L 21 R 1789/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 R 1082/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 R 1789/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die 1950 geborene Klägerin ist die Witwe des 1944 geborenen WR (im Folgenden: Versicherter). Der Versicherte zog am 01. Mai 1999 zur Klägerin.

Nach einem Arztbrief vom 07. Mai 2003 der Pneumologischen Abteilung I des ZE v B wurde anlässlich einer stationären Behandlung am selben Tage der Verdacht auf primäres Bronchialkarzinom mit Beteiligung des Ösophagus bzw. primäres Ösophaguskarzinom diagnostiziert. Einem Arztbrief derselben Einrichtung vom 23. Mai 2003 lässt sich aufgrund einer stationären Behandlung vom 15. Mai bis 23. Mai 2003 nunmehr die Diagnose eines plattenepithelialen Karzinoms im oberen Ösophagus entnehmen. Es handele sich radiologisch um ein eher progredientes Geschehen. Einem Arztbrief der Inneren Medizin der Z E v B vom 23. Juli 2003 ist nunmehr ein fortgeschrittenes Plattenepithelkarzinom des oberen Ösophagus zu entnehmen. Im Anschluss wurde eine kombinierte Radio-Chemotherapie durchgeführt, die entsprechend einem Arztbrief der Onkologischen Praxis L und U vom 24. November 2003 vom Versicherten gut toleriert wurde, zu einer partiellen Remission führte, so dass es heißt: Eine Operabilität erscheint jetzt möglich, so dass eine erneute stationäre Aufnahme vorgesehen ist. Dem Arztbrief der Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie des Z E v B vom 05. Januar 2004 ist zu entnehmen, dass die stationäre Behandlung vom 24. November 2003 bis 12. Dezember 2003 durchgeführt worden war. Eine explorative Thoraktomie am 01. Dezember 2003 führte zu dem Ergebnis, dass eine Kuration nicht zu erlangen sei. Daraufhin wurde der Eingriff beendet. Die Erkrankung wurde nunmehr als inoperables Ösophaguskarzinom mit Infiltration der Vena azygos diagnostiziert.

Am 2004, dem 60. Geburtstag des Versicherten, erfolgte die Eheschließung zwischen der Klägerin und dem Versicherten.

Der Versicherte ist am 13. April 2004 verstorben.

Am 04. Mai 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Witwenrente. Die tödlichen Folgen einer Krankheit seien bei der Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen. Die Heirat sei anlässlich des 60. Geburtstages erfolgt. Der Tod des Versicherten sei nicht vorhersehbar gewesen. Mit Bescheid vom 21. September 2004 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Witwenrente gemäß § 46 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) ab. Die Ehe habe zum Zeitpunkt des Todes weniger als ein Jahr gedauert. Zum Zeitpunkt der Eheschließung am 2004 sei der letale Ausgang abzusehen gewesen.

Den hiergegen am 05. Oktober 2004 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2005 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 28. Februar 2005 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben und vorgetragen: Anlass für die Eheschließung sei gewesen, dass der verstorbene Ehemann und die Klägerin bereits ca. 5 Jahre lang vor der Eheschließung in eheähnlicher Gemeinschaft zusammengelebt hätten und sie dieses Verhältnis durch Heirat hätten legalisieren wollen. Einige Monate vor der Eheschließung hätten die Eheleute den Hochzeitstermin als Höhepunkt auf den Geburtstag des Versicherten gelegt. Bei der Festlegung des Termins und der Vorbereitung der Hochzeitsfeier, zu der 36 Gäste geladen gewesen seien, hätten weder die Klägerin noch der Versicherte mit seinem nahen Tod gerechnet. Sie seien vielmehr der Meinung gewesen, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten stabilisiert hätte und er sich auf dem Wege der Besserung befunden habe. Darüber hinaus sei die Klägerin vor der Eheschließung aufgrund eigenen Arbeitseinkommens und einer Witwenrente aus erster Ehe in der Lage gewesen, ihren Lebensunterhalt allein zu bestreiten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Berlin am 26. September 2005 hat die Klägerin erklärt:

"Mein zweiter Ehemann hatte bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich, deswegen heirateten wir nicht früher. Die Eheschließung fand dann zum Zwecke der Kostenersparnis an seinem 60. Geburtstag statt. Er fühlte sich mal schlapp, aber er hat sich seine Probleme nicht anmerken lassen. Dass er Speiseröhrenkrebs hatte, wusste ich. Auch, dass die Operation gescheitert war. Der Hausarzt sagte mir aber dann auch mal, dass er selbst nicht damit gerechnet habe, dass es so schnell gehen würde. Meine Witwenrente nach dem ersten Ehemann betrug ca. 205,- Euro, ich erhielt eine Abfindung für 24 Monate ab April 2004. Bei der LVA teilte man mir mit, dass ich entweder nach Ablauf dieser zwei Jahre wieder Witwenrente nach dem ersten Ehemann, oder aber die Witwenrente nach meinem zweiten Ehemann für den Fall seines Ablebens erhalten würde. Wie hoch die Rente nach meinem zweiten Mann gewesen wäre, weiß ich nicht. Seine Erwerbsminderungsrente hätte ca. 900,- Euro betragen. Ob die Witwenrente nach der Gesetzeslage 65 % oder nur noch 50 % davon beträgt, weiß ich nicht."

Mit Urteil vom 26. September 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei nicht widerlegt. Nach den vorliegenden medizinischen Ermittlungen sei - auch aus Sicht der Klägerin - der Tod des Versicherten auf absehbare Zeit zu erwarten gewesen. Auch sprächen die Erkundigungen, welche die Klägerin hinsichtlich der Auswirkungen einer Wiederverheiratung eingeholt habe, eher für die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe als dagegen.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 21. Oktober 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. November 2005 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Die Auffassung des Sozialgerichts, dass auch aus Sicht der Klägerin der Tod ihres Ehemanns auf absehbare Zeit zu erwarten gewesen sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Klägerin habe zwar gewusst, dass ihr Ehemann arbeitsunfähig krank sei, nicht aber, dass in Kürze mit seinem Tod zu rechnen sei. Sie habe weder Kenntnis von medizinischen Berichten gehabt noch sei sie von dem behandelnden Arzt ihres Ehemannes in dieser Hinsicht informiert worden. Wäre ihr der tatsächliche Gesundheitszustand des Versicherten bekannt gewesen, hätte sie von der Heirat, der Hochzeitsfeier und der Hochzeitsreise, auf der der Versicherte schließlich verstorben sei, Abstand genommen. Im Übrigen spreche auch die gescheiterte Ehe des Versicherten dafür, dass er eine zweite Ehe erst wieder habe eingehen wollen, als er von deren Bestand - wie hier - überzeugt gewesen sei. Die Argumentation des Sozialgerichts, aus der Tatsache, dass sich die Klägerin vor der Eheschließung über deren finanzielle Auswirkungen bei ihrem Rententräger informiert habe, sei auf eine Versorgungsehe zu schließen, sei lebensfremd. Nach der Lebenserfahrung müssten sich die zukünftigen Eheleute vor ihrer Eheschließung u. a. auch über ihre spätere finanzielle Situation einig werden. Es sei somit keine Besonderheit, dass sich die Klägerin über ihre finanzielle Situation im Fall der Eheschließung informiert habe.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 26. September 2005 sowie des Bescheides vom 21. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2005 die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab dem 01. Mai 2004 große Witwenrente aus der Versicherung ihres am 13. April 2004 verstorbenen Ehemannes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat die Behandlungsunterlagen des behandelnden Arztes des Versicherten Dr. K beigezogen und diesen in der mündlichen Verhandlung als sachverständigen Zeugen gehört. Wegen dessen Aussage wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung und wegen des Inhalts der den Versicherten betreffenden Akte der Beklagten wird auf diese Bezug genommen. Letztere ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die auf die Gewährung einer großen Witwenrente gerichtete Verpflichtungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 21. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2004 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des WR.

Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine oder große Witwenrente nach Maßgabe des § 46 Abs. 1 und 2 SGG VI. Die Klägerin hat die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer großen Witwenrente erfüllt. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI haben Witwen, die wie die Klägerin nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwerrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Der Versicherte hatte die allgemeine Wartezeit erfüllt. Dies ergibt sich aus der von der Beklagten für die Witwenrente gefertigte Probeberechnung. Die Klägerin hat auch das 45. Lebensjahr seit dem 19. Februar 1995 erfüllt, so dass die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.

Der Rentenanspruch ist nach § 46 Abs. 2 a SGB VI jedoch ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Für alle seit dem 01. Januar 2002 geschlossenen Ehen gilt nach § 46 Abs. 2 a SGB VI i. V. m. § 242 a Abs. 3 SGB VI mithin die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Die gesetzliche Vermutung ist widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen. Da das Motiv der Eheschließenden mit der Heirat der Witwe eine Versorgung zu verschaffen, in der Praxis nur schwer nachzuweisen ist, hat der Gesetzgeber davon abgesehen, dieses Motiv zur Eheschließung allgemein zum Tatbestandsmerkmal für den Ausschluss des Anspruchs zu erheben. Er ist vielmehr von der Überlegung ausgegangen, dass nach der Lebenserfahrung eine mit einem Versicherten kurz vor dem Tod geschlossene Ehe, die nicht länger als ein Jahr dauert, meist aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen wird. Deshalb entfällt grundsätzlich der Anspruch, wenn nicht zugunsten der Hinterbliebenen diese Vermutung entkräftet wird. Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2 a SGB VI sind alle Umstände des Einzelfalls anzusehen, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen. Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG i. V. m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Witwenrentenanspruch geltend macht, mithin trägt die Witwe die objektive Beweislast (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 46 SGB VI Rdnr. 46 b m.w.N.).

Diesen Beweis hat die Klägerin nicht erbracht. Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten hat nur 13 Tage gedauert und damit deutlich weniger als ein Jahr. Die deshalb zur Anwendung kommende gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist nicht durch besondere Umstände des Einzelfalles widerlegt worden. Die Klägerin hat mit dem Versicherten seit dem 01. Mai 1999 zusammen gelebt. Der Entschluss zur Eheschließung ist nach den Ausführungen in der Klagebegründungsfrist "einige Monate vor der Eheschließung" nach den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung "etwa im August/September 2003" festgelegt worden. Die Eheschließung erfolgte am 2004. In den Monaten zuvor war sowohl der Klägerin als auch dem Versicherten die Erkrankung bekannt. Die Inoperabilität der Tumorerkrankung wurde bereits am 01. Dezember 2003 festgestellt. Der Entschluss zur Eheschließung "einige Monate zuvor" ist mithin bereits in Kenntnis der Erkrankung erfolgt. Selbst nach dem Vortrag der Klägerin ging auch diese davon aus, dass der Versicherte versterben würde. Sie bestreitet lediglich, dass ihr bewusst gewesen sei, dass der Tod des Versicherten "auf absehbare Zeit zu erwarten gewesen sei". Die Speiseröhre des Versicherten war nach der Aussage des sachverständigen Zeugen fadenförmig verengt, erst aufgrund der durchgeführten Radio-Chemotherapie war es dem Versicherten wieder möglich, zu essen und zu trinken. Nach dem Arztbrief der Dres. L, Sch und der Frau F begann die Radio-Chemotherapie bei primärer Inoperabilität am 28. Juli 2003. Der Entschluss zur Eheschließung fällt in diesem Zeitraum.

Auch der Verlauf der Erkrankung, wie er sich aus den ärztlichen Unterlagen ergibt, ist nicht geeignet, die Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI zu widerlegen. Die Diagnose eines Verdachts auf ein primäres Bronchialkarzinom (Arztbrief 07. Mai 2003), die Diagnose des Karzinoms (Arztbrief 23. Mai 2003), die Einordnung der Erkrankung als "fortgeschrittenes" Karzinom (Arztbrief vom 23. Juli 2003) und die Feststellung der Inoperabilität (Thoraktomie am 01. Dezember 2003) erfolgte in derart kurzer Folge, dass auch dies für die Kenntnis der Beteiligten spricht, dass in kurzer Zeit mit dem Ableben des Versicherten zu rechnen sein werde.

Im Hinblick auf das Bestehen der mehrjährigen nichtehelichen Verbindung der Klägerin und des Versicherten ist kein von der Versorgungsabsicht verschiedener Beweggrund zu erkennen, die Eheschließung ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt durchzuführen. Dass die Eheschließung am 60. Geburtstag des Versicherten erfolgte, steht dem nicht entgegen. Zu einer akuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten ist es nach - endgültiger - Feststellung der Nichtoperabilität und der Aussage des Zeugen nicht gekommen, weshalb das Abwarten bis zum 60. Geburtstag einer Versorgungsabsicht nicht entgegensteht.

Weitere Hinweise darauf, dass es sich nicht um eine Versorgungsehe gehandelt hat, sind, wie schon das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht ersichtlich.

Die gesetzliche Vermutung ist nicht widerlegt.

Die Regelung des § 46 Abs. 2 a SGB VI verstößt nicht gegen den in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) garantierten Schutz der Ehe (vgl. BSG, Beschluss vom 23. September 1997, 2 BU 176/97, HVBG-Info 1998, 621 m.w.N. zur Parallelvorschrift in der gesetzlichen Unfallversicherung; Löhns in Kreikebohm, SGB VI, § 46 Rdnr. 20).

Die Kostenentscheidung folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nicht ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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