L 7 AL 1659/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 2762/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 1659/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Rahmen eines Antrags gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Gewährung höherer Leistungen ab 26. August 1995.

Der 1943 geborene Kläger war zuletzt vom 1. September 1987 bis 31. Dezember 1988 als Leiter der Schaltungsentwicklung Videoaufzeichnung mit einem monatlichen Arbeitsentgelt von DM 6.072,00 versicherungspflichtig beschäftigt. Danach bezog er Arbeitslosengeld und im Anschluss daran ab 15. Juli 1991 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Diese wurde zunächst nach dem dynamisierten Bemessungsentgelt gezahlt, das dem Arbeitslosengeld zugrunde lag und ab Januar 1995 wöchentlich 1.780,00 DM betrug. Ab dem 26. August 1995 legte die Beklagte im Rahmen einer "Herabbemessung" der Bemessung der Alhi das tarifliche Entgelt eines Ingenieurs in der Metallindustrie nach Tarifgruppe T 5, gültig ab 1. Juni 1994 zugrunde und zahlte nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.210,00 DM Leistungen in Höhe von wöchentlich 359,40 DM (Bescheid vom 23. August 1995). Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Reutlingen [SG] vom 23. November 1995 - S 8 Ar 467/95; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg [LSG] vom 13. März 1997 - L 12 Ar 3527/95). Das LSG hob lediglich den gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheid vom 1. Juli 1996 auf, da die Beklagte insoweit nicht berücksichtigt habe, dass eine Herabbemessung nach § 186 Abs. 2b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zum 1. Juli 1996 wegen der Übergangsvorschrift des § 242v Satz 2 AFG nicht in Betracht komme. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wies das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 8. Juli 1997 zurück (B 11 HG (Ar) 9/97). Die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens L 12 Ar 3527/95 verwarf das LSG mit Urteil vom 2. Juni 1999 als unzulässig. Eine Klage auf Gewährung höherer Alhi wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 1998 (S 9 AL 1881/97) zurück. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg (Urteil des LSG vom 2. Juni 1999 - L 5 AL 2207/98). Den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vor dem BSG lehnte dieses mit Beschluss vom 4. August 1999 (B 11 AL 21/99 BH) ab. Eine Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens L 5 AL 2207/98 im Jahr 1999 nahm der Kläger wieder zurück. Eine weitere Klage gegen die Anpassung des Bemessungsentgelts zum 7. August 1999 hatte lediglich insoweit Erfolg, als die Anpassung erst mit Wirkung ab dem 8. August 1999 für rechtmäßig erachtet wurde (Urteil des SG vom 28. November 2002 - S 9 AL 309/00). Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers blieben erfolglos (LSG, Urteil vom 22. Mai 2003 - L 5 AL 4844/02; BSG, Beschluss vom 1. April 2004 - B 7 AL 246/03B).

Vom 20. November 2000 bis einschließlich 19. November 2001 bezog der Kläger während der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung Unterhaltsgeld (Bescheid vom 14. Dezember 2000) und im Anschluss daran bis 17. Februar 2002 Anschlussunterhaltsgeld (Bescheid vom 5. Dezember 2001). Ab dem 18. Februar 2002 bezog der Kläger wieder Alhi, welche nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 615,00 EUR in Höhe von wöchentlich 190,96 EUR gezahlt wurde (Bescheid vom 20. März 2002). Mit Änderungsbescheid vom 26. Juli 2002 erfolgte zum 1. Juli 2002 eine Anpassung auf wöchentlich 188,86 EUR und mit weiterem Änderungsbescheid vom 3. Januar 2003 zum 1. Januar 2003 auf 187,60 EUR. Die Weiterbewilligung erfolgte in gleicher Höhe, zum 1. Juli 2003 erfolgte eine Anpassung auf wöchentlich 183,26 EUR und zum 1. Januar 2004 auf 187,32 EUR (Änderungsbescheide vom 28. Juli 2003 und vom 2. Januar 2004). Klagen betreffend Leistungen im Zusammenhang mit der Weiterbildungsmaßnahme, wegen der Höhe des Anschlussunterhaltsgeldes sowie wegen Überprüfung der Bescheide vom 7. Januar 1999, 27. Juli 1999, 28. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2000 und des Bescheids vom 14. Dezember 2000 nach § 44 SGB X wies das SG mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 27. Januar 2005 als unbegründet ab (S 8 AL 1322/04).

Am 9. Februar 2005 stellte der Kläger den hier streitgegenständlichen Antrag nach § 44 SGB X. Er machte geltend, die Bemessungskürzungen zum 1. Juli und 18. Februar 2002 seien rechtswidrig, weil innerhalb eines Jahres nach einer Maßnahme Bemessungskürzungen gesetzlich untersagt seien. Die rechtswidrigen Kürzungen 1997, 1998, 2000, 2002, 2003 und 2004 stellten gesetzlich untersagtes Nachholen von Bemessungskürzungen dar. Die Kürzungen 2000 und 2003 seien ohne Bescheid durchgeführt worden. Alle Kürzungen seien aufzuheben und die Leistungen zum 1. Juli zu dynamisieren. Nach dem 58. Lebensjahr und bei Bezug von Leistungen zu vereinfachten Bedingungen (2002 bis 2004) seien Kürzungen rechtswidrig. Die Leistungen seien 1995 falsch berechnet worden. Als "neues Beweismaterial" legte der Kläger insoweit die Tabelle des ab 1. Mai 1995 in der Metallindustrie Südbaden gültigen Tarifvertrags für kaufmännische und technische Angestellte sowie Meister vor. Die Höhe der Kürzung sei vom Gesetzgeber begrenzt gewesen und habe nur auf 1.580,00 DM und nicht 1.200,00 DM gekürzt werden dürfen. Zu allen Kürzungen seien nach § 45 "Vorausverfügungen" zu erstatten, insgesamt in Höhe von 1.876,00 EUR.

Am 15. August 2005 hat der Kläger Untätigkeitsklage wegen Nichtbescheidung seines Überprüfungsantrags (S 8 AL 2762/05) erhoben. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2005 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 19. Oktober 2005 ebenfalls Klage erhoben (S 8 AL 3524/05). Das SG hat beide Klagen mit Beschluss vom 14. November 2005 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 8 AL 2762/05 verbunden.

Mit Urteil vom 9. März 2006 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der entsprechenden Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1. Juli 2002 höhere Alhi zu zahlen ausgehend davon, dass die Alhi nicht zum 1. Juli 2002 gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) zu dynamisieren gewesen sei. Im Hinblick auf die vom Kläger absolvierte Maßnahme der beruflichen Weiterbildung habe eine Minderung des Anpassungsfaktors um 0,03 zum 1. Juli 2002 nach § 201 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III zu unterbleiben. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen und die Ablehnung der Rücknahme bestandskräftiger Bescheide nach § 44 SGB X durch die Beklagte bestätigt. Hierbei hat es darauf hingewiesen, dass die zwingend zu beachtende Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X dazu führe, dass für die länger als vier Jahre zurückliegende Zeit keine (höheren) Leistungen mehr erbracht werden dürften. Ein Antragsteller, der über § 44 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten dürfe, habe kein rechtliches Interesse an der Rücknahme und der zusprechenden Entscheidung, die nach Abs. 4 nicht vollzogen werden dürfe (unter Hinweis auf BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 1). Die vom Kläger beanstandeten "Kürzungen" aus der Zeit vor 1. Januar 2001 könnten, selbst wenn ihre Rechtswidrigkeit nachgewiesen wäre, gemäß § 44 Abs. 4 SGB X nicht mehr "korrigiert" werden, indem höhere Leistungen nachgezahlt würden. Im Übrigen seien für eine Rechtswidrigkeit vom Kläger keine neuen, rechtlich relevanten Gesichtspunkte vorgetragen worden, solche seien auch nicht ersichtlich.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 3. April 2006 zum LSG eingelegte Berufung. Er macht weiterhin geltend, die früheren Rechtswidrigkeiten wirkten auch auf die letzten Leistungen. Die ohne Bescheid durchgeführten Kürzungen 2000 und 2003 seien aufzuheben. Rückwirkende Kürzungen seien ohnehin rechtswidrig. Die Obergrenze für Kürzungen sei überschritten. Daneben rügt der Kläger die fehlende Dynamisierung der Leistungen von 1998 bis 2004 und die rechtswidrige "Wegkürzung" der Dynamisierung 2001 während einer Maßnahme. Darüber hinaus beharrt der Kläger darauf, dass der 1995 gültige Tarifvertrag anzuwenden gewesen sei. Es sei eine Grundsatzentscheidung diesbezüglich zu treffen, dass alle Kürzungen rechtswidrig seien, da die Arbeitslosigkeit durch Rechtswidrigkeiten und Straftaten sowie Zwangsarbeit (gemeint ist die Weiterbildungsmaßnahme) von der Beklagten verursacht worden seien. Zusätzlich begehrt der Kläger die Verzinsung der Nachzahlungen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. März 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 2005 und Abänderung aller Folgebescheide zu Alhi und Unterhaltsgeld ab 26. August 1995 höhere, in der Folgezeit zu dynamisierende Leistungen unter Anwendung des 1995 geltenden Tarifvertrags und ohne Minderungen des Bemessungsentgelts zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der "Kürzungen" für die Zeit vor dem 1. Januar 2001 verweist sie auf § 44 Abs. 4 SGB X. Im Übrigen habe die Beklagte das Urteil mit Bescheiden vom 19. April 2006 ausgeführt und die Nachzahlungen verzinst (Bescheid vom 26. März 2007).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Leistungsakten der Beklagten (2 Band), die Klageakte des SG, die Senatsakte und die weiteren Akten des SG zu den Verfahren S 8 Ar 467/95, S 9 AL 309/00, S 9 AL 1881/97, S 9 AL 1973/99, S 8 AL 1322/04 sowie die Akten des LSG zu den Verfahren L 12 Ar 3527/95, L 5 AL 2207/98, L 5 AL 4844/02 und L 5 AL 2999/00 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung trotz Abwesenheit des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2007 entscheiden, da der Kläger in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsbestimmung hierauf hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Ablehnung der Abänderung der bestandskräftigen Bescheide der Beklagten ab August 1995 durch den angefochtenen Bescheid vom 5. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 2005 ist nicht zu beanstanden, soweit sie nicht bereits das SG abgeändert hat. Der Kläger hat insoweit auch keinen, über den ihm bereits vom SG zugesprochenen Anspruch hinausgehenden Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand November 2006, § 44 SGB X Rdnr. 2; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Januar 2007, § 44 Rdnr. 1b). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG SozR 3900 § 40 Nr. 15; SozR 2200 § 1268 Nr. 29; Steinwedel, a.a.O., § 44 Rdnr. 5; Vogelgesang, a.a.O., § 44 Rdnr. 17). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG SozR 3900 § 40 Nr. 15; SozR 3-2600 § 243 Nr. 8 S. 27 f.; SozR 3-4100 § 119 Nr. 23 S. 119 f.; Steinwedel, a.a.O., § 44 Rdnr. 34; Vogelgesang, a.a.O., § 44 Rdnr. 18; Wiesner in v. Wulffen, SGB X, 5. Aufl., § 44 Rdnr. 13).

Aus dem vom SG herangezogenen, in Anlehnung an die gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (vgl. §§ 578 ff. Zivilprozessordnung) oder an § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) abgestuften Prüfungsverfahren (Vorlage neuer Tatsachen oder Erkenntnisse - Prüfung derselben, insbesondere auf Erheblichkeit - Prüfung, ob Rücknahme zu erfolgen hat - neue Entscheidung) folgt nichts anderes. Zu berücksichtigen ist, dass § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwei Alternativen anführt, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann unrichtig angewandt oder es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden sein, der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kann es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel und ein abgestuftes Verfahren ankommen. Bei der ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss (BSG SozR 3-2600 § 243 Nr. 8 S. 28f; SozR 3-4100 § 119 Nr. 23 S. 119; Steinwedel, a.a.O., § 44 Rdnr. 34).

Soweit der Kläger die Höhe der ihm gewährten Leistungen bis 31. Dezember 2000 angreift und die Rechtswidrigkeit diesbezüglicher Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheide rügt, ist dem nicht weiter nachzugehen. Eine (teilweise) Rücknahme der entsprechenden Verwaltungsakte und eine Ersetzung durch die Bewilligung höherer Leistungen ist wegen der Einwirkung der Verfallklausel des § 44 Abs. 4 SGB X auf die Rücknahmeregelung schlechthin ausgeschlossen. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB X werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und durch einen Zugunstenbescheid ersetzt wird, längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Für die Berechnung des Zeitraumes tritt nach Satz 3 an die Stelle des Rücknahmeaktes ein Antrag, falls er zur Rücknahme führte. Diese, zwingend anzuwendende Vollzugsregelung (BSG SozR 1300 § 44 Nr. 23) steht für die länger als vier Jahre zurückliegende Zeit, für die keine Leistungen mehr erbracht werden dürfen, einem Rücknahme- und einem Ersetzungsakt entgegen. Ein Ersetzungsakt ist nicht mehr zu erlassen, wenn er nicht ausgeführt werden darf. Er wäre wirkungslos. Von der Verwaltung darf keine unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden, die hier auch die, unter Umständen recht schwierige und aufwendige Prüfung auf eine Unrichtigkeit einbezöge. Ein Antragsteller, der über § 44 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten darf, hat kein rechtliches Interesse an der Rücknahme und der zusprechenden Entscheidung, die nach Abs. 4 nicht vollzogen werden dürfen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 1). Aus diesem Grund erübrigt sich jede nähere Darlegung zur Rechtmäßigkeit der Bescheide der Beklagten, soweit sie die Leistungen bis 31. Dezember 2000 betreffen. Die Beklagte durfte insoweit ohne erneute Sachprüfung an den betreffenden Bescheiden festhalten.

Auch hinsichtlich des Zeitraums ab 1. Januar 2001 ist die Berufung nicht begründet. Soweit der Kläger ausdrücklich die Anpassung der Alhi zum 1. Juli 2002 gerügt hat, ist das SG dem gefolgt und hat die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide zur Gewährung höherer Alhi ab 1. Juli 2002 verurteilt. Die Beklagte ist diesem Urteil bereits mit Änderungsbescheiden vom 19. April 2006 nachgekommen. Der Kläger ist insoweit daher nicht beschwert.

Soweit der Kläger noch immer geltend macht, 1995 sei eine falsche Bemessungsgrundlage gewählt worden, was - sofern es zuträfe - sich auch auf die Bewilligungsbescheide betreffend die Zeit ab 1. Januar 2001 auswirkte, ist auf die Ausführungen des LSG im Urteil vom 13. März 1997 - L 12 Ar 3527/95 - zu verweisen, welche sich der Senat nach eigener Überprüfung zu eigen macht. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger hierzu keine neuen "Beweise" in Form des ab 1. Mai 1995 gültigen Tarifvertrags vorgelegt hat. Mit dem SG kann auch der Senat insoweit nur nochmals darauf hinweisen, dass dieser Tarifvertrag für die im Jahr 1995 erfolgte Neubemessung der Alhi nicht herangezogen werden durfte. Nach dem damals geltenden § 186 Abs. 2b AFG hätte die Beklagte die Herabbemessung bereits ab 1. Januar 1995 vornehmen müssen. Die Versäumung dieses Zeitpunktes stand einer Neubemessung der Alhi während des laufenden Bewilligungsabschnittes nicht entgegen. Bei dieser nach § 112 Abs. 7 AFG vorzunehmenden Bemessung war von dem eigentlich richtigen Neubemessungsstichtag, also 1. Januar 1995, auszugehen (BSG SozR 3-4100 § 186 Nr. 3). Zu diesem Zeitpunkt hatte jedoch die vom Kläger präferierte Fassung des Tarifvertrags noch keine Gültigkeit.

Eine Herabbemessung des Arbeitsentgelts unter das gesetzlich zulässige Maß ist nicht erfolgt. Nach § 201 Satz 2 SGB III darf das Arbeitsentgelt durch die Anpassung 50 Prozent der Bezugsgröße nicht unterschreiten (ebenso die Vorgängerregelung in § 136 Abs. 2b AFG). Dies ist zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen. Für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2004 erhielt der Kläger beispielsweise Alhi nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 591, 57 EUR (umgerechnet auf einen Monat: 2.535,30 EUR). Die Bezugsgröße nach § 18 SGB IV lag im Jahr 2004 bei monatlich 2.415,00 EUR, die Hälfte davon beträgt 1.207,50 EUR. Damit ist offensichtlich, dass das Bemessungsentgelt trotz der Herabbemessungen noch weit über 50 Prozent der Bezugsgröße liegt. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt dies auch für 1995 (wöchentliches Bemessungsentgelt: 1.210,- DM (entspricht monatlich 5.185,71 DM); monatliche Bezugsgröße: 4.060,00 DM, davon die Hälfte: 2.030,00 DM).

Soweit der Kläger eine fehlende Dynamisierung der ihm gewährten Leistungen rügt, trifft dies nicht zu. Die nach § 138 SGB III vorzunehmende Anpassung des für die Bemessung maßgebenden Arbeitsentgelts hat die Beklagte entsprechend der jeweils gültigen Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit vorgenommen. Auch während des Bezugs von Unterhaltsgeld ist eine Dynamisierung zum 1. Juli 2001 erfolgt (Bescheid vom 26. Juli 2001). Soweit eine Minderung nach § 201 SGB III vorzunehmen ist, bedeutet dies nicht, dass eine Dynamisierung nicht erfolgt. Vielmehr wird lediglich der Anpassungsfaktor nach § 138 Abs. 2 SGB III um 0,03 vermindert. Dies bedeutet, dass sich nicht das Bemessungsentgelt für die Alhi insgesamt um 3% verringert, da in dem Anpassungsfaktor nach § 138 Abs. 2 SGB III bereits ein Erhöhungsbetrag enthalten ist, der durch die Subtraktion von 0,03 im zweiten Rechenschritt lediglich vermindert wird (Kärcher in Niesel, SGB III, 1. Aufl., § 201 Rdnr. 10 f.).

Schließlich gibt es keine rechtliche Grundlage für das Begehren des Klägers, in seinem Fall von Herabbemessungen des Bemessungsentgeltes oder sonstigen Leistungskürzungen generell abzusehen. Soweit der Kläger dieses Begehren darauf stützt, die Beklagte habe seine Arbeitslosigkeit verursacht, kann diesem Vortrag schon im Tatsächlichen nicht gefolgt werden. Das LSG hat in seinem Urteil vom 13. März 1997 - L 12 Ar 3527/95 - ausgeführt: "Er (der Kläger) war - obwohl zum Zeitpunkt der Neufestsetzung 51 Jahre alt - lediglich acht Jahre erwerbstätig. Die früheren Arbeitgeber haben die Beschäftigungsverhältnisse jeweils nach kurzer Zeit aufgelöst und den Kläger nicht als leitenden Angestellten weiterbeschäftigt. Nachhaltige Erfolge als Führungskraft oder als geschätzter Mitarbeiter kann der Kläger jedenfalls nicht vorweisen. Seine beruflichen Kenntnisse, die er aufgrund seiner Ausbildung, seiner bisher ausgeübten Berufstätigkeiten und der von ihm selbst betriebenen Fortbildung erworben hat, sind offensichtlich auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt nicht gefragt." Im Hinblick auf den beruflichen Werdegang des Klägers ist nicht nachvollziehbar, wieso dieser der Beklagten die Verantwortung für seine Arbeitslosigkeit zuweist. Zudem ist die Beklagte nicht für die Arbeitsmarktlage verantwortlich.

Nur zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die Ausführungsbescheide vom 19. April 2006 sowie der nachfolgende Verzinsungsbescheid vom 26. März 2007 nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sind. Dies beruht darauf, dass die Ausführungsbescheide keine von der Verwaltung getroffenen selbstständigen Regelungen darstellen, sondern ein mit der Berufung angefochtenes Urteil zugunsten des Klägers vollziehen (vgl. BSGE 9, 169 f., BSG SozR 1500 § 96 SGG Nr. 12; Bley in GK-Sozialversicherung, Band 8, § 96 SGG Nr. 4c).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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