S 11 AS 103/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 103/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AS 34/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Leistung von Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 als Zuschuss und nicht als Darlehen.

Die derzeit 59 Jahre alte Klägerin beantragte am 01.12.2005 Alg II. Sie ist Eigentümerin eines 820 m² großen lastenfreien Wohngrundstücks. Dieses ist nach den Angaben der Klägerin im Alg II-Antrag mit einem Wohnhaus mit einer Wohnfläche von 124 m² bebaut.

Die Beklagte ermittelte auf Basis der Angaben der Klägerin einen Wert des Grundstücks von über 180.000,00 EURO und bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 19.12.2005 Alg II für Dezember 2005 bis Mai 2006 darlehensweise. Als Begründung für die nur darlehensweise Gewährung wurde angeführt, dass das Grundstück 20 m² größer als die im ländlichen Bereich angemessenen 800 m² sei und daher verwertet werden müsse.

Die Klägerin legte gegen die nur darlehensweise Gewährung von Alg II Widerspruch ein und stellte außerdem am 30.05.2006 einen Fortzahlungsantrag, auf den mit Bescheid vom 21.06.2006 für die Zeit von Juni bis Dezember 2006 erneut eine darlehensweise Bewilligung erfolgte. Gegen diesen Bescheid wurde noch kein Widerspruch eingelegt.

Mit Schreiben vom 22.06.2006 begründete die Klägerin ihren Widerspruch dahingehend, das Grundstück nicht verwerten zu müssen, da es nur um 20 m² zu groß sei und nicht sinnvoll teilweise verwertet werden könne. Hierauf suchten Mitarbeiter der Beklagten am 27.06.2006 das Grundstück der Klägerin auf, um es in Augenschein zu nehmen. Sie stellten fest, dass die ursprünglich vorhandene Terrasse entfernt worden und dafür zusätzlicher Wohnraum geschaffen worden ist. Außerdem wurde das Haus rechts- und linksseitg überdacht. Die Mitarbeiter kamen zu dem Ergebnis, dass unter Herausrechnung der Fläche für die Terrasse (ca. 7,83 m²) und Hinzurechnung des neuen Wohnraums (ca. 30,54 m²) eine Wohnfläche von insgesamt 147,71 m² bestünde.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 28.06.2006 als unbegründet zurück. Sie stützte ihre Entscheidung nunmehr sowohl auf die unangemessene Größe des Grundstücks als auch auf die für eine Person unangemessene Größe des Wohnhauses, da lediglich 130 m² angemessen seien.

Hiergegen hat die Klägerin am 04.08.2006 Klage erhoben. Die Klägerin führt aus, die Wohnfläche nicht vergrößert zu haben. Im Bereich der Terrasse sei lediglich ein Wetterschutz durch Kunststoff-Stegplatten auf einer Alu-Konstruktion nachträglich angebracht worden, damit die Pflanzen der Klägerin dort überwintern können. Dieser Bereich sei nicht beheizbar und daher auch nicht zu Wohnzwecken geeignet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 19.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2006 zu verurteilen, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.05.2005 zuschussweise und nicht nur darlehensweise zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Auffassung und stützt sich zusätzlich auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundessozialgerichts, demzufolge das Wohnhaus selbst bei einer Größe von nur 124 m² zu groß sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt. Die Klägerin hat keinen Anspruch, in der Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 Alg II zuschussweise und nicht nur darlehensweise zu erhalten.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ist für den Bezug von Alg II unter anderem Hilfebedürftigkeit Voraussetzung. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Hilfebedürftig ist des Weiteren nach § 9 Abs. 4 SGB II auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde; in diesem Fall sind die Leistungen allerdings lediglich als Darlehen zu erbringen.

Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen grundsätzlich alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Hiervon ausgenommen ist nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung.

Ob das von der Klägerin bewohnte Hausgrundstück schon allein deshalb als Vermögen berücksichtigt werden muss, weil es insgesamt über eine Fläche von 820 m² verfügt, musste nicht entschieden werden. Denn jedenfalls das sich auf dem Grundstück befindende Wohnhaus ist unangemessen groß.

Bei dem Begriff der Angemessenheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II bezieht sich die Angemessenheit nur auf die Größe des Hausgrundstücks bzw. der Eigentumswohnung (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 2/05 R).

Für die Frage der angemessenen Größe wurde im Recht der Arbeitslosenhilfe stets auf die Wohnflächengrenzen der sozialen Wohnraumförderung abgestellt. Nach dem Außerkrafttreten des zweiten Wohnungsbausgesetzes (2. WoBauG) regelt nunmehr das Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) die soziale Wohnraumförderung. Auf der Grundlage des WoFG haben die Länder insbesondere Bestimmungen über Voraussetzungen der Förderung und deren Durchführung zu treffen mit der Folge, dass in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Grenzwerte im Hinblick auf die angemessene Wohnfläche gelten. Aus diesem Grund ist im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit von selbst genutztem Wohneigentum bei SGB II-Leistungen weiterhin auf die im 2. WoBauG enthaltenen Grenzwerte trotz des Außerkrafttretens dieses Gesetzes abzustellen. Nur so kann eine in den verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Gewährung von Alg II aufgrund sachfremder Faktoren, die - anders als beispielsweise die Berücksichtigung von örtlich unterschiedlich hohen Mietspiegeln für die Höhe der im konkreten Fall angemessenen Unterkunftskosten - nichts mit den einem Hilfebedürftigen entstehenden Kosten zu tun haben, verhindert werden (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 2/05 R).

Die im 2. WoBauG enthaltenen Wohnflächengrenzen bedürfen jedoch bei Haushalten mit weniger als vier Personen einer Anpassung. Zum einen ist es nicht gerechtfertigt, Haushalte mit beispielsweise zwei Personen genauso viel Wohnfläche als angemessen zuzusprechen wie einem Haushalt mit vier Personen. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) gebietet es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 21.06.2006, 2 BvL 2/99). Dem muss auch bei der Bewertung der angemessenen Größe von selbstgenutztem Wohneigentum Rechung getragen werden. Aus diesem Grund ist bei Haushalten mit weniger als vier Personen ein angemessener Abschlag von der auf einen vier-Personen-Haushalt abgestimmten Grundflächenzahl (120 m² bei Eigentumswohnungen und 130 m² bei Einfamilienhäusern) vorzunehmen. Zum anderen bestünde eine nicht mehr zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Beziehern von SGB II-Leistungen und Beziehern von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), bei denen nicht nur auf die Größe des selbst bewohnten Grundstücks sondern auch auf dessen Wert abgestellt wird, wenn nach den Vorschriften des SGB II eine Einzelperson ein 130 m² großes Haus als Schonvermögen besitzen dürfte und ein Sozialhilfeempfänger dieses aufgrund des mit dieser Größe im Regelfall verbundenen hohen Werts veräußern müsste (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 2/05 R).

Entsprechend der in § 82 Abs. 3 Satz 1 2. WoBauG in Bezug genommenen Größe von 20 m² ist daher bei weniger als vier Personen ein Abschlag von 20 m² pro Person vorzunehmen. Einzelpersonen ist jedoch die gleiche Fläche zuzubilligen wie zwei Personen, da sich das Alleine- oder Zusammenleben im Laufe der Zeit ändern kann und die Unsicherheit beim Erwerb von Wohneigentum, das beispielsweise von zwei Personen erworben wurde und veräußert werden müsste, wenn eine Person auszieht, nicht tragbar wäre. Die Grenzwerte stellen aber nur den Regelfall dar und müssen stets daraufhin untersucht werden, ob im Einzelfall eine abweichende Beurteilung angezeigt ist (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 2/05 R).

Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin seit Dezember 2005 zwar hilfebedürftig, sie ist dies jedoch nur, weil ihr die sofortige Verwertung ihres unangemessen großen Wohnhauses nicht möglich ist oder eine besondere Härte bedeuten würde. Die Beklagte hat ihr daher in zutreffender Weise Grundsicherlungsleistungen als Darlehen und nicht als Zuschuss bewilligt. Die Klägerin bewohnt alleine ein Wohnhaus, das je nach Berechnung im Hinblick auf die umgebaute Terrasse eine Wohnfläche von 124 m² oder sogar fast 150 m² hat. Als Einzelperson wäre hingegen nur eine Wohnfläche von 90 m² angemessen (vgl. auch SG Lüneburg, Beschluss vom 05.03.2007, S 24 AS 15/07 ER). Diese Größe wird hier wesentlich überschritten. Anhaltspunkte, die bei der Frage der Angemessenheit des Hausgrundstücks im konkreten Fall ein Abweichen vom Regelfall erfordern, liegen nicht vor.

Da das Hausgrundstück lastenfrei ist und einen Wert hat, der weit über den nach § 12 SGB II zu berücksichtigenden Freibeträgen liegt, ist die Berücksichtigung als grundsätzlich zu verwertendes Vermögens nicht zu beanstanden. Insbesondere war keine andere Entscheidung aufgrund des Alters der Klägerin zu treffen. Zwar erreicht die Klägerin in absehbarer Zeit das Rentenalter, weshalb es unbillig sein dürfte, wenn sie allein aufgrund der derzeitigen Einkommensverhältnisse ihr Grundstück veräußern müsste, wenn sie mit ihrer Rente ihren Lebensunterhalt wieder bestreiten könnte. Durch die darlehensweise Gewährung ist die Klägerin jedoch derzeit nicht gezwungen, ihr Grundstück zu verwerten. Sollte die darlehensweise Gewährung von Leistungen eingestellt werden, kann sich die Klägerin hiergegen in einem gesonderten Verfahren zur Wehr setzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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