S 16 U 200/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 200/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 74/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob Gesundheitsstörungen des Klägers als oder wie eine Berufskrankheit zu entschädigen sind.

Der 1944 geborene Kläger, der gelernter Feinmechaniker ist, war bei der E M vom 01.01.1971 bis zum 30.06.1998 als Flugingenieur beschäftigt. Wegen einer vestibulären Schädigung musste er aus dem Flugdienst ausscheiden und ist seitdem nicht mehr erwerbstätig. Im Januar 2000 zeigte der Facharzt für Orthopädie T der Beklagten den Verdacht auf eine Berufskrankheit an: Der Kläger leide unter Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Ohrgeräuschen, Kopfschmerz und Schwerhörigkeit, diese Beschwerden führe er auf das Einatmen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf den Flügen zurück. Es sei von einer fortschreitenden Hirnstammerkrankung durch Einatmung von Schädlingsbekämpfungsmitteln auszugehen. Die Beklagte leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren ein. Sie zog über den Kläger vorliegende medizinische Unterlagen bei, u. a. einen Bericht über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 03. bis 04.06.1997 in der Neurologischen Universitätsklinik F. In diesem Bericht ist von einem schleichenden Labyrinthausfall beidseits die Rede, weiter heißt es, für diese Erkrankung sei eine Therapie nicht bekannt, eine spontane Besserung nicht zu erwarten. Im Übrigen fehlten Hinweise auf eine toxische Genese. Sodann schaltete die Beklagte ihren Technischen Aufsichtsdienst ein. Unter dem 22.11.2001 kam G1 zu dem Ergebnis, Schädlingsbekämpfungsmittel würden in Flugzeugen und Hotels nach Art, Dauer und Häufigkeit der Anwendung verschieden eingesetzt. Die Grundbelastung durch in der Luftwerft ausgebrachte Langzeitpyrethroide (Permethrin) sei vernachlässigbar gering, weil die Wirkstoffe weder dampfförmig noch staubgetragen in nennenswerten Konzentrationen inhalierungsfähig aufträten. Dies gelte analog für die beim Pre- oder Inflightverfahren ausgebrachten Substanzen - mit Ausnahme des eigentlichen Sprühvorganges und der anschließenden kurzen Niederschlagsphase. Die Residualbehandlung erfolge seit 1996 nicht mehr. Okaysi-Spray sei für Pre-Flight-Aktionen eingesetzt worden. Der Kläger sei in den siebziger und achtziger Jahren überwiegend auf der Route Deutschland-Türkei eingesetzt worden, bei der zwei- bis dreimal wöchentlich Okaysi-Spray für die Pre-Flight Desinfektion ausgebracht worden sei. Der Kläger habe diese Behandlung nicht selbst durchgeführt und sei dabei auch nicht anwesend gewesen. Nach der Ausbringung seien die Flugzeugtüren geöffnet und die Klimaanlage eingeschaltet worden. Nach etwa 10 Minuten sei die Crew an Bord gegangen. Durch das zügige Absinkverhalten der schwerflüchtigen Phyrethroide und die leistungsfähigen Filter der Klimaanlage sei schon nach wenigen Minuten eine wesentliche Verringerung der Wirkstoffkonzentration in der Atemluft eingetreten. Der Kläger sei beim Betreten der Flugzeuge nur in geringem Ausmaß gegenüber Permethrin und Pyrethrum exponiert gewesen. In den 80er und 90er Jahren sei der Kläger etwa zwei- bis dreimal monatlich nach Kenia, Nigeria bzw. in die USA/Karibik geflogen. Hierbei sei in einigen Fällen SRA-Spray durch die Flugbegleiter im Rahmen des In-Flight-Verfahrens ausgebracht worden, nicht jedoch durch den Kläger, der sich während dessen im Cockpit aufgehalten habe. Dieses Spray habe als Wirkstoff 0,4 % Pyrethrum sowie Piperonylbutoxid als Wirkzeitverlängerer enthalten. Bis längstens 1994/1995 könne das SRA-Spray noch Xylol zum Inhalt gehabt haben. Der Grenzwert für Pyrethrum betrage 5 mg pro Kubikmeter; die Spitzenbegrenzung solle innerhalb von 15 Minuten die vierfache Grenzwertkonzentration nicht überschreiten. Grenzwertüberschreitungen seien beim Ausbringen in der Flugzeugkabine kaum zu erwarten, da der Kläger Spitzenbelastungen unmittelbar beim Ausbringen nicht ausgesetzt gewesen sei und derartige Sprühaktionen eher selten vorgekommen seien, werde hierdurch eine relevante Belastung nicht erfolgt sein. Das gelegentlich versprühte SRA-Spray könne bis Anfang der 90er Jahren Xylol als Lösungsmittel erhalten haben. Der MAK-Wert von Xylol betrage aktuell 445 mg/Kubikmeter, eine Konzentration, die bei kurzfristigem Versprühen des Desinfektionsmittels nicht annähernd erreicht werde. Nach Anhörung des Landesgewerbearztes lehnte die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 25.07.2002 die Feststellung einer Berufskrankheit oder einer Quasi-Berufskrankheit ab. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte den Abschlussbericht über ein Forschungsvorhaben des G2-Instituts zu Expositionsszenarien bei In-Flight-Spray-Maßnahmen in Flugzeugen bei und legte sie ihrem Technischen Aufsichtsdienst vor. Dieser äußerte, die Ergebnisse des Forschungsvorhabens bestätigten, dass die Grundbelastung bei Aufenthalt im Flugzeug außerhalb der Sprayaktionen vernachlässigbar gering gewesen sei. Bei der direkten Ausbringung von SRA-Spray, vom Kläger selbst nicht vorgenommen, seien Konzentrationen von maximal 400 Mikrogramm pro Kubikmeter Pyrethrum für einen Zeitraum von ca. 5 Minuten erreicht worden. Diese Annnahme werde durch die in dem Forschungsvorhaben dargestellten zeitlichen Abläufe gestützt. Grenzwertüberschreitungen hinsichtlich Pyrethrum (MAK: 5 mg pro Kubikmeter bezugnehmend auf die einatembare Fraktion) seien demnach auszuschließen, dies gelte insbesondere, da die für kurzzeitige Belastungen heranzuziehende Spitzenbegrenzung 20 mg pro Kubikmeter betrage. Es fänden sich keine Hinweise auf die Relevanz einer kumulativen Belastung, also einer Gesamtdosis für die Wirkungsweise von Pyrethrum. Die Widerspruchsstelle bei der Beklagten wies daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.05.2005).

Mit seiner am 08.09.2003 bei Gericht eingegangenen Klage macht der Kläger geltend, er sei im ständigen Einsatz auf Flügen in Europa, Afrika, mittlerem Osten, Amerika und der Karibik gewesen. Auf diesen Flügen seien regelmäßig Pestizide, vor allem "Okaysi" vernebelt worden. Alle 3 Monate seien die Langstreckenflüge regelmäßig im Kabinenraum und auch im Cockpit mit "Okaysi-Spray", welches die Chemikalie Permethrin enthalten, ausgesprüht worden. Auch andere Phyrethroide seien eingesetzt worden. Bei Flügen mit Zielen in Pakistan und Indien seien etwa eine dreiviertel Stunde vor Abflug zwei Flaschen Okaysi-Spray ausgesprüht worden. Die Dekontaminationsmaßnahmen hätten nicht stattgefunden. Bei Flügen nach Ägypten, Australien, Barbados, Bolivien, Kuba, Jamaika, Marokko und Mauritius, Mexiko, Pakistan, Indien, Nigeria, Philippinen und Seychellen sei sogar während des Fluges über die Köpfe der Passagiere SRA-Sprays versprüht worden. Auch in den Hotels seien Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt worden. Die Ausbringung sei täglich erfolgt, beispielsweise in Delhi. Unter diesen ungünstigen Bedingungen habe er als Vielflieger gelitten, zumal die Belastungen beim Aufenthalt in den Hotels nicht zu vernachlässigen seien.

Der Kläger beantragt,

1.den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2002 in Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 27.08.2003 aufzuheben.

2. die Beklagte zu verurteilen, bei ihm Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des Vorliegens einer Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1 und 2 SGB VII i. F. m. der Anlage zur BKV ab Antragstellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zunächst gemäß § 106 SGG C gehört, der die Auffassung vertreten hat, die vestibuläre Schädigung des Klägers könne nicht mit Wahrscheinlichkeit mit der beruflichen Tätigkeit als Flugingenieur in Verbindung gebracht werden. Sodann hat das Gericht ein internistisch-umweltmedizinisches Gutachten (gemäß § 109 SGG) von I eingeholt, der unter Berücksichtigung eines neuro-psychologischen Zusatzgutachtens von W zu dem Ergebnis gekommen ist, hinsichtlich der Belastung durch Xylol bestehe eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV, hinsichtlich der Belastung durch Phyrethroide sei von einer Quasi-Berufskrankheit auszugehen. Die MdE des Klägers sei auf 50 vom Hundert zu schätzen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 25.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2003 ist rechtmäßig. Die Gesundheitsstörungen des Klägers sind weder als noch wie eine Berufskrankheit zu entschädigen. Zwar ist der im vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 109 SGG gehörte Sachverständige I gegenteiliger Ansicht. Er hat vorgeschlagen, eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV sowie eine Quasi-Berufskrankheit anzunehmen und nach einer MdE von 50 vom Hundert zu entschädigen. Diesem Vorschlag kann jedoch nicht gefolgt werden. Davon hat sich die Kammer insbesondere aufgrund der Darlegungen von C überzeugt. Der beim Kläger unstreitig bestehende schleichende Labyrinthausfall gehört - so C - nicht zum Krankheitsbild einer Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV. Aber auch wenn man im Hinblick auf die von I beschriebene Minderung der kognitiven Leistungsfähigkeit des Klägers eine Enzephalopathie annimmt, lässt sich diese - entgegen der Auffassung von I - nicht auf berufsbedingtem Umgang mit Lösemitteln, hier Xylol mit Wahrscheinlichkeit zurückführen. Dazu ist die Belastung des Klägers durch Xylol zu gering gewesen. Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsbeamten der Beklagten hat zwar das bei In-Flight-Desinfektionen ausgebrachte SRA-Spray, das bis längstens 1994/1995 verwendet worden ist, Xylol als Lösungsmittel enthalten, jedoch ist der MAK-Wert von Xylol (440 mg pro Kubikmeter) beim Versprühen des SRA-Sprays auch nicht annähernd erreicht worden. Eine höhere Belastung des Klägers durch Xylol kann die Kammer nicht unterstellen, da die Belastungen nach ihrer Art und nach ihrem Ausmaß im Sinne des Vollbeweises also mit an sicherheitsgrenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen. Im vorliegenden Fall ist eine höhere Belastung nicht bewiesen. Damit kann auch kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Xylol-Einflüssen, denen der Kläger bis Anfang der 90er Jahre ausgesetzt war und seiner nunmehr von I festgestellten Enzephalopathie hergestellt werden. Es mag zwar sein, dass ein solcher Zusammehang besteht, jedoch lässt sich dieser Zusammenhang bereits wegen fehlenden Nachweises einer entsprechenden gesundheitsgefährdenden Belastung und sodann wegen diskordanter zeitlichen Entwicklung - so C - nicht herstellen. Darüber hinaus können die Gesundheitsstörungen des Klägers auch nicht wie eine Berufskrankheit entschädigt werden. Zwar meint I der Kläger sei als Flugingenieur einer Belastung durch Phyrethroide ausgesetzt gewesen, die nach neuen Erkenntnissen in der medizinischen Wissenschaft geeignet seien, die Gesundheitsstörungen des Klägers zu verursachen. Auch dabei hat I allerdings ein Ausmaß an Belastungen durch Phyrethroide unterstellt, dass so nicht bewiesen ist. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten hat dazu geäußert, die Grundbelastung der Atemluft bei Aufenthalten im Flugzeug sei außerhalb der Sprayaktionen mit Phyretrhoiden vernachlässigbar gering gewesen. Die MAK-Werte seien bei weitem nicht erreicht worden. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass - so C - der Zusammenhang zwischen einer Phyrethroid-Belastung und einer Enzepalopathie zweifelhaft bleibt, so dass nach Auffassung der Kammer eine ausreichende Entscheidungsgrundlage dafür fehlt, einen Zusammenhang zwischen dem schleichenden Labyrinthausfall und der beruflichen Belastung durch Phyrethroide mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit annehmen zu können.

Soweit der Kläger nach wie vor meint, seine Gesundheitsstörungen seien auf berufliche Belastungen zurückzuführen, hat sich die Richtigkeit seiner Behauptung trotz umfassender, von Amts wegen durchgeführter Sachaufklärung nicht beweisen lassen. Die Last des nicht erbrachten Beweises von anspruchsbegründenden Tatsachen hat aber auch im sozialgerichtlichen Verfahren stets derjenige zu tragen, der aus der behaupteten, aber nicht erweislichen Tatsache Rechte herleiten will. Das ist hier der Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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