L 5 R 3735/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2668/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3735/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12.8.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1960 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Von 1980 bis 1985 arbeitete sie als Kommissioniererin bei der Firma S. AG und (nach Beschäftigungsbeginn bei der Post 1987) ab 1989 als Postzustellerin (Verwaltungsakte S. 77, 433).

Am 27.9.2000 (Verwaltungsakte S. 73) beantragte die Klägerin Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Sie halte sich seit Januar 2000 wegen einer Kniearthrose für berufs- bzw. erwerbsunfähig.

Zuvor hatte die Klägerin vom 25.4. bis 23.5.2000 eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der Rheumaklinik Bad R. absolviert. Im Entlassungsbericht vom 7.6.2000 (Verwaltungsakte S. 91) sind eine ausgeprägte medial betonte Gonarthrose sowie Chondromalazie Grad III retropatellar rechts, eine arthroskopische subtotale Innenmeniskushinterhornresektion 1998 sowie eine reaktive Depression diagnostiziert. Die Klägerin könne als Postverteilerin vollschichtig arbeiten und auch mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus (mit qualitativen Einschränkungen) vollschichtig verrichten. Sie werde arbeitsfähig entlassen.

Mit Bescheid vom 9.1.2001 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Nachdem die Klägerin dagegen Widerspruch eingelegt hatte, erhob die Beklagte das Gutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin und Sozialmedizin Dr. St. vom 23.3.2001 (Verwaltungsakte S. 161, 197) mit Zusatzgutachten des Orthopäden Dr. K. vom 19.3.2001 (Verwaltungsakte S. 163). Dr. K. diagnostizierte eine Gonarthrose rechts mehr als links bei genua vara, Innenmensikushinterhornresektion 1998 rechts sowie ein zervikales und lumbales Wirbelsäulenyndrom bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und lumbosacralem Übergangswirbel. Arbeiten, die mit Heben und Tragen von Lasten über 10 Kilogramm verbunden seien oder ausgedehnte Drehbewegungen der Halswirbelsäule bzw. eine erhöhte Geschicklichkeit des Fingerfeinspiels erforderten, seien zu unterlassen. Gleiches gelte für Tätigkeiten in Nässe, Kälte oder Zugluft bzw. auf Leitern und Gerüsten. Die zuletzt ausgeübte Arbeit als Briefträgerin sei auf Dauer nicht mehr möglich; deswegen erhalte die Klägerin auch bereits eine Rente von der Post. Leichte und mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts seien (unter qualitativen Einschränkungen) aber vollschichtig zumutbar. Dr. St. schloss sich dieser Leistungseinschätzung an.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.5.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf die Klägerin am 6.6.2001 Klage beim Sozialgericht Konstanz erhob (Verfahren S 8 RJ 1096/01). Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte (Allgemeinarzt H., Bericht vom 8.10.2001, SG-Akte S. 22: Klägerin sei arbeitsunfähig; Orthopäde Dr. K., Bericht vom 8.8.2001, SG-Akte S. 56: leichte Tätigkeiten unter qualitativen Einschränkungen seien vollschichtig möglich) und erhob das Gutachten des Neurologen und Psychiaters PD Dr. Ste. vom 12.6.2002. Dieser führte aus, die Klägerin, die derzeit eine Rente von der Post (1.175 EUR monatlich) erhalte, habe (u.a.) angegeben, sie habe ihre an Krebs erkrankten Schwiegereltern zwei Jahre lang gepflegt. Ihr Schwiegervater sei verstorben, während sich die Schwiegermutter erholt habe. Der Bruder ihres geschiedenen Ehemannes habe sie (im Verein mit der Schwiegermutter) über eine Räumungsklage zum Verlassen des Hauses gezwungen; ihr seien nur Schulden geblieben. Der Gutachter diagnostizierte (u. a.) eine schwere depressive Episode mit somatischen Symptomen. Deswegen sei die Klägerin nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Die Leistungsfähigkeit sei derzeit auf höchstens drei bis unter sechs Stunden täglich vermindert. Es könne aber davon ausgegangen werden, dass eine geeignete fachärztliche Behandlung zu einer substanziellen Besserung des Störungsbildes im Verlauf von ca. einem Jahr führen würde. Auch ohne Behandlung sei anzunehmen, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit Bewältigungsmechanismen, über die die Klägerin wahrscheinlich verfüge, mobilisiert werden könnten und es binnen zwei Jahren zu einer Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes und zunehmender Belastbarkeit komme.

Die Beteiligten schlossen daraufhin einen Vergleich, wonach der Klägerin ausgehend von einem am 30.5.2001 eingetretenen Leistungsfall Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1.12.2001 bis 31.12.2003 gewährt wurde.

Am 1.10.2003 beantragte die Klägerin, die Rente wegen Erwerbsminderung weiter zu zahlen (Verwaltungsakte S. 369). Auf Veranlassung der Beklagten wurde die Klägerin vom 25. bis 26.2.2004 in der klinischen Beobachtungsstation der Beklagten, K., internistisch, orthopädisch und nervenärztlich untersucht (nervenärztliches Zusatzgutachten des Dr. G. vom 27.2.2004; chirurgisch-orthopädisches Zusatzgutachten des Dr. Sch. vom 8.3.2004).

Der Internist Dr. M. führte - gestützt auf die erhobenen Zusatzgutachten - im (zusammenfassenden) Gutachten vom 7.4.2004 (Verwaltungsakte S. 425) aus, die Klägerin habe (u. a.) Depressionen und Schmerzen in den Kniegelenken und der Wirbelsäule angegeben. Die Depressionen stünden im Vordergrund. Zum Tagesverlauf befragt, habe die Klägerin mitgeteilt, sie stehe zwischen 8:00 Uhr und 8:30 Uhr auf, trinke Kaffee und schaue sich auf dem Bauernhof, auf dem sie (in einer Mietwohnung) lebe um und helfe manchmal beim Füttern der Tiere. Die anfallenden Haushaltsarbeiten erledige sie im Laufe des Tages selbst. Zum Einkaufen fahre sie mit dem Auto. Sie koche für sich und ihren Sohn täglich das Mittagessen. Sodann ruhe sie sich aus, erledige am Nachmittag Haushaltsarbeiten und schaue nach den Katzen. Außer Lesen habe sie keine Hobbys mehr. Abends sehe sie fern oder mache Spiele mit ihrem Sohn. Hinsichtlich ärztlicher Behandlungen werde der Hausarzt (der Allgemeinarzt H.) etwa alle drei Monate aufgesucht. Zum Orthopäden gehe sie etwa einmal im Jahr. Eine nervenärztliche Behandlung finde nicht statt; vor vielen Jahren sei sie einmal bei einem Nervenarzt gewesen. Auch physikalische Therapie oder Psychotherapie werde nicht durchgeführt.

Diagnostiziert wurden eine leicht- bis mittelgradig ausgeprägte depressive Störung, eine Gonarthrose rechts, Lumbalgie bei Osteochondrose L4 bis S1 und rezidivierende Magenschleimhautentzündungen, medikamentös gut behandelbar. Hinsichtlich der depressiven Störung sei auch ohne spezifische Behandlung eindeutig eine Besserung und Stabilisierung dokumentiert. Auffallend sei weiterhin eine recht geringe Anstrengungsbereitschaft. Aus orthopädischer Sicht seien nur qualitative Leistungseinschränkungen notwendig. Internistisch hätten sich keinerlei Auffälligkeiten oder Einschränkungen gezeigt. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts könne die Klägerin unter qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten. Dr. G. hatte im nervenärztlichen Zusatzgutachten ergänzend ausgeführt, eine bestehende Gefährdung der Erwerbsfähigkeit könnte durch ein psychosomatisches Heilverfahren abgewendet und der Befund könne weiter stabilisiert und gebessert werden; insoweit lege die Klägerin jedoch eine ausgeprägte Ambivalenz an den Tag, weshalb eine positive Reha-Prognose erst nach eigener Antragstellung getroffen werden könne.

Mit Bescheid vom 28.4.2004 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung sie ein Attest des Allgemeinarztes H. vom 28.7.2004 vorgelegt hatte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7.10.2004 zurück.

Am 5.11.2004 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Konstanz, mit der sie ihr Rentenbegehren weiter verfolgte.

Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte. Der Nervenarzt und Psychotherapeut Prof. Dr. Ste. (jetzt Chefarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie W., R.), der die Klägerin im vorausgegangenen sozialgerichtlichen (durch Vergleich beendeten) Verfahren begutachtet hatte, teilte unter dem 29.12.2004 (SG-Akte S, 21) mit, er habe die Klägerin am 12.11. und 10.12.2004 zweimal zu einer ambulanten Behandlung gesehen. Seine Befunde stimmten im Wesentlichen mit den Erkenntnissen des Dr. G. überein, zumindest, was die Leistungsbeurteilung angehe. Weitere Behandlungstermine seien einmal monatlich vereinbart worden. In einem an den Allgemeinarzt H. gerichteten Arztbrief vom 17.11.2004 (SG-Akte S. 23) hatte Prof. Dr. Ste. als Diagnosen einen Verdacht auf kombinierte Persönlichkeitsstörung sowie Dysthymia mitgeteilt. Die Klägerin habe sich nunmehr erneut an ihn gewandt und darauf verwiesen, mehrere Anläufe zu einer Psychotherapie unternommen, jedoch spätestens im Wartezimmer des Therapeuten wieder abgebrochen zu haben. Die soziale Situation sei trotz der Zeitrente außerordentlich kompliziert. Die Klägerin zahle Schulden ab, habe kaum Einkünfte und versorge den Lebenspartner im Haushalt, nur um kostenfrei wohnen zu können. Die Konsultation einer Schuldnerberatung sei angeraten worden. Therapeutisch habe die Klägerin keine Empfehlung für einen näher (zum Wohnort) gelegenen Psychotherapeuten annehmen wollen. Sie sei in hohem Maße misstrauisch und selbst-entwertend, pessimistisch gegenüber der Zukunft, aber nicht durchgängig depressiv. Der Allgemeinarzt H. gab im Bericht vom 11.4.2005 an, von Seiten der Psyche sehe er keine so deutliche Besserung wie die Vorgutachter. Auf Grund der psychischen Erkrankung und Situation meine er, dass das Leistungsvermögen der Klägerin derzeit noch nicht so hoch einzuschätzen sei. Sie sei derzeit psychisch noch nicht in der Lage, eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Das maßgebliche Leiden liege auf dem Fachgebiet der Psychiatrie.

Mit Gerichtsbescheid vom 12.8.2005 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI). Die für die Leistungsbeurteilung maßgebliche Erkrankung liege auf nervenärztlichem Fachgebiet. Insoweit leide die Klägerin unter einer leicht bis mittelgradig ausgeprägten depressiven Störung. Das habe die Begutachtung im Verwaltungsverfahren ergeben. Der behandelnde Nervenarzt Prof. Dr. Ste. habe die Einschätzung der Verwaltungsgutachter bestätigt; sie entspreche außerdem dem von ihm im Gutachten vom 12.6.2002 (Verfahren S 8 RJ 1096/01) prognostizierten Verlauf. Die abweichende Auffassung des Allgemeinarztes H. sei dadurch widerlegt. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) könne die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bereit verweisbare Klägerin ebenfalls nicht beanspruchen.

Auf den ihr am 19.8.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 7.9.2005 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das Gutachten des Dr. G. sei nicht verwertbar, zumal es sich um ein Parteigutachten handele. Das Sozialgericht habe sich auch nicht über die Einschätzung des Allgemeinarztes H. hinwegsetzen dürfen, zumal es dessen Qualifikation auf dem Gebiet der Psychiatrie nicht kenne. Es wären weitere Ermittlungen notwendig gewesen.

Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin am 8.12.2005 erneut einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung gestellt, den die Beklagte mit Bescheid vom 28.3.2006 abgelehnt hat.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12.8.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.4.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.10.2004 bzw. des Bescheids vom 28.3.2006 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.12.2003 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. (Kliniken S., K.) vom 5.2.2007 (Senatsakte S. 57) erhoben.

Der Gutachter hat ausgeführt, die Klägerin habe angegeben, sie habe genug von Untersuchungen und ja gar keine Rente gewollt. Sie sei vom Amtsarzt geschickt worden. Man behandele sie so, als ob sie nichts mehr tun wolle und völlig gesund sei. Ihr gehe es gesundheitlich, seelisch, moralisch und privat, auch finanziell jedoch katastrophal. Sie sei ständig müde, könne aber zugleich nicht schlafen; ihr Magen rebelliere und sie habe häufig Kopfschmerzen. Hinzukämen Wechseljahrbeschwerden. Sie könne maximal eine Stunde gehen. Wenn sie lange sitze oder stehe, was sie nicht mehr schaffe, bekomme sie Schmerzen im Rücken und in der Wirbelsäule. Gegen diese Beschwerden unternehme sie letztendlich nichts. Krankengymnastik und Massagen würden zwar helfen, aber nur für kurze Dauer. Schließlich sei sie depressiv, sie habe keine Lust mehr und vertraue niemandem mehr; sie wolle einfach ihre Ruhe. Finanziell und mit ihrem Privatleben komme sie nicht mehr klar. Eigentlich sei sie schon am Fünften des Monats wieder pleite. Sie habe eine Psychotherapie gemacht bei Prof. Dr. Ste. in R. (ab Herbst 2004 etwa 15 bis 16 Gespräche durchschnittlich im Abstand von vier Wochen, keine Medikamente), diese aber letztes Jahr wieder abgebrochen; es habe ihr nichts gebracht. 1974/75 habe sie einen Suizidversuch unternommen, den ihre Mutter als Sturz vom Dach vertuscht habe. Zum Tagesablauf habe die Klägerin mitgeteilt, sie stehe zwischen 8:30 Uhr und 9:00 Uhr auf, sei aber schon wieder müde und schlecht aufgelegt; sie fürchte sich vor dem Tag und den Belastungen, die er bringe. Beim Frühstück mache Sie eventuell ein Kreuzworträtsel; die Zeitung lese sie nicht. Danach schaue sie, was es zu tun gebe. Die (gemietete) Wohnung befinde sich auf einem Bauernhof und sei daher immer schmutzig. Sodann müsse das Mittagessen gerichtet werden; sie koche für sich und ihren Sohn. Wenn sie den Abwasch fertig habe, sei sie erschöpft. Sie müsse sich dann hinlegen. Zwischen 15:00 Uhr und 16:00 Uhr überlege sie, ob es etwas einzukaufen gebe. Für den Rest des Tages beschäftige sie sich etwa mit Bügelwäsche; es gebe immer noch etwas, was nicht erledigt sein. Zwischen 17:00 Uhr und 18:00 Uhr komme der Sohn von der Arbeit und gehe nach dem gemeinsamen Abendessen zu seiner Freundin. Sie sehe dann fern und gehe etwa gegen 22:30 Uhr zu Bett. Der Schlaf sei unterschiedlich, derzeit schlafe sie wieder ganz schlecht. Freunde oder Freundinnen habe sie nicht mehr.

Nach Auffassung des Gutachters liege bei der Klägerin auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine anhaltende depressiv-dysphorische Störung vor, wie sie von Prof. Dr. Ste. zuletzt als Dysthymie bewertet worden sei. Auch wenn solche Störungen fluktuierten und im Querschnitt sogar als leicht imponieren könnten, zögen sie u.U. beträchtliches subjektives Leiden und Beeinträchtigungen nach sich. Es handele sich um eine zumindest als mittel- bis schwergradig zu bewertende psychische Gesundheitsstörung, die auf Ebene der funktionellen Beeinträchtigung umso schwerer wiege, als sie mit einem deutlichen Rückzugsverhalten und einer weitgehenden psychosozialen Desintegration verbunden sei. Daneben liege eine Somatisierungsstörung mit multiplen psychosomatischen Symptomen vor, vorrangig auf der Ebene des unteren und des oberen Verdauungstrakts. Eine effiziente Behandlung der komplexen psychischen bzw. psychosomatischen Störung habe bislang nicht stattgefunden. Das gelte einmal im Hinblick auf die Depressivität und die anderen Symptome, insbesondere aber auch dann, wenn man das aktuelle Krankheitsgeschehen nicht isoliert betrachte, sondern in den Zusammenhang mit der gestörten Entwicklung der Persönlichkeit und biografisch frühen psychischen Störungen stelle. Eine Behandlung solcher komplexer Störungen sei schwierig, im Grundsatz aber erfolgversprechend möglich. Hier sei auch über die sozialmedizinischen Aspekte hinaus ein intensivierter Behandlungsversuch allein aus medizinischer Sicht schon mit Blick auf die schwer beeinträchtigte Lebensqualität dringend indiziert, wobei initial eine stationäre Behandlung von wenigstens acht Wochen vorzusehen wäre.

Unter sozialmedizinischen Blickwinkeln stünden die Störungen auf neurologisch-psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet im Vordergrund. Hervorzuheben seien im Einzelnen ein verringerter Antrieb, die verminderte Ausdauer, die verringerte emotionale Belastbarkeit, die vorzeitige Erschöpfbarkeit vor allem unter emotionaler Belastung, die reduzierte geistige Flexibilität und die beeinträchtigte kognitive Leistungsfähigkeit. Aggravation oder Simulation seien auszuschließen, wenngleich sich eine Tendenz gezeigt habe, die Beschwerden dramatisierend darzustellen. Dies sei selbst wieder Ausdruck der psychischen Störung. Grundsätzlich handele es sich um einen behandelbaren und behandlungsbedürftigen Krankheitszustand, wobei allerdings die Prognose inzwischen insgesamt als fraglich zu bewerten sei. Insgesamt werde die quantitative Leistungsfähigkeit auf drei bis unter sechs Stunden täglich eingeschätzt. Eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit ließe sich erzielen bei einer spezifisch auf die psychische Störung bezogenen Anleitung und Führung, wie sie freilich in der heutigen Arbeitswelt praktisch nicht realisierbar erscheine. Optimal wäre eine schrittweise Hinführung der Klägerin zur Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit unter Einbeziehung therapeutischer Gesichtspunkte. Die festgestellten Leistungseinschränkungen hätten sich frühestens seit Februar 2004 entwickelt. Hilfsweise könne auf die definitive Ablehnung des Weitergewährungsantrags (spätestens August 2005) abgestellt werden, da dies die Klägerin in ihrem krankhaften Welt- und Selbstverständnis weiter bestärkt und nahe liegende existenzielle Ängste weiter geschürt haben dürfte. Bislang habe eine auch nur annähernd hinreichende Behandlung jedoch nicht stattgefunden. Eine intensivierte Behandlung wäre dringend indiziert. Selbst bei günstigem Behandlungsverlauf werde von einer Behandlungsdauer von sechs bis zwölf Monaten ausgegangen, bis es zu greifbaren Ergebnissen komme. Die von den Vorgutachtern abweichende Beurteilung sei Folge der verlaufsabhängig veränderten ungünstigeren klinischen Einschätzung, die sich zudem auch auf eine vollständigere Erfassung weiterer begleitender psychischer bzw. psychosomatischer Störungen stütze.

Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Sozialmediziners F. vom 6.3.2007 vorgelegt. Darin ist (u. a.) ausgeführt, der von der Klägerin berichtete Tagesablauf lasse die tatsächliche Beeinträchtigung im Berufsleben nicht zwanglos nachvollziehen. Das Kümmern und den Sohn, die Bewältigung des Haushaltes ließen Bedenken gegenüber einem Verlust von Interesse aufkommen. Auch die Erledigung von Einkäufen spreche gegen einen totalen sozialen Rückzug. Daher sei die Annahme gravierender depressiver Beschwerden nicht nachvollziehbar. Gleiches gelte für den vom Gutachter angedeuteten Kampf um weitere Berentung. Außerdem habe der Gutachter der diagnostischen Bewertung des Prof. Dr. Ste., der das Leiden der Klägerin als Dysthymie eingestuft habe, zugestimmt; bei dieser Erkrankung handele es sich um eine längergradige depressive Verstimmung, die aber noch nicht so ausgeprägt sei, dass sie bereits den Schweregrad einer auch nur leichtgradig ausgeprägten wiederkehrenden depressiven Beeinträchtigung erfüllen würde. Die Betroffenen seien i. d. R. dazu im Stande, ihre alltäglichen Belange zu bewältigen. Aus der ausführlichen Anamnese des Gutachters sei eine wesentliche Beeinträchtigung des Antriebs nicht nachzuvollziehen.

Der Gutachter habe außerdem die seelischen Beschwerdebilder als einer gezielten konsequenten Behandlung zugänglich bezeichnet. Gleichwohl habe die Klägerin eine bei Prof. Dr. Ste. begonnene Behandlung wieder abgebrochen. Aus der fehlenden Inanspruchnahme zur Verfügung stehender Behandlungsmöglichkeiten lasse sich folgern, dass doch kein entsprechend gravierender Leidensdruck bestehe und damit auch keine entsprechend gravierenden Beeinträchtigungen im alltäglichen Lebensbereich. Insgesamt könne der Leistungseinschätzung des Dr. Schmidt daher nicht zugestimmt werden; vielmehr bleibe es bei der Auffassung des Dr. G. bzw. des Prof. Dr. Ste. in dessen Befundbericht vom 29.12.2004.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.12.2003 hinaus zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§ 43 SGB VI) das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb ihr danach Rente wegen voller Erwerbsminderung seit 31.12.2003 nicht mehr zusteht. Der Senat nimmt auf die Gründe (unter II) des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren anzumerken:

Auch nach Überzeugung des Senats ist die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen seit dem 31.12.2003 (Ende der Zeitrente) nicht mehr daran gehindert, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig zu verrichten. Die Weitergewährung von Erwerbsminderungsrente ist deshalb ausgeschlossen.

Das für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit maßgebliche Leiden liegt auf nervenärztlichem Fachgebiet. Die Zeitrente wurde der Klägerin auch (nur) deshalb gewährt, weil Prof. Dr. Ste. in seinem Gutachten vom 12.6.2002 festgestellt hatte, dass die Klägerin zur damaligen Zeit unter einer schweren depressiven Episode mit somatischen Symptomen litt und deshalb auch leichte Tätigkeiten nicht vollschichtig verrichten konnte. Der Gutachter hatte zugleich aber den vorübergehenden Charakter der Erkrankung und der darauf beruhenden (quantitativen) Leistungseinschränkungen betont und prognostiziert, dass es bei geeigneter fachärztlicher Behandlung zu einer substanziellen Besserung des Störungsbildes im Verlauf von ca. einem Jahr kommen werde und dass man auch ohne Behandlung mit Besserung und zunehmender Belastbarkeit rechnen könne, weil die Klägerin mit einiger Wahrscheinlichkeit Bewältigungsmechanismen werde mobilisieren können. Die Richtigkeit dieser Einschätzung haben die Gutachten bestätigt, die die Beklagte auf den Weitergewährungsantrag der Klägerin erhoben hat. Diese (Verwaltungs-)Gutachten kann der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten (vgl. etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 8.6.2005, - L 17 U 270/03 - m.w.N.; auch BSG, Beschl. v. 26.5.2000, - B 2 U 90/00 B -)

Dr. Müller stellte im (zusammenfassenden) Gutachten vom 7.4.2004 nur noch eine leicht bis mittelgradig ausgeprägte depressive Störung fest, wobei auch ohne spezifische Behandlung eindeutig eine Besserung und Stabilisierung dokumentiert war. Der im Gutachten berichtete Tagesablauf bestätigt dies; für das Vorliegen einer schweren Depressionserkrankung und ihrer Folgewirkungen ist daraus nichts ersichtlich. Die Klägerin hat eine nervenärztliche Behandlung auch nicht in Anspruch genommen, was ebenfalls gegen einen hinreichend schweren Leidensdruck spricht. Statt dessen fand Dr. M. eine auffällig geringe Anstrengungsbereitschaft der Klägerin vor. Dass Dr. G. im nervenärztlichen Zusatzgutachten vom 27.2.2004 annahm, eine bestehende (ohnehin bloße) Gefährdung der Erwerbsfähigkeit könne durch ein psychosomatisches Heilverfahren abgewendet und der Befund könne weiter stabilisiert und gebessert werden, verdeutlicht zusätzlich das Vorliegen einer zum einen behandelbaren und zum anderen die Leistungsfähigkeit nicht in rentenberechtigendem Maße mindernden Erkrankung.

Prof. Dr. Ste., den die Klägerin – wohl auch im Hinblick auf sein ihr günstiges Gutachten vom 12.6.2002 ungeachtet der nicht unerheblichen Entfernung zu ihrem Wohnort - wenige Male aufgesucht hatte, stimmte der Auffassung des Dr. G. in seinem Bericht vom 29.12.2004 zu. In einem an den Allgemeinarzt H. gerichteten Arztbrief vom 17.11.2004 diagnostizierte er außerdem neben dem Verdacht auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung lediglich eine rentenrechtlich unbeachtliche Dysthymia. Eine durchgängige – gar schwere – Depression liegt danach nicht vor. Die Klägerin unterzieht sich demzufolge auch (nach wie vor) einer entsprechenden fachärztlichen Behandlung, etwa bei einem wohnortnahen Therapeuten, nicht, obgleich Prof. Dr. Ste. ihr dazu geraten hatte. Der nicht weiter begründeten Einschätzung des Allgemeinarzts H. in dessen Bericht vom 11.4.2005 kommt demgegenüber keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Als Facharzt für Allgemeinmedizin verfügt er, anders als die Neurologen und Psychiater Dr. G. und Prof. Dr. Ste. über eine geringere Fachkompetenz zur Beurteilung von Erkrankungen bzw. Leistungseinschränkungen des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets.

Das im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erhobene Gutachten des Dr. S. vom 5.2.2007 kann dem Rentenbegehren ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Auch Dr. S. hat – der Einschätzung des Prof. Dr. Ste. im Kern zustimmend – lediglich eine depressiv-dysphorische Störung diagnostiziert. Deren Einstufung als mittel- bis schwergradig kann schon angesichts des berichteten Tagesablaufs der Klägerin, der sich von den im Gutachten des Dr. M. wiedergegebenen Schilderungen nicht grundlegend unterscheidet, nicht überzeugen. Darauf hat der Sozialmediziner Fischer in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 6.3.2007 mit Recht hingewiesen; ein hinreichend schwerwiegender Interesseverlust bzw. ein entsprechender sozialer Rückzug ist aus dem Tagesablauf nicht abzulesen. Gleiches gilt für die von Dr. S. postulierte Antriebsminderung. Diese hindert die Klägerin offenbar nicht daran, den Tag über ihren Haushalt im Wesentlichen zu besorgen und sich um ihren Sohn zu kümmern, etwa für diesen regelmäßig zu kochen. Weshalb sie dann aber aus psychischen Gründen zur vollschichtigen Bewältigung leichter Arbeiten, etwa wegen nicht ausreichenden Antriebs, außer Stande sein sollte, ist nicht ersichtlich. Davon abgesehen könnte eine entsprechend schwerwiegende und zu hinreichend gravierenden Leistungseinschränkungen führende Depressionserkrankung (sofern sie vorliegt) mit Aussicht auf Erfolg behandelt werden; sie führt nicht unbesehen zur Erwerbsminderungsrente. Einer auch nur annähernd hinreichenden Therapie hat sich die Klägerin aber auch nach Auffassung des Dr. S. bislang nicht unterzogen. Solange dies nicht geschehen ist, kann (auch aus diesem Grund) weder angenommen werden, dass eine entsprechend schwere Erkrankung überhaupt vorliegt, noch ist Raum für Spekulationen über etwaige Erfolgsaussichten einer Behandlung. Mit dem Beratungsarzt F. in dessen Stellungnahme vom 6.3.2007 ist der Senat deshalb insgesamt der Auffassung, dass es bei der Leistungseinschätzung des Dr. G. bzw. des Prof. Dr. Ste. (im Befundbericht vom 29.12.2004) bleiben muss. Zusätzlich untermauert wird dies durch die ebenfalls nicht überzeugende zeitliche Einordnung der von Dr. S. postulierten Leistungseinschränkungen; sie sollen in der Hauptsache im Februar 2004 begonnen haben. Allerdings konnte Prof. Dr. Ste. als behandelnder Neurologe und Psychiater im Herbst 2004 solche Leistungseinschränkungen nicht finden.

Auf internistischem oder orthopädischem Fachgebiet liegen rentenberechtigende Leistungsminderungen nicht vor. Das haben die bisherigen Begutachtungen, zuletzt die Begutachtung durch Dres. M. und Schu., klar ergeben. Die Klägerin hat hiergegen auch nichts mehr eingewandt.

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen, insbesondere weitere Begutachtungen nicht auf.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG)
Rechtskraft
Aus
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