. (zunächst) bewilligt. Auf eine entsprechende Verordnung vom 13.12.2005 holte d. Bekl. eine Stellungnahme des Arztes L vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein und lehnte, darauf gestützt, die Genehmigung der weiteren beantragten krgymn. Behandlungen ab; das "Therapiepotential" (bei d. Kl.) sei zu hinterfragen; allgemeine aktivierende Pflege und Therapien im Regelfall (gemäß den Heilmittel-Richtlinien - HeilM-RiLi -) seien ausreichend. D. Kl. erhalte Leistungen entsprechend der PflSt. II (Bescheid vom 15.12.2005). Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte d. Bekl. ein Gutachten der MDK-Ärzte Dr. T und Dr. Dr. M ein, die sich der Meinung des Vorgutachters anschlossen (Dr. Dr. M: "Bei der Versicherten besteht kein realistisches Reha-Potential; Beeinträchtigungen lassen sich nicht beheben oder bessern; hier gehe es lediglich darum, den Verschlechterungsprozess, soweit es geht, zu verzögern; dazu aber reiche "aktivierende Pflege" i.S.d. SGB XI aus; d. Kl. könne sich schon jetzt nicht ohne fremde Hilfe bewegen; Wunschvorstellungen, das ideale Ziel einer sich selbst versorgenden 85-jährigen Versicherten könne wirklich nicht mehr erreicht werden").
Mit der auf den ablehnenden Widerspruchsbescheid (15.05.2006) am 19.06.2006 eingelegten Klage hat d. Kl. Rechnungsbelege für die Zeit bis Juli 2006 vorgelegt (neun Mal 279,00 Euro) und darauf hingewiesen, sie wolle mit ihrer Klage auch eine grundsätzliche Regelung generell zu der Frage erreichen, ob auch in den von den HeilM-RiLi vorgesehen Therapiepausen ein Leistungsanspruch bestehe. Sie verlange auch nicht die an sich erforderlichen dreimal wöchentlichen Behandlungen, sondern nur zwei pro Woche. Sie beantrage eine entsprechende Feststellung durch das SG.
Ihren PKH-Antrag hat das SG unter Bezugnahme auf die vorliegenden MDK-Gutachten abgelehnt (Beschluss vom 21.12.2006, Nichtabhilfe-Beschluss vom 25.01.2007).
Mit der am 08.02.2007 beim SG eingegangenen Beschwerde verfolgt d. Kl. ihren PKH-Antrag weiter.
II.
D. Kl. steht die begehrte PKH gemäß § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) abweichend von der Auffassung des SG zu.
Die Beschwerde ist zulässig. Der Zulässigkeit könnte allenfalls § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 2, S. 2, 2. Halbs., § 511 ZPO entgegenstehen, vorausgesetzt, die Vorschriften wären im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar. Danach wäre die Beschwerde ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache nicht die Berufungssumme (im Zivilverfahren 600 Euro, im SG-Verfahren 500 Euro (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG), erreicht wäre bzw. wenn die Beschwerde nicht zugelassen worden ist).
Geht man davon aus, dass d. Kl. neben dem Leistungsantrag für die am 13.12.2005 verordneten sechs krgymn. Behandlungen (je 27,90 = 167,40 Euro) auch die Feststellung begehrt, dass ihr auch für die Folgezeit Sachleistungen in Form von krgymn. Behandlungen in ähnlichem Umfang zugestanden haben, dann beläuft sich der Wert des Beschwerdevorbringens auf rund 2500 Euro und würde die für das SG-Verfahren maßgebliche Berufungssumme von 500 Euro übersteigen; mithin wäre neben der Berufung in der Hauptsache auch die PKH-Beschwerde uneingeschränkt zulässig. Gleiches würde gelten, wenn man den Feststellungsantrag dahin versteht, dass er sich auf einen zeitlich unbeschränkten Zeitraum erstreckt ("wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr", § 144 Abs. 1 S. 2 SGG).
Aber selbst wenn man den bislang gestellten Antrag d. Kl. dahin versteht, dass sie lediglich einen Leistungsantrag hinsichtlich der im unmittelbaren Streit stehenden sechs Behandlungen im Dezember 2005 stellen wollte, so führt auch dies nicht zu einem Beschwerdeausschluss. Denn die genannte Sonderregelung des § 127 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar, da die Vorschrift auf das zivilgerichtliche Verfahren zugeschnitten ist, während die Beschwerde in den öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen eigenständigen Voraussetzungen unterliegt (deshalb etwa auch der ausdrückliche Beschwerdeausschluss in § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)). Insoweit folgt der Senat der überzeugend und näher begründeten Auffassung des 13. Senats des LSG Baden-Württemberg, auf die er sich bezieht (Beschluss vom 02.01.2007 L 13 AS 4100/06 PKH-B – veröffentlicht als JURIS-Dok., auch Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., 2005, § 172 RNr. 1; gegen LSG Niedersachsen, Beschl. v. 06.12.2005 - L 8 B 147/05 AS, - JURIS-Dok. - und LSG Baden-Württemberg/8. Senat, Beschl. v. 06.12.2005, L 8 AL 1862/05 PKH-B). So hat dies auch im Ergebnis das SG Dortmund gesehen, denn die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses weist uneingeschränkt auf die Zulässigkeit der Beschwerde hin.
Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet.
Die erhobene Klage hat nämlich - zumindest teilweise, was jedenfalls den Leistungsantrag für die Erstattung der Kosten für die im Dezember verordneten sechs Behandlungen angeht - hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach § 32 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Heilmittel, wenn diese nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V durch Rechtsverordnung ausgeschlossen sind (Heilmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen); darunter fallen fachlich anerkannte krgymn. Behandlungen generell nicht.
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 i.V.m. Abs. 6 SGB V ist anzuwenden; die danach erlassenen HeilM-RiLi, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 21.12.2004 (Bundesanzeiger (BAnz) 2005 Nr. 61 S. 4995) sind nicht nur für die Leistungserbringer maßgeblich; sie bestimmen auch den Leistungsumfang der Versicherten, sofern dies vom den Leistungsgrundsätzen der §§ 2, 12, 32 SGB V gedeckt ist. Nach Ziff. 11.2.2 und 3 HeilM-RiLi können Folgeverordnungen bis zu sechs Einheiten je Verordnung ausgesprochen werden. Bei dem von der behandelnden Ärztin hier zugrunde gelegten Beschwerdebild sieht der Heilmittel-Katalog (HeilM-Ktlg) in der Diagnosegruppe EX3a eine Gesamtverordnungsmenge von 30 Einheiten (davon für Massagetechniken insgesamt bis zu 10 Einheiten und für standardisierte Heilmittelkombinationen bis zu 10 Einheiten) bei einer Frequenzempfehlung von 2x-wtl. Anwendung vor. Rezidive oder neue Erkrankungsphasen können die Verordnung von Heilmitteln als erneuten Regelfall auslösen, wenn nach einer Heilmittelanwendung ein behandlungsfreies Intervall von zwölf Wochen abgelaufen ist. Ausnahmen sind dem HeilM-Ktlg zu entnehmen (Ziff. 11.1 HeilM- RiLi).
Lässt sich die Behandlung mit der Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen, sind weitere Verordnungen möglich. Solche Verordnungen bedürfen einer besonderen Begründung mit prognostischer Einschätzung. Die Verordnungsmenge ist abhängig von der Behandlungsfrequenz so zu bemessen, dass mindestens eine ärztliche Untersuchung innerhalb einer Zeitspanne von zwölf Wochen nach der Verordnung gewährleistet ist (Ziff. 11.3 HeilM-RiLi). Insbesondere bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls hat der Vertragsarzt störungsbildabhängig eine weiterführende Diagnostik durchzuführen, um auf der Basis des festgestellten Therapiebedarfs, der Therapiefähigkeit, der Therapieprognose und des Therapieziels die Heilmitteltherapie fortzuführen. Dabei sind Fragen der Wirtschaftlichkeit vor der Verordnung besonders zu beachten (im Einzelnen Ziff. 13 HeilM-RiLi).
Insgesamt ist diesen Regelungen der Grundsatz zu entnehmen, dass Leistungen außerhalb des Regelfalls dann gewährt werden können, wenn dies (dringend) notwendig ist, um die Ziele der gesetzlich vorgesehen Leistungen, hier der Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V) zu erreichen (Heilung, Verhütung einer Verschlimmerung, Linderung von Beschwerden). Die Abweichung vom Regelfall bedarf nur der besonderen Begründung, diese muss aber tragfähig und um so eingehender sein, je weiter sich die Verordnung vom Regelfall entfernt.
Der Beklagten und den von ihr gehörten MDK-Ärzten Dr. T und Dr. Dr. M ist zwar zuzugestehen, dass von den Zielen der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V keinesfalls eine Heilung oder eine auch nur annähernde Wiederherstellung des früheren Leistungszustandes d. Kl. erreicht werden kann, mag dies auch die Vorstellung d. Kl. oder ihrer Familienangehörigen sein. Angesichts der vorliegenden Multimorbidität d. Kl. und ihrer offenkundigen Altersschwäche ist dies keinesfalls zu erwarten.
Jedoch ist die sog. "Therapie- oder Rehabilitationsfähigkeit" d. Kl. keine feststehende Größe, sondern immer in Bezug auf das zu erreichende Ziel zu sehen. Wenn Dr. Dr. M zur Begründung einer Leistungsversagung äußert, es sei bei d. Kl. nicht mehr möglich, Therapiefortschritte im Sinne eines Funktionszugewinns zu erzielen, sondern es gehe "nur noch " darum, den Verschlechterungs- und Abbauprozess, soweit es geht, zu verzögern, dann verkennt diese leistungsablehnende Auffassung das in § 27 Abs. 1 SGB V gesetzlich ausdrücklich genannte Ziel, eine (weitere) Verschlechterung zu verhindern. Der Umstand, dass die Versicherte sehr alt und überaus gebrechlich ist und keine Verbesserung ihres Leistungszustandes zu erwarten ist, reicht nicht aus, um ihr die begehrte Leistung zu versagen. Allenfalls dann, wenn die Leistung aus medizinischer Sicht nicht einmal geeignet wäre, d. Kl. (zumindest zeitweise) Linderung zu verschaffen, könnte sie versagt bleiben.
Wenn die behandelnde Ärztin E in ihrer Verordnung vom 06.12.2005 darauf hingewiesen hat, dass eine Kontrakturprophylaxe dringend erforderlich sei und eine Immobilität d. Kl. drohe (wenn nicht intensive krgymn. Behandlung erfolge), dann liegt dies angesichts des von Dr. Dr. M eingehend beschriebenen Leistungsbildes auf der Hand.
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Zubilligung der hier begehrten Leistung auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht. Denn mit der gesetzlich gebilligten Verhinderung einer Verschlimmerung werden auch höhere Behandlungs- und Pflegekosten (zumindest zeitweise) vermieden. Auch die weiteren Leistungsvoraussetzungen für die konkret verordneten Behandlungen sind angesichts der Feststellungen von Dr. Dr. M zu bejahen, insbesondere kann d. Kl. nicht auf die üblichen aktivierenden Pflegemaßnahmen im Rahmen des SGB XI (etwa bei Begleitung zur Toilette, Hilfe beim Verlassen des Bettes, Transfer in andere Räume) verwiesen werden; denn die wiederholten krgymn. Übungen durch eine ausgebildete Krankengymnastin werden fachlich gezielt eingesetzt und haben nach den glaubhaften Beobachtungen der behandelnden Ärztin zu einer (wenn auch offenbar nur jeweils zeitlich begrenzten, vorübergehenden) Verbesserung des Gangbildes und zu einem Rückgang von Schmerzen geführt (so die Bescheinigungen vom 20.01.2006, Bl. 16 der Verwaltungsakten, und vom 06.06.2006, Bl. 18 der Gerichtsakten).
Angesichts dessen kann der Klage schon aufgrund der vorliegenden Beweismittel die hinreichende Erfolgsaussicht - jedenfalls für die im Dezember 2005 verordneten Leistungen - nicht versagt werden.
D. Kl. ist auch nicht in der Lage, die Kosten für die Rechtsverfolgung aufzubringen, wie sich schon aus der Gegenüberstellung ihrer Einkünfte und des derzeit nötigen Pflegeaufwands ergibt, wobei sogar Fehlbeträge durch Sozialhilfeträger oder gesetzlich Unterhaltsverpflichtete auszugleichen sein dürften.
Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Anwaltes, § 121 Abs. 2 ZPO, drängt sich auf.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Gründe:
I. Die Klägerin (d. Kl.) und Beschwerdeführerin begehrt Prozesskostenhilfe (PKH). In der Hauptsache begehrt sie vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund die Erstattung von ihr aufgewendeter Kosten für sechs krankengymnastische (krgymn.) Übungsbehandlungen, die sie auf vertragsärztliche Verordnung der behandelnden Ärztin E in der Zeit nach dem 06.12.2005 erhalten und selbst bezahlt hat. Ihr geht es um eine grundsätzliche Klärung, da sie auch in der Folgezeit wiederholt krankengymnastische Behandlungen in Anspruch genommen hat, nachdem sich die Beklagte (d. Bekl.) geweigert hatte, die begehrten Kosten zu tragen.
D. Kl. ist 1919 geboren und in die Pflegestufe (PflSt.) II nach den Vorschriften des 11. Buchs des Sozialgesetzbuchs - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) eingestuft. Sie leidet im Wesentlichen an Gelenkfunktionsstörungen im Bereich aller Gliedmaßen und an den Folgen mehrerer Hüft- und Knie-Operationen, bei denen ihr Teil-Endoprothesen (TEP) eingesetzt wurden. Es besteht eine komplette Stuhl- und Harninkontinenz. Sie ist altersschwach. Sie wird derzeit in einer Kurzzeit-Pflegeeinrichtung betreut (monatliche - mtl. - Kosten von über 2.800 Euro, denen mtl. Einkünfte von ca. 1.600 Euro gegenüber stehen).
Schon im September 2005 hatte ihr die behandelnde Ärztin sechs Mal krankengymnastische Übungsbehandlungen (1-2 x wöchentlich (wtl.)) außerhalb des Regelfalls (a.d.R.) verordnet und zur Begründung angegeben, Ziel der Behandlung sei, eine Besserung der gestörten Beweglichkeit und der gestörten Muskelfunktion bei d.Kl. zu erreichen. Die Fortsetzung der Krankengymnastik (KrGymn.) sei zur Kontraktur-Vorbeugung dringend erforderlich; es drohe Immobilität, wenn die regelmäßige KrGymn. vorübergehend eingestellt würde. Die Behandlung a.d.R. wurde von d. Bekl. (zunächst) bewilligt. Auf eine entsprechende Verordnung vom 13.12.2005 holte d. Bekl. eine Stellungnahme des Arztes L vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein und lehnte, darauf gestützt, die Genehmigung der weiteren beantragten krgymn. Behandlungen ab; das "Therapiepotential" (bei d. Kl.) sei zu hinterfragen; allgemeine aktivierende Pflege und Therapien im Regelfall (gemäß den Heilmittel-Richtlinien - HeilM-RiLi -) seien ausreichend. D. Kl. erhalte Leistungen entsprechend der PflSt. II (Bescheid vom 15.12.2005). Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte d. Bekl. ein Gutachten der MDK-Ärzte Dr. T und Dr. Dr. M ein, die sich der Meinung des Vorgutachters anschlossen (Dr. Dr. M: "Bei der Versicherten besteht kein realistisches Reha-Potential; Beeinträchtigungen lassen sich nicht beheben oder bessern; hier gehe es lediglich darum, den Verschlechterungsprozess, soweit es geht, zu verzögern; dazu aber reiche "aktivierende Pflege" i.S.d. SGB XI aus; d. Kl. könne sich schon jetzt nicht ohne fremde Hilfe bewegen; Wunschvorstellungen, das ideale Ziel einer sich selbst versorgenden 85-jährigen Versicherten könne wirklich nicht mehr erreicht werden").
Mit der auf den ablehnenden Widerspruchsbescheid (15.05.2006) am 19.06.2006 eingelegten Klage hat d. Kl. Rechnungsbelege für die Zeit bis Juli 2006 vorgelegt (neun Mal 279,00 Euro) und darauf hingewiesen, sie wolle mit ihrer Klage auch eine grundsätzliche Regelung generell zu der Frage erreichen, ob auch in den von den HeilM-RiLi vorgesehen Therapiepausen ein Leistungsanspruch bestehe. Sie verlange auch nicht die an sich erforderlichen dreimal wöchentlichen Behandlungen, sondern nur zwei pro Woche. Sie beantrage eine entsprechende Feststellung durch das SG.
Ihren PKH-Antrag hat das SG unter Bezugnahme auf die vorliegenden MDK-Gutachten abgelehnt (Beschluss vom 21.12.2006, Nichtabhilfe-Beschluss vom 25.01.2007).
Mit der am 08.02.2007 beim SG eingegangenen Beschwerde verfolgt d. Kl. ihren PKH-Antrag weiter.
II.
D. Kl. steht die begehrte PKH gemäß § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) abweichend von der Auffassung des SG zu.
Die Beschwerde ist zulässig. Der Zulässigkeit könnte allenfalls § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 2, S. 2, 2. Halbs., § 511 ZPO entgegenstehen, vorausgesetzt, die Vorschriften wären im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar. Danach wäre die Beschwerde ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache nicht die Berufungssumme (im Zivilverfahren 600 Euro, im SG-Verfahren 500 Euro (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG), erreicht wäre bzw. wenn die Beschwerde nicht zugelassen worden ist).
Geht man davon aus, dass d. Kl. neben dem Leistungsantrag für die am 13.12.2005 verordneten sechs krgymn. Behandlungen (je 27,90 = 167,40 Euro) auch die Feststellung begehrt, dass ihr auch für die Folgezeit Sachleistungen in Form von krgymn. Behandlungen in ähnlichem Umfang zugestanden haben, dann beläuft sich der Wert des Beschwerdevorbringens auf rund 2500 Euro und würde die für das SG-Verfahren maßgebliche Berufungssumme von 500 Euro übersteigen; mithin wäre neben der Berufung in der Hauptsache auch die PKH-Beschwerde uneingeschränkt zulässig. Gleiches würde gelten, wenn man den Feststellungsantrag dahin versteht, dass er sich auf einen zeitlich unbeschränkten Zeitraum erstreckt ("wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr", § 144 Abs. 1 S. 2 SGG).
Aber selbst wenn man den bislang gestellten Antrag d. Kl. dahin versteht, dass sie lediglich einen Leistungsantrag hinsichtlich der im unmittelbaren Streit stehenden sechs Behandlungen im Dezember 2005 stellen wollte, so führt auch dies nicht zu einem Beschwerdeausschluss. Denn die genannte Sonderregelung des § 127 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar, da die Vorschrift auf das zivilgerichtliche Verfahren zugeschnitten ist, während die Beschwerde in den öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen eigenständigen Voraussetzungen unterliegt (deshalb etwa auch der ausdrückliche Beschwerdeausschluss in § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)). Insoweit folgt der Senat der überzeugend und näher begründeten Auffassung des 13. Senats des LSG Baden-Württemberg, auf die er sich bezieht (Beschluss vom 02.01.2007 L 13 AS 4100/06 PKH-B – veröffentlicht als JURIS-Dok., auch Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., 2005, § 172 RNr. 1; gegen LSG Niedersachsen, Beschl. v. 06.12.2005 - L 8 B 147/05 AS, - JURIS-Dok. - und LSG Baden-Württemberg/8. Senat, Beschl. v. 06.12.2005, L 8 AL 1862/05 PKH-B). So hat dies auch im Ergebnis das SG Dortmund gesehen, denn die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses weist uneingeschränkt auf die Zulässigkeit der Beschwerde hin.
Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet.
Die erhobene Klage hat nämlich - zumindest teilweise, was jedenfalls den Leistungsantrag für die Erstattung der Kosten für die im Dezember verordneten sechs Behandlungen angeht - hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach § 32 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Heilmittel, wenn diese nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V durch Rechtsverordnung ausgeschlossen sind (Heilmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen); darunter fallen fachlich anerkannte krgymn. Behandlungen generell nicht.
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 i.V.m. Abs. 6 SGB V ist anzuwenden; die danach erlassenen HeilM-RiLi, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 21.12.2004 (Bundesanzeiger (BAnz) 2005 Nr. 61 S. 4995) sind nicht nur für die Leistungserbringer maßgeblich; sie bestimmen auch den Leistungsumfang der Versicherten, sofern dies vom den Leistungsgrundsätzen der §§ 2, 12, 32 SGB V gedeckt ist. Nach Ziff. 11.2.2 und 3 HeilM-RiLi können Folgeverordnungen bis zu sechs Einheiten je Verordnung ausgesprochen werden. Bei dem von der behandelnden Ärztin hier zugrunde gelegten Beschwerdebild sieht der Heilmittel-Katalog (HeilM-Ktlg) in der Diagnosegruppe EX3a eine Gesamtverordnungsmenge von 30 Einheiten (davon für Massagetechniken insgesamt bis zu 10 Einheiten und für standardisierte Heilmittelkombinationen bis zu 10 Einheiten) bei einer Frequenzempfehlung von 2x-wtl. Anwendung vor. Rezidive oder neue Erkrankungsphasen können die Verordnung von Heilmitteln als erneuten Regelfall auslösen, wenn nach einer Heilmittelanwendung ein behandlungsfreies Intervall von zwölf Wochen abgelaufen ist. Ausnahmen sind dem HeilM-Ktlg zu entnehmen (Ziff. 11.1 HeilM- RiLi).
Lässt sich die Behandlung mit der Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen, sind weitere Verordnungen möglich. Solche Verordnungen bedürfen einer besonderen Begründung mit prognostischer Einschätzung. Die Verordnungsmenge ist abhängig von der Behandlungsfrequenz so zu bemessen, dass mindestens eine ärztliche Untersuchung innerhalb einer Zeitspanne von zwölf Wochen nach der Verordnung gewährleistet ist (Ziff. 11.3 HeilM-RiLi). Insbesondere bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls hat der Vertragsarzt störungsbildabhängig eine weiterführende Diagnostik durchzuführen, um auf der Basis des festgestellten Therapiebedarfs, der Therapiefähigkeit, der Therapieprognose und des Therapieziels die Heilmitteltherapie fortzuführen. Dabei sind Fragen der Wirtschaftlichkeit vor der Verordnung besonders zu beachten (im Einzelnen Ziff. 13 HeilM-RiLi).
Insgesamt ist diesen Regelungen der Grundsatz zu entnehmen, dass Leistungen außerhalb des Regelfalls dann gewährt werden können, wenn dies (dringend) notwendig ist, um die Ziele der gesetzlich vorgesehen Leistungen, hier der Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V) zu erreichen (Heilung, Verhütung einer Verschlimmerung, Linderung von Beschwerden). Die Abweichung vom Regelfall bedarf nur der besonderen Begründung, diese muss aber tragfähig und um so eingehender sein, je weiter sich die Verordnung vom Regelfall entfernt.
Der Beklagten und den von ihr gehörten MDK-Ärzten Dr. T und Dr. Dr. M ist zwar zuzugestehen, dass von den Zielen der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V keinesfalls eine Heilung oder eine auch nur annähernde Wiederherstellung des früheren Leistungszustandes d. Kl. erreicht werden kann, mag dies auch die Vorstellung d. Kl. oder ihrer Familienangehörigen sein. Angesichts der vorliegenden Multimorbidität d. Kl. und ihrer offenkundigen Altersschwäche ist dies keinesfalls zu erwarten.
Jedoch ist die sog. "Therapie- oder Rehabilitationsfähigkeit" d. Kl. keine feststehende Größe, sondern immer in Bezug auf das zu erreichende Ziel zu sehen. Wenn Dr. Dr. M zur Begründung einer Leistungsversagung äußert, es sei bei d. Kl. nicht mehr möglich, Therapiefortschritte im Sinne eines Funktionszugewinns zu erzielen, sondern es gehe "nur noch " darum, den Verschlechterungs- und Abbauprozess, soweit es geht, zu verzögern, dann verkennt diese leistungsablehnende Auffassung das in § 27 Abs. 1 SGB V gesetzlich ausdrücklich genannte Ziel, eine (weitere) Verschlechterung zu verhindern. Der Umstand, dass die Versicherte sehr alt und überaus gebrechlich ist und keine Verbesserung ihres Leistungszustandes zu erwarten ist, reicht nicht aus, um ihr die begehrte Leistung zu versagen. Allenfalls dann, wenn die Leistung aus medizinischer Sicht nicht einmal geeignet wäre, d. Kl. (zumindest zeitweise) Linderung zu verschaffen, könnte sie versagt bleiben.
Wenn die behandelnde Ärztin E in ihrer Verordnung vom 06.12.2005 darauf hingewiesen hat, dass eine Kontrakturprophylaxe dringend erforderlich sei und eine Immobilität d. Kl. drohe (wenn nicht intensive krgymn. Behandlung erfolge), dann liegt dies angesichts des von Dr. Dr. M eingehend beschriebenen Leistungsbildes auf der Hand.
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Zubilligung der hier begehrten Leistung auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht. Denn mit der gesetzlich gebilligten Verhinderung einer Verschlimmerung werden auch höhere Behandlungs- und Pflegekosten (zumindest zeitweise) vermieden. Auch die weiteren Leistungsvoraussetzungen für die konkret verordneten Behandlungen sind angesichts der Feststellungen von Dr. Dr. M zu bejahen, insbesondere kann d. Kl. nicht auf die üblichen aktivierenden Pflegemaßnahmen im Rahmen des SGB XI (etwa bei Begleitung zur Toilette, Hilfe beim Verlassen des Bettes, Transfer in andere Räume) verwiesen werden; denn die wiederholten krgymn. Übungen durch eine ausgebildete Krankengymnastin werden fachlich gezielt eingesetzt und haben nach den glaubhaften Beobachtungen der behandelnden Ärztin zu einer (wenn auch offenbar nur jeweils zeitlich begrenzten, vorübergehenden) Verbesserung des Gangbildes und zu einem Rückgang von Schmerzen geführt (so die Bescheinigungen vom 20.01.2006, Bl. 16 der Verwaltungsakten, und vom 06.06.2006, Bl. 18 der Gerichtsakten).
Angesichts dessen kann der Klage schon aufgrund der vorliegenden Beweismittel die hinreichende Erfolgsaussicht - jedenfalls für die im Dezember 2005 verordneten Leistungen - nicht versagt werden.
D. Kl. ist auch nicht in der Lage, die Kosten für die Rechtsverfolgung aufzubringen, wie sich schon aus der Gegenüberstellung ihrer Einkünfte und des derzeit nötigen Pflegeaufwands ergibt, wobei sogar Fehlbeträge durch Sozialhilfeträger oder gesetzlich Unterhaltsverpflichtete auszugleichen sein dürften.
Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Anwaltes, § 121 Abs. 2 ZPO, drängt sich auf.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
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