S 14 AL 1109/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 14 AL 1109/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Rücknahme eines Bescheides über die Bewilligung von Insolvenzgeld
fehlt es dann an grober Fahrlässigkeit, wenn das Arbeitsverhältnis nach
Kündigung bei demselben Arbeitgeber in einem geringfügigen
Beschäftigungverhältnis fortgesetzt wird und der Leistungsempfänger nicht
erkennen konnte, dass sich dadurch der Insolvenzgeldzeitraum verschiebt.
I. Der Bescheid vom 03.03.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2004 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Erstattungsforderung von Insolvenzgeld (Insg) durch die Beklagte in Höhe von insgesamt 3.285,52 EUR.

Der Kläger beantragte Insg am 13.06.2003. Er war beschäftigt gewesen als Klempner bei der ... Am 28.06.2002 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen Auftragsmangel zum 31.07.2002. Im unmittelbaren Anschluss arbeitete der Kläger für denselben Arbeitgeber in einer geringfügigen Beschäftigung zunächst bis Dezember 2002 und dann nochmals vom 10.03. bis 20.06.2003. Der Kläger erzielte dabei folgendes Arbeitsentgelt:

März 2003 netto: 160,00 EUR April 2003 160,00 EUR Mai 2003 100,00 EUR Juni 2003 160,00 EUR

Am 01.07.2003 wurde der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermö-gen der Arbeitgeberin mangels Masse abgelehnt.

In seinem oben bereits genannten Antrag auf Gewährung von Insg (13.06.2003) gab der Kläger seine Weiterbeschäftigung ab 01.08.2002 für die dieselbe Arbeitgeberin nicht an. Er gab lediglich an, dass das Vollbeschäftigungs- Arbeitsverhältnis zum 31.07.2002 been-det worden sei und dass ihm für die Monate Mai bis einschließlich Juli 2002 noch offenes Arbeitsentgelt zustehe. Für die Zeit vom 01.05. bis 31.07.2002 bescheinigte die Arbeitge-berin dem Kläger offenes Arbeitsentgelt von 3.285,52 EUR. Die Beklagte bewilligte dem Klä-ger sodann Insg in Höhe von 3.285,52 EUR mit Bescheid vom 23.07.2003.

Ausweislich eines Aktenvermerks vom 28.01.2004 (Blatt 21 der Verwaltungsakte) wurde der Beklagten aufgrund einer Anfrage bei deren Einzugsstelle die Weiterbeschäftigung des Klägers bei seiner Arbeitgeberin bekannt. Mit Bescheid vom 03.03.2004 nahm die Beklag-te hierauf den Bewilligungsbescheid vom 23.07.2003 zurück und forderte vom Kläger die Erstattung ausgezahlten Insg in Höhe von 3.285,52 EUR. Der Kläger habe zu Unrecht Insg für den Zeitraum vom 01.05.2002 bis 31.07.2002 erhalten, weil er von der Arbeitgeberin in der Zeit vom 01.08.2002 bis 31.12.2002 und vom 01.03.2003 bis 16.05.2003 geringfügig weiterbeschäftigt worden sei. In dem nun neu zu bestimmenden Insg-Zeitraum bestünden keine offenen Lohnansprüche.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein am 26.03.2004, der unbegründet blieb.

Nach Nachholung der Anhörung – die ebenfalls unbeantwortet blieb – wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2004. Der Kläger habe es in seinem Insg-Antrag vom 13.06.2004 unterlassen, seine Weiterbeschäftigung bei der Arbeitgeberin über den 30.07.2002 anzugeben. Dadurch sei es zu der rechtswidrigen Bewilligung des Insg für den Zeitraum vom 01.05. bis 31.07.2002 gekommen.

Dagegen hat der Kläger Klage erhoben am 06.12.2004. Der Bewilligungsbescheid über Insg sei von der Beklagten am 23.07.2003 erstellt worden. Der Beklagten sei aber bereits im Zusammenhang mit dem für den Kläger gewährten Arbeitslosengeld – Alg - (ab 02.08.2002) bekannt gewesen, dass dieser von seiner ehemaligen Arbeitgeberin weiterbe-schäftigt worden sei. Die hierfür erforderlichen Angaben habe er im Zusammenhang mit der Arbeitslosengeldgewährung gemacht. Darüber hinaus sei er der Meinung gewesen, dass die geringfügige Weiterbeschäftigung bei seinem Arbeitgeber nicht insolvenzgeld-schädlich gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Aufhebung- und Erstattungsbescheid vom 03.03.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zu dem Bewilligungsbescheid vom 23.02.2003 sei es nur deshalb gekommen, weil der Kläger nicht angegeben habe, dass er auch im Jahr 2003 bei diesem Arbeitgeber beschäf-tigt gewesen sei, jedoch in seinem Antrag als die 3 letzten Monate Mai bis Juli 2002 ange-geben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, dort insbe-sondere auf den Inhalt der Erklärungen des Klägers und der Beklagten, die diese im Erörte-rungstermin am 20.12.2006 (vgl. Sitzungsniederschrift Bl. 40 f. d. GA.) abgegeben haben, bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten hierzu übereinstimmend ihr Einverständnis erteilt haben gemäß § 124 Abs. 2 Sozialge-richtsgesetz (SGG).

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 03.03.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Beklagte kann das gezahlte Insg für die Zeit vom 01.05.2002 bis 31.07.2002 in Höhe von 3.285,52 EUR nicht zurückfordern.

Als Rechtsgrundlage für die Erstattung des zuviel gezahlten Insg kommt § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in betracht.

Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), im Fall seiner Rechtswid-rigkeit, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Da die Beklagte die Rücknahme für die Vergangenheit verfügt hat, ist hier § 45 Abs. 4 SGB X einschlägig. Danach wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 für die Vergangenheit zurückgenommen (Satz 1). Von den Tatbeständen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kommen im hiesigen Rechtsstreit die Nummern 2 und 3 in betracht. Danach kann sich ein Begünstigter auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr.2) oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr.3). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in beson-ders schwerem Maße verletzt hat ( § 45 Abs.2 Satz 3 Nr. 3 letzter Halbsatz SGB X).

Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebe-nen Fall jedem einleuchten muss ( BSGE 62, 32 35); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit, insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahr-lässigkeitsbegriff; BSGE 44, 264, 273). Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes-, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde , allerdings können " Fehler Im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässi-gen Nichtwissens sind, Anhaltspunkte für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich tatsächliche oder rechtliche Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder aus den Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar sind.

Entscheidend ist also, ob dem Kläger unter den gegebenen Umständen eine Sorgfaltsver-letzung in besonders schwerem Maß vorzuwerfen ist, wenn er die Weiterbeschäftigung bei seiner Arbeitgeberin im Antragsformular für das Insg nicht angegeben hat bzw. die Rechts-widrigkeit der Gewährung des Insg für die Zeit vom 01.05.2002 bis 31.07.2002 nicht er-kannte.

Zunächst einmal sind für die Kammer keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen sich ergibt, dass der Kläger in seinem Antrag bewusst falsche/unvollständige Angaben gemacht hat oder die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides kannte.

Der Kläger hat auch nicht infolge grober Fahrlässigkeit falsche oder unvollständige Anga-ben im Antrag gemacht bzw. die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht erkannt.

Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass der Kläger nicht verstanden hat, dass es sich bei der Weiterbeschäftigung um ein ebenfalls Insg geschütztes Beschäftigungsverhältnis handelt, das von ihm hätte angegeben werden müssen.

Zwar wird im Antragsformular zum Insg sowie im Merkblatt der Beklagten zum Insg dar-auf hingewiesen, dass Anspruch auf Insg, falls das Arbeitverhältnis -wie hier- vor dem Insolvenzereignis endet, nur für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses besteht. Dieser Hinweis enthält aber keine Klarstellung, dass beim Insg- Anspruch – anders als bei anderen Leistungsansprüchen aus dem SGB III- keine Unterscheidung - wie z.B. beim Arbeitslosengeld- zwischen geringfügigen und darüber hinausgehenden Beschäftigungs-verhältnissen gemacht wird. Die Kammer nimmt dem Kläger ab, dass er nicht wusste, dass auch eine geringfügige Beschäftigung Insg geschützt ist. Durch die Frage nach der Kündi-gung im Antragsbogen hatte der Kläger geglaubt, dass er nur die letzten drei Monate des durch die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung zum 31.07.2002 beendeten Vollbe-schäftigungsverhältnisses anzugeben brauchte. Des Weiteren wurde der Kläger nicht durch das Merkblatt aufgeklärt, dass durch eine ge-ringfügige Weiterbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber nach Kündigung des versiche-rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sich der Insg- Zeitraum mit Auswirkungen für den Anspruch selbst, u.U. sogar mit dem Verlust desselben, verschieben kann. Ein kla-rer Hinweis in dem Merkblatt, dass auch geringfügige Beschäftigungsverhältnisses ge-schützt und durch eine Weiterbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber der Insg - An-spruch u.U. gefährdet werden kann, hätte hier ausgereicht, um eine grobe Fahrlässigkeit anzunehmen. Hinzukommt weiter, dass der Kläger davon ausgehen durfte, dass die Beklagte von seiner geringfügigen Weiterbeschäftigung bei derselben Arbeitgeberin wusste. Soweit der Kläger ausgeführt hat, dass er im Zusammenhang mit dem Alg Bezug seiner zuständigen Sachbearbeiterin bei der Beklagten nicht nur die geringfügige Weiterbeschäftigung mitge-teilt, sondern diese auch danach gefragt hat, ob ihm diese Beschäftigung schaden könne, glaubt ihm die Kammer. Die Kammer nimmt dem Kläger auch ab, dass die Sachbearbeite-rin nicht nur keine Bedenken gegen die Weiterbeschäftigung geäußert, sondern diese auch befürwortet hat.

Die Vorrausetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X lagen daher nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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