L 8 AL 366/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 40 AL 1301/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 366/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11a AL 53/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung (L 8 AL 194/06) erledigt ist.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Nach der Erledigterklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2006 war im Berufungsverfahren L 8 AL 366/06 (in Fortsetzung des Verfahrens L 8 AL 194/06) zunächst streitig, ob festzustellen ist, dass der Rechtsstreit durch Zurücknahme der Berufung erledigt ist. Zwischen den Beteiligten war vor dieser Erledigtklärung die Anfechtung eines in der Streitsache S 40 AL 1578/05 vor dem Sozialgericht München - SG - geschlossenen Vergleichs streitig.

Der 1963 geborene Kläger führte vor dem SG einen Rechtsstreit (Az.: S 40 AL 1578/01) betreffend die Festsetzung einer Sperrzeit von 12 Wochen und die Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um 84 Tage. Die Beklagte führte in dem entsprechenden Bescheid vom 24.08.2001 aus, der Kläger habe das Beschäftigungsverhältnis mit der Firma S. Garten- und Landschaftbau GmbH zum 06.12.2000 gelöst und dadurch die Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass eine Arbeitnehmerkündigung nicht vorgelegen habe. Der Arbeitgeber habe gekündigt, weil der Kläger die Arbeit nicht habe leisten können. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2001 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum SG und schilderte den der Sperrzeit zugrundeliegenden Sachverhalt aus seiner Sicht.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 16.09.2005 wurde der Geschäftsführer des ehemaligen Arbeitgebers S. als Zeuge einvernommen. Die Beteiligten schlossen dann einen Vergleich dahingehend, dass die Beklagte die Sperrzeit auf sechs Wochen verkürzte. Das Protokoll enthält nach der Niederschrift des Vergleichs den Vermerk "vorgelesen, von der Dolmetscherin übersetzt und genehmigt".

Mit Schreiben vom 16.09.2005 führte der Kläger sinngemäß aus, er sei mit der Verkürzung der Sperrzeit auf sechs Wochen nicht einverstanden, und mit Schreiben vom 23.09.2005, die Aussage des Zeugen sei falsch. Die gesamte Sperrzeit müsse aufgehoben werden. Daraufhin wurde das Verfahren S 40 AL 1578/01 vor dem SG unter dem Aktenzeichen S 40 AL 1301/05 fortgeführt. Mit weiterem Schreiben ohne Datum wiederholte der Kläger im Wesentlichen seine Ausführungen.

Die Beklagte führte mit Schreiben vom 29.09.2005 aus, das Klageverfahren 1578/01 sei durch den Prozessvergleich abgeschlossen worden. Der Vergleich sei wirksam zustande gekommen. Der Inhalt sei eindeutig. Eine Anfechtung sei nicht wirksam. Ein Anfechtungsgrund liege nicht vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.03.2006 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, der auslegungsbedürftige Schriftsatz des Klägers vom 16.09.2005 sei als Klage unzulässig. Der Rechtsstreit S 40 AL 1578/01 sei durch den am 16.09.2005 erklärten Vergleich materiell und durch die zugleich abgegebene Erledigungserklärung auch prozessual erledigt worden. Der Rechtsstreit sei auch nicht fortzusetzen, weil der Kläger sinngemäß die Anfechtung des Vergleichs erklärt habe. Die Prozesserklärung der Erledigung des Rechtsstreits sei eindeutig und ohne Hinzufügung einer Bedingung vorgenommen worden. Die Niederschrift der Erklärung sei vorgelesen und genehmigt worden. Damit sei der Rechtsstreit erledigt worden. Die Erklärung der Klagerücknahme sei eine Prozesshandlung, auf die die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit und Anfechtung von Willenserklärungen nach allgemeiner Meinung nicht angewendet werden können. Erforderlich sei nur der Handlungswille, der beim Kläger vorgelegen habe. Er sei nach seiner zu Protokoll gegebenen Erklärung im Stande gewesen, der in deutscher Sprache geführten mündlichen Verhandlung zu folgen. Hinzu komme, dass ihm der Vergleich vor der Genehmigung von der anwesenden Dolmetscherin für die albanische Sprache übersetzt worden sei. Der Widerruf einer Klagerücknahme sei ausnahmsweise unter den Voraussetzungen, die für die Wiederaufnahme des Verfahrens gelten, zulässig. Da diese offensichtlich nicht vorlägen, sei die Klage in vollem Umfang abzuweisen gewesen.

Mit Schreiben vom 22.05.2006 hat der Kläger gegen den Gerichtsbescheid Berufung zum Bayer. Landessozialgericht - LSG - eingelegt und sich wiederum gegen die Sperrzeit gewandt. Er habe nicht bei der Firma S gekündigt. Die Aussage des Zeugen sei falsch.

Die Beklagte hat ausgeführt, es lasse sich fragen, ob das Sozialgericht richtigerweise durch Feststellungsurteil hätte entscheiden müssen, dass das Klageverfahren S 40 AL 1578/01 durch den Vergleich vom 16.09.2001 erledigt sei. Doch könne dies dahinstehen. Dem SG sei jedenfalls zuzustimmen, dass der Kläger mit seinem Begehren keinen Erfolg haben könne.

In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 27.10.2006 hat der Kläger das Berufungsverfahren L 8 AL 194/06 für erledigt erklärt. Die entsprechende Erklärung ist ausweislich der Sitzungsniederschrift vorgelesen, von der Dolmetscherin übersetzt und genehmigt worden.

Unter anderem mit Schreiben vom 04.12.2006 hat der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er seine Berufung aufrechterhalten und sein Klagebegehren weiterverfolgen wolle. Die Dolmetscherin habe er nicht verstanden. Daraufhin wurde das Verfahren vor dem LSG unter dem Az.: L 8 AL 366/06 fortgesetzt.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.03.2006 und den Bescheid vom 24.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2001 aufzuheben und ihm Arbeitslosengeld auch für den Zeitraum vom 07.12.2000 bis 28.02.2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt festzustellen, dass durch die Erledigterklärung vom 27.10.2006 der Rechtsstreit erledigt ist.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist statthaft (§ 143 SGG) und form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG).

Das Begehren des Klägers, in Fortsetzung des Verfahrens L 8 AL 194/06 nach dem Klageantrag zu entscheiden, muss jedoch ohne Erfolg bleiben. Denn der Kläger hat die Berufung in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 27.10.2006 rechtswirksam zurückgenommen. Zudem ist die Rechtshängigkeit der Klage durch den vor dem SG am 16.09.2005 geschlossenen, rechtswirksamen Vergleich entfallen.

Die prozessualen Fragen der Erledigung und damit der Rechtshängigkeit der Klage sind in jeder Lage des Verfahrens als Prozessvoraussetzungen, die nicht der Disposition der Beteiligten unterliegen, von Amts wegen zu prüfen (vgl. dazu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.11.2001, L 13 AL 2307/01). Der Kläger hat durch eine von der anwesenden und vereidigten Dolmetscherin übersetzte Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2006 die Berufung zurückgenommen. Die Erklärung lautet: "Ich erkläre das Berufungsverfahren für erledigt".

Es steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger diese Erklärung abgegeben und inhaltlich verstanden hat. Die Erklärung wurde ordnungsgemäß protokolliert, von der vereidigten Dolmetscherin übersetzt und vom Kläger genehmigt. Soweit der Kläger nunmehr ausführt, er habe die Übersetzung nicht verstanden, handelt es sich um eine unglaubwürdige Behauptung des Klägers, was auch dadurch deutlich wird, dass der Kläger zunächst angibt, sich bei der abgegebenen Erklärung geirrt und seine Entscheidung bereut zu haben, und auf Nachfrage des Gerichts die Abgabe der Erklärung mit den Worten: "Ja, aber ich fechte meine Erklärung an" einräumte.

Die (einseitige) Erledigungsklärung ist als Rücknahme der Berufung auszulegen. Denn der Kläger brachte damit eindeutig zum Ausdruck, dass er das Rechtsmittel nicht weiter aufrechterhalten wolle. Zweifel an diesem Inhalt der abgegebenen Erklärung bestanden und bestehen weder bei den anwesenden Gerichtspersonen noch bei dem Sitzungsvertreter der Beklagten. Eine entsprechende Erklärung wäre im Übrigen selbst dann als Berufungsrücknahme auszulegen, wenn die Beklagte ihr widersprochen hätte (Meyer-Ladewig, SGG, 8.Aufl. 2005, § 125 Rn 10).

Die Rücknahmeerklärung des Klägers war in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2006 noch möglich, da die Berufung gemäß § 156 Abs 1 S 1 SGG bis zur Rechtskraft des Urteils zurückgenommen werden kann.

Die Rücknahmeerklärung ist auch nicht unwirksam bzw. durch Anfechtung oder Widerruf unwirksam geworden; Restitutionsgründe liegen nicht vor.

Die Erledigungserklärung ist wirksam zustande gekommen, es liegen weder prozess- noch materiell-rechtliche Gründe vor, die sie unwirksam machen. Die Erklärung wurde ordnungsgemäß protokolliert, vorgelesen, übersetzt und vom Kläger genehmigt (§ 122 SGG i.V.m. §§ 159, 160, 162, 163 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die Erklärung ist auch nicht durch Anfechtung unwirksam. Der Kläger gibt insofern zwar an, sich geirrt zu haben. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung kann aber als Prozesshandlung nicht entsprechend den bürgerlich rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) angefochten werden (vgl. Urteil des BSG vom 19.03.2002, B 9 V 75/01 B; Meyer-Ladewig/Leitherer, a.a.O., Rn.7 c zu § 102; BSG in SozR 1500 Nr.2 zu § 102). Denn die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Nichtigkeit und Anfechtung, insbesondere auch wegen Irrtums, sind auf Prozesshandlungen wie die Berufungszurücknahme (Meyer-Ladewig, aaO, § 156 Rn 2) nicht anwendbar. Dies entspricht allgemeiner Meinung (vgl Meyer-Ladewig, aaO, Rn 12 vor § 60 mwN; § 156 Rn 2 a). Im Übrigen liegen auch keinerlei Anhaltspunkte für einen Irrtum des Klägers vor.

Das durch Klagerücknahme rechtskräftig beendete Verfahren kann auch nicht entsprechend den Bestimmungen des Vierten Buchs der ZPO (§ 179 SGG, §§ 579, 580 ZPO) wieder aufgenommen werden (vgl. Urteil des BSG vom 24.04.1980, 9 RV 16/79 ). Die dort näher beschriebenen Voraussetzungen, wie z.B. falsche eidlicheAussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, falsches Zeugnis oder Gutachten von Zeugen oder Sachverständigen, Urteilserschleichung, strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters oder das Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde, sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt. Restitutionsgründe gemäß § 580 ZPO liegen offensichtlich nicht vor; Umstände, die auf das Vorliegen von Restitutionsgründen schließen lassen könnten, werden auch vom Kläger nicht vorgetragen. Aus diesem Grunde kann auch ein Widerruf, der nur in Betracht käme, wenn Restitutionsgründe vorlägen (Meyer-Ladewig, aaO, § 156 Rn 2a mwN), nicht erfolgen.

Damit ist die Berufung wirksam zurückgenommen worden. Die Zurücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels, § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG, sowie das Entfallen der Rechtshängigkeit der Klage. Mit der Zurücknahme ist das Verfahren beendet. Da der Kläger sinngemäß zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Auffassung vertrete, der Rechtsstreit sei durch die Berufungsrücknahme nicht erledigt, war die im Entscheidungssatz ausgesprochene Feststellung zu treffen (Meyer-Ladewig, aaO, § 156 Rn 6).

Da - wie ausgeführt - die Rechtshängigkeit der Klage jedenfalls durch die Berufungszurücknahme entfallen ist, kann letztlich dahinstehen, dass diese Rechtsfolge bereits durch den vor dem SG am 16.09.2005 geschlossenen Vergleich eingetreten war. Denn schon dieser Prozessvergleich hat den im Klageverfahren verfolgten prozessualen Anspruch vollständig erledigt (§ 101 Abs. 1 SGG), wodurch eben auch die Rechtshängigkeit der Klage entfallen ist. Der Prozessvergleich ist wirksam zustande gekommen. Es liegen weder prozess- noch materiell-rechtliche Gründe vor, die diesen Prozessvergleich unwirksam machen. Dementsprechend weist der Senat höchstvorsorglich darauf hin, dass der Rechtsstreit auch durch den Prozessvergleich erledigt worden ist und dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosengeld ohne jegliche Sperrzeit auch aus diesem Grunde vom Senat nicht überprüft werden konnte. Die im Entscheidungssatz ausgesprochene Feststellung (und nicht die Feststellung der Beendigung des Rechtsstreits durch den Vergleich vom 16.09.2005) war zu treffen, weil der Senat in dem fortgesetzten Verfahren L 8 AL 366/06 über die vom Kläger dort zuletzt abgegebene Prozesserklärung der Berufungszurücknahme zu entscheiden hatte.

Aufgrund des Unterliegens des Klägers sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten, § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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