S 19 AS 409/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AS 409/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Rechtsgedanke des § 121 Abs. 3 ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren ebenso zu berücksichtigen.
2. Entstünden durch die uneingeschränkte Beiordnung eines Rechtsanwalts „weitere Kosten“ im Sinne des § 121 Abs. 3 ZPO, ist die Beiordnung nicht abzulehnen, sondern zu beschränken (abweichend: Keller, Das Mehrkostenverbot und die Beiordnung des auswärtigen Anwalts im sozialgerichtlichen Verfahren, NZS 10/2003, 521ff).
Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Leipzig ab Antragstellung Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin. , B., zu den Bedingungen einer am Sitz des Sozialgerichts Leipzig ansässigen Rechtsanwältin beigeordnet.

Gründe:

I. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit (iVm) § 114 Zivilprozeßordnung (ZPO) lagen zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Bewilligungsgesuches vor.

Einkommen und Vermögen hat die Antragstellerin nach den derzeit maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht einzusetzen.

II. Die Beiordnung der o.g. Rechtsanwältin erscheint erforderlich im Sinne des § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO. Eine uneingeschränkte Beiordnung schied aus. Zwar gilt § 121 Abs. 3 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren nicht. Denn die Zulassung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten bei einem Sozialgericht sieht das geltende Recht nicht vor, vgl. §§ 18 Abs. 1, 23, 25 Bundesrechtsanwaltsordnung. Jedoch ist der Rechtsgedanke des § 121 Abs. 3 ZPO als allgemein geltender Grundsatz ebenso im sozial-gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, (im Ergebnis) ebenso Keller / Leitherer in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 73a Rn 9c und Keller, Das Mehrkostenverbot und die Beiordnung des auswärtigen Anwalts im sozialge-richtlichen Verfahren, NZS 10/2003, 521ff.

Die uneingeschränkte Beiordnung der Rechtsanwältin würde Mehrkosten verursachen. Denn sowohl nach dem SGG (§ 124) als auch der Praxis des Vorsitzenden der Kammer wird über die Klagebegehren grundsätzlich aufgrund mündlicher Verhandlung entschie-den. Für die Wahrnehmung eines entsprechenden Termins hätte die Rechtsanwältin bei einer nicht eingeschränkten Beiordnung Anspruch auf eine erheblich höhere Vergütung als eine ortsansässige Rechtsanwältin. Denn für eine derartige Geschäftsreise sieht das Gesetz den pauschalierten Ersatz von (besonderen) Auslagen vor, vgl. § 45 Abs. 1 iVm §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 2 iVm Anlage 1 Nr. 7003 bis 7006 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG). Deren Höhe kann angesichts der zur Auswahl stehenden Verkehrsmittel derzeit nicht konkret bestimmt werden. Bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges würden zB Fahrtkosten in Höhe von ca. 222,- EUR (ca. 185 km pro Fahrt) und bei Benutzung der Deutschen Bahn ca. 80,- EUR (ICE, Hin- und Rückfahrt, ohne Ermäßigungen) anfallen. Zusätzlich wären mindes-tens 35,- EUR an Tage- bzw. Abwesenheitsgeld und ggf. sonstige Auslagen (zB Parkgebühren) zu berücksichtigen.

Diese Mehrkosten übersteigen die "Ersparnis" von (durchschnittlich) 80,- EUR bei der Verfah-rensgebühr durch die Beteiligung der Rechts-anwältin im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren, vgl. hierzu Nr. 3102f der o.g. Anlage. Dabei wurde von einer (unterstellten) Mittelgebühr ausgegangen.

Besondere Umstände rechtfertigen die Entstehung o.g. Mehrkosten nicht. Die Antragstelle-rin lebt seit mindestens Mai 2004 in L ... Hier haben ausreichend Rechtsanwältinnen und -anwälte ihren Sitz, deren Tätigkeitsgebiet auch oder sogar ausschließlich Sozialrecht erfaßt. Soweit die Antragstellerin aufgrund des "jahrelange(n) Vertrauens-verhältnis(ses)" zur Rechtsanwältin deren Beiordnung begehrt, steht dem nichts entgegen. Daraus ergibt sich jedoch kein Grund für eine Privilegierung der Antragstellerin im Vergleich zu anderen mittellosen Rechtssuchenden zu Lasten der Allgemeinheit.

Die Zustimmung der Rechtsanwältin zur eingeschränkten Beiordnung erfolgte "unter Pro-test" und somit unter (erlebtem) Zwang. Sie ist daher nichtig, vgl. § 116 Satz 2 Bürgerli-ches Gesetzbuch. Entgegen der Ankündigung im gerichtlichen Schreiben vom 10. Januar 2007 (unter &61506;ezug auf Keller, aaO, 522, unter III. 2.) ist die Beiordnung der Rechtsanwäl-tin allerdings nicht insgesamt abzulehnen, sondern wie beschlossen zu beschränken. Dage-gen kann die Rechtsanwältin Beschwerde erheben, so (entsprechend) wohl ebenso zB Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 1/06 und 7. November 2006 - XI ZA 18/05 sowie Philippi in: Zöller, ZPO, Kommentar, 26. Auflage 2007, § 121 Rn 13 und § 127 Rn 19.
Rechtskraft
Aus
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