L 15 VG 2/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 VG 1/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 2/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 6. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1952 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Der Kläger hat mit Antrag vom 02.07.2003 vorgetragen, dass er am Freitag, den 19.07.2002, ca. 16.00 Uhr während eines Spazierganges am Fluss P. von der Brücke bei dem Seniorenpflegeheim von einem Paar junger Menschen (ein blonder Mann und eine schwarhaarige Frau) mit Flüssigkeit aus einer Wasserpistole übergossen worden sei. Weil es warm gewesen sei und die Sonne geschienen habe, habe er gedacht, dass es Wasser gewesen sei und sei weitergegangen. Am Abend habe ihm das Gesicht gebrannt. In der Klinik habe der Arzt festgestellt, dass es sich um einen Giftstoff gehandelt habe. Zur Stützung seines Begehrens hat der Kläger den Kurzbericht des Klinikums N. vom 19.07.2002 vorgelegt. Dort ist eine "diskrete Rötung bis Münzgröße auf der linken Wange ohne Bläschen oder Blasen" beschrieben.

Von Seiten des Beklagten sind die Akten der Strafverfolgungsbehörden beigezogen und ausgewertet worden. Die Polizeiinspektion N. hat mit Schlussvermerk vom 16.10.2002 unter anderem vermerkt, es verwundere, dass der Geschädigte in der Folge Verletzungen am gesamten Körper geltend mache und "zerfressene" Hautstellen beschreibe, die überhaupt nicht vorhanden (sichtbar) seien.

Der Leitende Oberstaatsanwalt in N. hat mit Schreiben vom 29.01.2003 an den Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht N. berichtet, dass der Kläger am 21.07.2002 Anzeige bei der Polizeiinspektion N. erstattet habe, da er von zwei Jugendlichen am 19.07.2002 mit einer Flüssigkeit aus einer Wasserpistole bespritzt worden sei. Da er Rötungen an der Haut erlitten habe, vermute er, die Flüssigkeit sei eine toxische Substanz gewesen. Die Jugendlichen konnten nicht ermittelt werden. Darüber hinaus bestünden erhebliche Zweifel an einer Verletzung des Klägers. Der klinische Befund weise lediglich eine "diskrete Rötung bis Münzgröße" aus. Dies widerspräche bereits der Einlassung bei der Anzeigeerstattung, bei welcher der Kläger, der unter sehr hohem Blutdruck leide, von "sehr starken Rötungen" spreche. Zudem habe er nur davon gesprochen, im Gesicht getroffen worden zu sein. Später habe er die "Verletzungen" auf den ganzen Körperbereich ausgedehnt. Die Lichtbilder weisen Verletzungen nicht aus; auch der polizeiliche Sachbearbeiter habe solche nicht feststellen können. Eine Untersuchung der von dem Kläger erst später abgegebenen Kleidungsstücke würde unabhängig vom Ergebnis keinen Nachweis dafür erbringen, dass die angeblich verwendete Flüssigkeit tatsächlich toxisch gewesen sei. Der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht N. hat den Kläger am 03.02.2003 dahingehend informiert, dass es daher bei der Einstellung des Verfahrens sein Bewenden haben müsse.

Im folgenden hat das Amt für Versorgung und Familienförderung N. mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 21.07.2003 den Antrag auf Beschädigtenversorgung abgelehnt. Da weder Zeugen des Vorfalles vorhanden seien, auch die erlittene diskrete Verletzung könne nicht zwangsläufig auf eine hautreizende Flüssigkeit zurückgeführt werden, liege ein objektiver Nachweis einer gegen den Kläger gerichteten Gewalttat im Sinne von § 1 Abs.1 OEG nicht vor.

Der Kläger hat mit Widerspruch vom 20.08.2003 gerügt, dass der Sachverhalt nicht aufgeklärt worden sei. Das Verbrechen, dem er zum Opfer gefallen sei, sei von der Polizei und der Staatsanwaltschaft vertuscht worden. Bezugnehmend auf Fotos, die wenige Tage zuvor am 15.07.2002 von Dr.med.T. R. zur Vorbereitung einer Nasenoperation gefertigt worden seien, könne bewiesen werden, wie schrecklich sein Gesicht durch das Säureattentat entstellt worden sei. Nach dem Verbrechen habe er eine Kehlkopfentzündung bekommen und sei noch heute in Behandlung, auch wegen der Schmerzen.

Die Gemeinschaftspraxis Dr.med.R. F. und Kollegen hat mit Befundbericht vom 04.10.2003 mitgeteilt, dass der Kläger vor allem an Schluckbeschwerden, Schwindel und einer chronischen Sinusitis leide. Es bestehe ein Zustand nach SRP und SRP-Revision 04/99 und 09/01. Das "Säureattentat 2002" sei fraglich.

Dementsprechend ist der Widerspruch vom 20.08.2003 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom 21.07.2003 mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 04.12.2003 zurückgewiesen worden.

In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren hat das Sozialgericht Nürnberg u.a. die Unterlagen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Berlin beigezogen. Der Vergleich der nervenärztlichen Befundberichte von Dres.med. J. K. und R. W. vom 30.08.2001 und 06.10.2004 ergibt, dass sich bei dem Kläger zwischenzeitlich eine Angstneurose samt Persönlichkeitsstörung entwickelt hat. Der Kläger leidet nunmehr an rezidivierenden Panikzuständen, einer Depressionsneigung samt Zwangsgedanken und einem selektiven Vermeidungsverhalten. Die sozialen Fähigkeiten sind deutlich eingeschränkt; weiterhin besteht eine cognitive Funktionsbeeinträchtigung. Der nach § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bestellte Sachverständige Dr.H. G. ist mit Gutachten vom 21.06.2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger vornehmlich eine schwergradige Zwangsstörung im Rahmen einer Persönlichkeitsstörung vorliegt, die jedoch in keinem Zusammenhang mit dem vom Kläger behaupteten Ereignis vom 19.07.2002 steht. Insofern liegen auch keine als überwiegend wahrscheinlich zu bezeichnende Schädigungsfolgen vor und entsprechend keine hierdurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Das Bayer. Landessozialgericht hat mit Beschluss vom 27.10.2005 die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.06.2005 zurückgewiesen. Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg könne gem. § 73a Abs.1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden.

Das Sozialgericht Nürnberg wies die Klage mit Urteil vom 06.12.2005 - S 15 VG 1/04 - ab. Das Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs.1 OEG sei nicht nachgewiesen. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast trage nämlich derjenige die Folgen der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache, der sich auf ihr Vorliegen berufe (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage 2002 III RN 27). Zweifel ergäben sich vor allem daraus, dass der Kläger behaupte, am 19.07.2002 bei einem Spaziergang von einer Brücke herunter von zwei Personen mit einer Flüssigkeit im Gesicht besprüht worden zu sein. Im Verlauf des Abends habe sich im Gesicht eine Rötung und ein Brennen eingestellt. Später habe der Kläger angegeben, das er am ganzen Körper von dieser Flüssigkeit zerfressen worden sei. Die Angaben des Klägers zum Tathergang seien mithin widersprüchlich. Ein Attest des Klinikums N. vom 19.07.2002 habe den klinischen Befund als eine diskrete Rötung bis Münzgröße linke Wange beschrieben. Vor den Begriffen Bläschen oder Blasen stehe ein Fehlt-Zeichen. Die widersprüchlichen Angaben des Klägers, der gesamte zeitliche Ablauf des Geschehens, das Fehlen von Zeugen, das Fehlen von Hinweisen auf die angeblichen Täter und die Dokumentationen in den Polizei- und Staatsanwaltschaftsakten sprächen dafür, dass es am 19.07.2002 keinen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff im Sinne des OEG auf den Kläger gegeben habe. Das vorsorglich eingeholte Gutachten des vom Gericht zum medizinischen Sachverständigen ernannten Dr.H. G. habe in jeder Hinsicht das bereits aus rechtlichen Gründen feststehende Ergebnis bestätigt. Auch bei der Untersuchung am 21.06.2005 habe sich kein Hinweis auf das Bestehen von Schädigungsfolgen ergeben, insbesondere auch nicht im Bereich der Haut. Der von dem Kläger am 29.07.2005 gestellte Antrag nach § 109 SGG sei daher aus rechtlichen Gründen abzulehnen gewesen.

Hiergegen legte der Kläger am 17.02.2005 zur Niederschrift des Sozialgerichts Nürnberg Berufung ein. Zur Begründung verwies er auf das Vorbringen im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren.

Von Seiten des Bayer. Landessozialgerichts (BayLSG) wurden die Akten des Beklagten sowie die erstinstanzlichen Akten beigezogen, ebenso die Rentenstreitakte des Sozialgerichts Nürnberg, S 5 An 130/92. Im folgenden wurde der Kläger mit Schreiben vom 07.04.2006 an die Vorlage der Berufungsbegründung bis 15.05.2006 erinnert. Das BayLSG teilte dem Kläger mit weiterer Nachricht vom 09.06.2006 mit, dass der Rechtsstreit entscheidungsreif erscheine. Vorsorglich werde um Mitteilung bis spätestens 30.06.2006 gebeten, ob die Berufung weiterhin aufrecht erhalten oder zurückgenommen werde.

Der Kläger äußerte sich hierzu nicht mehr. Er ist auch in der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2007 nicht erschienen.

Der Kläger hat beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.12.2005 aufzuheben und Leistungen nach dem OEG zu gewähren.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,

die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gem. § 202 SGG i.V.m. § 540 ZPO sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die beigezogenen Versorgungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht Nürberg hat die Klage mit Urteil vom 06.12.2005 - S 15 VG 1/04 - zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom 21.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 04.12.2003 ist zutreffend ergangen. Mangels Nachweises eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs.1 OEG stehen dem Kläger keine Versorgungsleistungen anlässlich des Vorfalles vom 19.07.2002 zu.

Die Angaben eines Antragstellers bzw. Klägers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind gem. § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG), wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers bzw. Klägers verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Hier können die Angaben des Klägers nicht zugrundegelegt werden. Denn der Befundbericht des Klinikums N. vom 19.07.2002 belegt lediglich eine "diskrete Rötung bis Münzgröße". Das Vorliegen von Bläschen oder Blasen ist verneint worden. Bei Anzeigeerstattung am 21.07.2002 hat der Kläger angegeben, dass seine Haut im Gesicht sehr stark gerötet gewesen sei und gebrannt habe. Später berichtete er gegenüber der Polizeiinspektion N. , dass er mittlerweile am ganzen Körper Stellen festgestellt habe, die durch die Flüssigkeit "zerfressen" seien. Die Schmerzen und der Juckreiz seien mittlerweile unerträglich.

Aus der Sicht des erkennenden Senats stellt der Kläger die Folgen des Vorfalles vom 19.07.2002 mit jeder Schilderung gravierender dar als zuvor. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass ihm zwei Jugendliche am 19.07.2002 einen Streich gespielt haben, kann aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Klägers gem. § 15 Satz 1 KOV-VfG das Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs.1 OEG nicht als nachgewiesen angesehen werden.

Im Übrigen sieht das BayLSG gem. § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da die Berufung auch aus den weiteren in allen Punkten zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen ist.

Die Anwesenheit des Klägers oder eines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2007 ist gem. § 110 Abs.1 SGG nicht erforderlich gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved