L 1 U 5810/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2854/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 5810/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls am 27. September 1996.

Der 1937 geborene und als Schlosser tätig gewesene Kläger erlitt am 27. September 1996 einen Arbeitsunfall, als er aus ca. 90 cm Höhe von einem Gerüst sprang, hierbei schief aufkam und sich das linke Knie verletzte. Er leidet unter einer als Berufskrankheit anerkannten Schwerhörigkeit, für die im Bescheid vom 25. September 1997 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 15 v.H. festgestellt worden ist.

Dr. P. führte in seinem Durchgangsarztbericht vom 2. Oktober 1996 aus, es liege eine Distorsion des linken Knies ohne knöcherne Verletzungen vor. Unfallunabhängig bestehe eine mediale Gonarthrose links. Im Durchgangsarztbericht vom 6. Dezember 1996 berichtete er neben der Distorsion über einen Verdacht auf Innenmeniskusläsion sowie rezidivierende Blockaden. Im Knieschadensbericht vom 17. Januar 1997 wurde über eine Distorsion sowie eine Zerrung des Innenbands am oberen Ansatz berichtet. Im Durchgangsarztbericht vom 7. Februar 1997 wurde mitgeteilt, dass der Kläger über seit 1985 bestehende Kniebeschwerden klage, die sich seit dem Unfall verstärkt hätten. In seinem weiteren Bericht vom 21. April 1997 teilte Dr. P. der Beklagten mit, der Kläger habe sich 1985, 1987 und 1996 jeweils im Zusammenhang mit seiner Arbeit am Knie verletzt, sei jedoch trotz der Beschwerden nicht arbeitsunfähig krank gewesen. Im August 1988 seien die chronischen Kniebeschwerden als Meniskopathie gedeutet und kassenärztlich behandelt worden, stünden aber eventuell auch im Zusammenhang mit den früheren berufsbedingten Unfällen des Klägers.

Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers von der Krankenkasse bei.

Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs am 18. März 2004 vor dem Landessozialgericht im Verfahren L 7 U 3187/00 verpflichtete sich die Beklagte zur Prüfung, ob hinsichtlich geltend gemachter Arbeitsunfälle vom 22. Oktober 1987, 22. Mai 1989, 14. Juli 1994 und 27. September 1996 Leistungen gewährt werden könnten.

Mit Bescheid vom 19. Mai 2004 anerkannte die Beklagte das Ereignis vom 27. September 1996 als Arbeitsunfall, lehnte aber die Gewährung von Rentenleistungen ab, da das Unfallereignis lediglich eine folgenlos verheilte Zerrung im Bereich des Kniegelenks verursacht habe und eine messbare MdE nicht verblieben sei. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der nicht begründet und mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 2004 zurückgewiesen wurde.

Dagegen hat der Kläger am 20. September 2004 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Das SG hat den behandelnden Arzt für Orthopädie Dr. D. als sachverständigen Zeugen befragt (Antwortschreiben vom 19. Dezember 2005), der jedoch nur über eine Behandlung wegen Lumbago im Jahr 2005 hat berichten können. Das SG hat daraufhin Dr. F., Facharzt für Orthopädie und Chirurgie, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 22. April 2006 hat Dr. F. ausgeführt, der Kläger habe geschildert, dass er am 1. September 1979 von einem Mauerwerk von etwa 1,5 m Höhe herabgesprungen und gestürzt sei. Er sei in H. behandelt und das linke Knie sei punktiert worden. Am 19. Dezember 1985 sei er von einer Leiter gefallen, sei bei Dr. P. wegen eines blutigen Ergusses punktiert worden. Auch am 22. Dezember 1987 sei er von einer Leiter gefallen, habe aber an die Behandlung keine Erinnerung mehr. Seit dem Unfall 1996 sei er nur noch einmal im Jahr 1997 bei Dr. P. in Behandlung gewesen. Die Beschwerden seien seit 1996 gleich. Dr. F. hat eine mediale Gonarthrose links sowie eine reizlos abgeheilte Distorsion des linken unteren Sprunggelenks diagnostiziert. Er hat weiter ausgeführt, ursächlich für die Gesundheitsstörung im linken Knie seien schon vor dem Unfall vom 27. September 1996 bestehende beträchtliche Veränderungen. Denn schon 1996 ist von Dr. P. eine mediale Gonarthrose diagnostiziert worden, der Kläger hat schon in den 80er Jahren wiederholt intraartikuläre Injektionen erhalten. Dem Unfallgeschehen komme eine nur untergeordnete Bedeutung für die bestehenden Beschwerden zu. Für eine wesentliche Schädigung wäre zu erwarten gewesen, dass ein blutiger Erguss, eine Bandzerreißung entstanden wäre oder die Notwendigkeit einer längeren Behandlung bestanden hätte. Dagegen sei der Kläger nur 3 Tage arbeitsunfähig erkrankt gewesen, sei von der Arbeitsstelle selbständig mit dem Pkw erst in die Firma und dann nach Hause gefahren und es hätten nur geringe funktionelle Einschränkungen bestanden. Es sei somit nur zu einer vorübergehenden, nicht richtunggebenden Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens gekommen. Eine unfallbedingte MdE bestehe nicht.

Durch Urteil vom 27. September 2006 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf die Ausführungen von Dr. F ...

Gegen das ihm am 20. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. November 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, es hätten die aktenkundigen Vorschäden mit dem am 27. September 1996 entstandenen Schaden verbunden werden müssen, da diese zusammen eine MdE um wenigstens 20 v.H. ergeben hätten. Nach allgemeinmedizinischem Wissen verstärkten mehrere leichte Verletzungen die Gefahr der Arthrose. Dies habe sich bei ihm offensichtlich realisiert.

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. September 2006 aufzuheben, den Bescheid vom 19. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. August 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 10 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Gemäß §§ 212, 214 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind vorliegend die Vorschriften des SGB VII anzuwenden, auch wenn sich der streitgegenständliche Unfall noch unter der Geltung der RVO ereignet hat, denn die Vorschriften des SGB VII gelten auch für diese Fälle, wenn wie hier u.a. Rentenleistungen nach dem Inkrafttreten des SGB VII zum 1. Januar 1997 erstmals festzusetzen sind.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).

Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wobei die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII). Dabei richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Als Folge eines Unfalls sind Gesundheitsstörungen nur zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis wie auch das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstörung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht (BSGE 58, 80, 82; 61, 127, 129; BSG, Urt. v. 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 278). Daran fehlt es, wenn die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 222; BSG, Urt. v. 2. Mai 2001 - B 2 U 18/00 R -, in: HVBG-Info 2001, 1713). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. BSGE 6, 70, 72; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat der Überzeugung, dass beim Kläger keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, nicht einmal im Umfang von 10 v.H., die angesichts des durch die Schwerhörigkeit gegebenen sog. Stützrententatbestands ausreichen würde, um die Leistung einer Verletztenrente zu ermöglichen. Denn die mediale Gonarthrose des Klägers ist nicht durch den Arbeitsunfall vom 27. September 1996 wesentlich verursacht. Dabei stützt sich der Senat in seiner Beurteilung wesentlich auf das Gutachten Dr. F., das angesichts der aktenkundigen Vorbefunde schlüssig dargelegt hat, dass bereits vor dem Unfall vom 27. September 1996 wesentliche Vorschäden bestanden haben. Das angeschuldigte Ereignis war darüber hinaus von seiner Intensität so wenig erheblich, dass der Kläger nicht nur mit dem Auto zur Firma und nach Hause fahren konnte, sondern auch bloße 3 Tage arbeitsunfähig erkrankt war. Selbst wenn der Kläger "hart im Nehmen" ist, wäre zu erwarten gewesen, dass bei einer schwerwiegenderen funktionellen Einschränkung zumindest eine längerdauernde Behandlung nachgefolgt wäre. Nach seinen eigenen Angaben hat sich der Kläger aber nur einmal im Jahr 1997 in die Behandlung von Dr. P. wegen Kniebeschwerden begeben. Hinweise auf gravierende, arthrotische Veränderungen nach sich ziehende knöcherne Verletzungen oder Bandzerreißungen liegen nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. F. nicht vor. Der Kläger hat also lediglich eine folgenlos verheilte Zerrung des Kniegelenks erlitten, die den vorbestehenden Körperschaden nur vorübergehend verschlimmert hat. Eine dauernde Einschränkung der Erwerbsfähigkeit liegt deshalb nicht vor, so dass auch keine unfallbedingte MdE festzustellen ist.

Soweit der Kläger geltend gemacht hat, die bestehenden Beschwerden seien aus einer "Summierung" früherer Arbeitsunfälle, das linke Knie betreffend, herzuleiten, vermochte dieser Vortrag nicht zu einer anderen Bewertung zu führen. Soweit der Unfall vom 22. Oktober 1987 im Streit steht, hat die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid festgestellt, dass es bloß zu einer folgenlos verheilten Zerrung des linken Kniegelenks gekommen ist. Der Unfall vom 22. Mai 1989 betraf das untere Sprunggelenk und nicht das Knie. Über weitere Unfälle liegen keine Verwaltungsentscheidungen vor, die zur gerichtlichen Überprüfung stehen. Wenn der Kläger in der Berufungsbegründung einen Unfall vom September 1979 (Distorsion des linken Kniegelenks) und 20. Dezember 1985 (Verletzung des linken Kniegelenks) behauptet, muss zunächst ein Verwaltungsverfahren über die Anerkennung dieser Ereignisse als Arbeitsunfälle durchgeführt werden, bevor deren eventuelle Folgen in die Gesamtbewertung einfließen können. Es sind darüber hinaus auch keine medizinischen Unterlagen über diese Ereignisse aktenkundig, die eine Beurteilung erlauben würden. Aber unabhängig davon liegen auch aus medizinischer Sicht keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die geltend gemachten Knieverletzungen teilursächlich für die vorbestehende Gonarthrose des Klägers sind. Das von Klägerseite vorgetragene "allgemeinmedizinische Wissen", dass mehrere kleinere Verletzungen die Gefahr der Entstehung einer Arthrose begründeten, vermochte angesichts der Tatsache, dass eine solche Auffassung nicht Gegenstand der anerkannten wissenschaftlichen Lehrmeinung ist (vgl. dazu ausführlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003 S. 717 ff.), nicht zu einer anderen Beurteilung zu verhelfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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