Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 516/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1476/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Februar 2007 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab 12. April 2007 Arbeitslosengeld II unter Anerkennung eines Bedarfes der Kosten der Unterkunft in Höhe von 171,80 EUR monatlich zu gewähren. Die Verpflichtung aus dieser einstweiligen Anordnung wird befristet bis einschließlich August 2007.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Reutlingen (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Der Erlass einer hier allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verlangt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 9. Dezember 2005 - L 7 SO 4211/05 ER-B - und vom 12. Dezember 2005 - L 7 SO 4756/05 ER-B - (beide m.w.N.)) und des Weiteren auf der Begründetheitsebene die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Bei besonders folgeschweren Beeinträchtigungen sind die Erfolgsaussichten u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; ferner schon Senatsbeschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris)). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - a.a.O. und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - a.a.O. (beide m.w.N.)). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 a.a.O. (beide m.w.N.)).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen jedenfalls ab dem Zeitpunkt des 12. April 2007 vor, weil ab diesem Zeitpunkt Kosten der Unterkunft entstanden sind und entstehen, die nicht anderweitig gedeckt sind.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des SG besteht auf der Grundlage der vom Senat durchgeführten Ermittlungen ein Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin hat nach § 19 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) dem Grunde nach Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Alg II) in der Form der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Dieser Anspruch ist in ihrem Fall hinsichtlich der Kosten der Unterkunft nicht aufgrund der hier einschlägigen Regelung des § 22 Abs. 2a SGB II ausgeschlossen. Zwar hat die unter fünfundzwanzigjährige Antragstellerin die elterliche Wohnung verlassen, ohne vorher eine Zusicherung des Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende einzuholen. Von dem Erfordernis einer vorherigen Zusicherung konnte in ihrem Fall aber abgesehen werden, da es ihr aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen (§ 22 Abs. 2a Satz 3 SGB II).
Die Antragstellerin hat die elterliche Wohnung unter Umständen verlassen, die die Einholung einer vorherigen Zusicherung nicht zumutbar erscheinen ließen. Wie bereits ein Bediensteter des Kreisjugendamtes aufgrund eines ausführlichen Gesprächs mit der Antragstellerin und ihren Eltern Ende Januar 2007 ausgeführt hatte, war eine Rückkehr der Antragstellerin in die Wohnung der Eltern nicht sinnvoll und ihr Auszug ein erster Schritt, sehr eingefahrene Strukturen aufzulösen. Diese Einschätzung hat das Kreisjugendamt dem Senat gegenüber durch Auskunft vom 24. April 2007 dahingehend präzisiert, dass nach dem Eindruck des Sachbearbeiters bei dem Gespräch die Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter für letztere existenziell bedrohlich waren und sie persönlich herabwürdigten. Außerdem war es dabei neben verbalen auch zu handgreiflichen Auseinandersetzungen gekommen. Der Mitarbeiter des Kreisjugendamtes kam deshalb zu der sachverständigen Einschätzung, dass Suiziddrohungen und die Äußerung, lieber auf der Straße zu leben als nach Hause zurückzukehren, ernst zu nehmen seien. Es sei der Antragstellerin nicht zumutbar, ins Elternhaus zurückzukehren.
Diese von einem sachkundigen Bediensteten des Kreisjugendamtes abgegebene Einschätzung entspricht dem Eindruck, den der Vorsitzende im Erörterungstermin am 26. April 2007 gewinnen konnte. Zum einen wurde in diesem Termin deutlich, dass die Antragstellerin auch heute noch - 3 Monate nach dem Auszug - die Situation in der elterlichen Wohnung als äußerst belastend empfindet. Dies zeigte sich etwa dadurch, dass sie bei Schilderungen über die Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter kaum zu präzisen Aussagen in der Lage war und immer wieder mit Tränen zu kämpfen hatte.
Zum zweiten ergab die Vernehmung der Mutter der Antragstellerin, dass diese keinerlei Schritte übernommen hat und unternimmt, um das offensichtlich gespannte Verhältnis zu ihrer Tochter zu bereinigen. Die Zeugin hat vielmehr eine körperliche Auseinandersetzung wenige Tage vor dem Auszug der Antragstellerin bestätigt, wenngleich sie angab, sich an ein Würgen der Tochter nicht zu erinnern. Sie sagte hierzu weiter, dass sie es selber so empfunden habe, dass die Situation eskaliert sei. Sie ging sogar so weit, ihr Verhalten damit zu beschreiben, sie sei in dieser Situation rasend gewesen. Außerdem hat sie bestätigt, dass sie ihrer Tochter ausdrücklich vorgehalten hat, dass sie in der Wohnung nicht mehr geduldet werde, wenn sie ihr Verhalten - hinsichtlich der Ordnung in ihrem Zimmer - nicht ändere.
Insgesamt hat die Zeugin durch die Art und den Inhalt ihrer Aussagen den Eindruck vermittelt, dass sie in keiner Form bereit ist, ihrer Tochter entgegenzukommen und stattdessen erwartet, dass diese auf sie zukommt. Dies zeigte sich bei ihren Angaben zu späteren Kontakten, die sie verneinte. Der Eindruck war eindeutig, dass die Zeugin die Schuld an der Auseinandersetzung ausschließlich ihrer Tochter zuschreibt und letztlich froh ist, dass die Tochter ausgezogen ist.
In Ergänzung hierzu hat die Antragstellerin in dem Erörterungstermin glaubhaft machen können, dass sich die seit langem vorkommenden verbalen Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter im Januar so weit gesteigert hatten, dass ihre Mutter sie nicht etwa im Affekt geschlagen hätte, sondern sie tatsächlich für einen spürbaren Zeitraum gewürgt hat.
Damit ist - entgegen der Einschätzung der Antragsgegnerin - ein möglicherweise verbreiteter Bereich familiärer Auseinandersetzungen deutlich verlassen. Eine solche Tätlichkeit sprengt den Rahmen dessen, was innerhalb einer Familie an Streitigkeiten noch hinzunehmen sein mag. Bedenkt man dazu, dass sich die Auseinandersetzungen nach den Aussagen der Zeugin im wesentlichen auf den Zustand des Zimmers der Antragstellerin bezogen, so wird deutlich, dass eine eigenständige Entwicklung der Antragstellerin in der Wohnung der Eltern offensichtlich nicht geduldet wurde. Die Situation war im Januar auch dadurch für die Antragstellerin schwieriger geworden, dass die bis dahin offenbar ausgleichende Schwester das Elternhaus aus beruflichen Gründen verlassen hatte. Damit fehlte ihr eine Unterstützung, die - auch das bestätigt das Kreisjugendamt - der Vater nicht zu geben in der Lage war und ist.
Bei dieser Sachlage war es der Antragstellerin aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht möglich, in der Wohnung der Eltern zu verbleiben und zwar auch nicht bis zur Einholung einer Zusicherung der Antragsgegnerin, die sie angesichts des Verhaltens der Antragsgegnerin in diesem Verfahren ohnehin nicht bekommen hätte. Offensichtlich ist der Antragsgegnerin im Stadium des Verwaltungsverfahrens der Ernst und die Intensität der familiären Situation nicht klar gewesen und die Antragstellerin war nicht in der Lage, diese deutlicher zu machen. Auch die Stellungnahme des Kreisjugendamtes war zum damaligen Zeitpunkt aus sich heraus noch nicht geeignet, die Schwere der Situation zutreffend zu beschreiben. Die Antragsgegnerin hat sich trotz einer Rücksprache mit dem Bediensteten des Jugendamtes und trotz der Kenntnis, dass der Vorgang offenbar schwerwiegender war als in dem Bericht dargestellt, nicht weiter um Aufklärung bemüht.
Die Antragstellerin hat jedoch frühestens ab dem 12. April 2007 Anspruch auf Leistungen unter Anerkennung eines Unterkunftsbedarfes, da sie erst ab diesem Zeitpunkt tatsächlich Kosten der Unterkunft hatte. Nach ihren Angaben in diesem Verfahren hat sie bis zu diesem Zeitpunkt seit ihrem Auszug bei Verwandten oder Bekannten gewohnt, wodurch ihr keine Unterkunftskosten entstanden sind. Dies hat sie durch die Präzisierung ihres Antrages im Erörterungstermin auch selber zum Ausdruck gebracht.
Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senates ist eine einstweilige Anordnung grundsätzlich zeitlich zu befristen. Der Senat macht von seinem Ermessen dahingehend Gebrauch, dass er die Befristung bis Ende August vornimmt. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die endgültige Wohnsituation geklärt sein. Derzeit ist die Antragstellerin nach ihren Angaben in einem Frauenhaus untergebracht, was sicher nicht als Daueraufenthalt gedacht ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Trotz der Reduzierung der Leistungsverpflichtung gegenüber dem ursprünglichen Antrag hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin die vollen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten, da der Prozesserfolg sich in dem wesentlichen Punkt der Anerkennung der Notwendigkeit des Auszugs als volles Obsiegen darstellt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Reutlingen (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Der Erlass einer hier allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verlangt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 9. Dezember 2005 - L 7 SO 4211/05 ER-B - und vom 12. Dezember 2005 - L 7 SO 4756/05 ER-B - (beide m.w.N.)) und des Weiteren auf der Begründetheitsebene die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Bei besonders folgeschweren Beeinträchtigungen sind die Erfolgsaussichten u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; ferner schon Senatsbeschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris)). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - a.a.O. und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - a.a.O. (beide m.w.N.)). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 a.a.O. (beide m.w.N.)).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen jedenfalls ab dem Zeitpunkt des 12. April 2007 vor, weil ab diesem Zeitpunkt Kosten der Unterkunft entstanden sind und entstehen, die nicht anderweitig gedeckt sind.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des SG besteht auf der Grundlage der vom Senat durchgeführten Ermittlungen ein Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin hat nach § 19 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) dem Grunde nach Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Alg II) in der Form der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Dieser Anspruch ist in ihrem Fall hinsichtlich der Kosten der Unterkunft nicht aufgrund der hier einschlägigen Regelung des § 22 Abs. 2a SGB II ausgeschlossen. Zwar hat die unter fünfundzwanzigjährige Antragstellerin die elterliche Wohnung verlassen, ohne vorher eine Zusicherung des Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende einzuholen. Von dem Erfordernis einer vorherigen Zusicherung konnte in ihrem Fall aber abgesehen werden, da es ihr aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen (§ 22 Abs. 2a Satz 3 SGB II).
Die Antragstellerin hat die elterliche Wohnung unter Umständen verlassen, die die Einholung einer vorherigen Zusicherung nicht zumutbar erscheinen ließen. Wie bereits ein Bediensteter des Kreisjugendamtes aufgrund eines ausführlichen Gesprächs mit der Antragstellerin und ihren Eltern Ende Januar 2007 ausgeführt hatte, war eine Rückkehr der Antragstellerin in die Wohnung der Eltern nicht sinnvoll und ihr Auszug ein erster Schritt, sehr eingefahrene Strukturen aufzulösen. Diese Einschätzung hat das Kreisjugendamt dem Senat gegenüber durch Auskunft vom 24. April 2007 dahingehend präzisiert, dass nach dem Eindruck des Sachbearbeiters bei dem Gespräch die Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter für letztere existenziell bedrohlich waren und sie persönlich herabwürdigten. Außerdem war es dabei neben verbalen auch zu handgreiflichen Auseinandersetzungen gekommen. Der Mitarbeiter des Kreisjugendamtes kam deshalb zu der sachverständigen Einschätzung, dass Suiziddrohungen und die Äußerung, lieber auf der Straße zu leben als nach Hause zurückzukehren, ernst zu nehmen seien. Es sei der Antragstellerin nicht zumutbar, ins Elternhaus zurückzukehren.
Diese von einem sachkundigen Bediensteten des Kreisjugendamtes abgegebene Einschätzung entspricht dem Eindruck, den der Vorsitzende im Erörterungstermin am 26. April 2007 gewinnen konnte. Zum einen wurde in diesem Termin deutlich, dass die Antragstellerin auch heute noch - 3 Monate nach dem Auszug - die Situation in der elterlichen Wohnung als äußerst belastend empfindet. Dies zeigte sich etwa dadurch, dass sie bei Schilderungen über die Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter kaum zu präzisen Aussagen in der Lage war und immer wieder mit Tränen zu kämpfen hatte.
Zum zweiten ergab die Vernehmung der Mutter der Antragstellerin, dass diese keinerlei Schritte übernommen hat und unternimmt, um das offensichtlich gespannte Verhältnis zu ihrer Tochter zu bereinigen. Die Zeugin hat vielmehr eine körperliche Auseinandersetzung wenige Tage vor dem Auszug der Antragstellerin bestätigt, wenngleich sie angab, sich an ein Würgen der Tochter nicht zu erinnern. Sie sagte hierzu weiter, dass sie es selber so empfunden habe, dass die Situation eskaliert sei. Sie ging sogar so weit, ihr Verhalten damit zu beschreiben, sie sei in dieser Situation rasend gewesen. Außerdem hat sie bestätigt, dass sie ihrer Tochter ausdrücklich vorgehalten hat, dass sie in der Wohnung nicht mehr geduldet werde, wenn sie ihr Verhalten - hinsichtlich der Ordnung in ihrem Zimmer - nicht ändere.
Insgesamt hat die Zeugin durch die Art und den Inhalt ihrer Aussagen den Eindruck vermittelt, dass sie in keiner Form bereit ist, ihrer Tochter entgegenzukommen und stattdessen erwartet, dass diese auf sie zukommt. Dies zeigte sich bei ihren Angaben zu späteren Kontakten, die sie verneinte. Der Eindruck war eindeutig, dass die Zeugin die Schuld an der Auseinandersetzung ausschließlich ihrer Tochter zuschreibt und letztlich froh ist, dass die Tochter ausgezogen ist.
In Ergänzung hierzu hat die Antragstellerin in dem Erörterungstermin glaubhaft machen können, dass sich die seit langem vorkommenden verbalen Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter im Januar so weit gesteigert hatten, dass ihre Mutter sie nicht etwa im Affekt geschlagen hätte, sondern sie tatsächlich für einen spürbaren Zeitraum gewürgt hat.
Damit ist - entgegen der Einschätzung der Antragsgegnerin - ein möglicherweise verbreiteter Bereich familiärer Auseinandersetzungen deutlich verlassen. Eine solche Tätlichkeit sprengt den Rahmen dessen, was innerhalb einer Familie an Streitigkeiten noch hinzunehmen sein mag. Bedenkt man dazu, dass sich die Auseinandersetzungen nach den Aussagen der Zeugin im wesentlichen auf den Zustand des Zimmers der Antragstellerin bezogen, so wird deutlich, dass eine eigenständige Entwicklung der Antragstellerin in der Wohnung der Eltern offensichtlich nicht geduldet wurde. Die Situation war im Januar auch dadurch für die Antragstellerin schwieriger geworden, dass die bis dahin offenbar ausgleichende Schwester das Elternhaus aus beruflichen Gründen verlassen hatte. Damit fehlte ihr eine Unterstützung, die - auch das bestätigt das Kreisjugendamt - der Vater nicht zu geben in der Lage war und ist.
Bei dieser Sachlage war es der Antragstellerin aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht möglich, in der Wohnung der Eltern zu verbleiben und zwar auch nicht bis zur Einholung einer Zusicherung der Antragsgegnerin, die sie angesichts des Verhaltens der Antragsgegnerin in diesem Verfahren ohnehin nicht bekommen hätte. Offensichtlich ist der Antragsgegnerin im Stadium des Verwaltungsverfahrens der Ernst und die Intensität der familiären Situation nicht klar gewesen und die Antragstellerin war nicht in der Lage, diese deutlicher zu machen. Auch die Stellungnahme des Kreisjugendamtes war zum damaligen Zeitpunkt aus sich heraus noch nicht geeignet, die Schwere der Situation zutreffend zu beschreiben. Die Antragsgegnerin hat sich trotz einer Rücksprache mit dem Bediensteten des Jugendamtes und trotz der Kenntnis, dass der Vorgang offenbar schwerwiegender war als in dem Bericht dargestellt, nicht weiter um Aufklärung bemüht.
Die Antragstellerin hat jedoch frühestens ab dem 12. April 2007 Anspruch auf Leistungen unter Anerkennung eines Unterkunftsbedarfes, da sie erst ab diesem Zeitpunkt tatsächlich Kosten der Unterkunft hatte. Nach ihren Angaben in diesem Verfahren hat sie bis zu diesem Zeitpunkt seit ihrem Auszug bei Verwandten oder Bekannten gewohnt, wodurch ihr keine Unterkunftskosten entstanden sind. Dies hat sie durch die Präzisierung ihres Antrages im Erörterungstermin auch selber zum Ausdruck gebracht.
Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senates ist eine einstweilige Anordnung grundsätzlich zeitlich zu befristen. Der Senat macht von seinem Ermessen dahingehend Gebrauch, dass er die Befristung bis Ende August vornimmt. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die endgültige Wohnsituation geklärt sein. Derzeit ist die Antragstellerin nach ihren Angaben in einem Frauenhaus untergebracht, was sicher nicht als Daueraufenthalt gedacht ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Trotz der Reduzierung der Leistungsverpflichtung gegenüber dem ursprünglichen Antrag hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin die vollen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten, da der Prozesserfolg sich in dem wesentlichen Punkt der Anerkennung der Notwendigkeit des Auszugs als volles Obsiegen darstellt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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