S 16 U 293/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 293/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 102/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Feststellung und Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der 1947 geborene Kläger teilte der Beklagten im November 2003 auf einem Formblatt mit, in der Zeit von April 1961 bis März 1971 keine Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung und auch keine Arbeiten verrichtet zu haben, bei denen er Lasten zu heben oder zu tragen gehabt hätte. Solchen Belastungen sei er jedoch im Anschluss daran, in der Zeit bis Oktober 2002 ausgesetzt gewesen, in der er als Möbelauslieferungsfahrer gearbeitet habe. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten errechnete aufgrund der Angaben des Klägers nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell eine mittlere Tagesbeurteilungsdosis zwischen 5942 und 6219 Nh und eine Gesamtbelastungsdosis von 25,4 Mnh.

Im Mai 1983 war beim Kläger eine Bandscheibenoperation im Segment L 5/S 1 durchgeführt worden. 1985 ergab eine computertomographische Untersuchung der Halswirbelsäule Bandscheibenvorwölbungen in den Segmenten C 4 bis C 7. 1990 musste ein Bandscheibenvorfall im Segment L 4/L 5 operativ behandelt worden. Eine erneute Bandscheibenoperation in diesem Segment erfolgte am 22.12.1999. Zur Klärung der Zusammenhangsfrage holte die Beklagte ein Gutachten von M ein. Dieser äußerte unter dem 02.09.2004 die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 ließen sich nicht begründen. Das beim Kläger vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankungsbild sei nicht belastungskonform. Es könne keine plausible medizinisch-naturwissenschaftliche Erklärung dafür angeboten werden, dass eine langjährige lendenwirbelsäulenbelastende berufliche Exposition nur die beiden unteren Segmente der Lendenwirbelsäule tangiere und schädige, alle übrige Segmente der Lendenwirbelsäule und der unteren Brustwirbelsäule die Belastung dagegen völlig schadlos überdauerten. Weit über 90 % aller vorzeitigen Bandscheibenveränderungen fänden sich im Bereich der Lendenwirbelsäule und manifestierten sich - im Bevölkerungsquerschnitt, also sowohl im belasteten wie im nicht belasteten Kollektiv in den beiden unteren Segmenten (L 4/S 1). Vorzeitige Bandscheibenveränderungen in einem der beideren unteren Segmente der Lendenwirbelsäule oder isoliert in beiden unteren Segmenten der Lendenwirbelsäule seien daher kein Indiz für eine wesentliche Teilursächlichkeit einer beruflichen Belastung. Auf dieser medizinischen Grundlage lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 sowie die Bewilligung vorbeugender Maßnahmen und Leistungen nach § 3 BKV ab (Bescheid vom 27.10.2004).

Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 07.12.2004). Mit seiner am 23.12.2004 bei Gericht eingegangenen Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, entgegen der Auffassung des Gutachters M liege ein belastungskonformes Schadensbild vor, zumal die Gesamtbelastungsdosis nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell deutlich überschritten sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 27.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bandscheiben- erkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat ein Gutachten von W eingeholt. Der Sachverständige hat unter dem 31.10.2005 ausgeführt, bei der weiten Verbreitung bandscheibenbedingter Veränderungen in der Gesamtbevölkerung ließe sich die berufliche Belastung nur dann als wesentliche Teilursache wahrscheinlich machen, wenn der Technische Aufsichtsdienst darlegen könne, dass der Kläger bis zum Zeitpunkt der Erstmanifestation der bandscheibenbedingten Erkrankung im Jahre 1983 mindestens einen wesentlichen Teil der Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh erreicht hätte. Daraufhin hat die Beklagte nochmals ihren Technischen Aufsichtsdienst eingeschaltet, der für den Zeitraum von März 1971 bis Mai 1983 eine Belastungsdosis von ca. 16,3 MNh errechnet hat. Der Kläger hat dazu ausgeführt, schon vor Beginn seiner Tätigkeit als Möbelauslieferungsfahrer erheblich körperlich schwere wirbelsäulenbelastende Arbeiten verrichtet zu haben. So habe er beispielsweise zwischen März 1968 und März 1971 bei der Firma U Bauschreinerei Einbauschränke und Fenster produziert. Seine wesentliche Aufgabe habe dabei darin bestanden, etwa fünf mal fünf Meter große Spanplatten anzuheben und an eine an der Wand montierte Säge zu halten, woraus dann die Werkstücke herausgeschnitten worden seien. Diese Arbeiten habe er alleine gemacht, die schweren Spanplatten allein angehoben und die Werkstücke allein wieder weggeräumt. Dies sei schwerste körperlich rückenbelastende Arbeit gewesen. In den Jahren 1967 und 1968 habe er Klimaanlagen montiert. Auch dies sei körperlich sehr schwer und rückenbelastend gewesen. Die schweren Klimaanlagen hätten nicht nur montiert sondern auch gehoben und getragen werden müssen. 1965 und 1966 habe er in der Schreinerei und im Transformatorenbau der Firma T L gearbeitet. Dort seien schwere Kabel in Kabeltrommeln zu legen und herauszunehmen gewesen. Dies sei eine sehr schwere körperliche und rückenbelastende Tätigkeit gewesen. Festzuhalten sei deshalb, dass er auch vor 1971 bereits erheblich rückenbelastend gearbeitet habe. W ist auf der Grundlage der Ausführungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten zu dem Ergebnis gekommen, es lasse sich nicht wahrscheinlich machen, dass die bandscheibenbedingten Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers wesentliche berufliche Ursachen hätten. Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2004 ist rechtmäßig. Beim Kläger lässt sich keine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage zur BKV feststellen. Er hat deshalb auch keinen Anspruch auf Entschädigung. Zwar ist die körperliche Belastung des Klägers als Möbelauslieferungsfahrer generell geeignet gewesen, Bandscheibenveränderungen zu verursachen: Bei ihm ist auf der Grundlage des Mainz-Dortmunder-Dosismodells eine Gesamtbelastungsdosis von 25,4 MNh festgestellt worden, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der geltend gemachten Berufskrankheit erfüllt sind, jedoch lassen sich die medizinischen Voraussetzungen nicht wahrscheinlich machen. Unstreitig ist dabei, dass beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung in den beiden unteren Segmenten der Lendenwirbelsäule vorliegt. W hat darauf hingewiesen, dass diese Veränderungen die Altersnorm übersteigen und mit chronisch rezidivierenden Beschwerden und Funktionsstörungen verbunden sind. Konkurrierende medizinische Ursachen und Faktoren wie etwa eine schwerwiegende tiefsitzende Skoliose der Lendenwirbelsäule oder ein schwergradiger lumbaler Morbus Scheuermann lassen sich nicht feststellen. Das beim Kläger vorliegende Schadensbild weist daher auf einen beruflichen Zusammenhang hin. Gegen einen beruflichen Zusammenhang spricht allerdings der nicht belastungskonforme zeitliche Krankheitsverlauf. Bereits im Mai 1983 musste ein Bandscheibenvorfall bei dem damals 36 Jahre alten Kläger im Segment L 5/S 1 operativ behandelt werden, obwohl der Kläger seinerzeit erst ungefähr 2/3 der erforderlichen Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh, nämlich 16,3 MNh erreicht hatte. Die Auffassung von W, dass dieser Krankheitsverlauf gegen einen beruflichen Zusammenhang spricht, steht in Übereinstimmung mit den Hamburger Konsensempfehlungen, nach denen die Anerkennung eines berufsbedingten Bandscheibenschadens eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung voraussetzt. Die Kammer sieht sich deshalb mit W außer Stande, einen beruflichen Zusammenhang der Erkrankung des Klägers mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, zumal sich eine Gewichtung der für und gegen diesen Zusammenhang sprechende Argumente offensichtlich nicht vornehmen lässt. Soweit der Kläger nach Kenntnisnahme des Gutachtens von W vorträgt, er habe bereits vor 1971 bandscheibenbelastend gearbeitet, ist ihm seine Erklärung von November 2003 entgegen zu halten. Damals hatte der Kläger mitgeteilt solche Arbeiten nicht verrichtet zu haben. Nach Auffassung der Kammer ist der Beweiswert des jetzigen Vorbringens jedenfalls nicht höher als der Beweiswert der 2003 noch unbefangen erfolgten Äußerungen. Mit der erforderlichen an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lassen sich daher nur die Belastungen feststellen, die aufgrund der Angaben des Klägers vom November 2003 ermittelt worden sind. Soweit der Kläger nach wie vor meint, seine Bandscheibenschäden an der Lendenwirbelsäule seien auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen, hat sich die Richtigkeit seiner Behauptung trotz umfassender, von Amts wegen durchgeführter Sachaufklärung nicht beweisen lassen. Die Last des nicht erbrachten Beweises von anspruchsbegründenden Tatsachen hat aber auch im sozialgerichtlichen Verfahren stets derjenige zu tragen, der aus der behaupteten, aber nicht erweislichen Tatsache Rechte herleiten will. Das ist hier der Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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