Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 5 V 65/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VG 5/05 -26
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. November 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer dissoziativen Identitätsstörung als Folge eines geltend gemachten sexuellen Missbrauchs und die Gewährung einer Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die 1957 geborene Klägerin stammt aus dem Beitrittsgebiet. Sie bezieht seit März 1992 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung von der Rentenversicherung Bund. Bei dem Beklagten beantragte sie am 15. April 1997 Leistungen nach dem OEG wegen einer multiplen Persönlichkeitsstörung, Angststörungen und Schwierigkeiten im sozialen Umgang. Als Tatzeit gab sie cirka 1957 bis 1975 an, den Tathergang könne sie wegen der Gefahr einer Retraumatisierung nicht schildern. Täter seien ihr Vater und ihr Großvater väterlicherseits und vermutlich noch weitere Personen aus dem sozialen Umfeld. Stationäre Behandlungen wegen der Folgen der Gewalttat seien im März 1981 in der Lklinik B sowie im Mai bis Juni 1981, Juli bis September 1981, März bis April 1988 und Mai bis Juni 1991 im Dkrankenhaus H erfolgt. Derzeit befinde sie sich in stationärer Behandlung in der Lklinik L.
Der Beklagte zog den Entlassungsbericht der Lklinik B vom 12. März 1981 und der Lklinik L vom 3. Juni 1997 bei. Das Dkrankenhaus H teilte mit, dass Krankenakten prinzipiell nicht übersandt würden. Die Krankengeschichte ergebe Hinweise auf schwere frühe Defizite in der Mutter-Kind-Beziehung (Traumatisierung durch Trennung und Verlassenwerden mit Mangel an Liebe, Schutz und Geborgenheit) und Hinweise (über Träume und Körpererinnerungen) an möglichen sexuellen Missbrauch durch den Vater in der frühen Kindheit (etwa 4. Lebensjahr und im 14. Lebensjahr). Das Vater-Thema werde von der Klägerin sehr ambivalent erlebt; einerseits sei er mehr als die Mutter das "begehrte Objekt" gewesen, andererseits habe er vermutlich ihre Geborgenheits- und Beziehungswünsche ausgenutzt und sexuell missbraucht. Auf Rückfrage des Beklagten erfolgte eine weitere, an die Versorgungsärztin gerichtete, als vertraulich zu behandelnde Stellungnahme des Chefarztes des Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik Dr. M (Bl. 94 der Verwaltungsakten).
Durch Bescheid vom 24. September 1999 lehnte der Beklagte den Antrag auf Versorgung ab. Zwingende Voraussetzung für eine Versorgung sei der Nachweis der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG. Die festgestellte neurotische Entwicklung sei nicht nachweisbar auf einen angegebenen Missbrauch zurückzuführen. Durch den langjährigen Chefarzt des Dkrankenhauses H sei die gesamte Krankengeschichte durchgesehen worden. Ein sexueller Missbrauch sei aus den Unterlagen nicht zu belegen. Auch bei einem möglichen Verdacht sei eine schwerwiegende Traumatisierung nach eventuell erfolgtem sexuellem Missbrauch nicht erkennbar.
Mit ihrem Widerspruch gegen diesen Bescheid machte die Klägerin geltend, erst nachdem sie ihren geschiedenen Mann 1986 wegen sexuellen Missbrauchs an ihren Kindern angezeigt habe, seien auch bei ihr erste Erinnerungsblitze aufgetaucht. Sie sei der gesamten Belastung nicht gewachsen gewesen und habe erneut vieles verdrängt, um überleben zu können. Sie reichte eine Epikrise des Dkrankenhauses H vom 8. Juli 1991 ein. Der Beklagte zog einen im Schwerbehinderten-Verfahren der Klägerin eingeholten Befundbericht der Psychotherapeutin S ein, dem ein Bericht zum Antrag auf Fortführung der Psychotherapie beigefügt war. In einer Stellungnahme vom 12. Dezember 2000 verwies die Versorgungsärztin R darauf, dass nicht nachgewiesen sei, dass das schädigende Ereignis durch den Missbrauch der Kinder der Klägerin, der nicht bewiesen sei, reaktiviert worden sei. Werde das schädigende Ereignis anerkannt, sei eine Begutachtung erforderlich, weil die bestehenden Symptome auch auf frühe, schwere Defizite in der Mutter-Kind-Beziehung zurückzuführen seien.
Durch Widerspruchsbescheid vom 20. März 2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 10 a OEG könnten Personen, die vor dem Inkrafttreten des OEG (im Beitrittsgebiet am 1.Januar 1991) eine gesundheitliche Schädigung durch einen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff erlitten hätten, nur dann eine Versorgung erhalten, wenn sie allein infolge der Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig seien und im Geltungsbereich des Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hätten. In den vorliegenden Unterlagen befinde sich bis in die 90er Jahre kein Hinweis auf den geschilderten Missbrauch. Dieser sei nicht nachgewiesen. Da der Grundsatz der objektiven Beweislast gelte, könnten Leistungen nicht erbracht werden.
Mit ihrer vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass der Beweis für einen rechtswidrigen Angriff in Fällen von Kindesmissbrauch äußerst schwer zu führen sei, weil Kinder nicht in der Lage seien, den Missbrauch in der erforderlichen Form darzustellen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn sich der Missbrauch in Form des Krankheitsbildes einer multiplen Persönlichkeitsstörung niedergeschlagen habe. Dann sei ein Nachweis nur durch fachärztliche Stellungnahmen unter Einbeziehung früherer Krankenberichte zu führen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Psychotherapeuten und Psychiaterinnen, diverse Entlassungsberichte, einen Behandlungsbericht der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie G vom 22. Mai 2000, ein psychiatrisches Gutachten von Dr. T vom 5. Dezember 1996, einen Arztbrief der Nervenärztin Dr. M vom 26. August 1996 sowie im Rahmen des Rentenverfahrens von der Klägerin eingereichte Unterlagen, Anträge sowie die Gutachten von Dr. K vom 1. Juni 1995 und Dr. S vom 5. Oktober 1999 zur Akte genommen. Des weiteren hat es das Scheidungsurteil vom 2. August 1985 und Stellungnahmen des Ehemannes der Klägerin, die dieser im Rahmen des Scheidungsverfahrens abgegeben hat, beigezogen und Kopien aus dem 1986 gegen den Ehemann der Klägerin geführten Ermittlungsverfahrens wegen Kindesmissbrauchs, das eingestellt wurde, zur Akte genommen.
Anschließend hat es die Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im VKlinikum N, Dr. S, mit der Erstattung eines Gutachtens zu der Frage beauftragt, inwieweit sich die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf einen sexuellen Missbrauch der Klägerin während der Kindheit zurückführen ließen. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 2. März 2003 dargelegt, die Klägerin sei das erste Kind ihrer noch sehr jungen Mutter. Bereits ein Jahr später sei ein Bruder geboren worden. Auch unter sonst günstigen Bedingungen sei ein so geringer Altersunterschied für die Entwicklung des älteren Kindes prinzipiell als Risikofaktor zu bewerten. Im Fall der Klägerin seien die sozialen familiären Bedingungen alles andere als günstig gewesen. In die Obhut der Großeltern gegeben, habe sich die Klägerin wenig geborgen und ungeliebt gefühlt. Das Fehlen einer beschützenden mütterlichen Bezugsperson habe die schädlichen Auswirkungen einer durch hohen Alkoholkonsum gekennzeichnete Umgebung mit der Gefahr eines inadäquaten Umgangs von Erwachsenen mit einem Kind akzentuiert. Aus den Angaben der Mutter gegenüber der heute erwachsenen Klägerin sei auf damalige Verhaltensauffälligkeiten zu schließen, die Hinweise auf mögliche Folgen im Erleben und Verhalten des damaligen Kindes lieferten. Eindeutige Belege für einen sexuellen Missbrauch gebe es nicht, wohl aber indirekte Beweise. Die Auswertung des strukturierten klinischen Interviews für dissoziative Störungen habe in allen Symptomebenen (Amnesie, Depersonalisierung, Derealisation, Identitätskonfusion, Identitätsänderung) einen schweren Ausprägungsgrad ergeben. Der bereits vorhandene diagnostische Gesamteindruck einer dissoziativen Störung sei dem Typ der dissoziativen Identitätsstörung zuzuordnen. Darüber hinaus sei eine Borderline-Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren, die mit chronischer Suizidalität, selbstverletzendem Verhalten, einer emotionalen Instabilität und einer Essstörung einhergehe. Zusätzlich liege eine somatoforme Schmerzstörung vor. Zu den Zweifeln an der tatsächlichen Missbrauchsanamnese sei darauf hinzuweisen, dass aus dem erst späten Auftauchen erinnerungsähnlicher bildlicher Vorstellungen von vielfältigen Misbrauchsszenen keinesfalls zu schließen sei, dass diese von der Klägerin erfunden worden seien. Abgesehen davon, dass das genaue Studium der vorangegangenen Symptomatik sehr deutlich auf stattgehabte Traumatisierungen hinweise, sei zu berücksichtigen, dass die peritraumatische Informationsverarbeitung erheblich beeinträchtigt sei. Auch die später auftauchenden "Flash-back-Inhalte" seien nicht als fotografisch gespeicherte Detail-Erinnerung zu verstehen, sondern als Verbildlichung subjektiver Befürchtungen, in denen die schlimmsten Ängste einer Person wieder erwachen. Daraus sei jedoch keine Skepsis gegenüber erfahrenen Traumata abzuleiten. Schließlich könne die Erfahrung extremen Kontrollverlustes und die durch amnestische Lücken bedingte Unsicherheit ein Nachdenken fördern, in das sich zunehmend Befürchtungen mischten, was noch alles an "schrecklichen Dingen" hätte passieren können. All diese Erkenntnisse machten deutlich, dass "es nicht um ein detektivisches Zuordnen von Details gehen könne, sondern um kontextuelles Verstehen vor dem Hintergrund mittlerweile gesicherter wissenschaftlicher Daten". Angesichts der Ergebnisse zahlreicher Studien zum Zusammenhang zwischen frühkindlicher Traumatisierung und der Entwicklung einer dissoziativen Identitätsstörung und der ohne jeden Zweifel bei der Klägerin bestehenden derartigen Störung sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Gesundheitsstörungen auf einen sexuellen Missbrauch der Klägerin während ihrer Kindheit zurückzuführen seien. Die MdE sei mit 100 v.H. zu bewerten, wobei die Folgen der dissoziativen Identitätsstörung als schwere Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einer MdE von 80 zu bewerten sei.
Der Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch vom Ärztlichen Dienst des Versorgungsamtes Würzburg vom 2. Juli 2003 eingeholt, die darauf verwiesen hat, grundsätzlich sei es nicht möglich, aus der Art der psychopathologischen Auffälligkeiten auf deren Ursache zu schließen. Trotz zahlreicher Berichte über ambulante und stationäre psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen sei die diagnostische Bewertung nicht eindeutig und nicht schlüssig. Das Gutachten nenne vier ICD-Diagnosen, die sich teilweise widersprächen. Unter der Voraussetzung, dass traumatisierte Misshandlungserlebnisse objektiviert werden könnten, könne nur eine MdE von 50 v.H. empfohlen werden. Vorhandene Ressourcen würden durch das kompetente Durchsetzungsvermögen in Rentenangelegenheiten und der Frage weiterer Psychotherapien, in Scheidungs- und Versorgungsangelegenheiten deutlich.
Die von Dr. Sch befürwortete Befragung der Mutter der Klägerin und Beiziehung von Zeugnissen etc. hat Dr. S in einer Stellungnahme vom 20. August 2003 nicht für weiterführend angesehen und zu den übrigen Kritikpunkten zu ihrem Gutachten angegeben, es sei nicht ihre Aufgabe gewesen, einen Vollbeweis für den sexuellen Missbrauch zu liefern, sondern eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit zwischen einem derartigen Missbrauch und den vorliegenden Gesundheitsstörungen. Gerade repetitive Traumatisierungen im Kindesalter seien nur einer unzureichenden Tatsachenaufklärung zugänglich, dennoch bestehe an posttraumatischen Störungsbildern kein vernünftiger Zweifel.
In einer weiteren Stellungnahme vom 5. Januar 2004 hat Dr. Sch darauf verwiesen, dass eine aussagepsychologische Begutachtung nachzuholen sei. Ergebe sich dabei die ausreichend wahrscheinliche Annahme früherer Traumatisierungen, müssten Schadensfolgen nach Entstehung und Verschlechterung differenziert werden.
Das Sozialgericht hat die Mutter der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2004 als Zeugin gehört. Die Zeugin hat angegeben, als die Klägerin 4 ½ Jahre alt gewesen sei, hätten sie eine eigene Wohnung bekommen. Schon damals habe sie das Gefühl gehabt, dass die Tochter ihr sehr fremd sei. Sie sei nicht an sie "rangekommen". Sie könne sich nur noch an den Jähzorn ihres Mannes gegenüber der Klägerin erinnern, nicht aber an einzelne Situationen. Erst 2002 habe ihre Tochter versucht, mit ihr über den sexuellen Missbrauch zu sprechen. Sie könne dazu nur sagen, dass sie nie etwas bemerkt habe und sich deshalb Vorwürfe mache. Sie könne sich nur an eine Situation kurz nach der Geburt des Sohnes erinnern. Da sei sie in das Zimmer reingekommen. Ihr Mann und ihre Tochter hätten in einem Bett gelegen. Sie habe das Gefühl gehabt, dass sie etwas eigenartig guckten, etwas verlegen. Sie habe die Situation nicht einordnen können, habe aber die Klägerin sofort aus dem Bett geholt, um sie zu schützen. Sie schließe einen Missbrauch nicht aus. Das zeige ihr die Erfahrung mit ihrer Enkeltochter.
In der Folgezeit hat die Klägerin ihre Schulzeugnisse, verschiedene Zeichnungen sowie tagebuchartige Aufzeichnungen und Gedichte zur Akte gereicht.
Durch Urteil vom 8. November 2004 hat das Sozialgericht die Klage ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Der vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff, in deren Folge die diagnostizierte multiple Persönlichkeitsstörung eingetreten sein solle, sei nicht ausreichend nachgewiesen. Die Schädigung sei im Wege des Vollbeweises nachzuweisen. Weder habe die Mutter Angaben zu einem sexuellen Missbrauch machen können, noch sei ein solcher den beigezogenen medizinischen Unterlagen zu entnehmen. Nach der Auskunft von Dr. M sei bei der damaligen therapeutischen Arbeit ein eventueller sexueller Missbrauch nicht als schwerwiegende Traumatisierung erkennbar gewesen, sondern eine frühe Traumatisierung in der Mutter-Kind-Beziehung gravierender erschienen als die später konfliktreiche Vater-Tochter-Beziehung. Auch durch das Gutachten von Dr. S werde nicht zur vollen Überzeugung der Nachweis geführt, dass die Klägerin Opfer eines Missbrauchs geworden sei. Zwar habe die Sachverständige nachgewiesen, dass die Klägerin an einer dissoziativen Identitätsstörung leide, dadurch werde der Nachweis des Missbrauchs jedoch nicht erbracht, weil die Sachverständige aus der Diagnose auf die Ursachen geschlossen habe. Die Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), die auch im OEG Anwendung finde, erfordere, dass der Kläger Angaben aus eigenem Wissen machen könne. Dies sei nicht der Fall.
Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin, dass sie sehr wohl Angaben aus eigenem Wissen sowohl schriftlich als auch gegenüber der Gutachterin als auch im Verhandlungstermin gemacht habe. Das Sozialgericht habe auch nicht gewürdigt, dass ihre Mutter angegeben habe, es habe Situationen gegeben, die sie im Hinblick auf einen eventuellen sexuellen Missbrauch hätte hinterfragen müssen. Aufgrund der Besonderheit der Erkrankung, die eine Verdrängung der Ereignisse erforderlich mache, seien Beweiserleichterungen einzuräumen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. November 2004 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. September 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Anerkennung sexuellen Missbrauches Versorgung nach dem OEG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Rentenversicherung Bund beigezogen und von dem Beklagten eine Bedürftigkeitsprüfung durchführen lassen. Danach steht der Klägerin bei einer fiktiv angenommenen MdE von 60 v.H. eine Leistung nach § 10 a OEG zu.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des sozialgerichtlichen Verfahrens, der Rentenakten der Rentenversicherung Bund (3 Bände) und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht Berlin ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG hat, weil ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff gegen ihre Person nicht nachgewiesen ist.
Gemäß § 1 Abs.1 S. 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes ...infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine ...Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der vorsätzliche rechtswidrige Angriff als anspruchsbegründende Tatsache im Sinne des § 1 OEG muss zur Überzeugung des Gerichts erwiesen sein, d. h. es muss von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder von einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt. Fehlt es daran, geht dies zu Lasten des Antragstellers.
Der Senat konnte das Vorliegen eines solchen Missbrauchs nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen. Zeugen der geltend gemachten Misshandlungen gibt es nicht. Die Mutter der Klägerin hat angegeben, nie etwas bemerkt zu haben. Als einzige konkrete Situation hat sie angegeben, kurz nach der Geburt ihres Sohnes ihren Mann und ihre Tochter im Bett liegend angetroffen zu haben. Sie habe das Gefühl gehabt, dass beide etwas eigenartig geguckt hätten, etwas verlegen. Dies reicht für den Rückschluss auf einen sexuellen Missbrauch nicht aus. Denn die Tatsache, dass ein Kind zu den Eltern bzw. zu einem Elternteil ins Bett kommt, ist nichts Ungewöhnliches. Soweit die Zeugin angegeben hat, beide hätten verlegen geguckt, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Aus dem Gesamtzusammenhang der Zeugenaussage ist nämlich zu schließen, dass die Situation sich ereignet hat, als die Klägerin 1 ¼ Jahre alt war. Insoweit ist ein verlegener Gesichtsausdruck eines Kleinkindes nicht nachvollziehbar. Soweit die Zeugin angegeben hat, sie habe ihre Tochter aus dem Bett entfernt, "um sie zu schützen", folgt daraus nichts anderes. Diese Aussage steht im Widerspruch zu der vorherigen Angabe, "nie etwas bemerkt zu haben". Dann bestand jedoch auch keine Veranlassung, die Tochter zu schützen. Auch war die Zeugenaussage in dem Gesamtzusammenhang zu sehen, dass nach den Angaben des behandelnden Chefarztes des Dkrankenhauses H Gegenstand der ersten psychiatrischen Behandlungen die therapeutische Aufarbeitung eines schweren frühkindlichen Mangels an mütterlicher Zuwendung gewesen sei.
Einen Nachweis des Missbrauchs ist auch nicht durch das Sachverständigen-Gutachten von Dr. S erbracht worden. Denn die Sachverständige hat in ihrer Stellungnahme vom 20. August 2003 darauf verwiesen, dass es nicht ihre Aufgabe gewesen sei, den Vollbeweis eines sexuellen Missbrauchs zu führen, sondern zu der Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen der Erkrankung der Klägerin und dem geltend gemachten Missbrauch Stellung zu nehmen.
Durch die Erkrankung als solche kann das schädigende Ereignis im Einzelfall nicht nachgewiesen werden. Zwar hat Dr. S darauf verwiesen, dass ein Mensch nur dann eine dissoziative Identitätsstörung ausbilden könne, wenn der Beginn in der frühen Kindheit liegt. Auch verkennt der Senat nicht, dass in der familiären Vorgeschichte von Patientinnen mit dieser Erkrankung zu über 90 % Angaben über schwere frühkindliche Traumatisierungen in Form von sexueller, körperlicher und emotionaler Misshandlung enthalten sind. Da die Gutachterin jedoch zugleich Umstände einer emotionalen Misshandlung aufzeigt, die auch in den psychiatrischen Behandlungen ab 1981 aufgearbeitet worden ist, ist es denkbar, dass diese schädigende Einwirkung das Erkrankungsbild ausgelöst hat. Ein Beweis des ersten Anscheines kann deshalb insbesondere wegen abweichender konkreter Anhaltspunkte nicht geführt werden.
Ein Missbrauch kann auch nicht unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 15 Abs. 1 KOV-Verfahrensgesetz (KOVVfG) als glaubhaft gemacht angesehen werden. Danach können der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde gelegt werden, wenn Unterlagen nicht vorhanden sind oder ohne Verschulden des Antragstellers verloren gegangen sind. Diese Bestimmung ist zwar grundsätzlich auch im Verfahren über Ansprüche nach dem OEG anwendbar. Sie erfordert jedoch, wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 3; BSGE Band 83, 279, 282 mwN), dass der Antragsteller Angaben aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machen kann. Dies begründet das BSG damit, dass Tatsachen, die lediglich glaubhaft oder überwiegend wahrscheinlich sind, der Entscheidung grundsätzlich nur dann zugrunde gelegt werden dürfen, wenn zugleich der Antragsteller die strafrechtliche Verantwortung dafür übernimmt, dass seine Angaben - zumindest subjektiv - den Tatsachen entsprechen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Denn die von der Klägerin in diversen schriftlichen Stellungnahmen und Zeichnungen vorgetragenen Ereignisse sind nach den überzeugenden Ausführungen der Gutachterin durch die peritraumatische Informationsverarbeitung erheblich beeinträchtigt. Auch die später auftauchenden "Flash-back-Inhalte" seien nicht als fotografisch gespeicherte Detail-Erinnerung zu verstehen, sondern als Verbildlichung subjektiver Befürchtungen, in denen die schlimmsten Ängste einer Person wieder erwachen. Es könne nicht um ein detektivisches Zuordnen von Details gehen, sondern um kontextuelles Verstehen vor dem Hintergrund mittlerweile gesicherter wissenschaftlicher Daten. Da jedoch die Anwendung des § 15 KOVVfG die Angabe von Tatsachen voraussetzt, können die aus Träumen und Körpererinnerungen hergeleiteten Verdachtsmomente nicht zur Glaubhaftmachung schädigender Ereignisse verwendet werden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt nach der Rechtsprechung des BSG auch keine Beweiserleichterung für den Fall, dass der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung nicht in der Lage ist. Zwar hat die Klägerin auf eine Entscheidung hingewiesen, in der § 15 KOVVfG entsprechend angewendet worden ist. Diese Beweiserleichterung soll aber, wie das BSG in der bereits zitierten Entscheidung SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 ergänzend ausgeführt hat, nur für den Fall gelten, dass das Vorliegen einer Straftat als Ursache außer Zweifel steht und die Beweislage zusätzlich durch rechtsstaatswidrige Durchführung der Ermittlungen beeinträchtigt worden war. Diese besonderen Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Nach alledem hatte die Berufung keinen Erfolg.
Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Berufung keinen Erfolg hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer dissoziativen Identitätsstörung als Folge eines geltend gemachten sexuellen Missbrauchs und die Gewährung einer Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die 1957 geborene Klägerin stammt aus dem Beitrittsgebiet. Sie bezieht seit März 1992 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung von der Rentenversicherung Bund. Bei dem Beklagten beantragte sie am 15. April 1997 Leistungen nach dem OEG wegen einer multiplen Persönlichkeitsstörung, Angststörungen und Schwierigkeiten im sozialen Umgang. Als Tatzeit gab sie cirka 1957 bis 1975 an, den Tathergang könne sie wegen der Gefahr einer Retraumatisierung nicht schildern. Täter seien ihr Vater und ihr Großvater väterlicherseits und vermutlich noch weitere Personen aus dem sozialen Umfeld. Stationäre Behandlungen wegen der Folgen der Gewalttat seien im März 1981 in der Lklinik B sowie im Mai bis Juni 1981, Juli bis September 1981, März bis April 1988 und Mai bis Juni 1991 im Dkrankenhaus H erfolgt. Derzeit befinde sie sich in stationärer Behandlung in der Lklinik L.
Der Beklagte zog den Entlassungsbericht der Lklinik B vom 12. März 1981 und der Lklinik L vom 3. Juni 1997 bei. Das Dkrankenhaus H teilte mit, dass Krankenakten prinzipiell nicht übersandt würden. Die Krankengeschichte ergebe Hinweise auf schwere frühe Defizite in der Mutter-Kind-Beziehung (Traumatisierung durch Trennung und Verlassenwerden mit Mangel an Liebe, Schutz und Geborgenheit) und Hinweise (über Träume und Körpererinnerungen) an möglichen sexuellen Missbrauch durch den Vater in der frühen Kindheit (etwa 4. Lebensjahr und im 14. Lebensjahr). Das Vater-Thema werde von der Klägerin sehr ambivalent erlebt; einerseits sei er mehr als die Mutter das "begehrte Objekt" gewesen, andererseits habe er vermutlich ihre Geborgenheits- und Beziehungswünsche ausgenutzt und sexuell missbraucht. Auf Rückfrage des Beklagten erfolgte eine weitere, an die Versorgungsärztin gerichtete, als vertraulich zu behandelnde Stellungnahme des Chefarztes des Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik Dr. M (Bl. 94 der Verwaltungsakten).
Durch Bescheid vom 24. September 1999 lehnte der Beklagte den Antrag auf Versorgung ab. Zwingende Voraussetzung für eine Versorgung sei der Nachweis der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG. Die festgestellte neurotische Entwicklung sei nicht nachweisbar auf einen angegebenen Missbrauch zurückzuführen. Durch den langjährigen Chefarzt des Dkrankenhauses H sei die gesamte Krankengeschichte durchgesehen worden. Ein sexueller Missbrauch sei aus den Unterlagen nicht zu belegen. Auch bei einem möglichen Verdacht sei eine schwerwiegende Traumatisierung nach eventuell erfolgtem sexuellem Missbrauch nicht erkennbar.
Mit ihrem Widerspruch gegen diesen Bescheid machte die Klägerin geltend, erst nachdem sie ihren geschiedenen Mann 1986 wegen sexuellen Missbrauchs an ihren Kindern angezeigt habe, seien auch bei ihr erste Erinnerungsblitze aufgetaucht. Sie sei der gesamten Belastung nicht gewachsen gewesen und habe erneut vieles verdrängt, um überleben zu können. Sie reichte eine Epikrise des Dkrankenhauses H vom 8. Juli 1991 ein. Der Beklagte zog einen im Schwerbehinderten-Verfahren der Klägerin eingeholten Befundbericht der Psychotherapeutin S ein, dem ein Bericht zum Antrag auf Fortführung der Psychotherapie beigefügt war. In einer Stellungnahme vom 12. Dezember 2000 verwies die Versorgungsärztin R darauf, dass nicht nachgewiesen sei, dass das schädigende Ereignis durch den Missbrauch der Kinder der Klägerin, der nicht bewiesen sei, reaktiviert worden sei. Werde das schädigende Ereignis anerkannt, sei eine Begutachtung erforderlich, weil die bestehenden Symptome auch auf frühe, schwere Defizite in der Mutter-Kind-Beziehung zurückzuführen seien.
Durch Widerspruchsbescheid vom 20. März 2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 10 a OEG könnten Personen, die vor dem Inkrafttreten des OEG (im Beitrittsgebiet am 1.Januar 1991) eine gesundheitliche Schädigung durch einen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff erlitten hätten, nur dann eine Versorgung erhalten, wenn sie allein infolge der Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig seien und im Geltungsbereich des Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hätten. In den vorliegenden Unterlagen befinde sich bis in die 90er Jahre kein Hinweis auf den geschilderten Missbrauch. Dieser sei nicht nachgewiesen. Da der Grundsatz der objektiven Beweislast gelte, könnten Leistungen nicht erbracht werden.
Mit ihrer vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass der Beweis für einen rechtswidrigen Angriff in Fällen von Kindesmissbrauch äußerst schwer zu führen sei, weil Kinder nicht in der Lage seien, den Missbrauch in der erforderlichen Form darzustellen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn sich der Missbrauch in Form des Krankheitsbildes einer multiplen Persönlichkeitsstörung niedergeschlagen habe. Dann sei ein Nachweis nur durch fachärztliche Stellungnahmen unter Einbeziehung früherer Krankenberichte zu führen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Psychotherapeuten und Psychiaterinnen, diverse Entlassungsberichte, einen Behandlungsbericht der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie G vom 22. Mai 2000, ein psychiatrisches Gutachten von Dr. T vom 5. Dezember 1996, einen Arztbrief der Nervenärztin Dr. M vom 26. August 1996 sowie im Rahmen des Rentenverfahrens von der Klägerin eingereichte Unterlagen, Anträge sowie die Gutachten von Dr. K vom 1. Juni 1995 und Dr. S vom 5. Oktober 1999 zur Akte genommen. Des weiteren hat es das Scheidungsurteil vom 2. August 1985 und Stellungnahmen des Ehemannes der Klägerin, die dieser im Rahmen des Scheidungsverfahrens abgegeben hat, beigezogen und Kopien aus dem 1986 gegen den Ehemann der Klägerin geführten Ermittlungsverfahrens wegen Kindesmissbrauchs, das eingestellt wurde, zur Akte genommen.
Anschließend hat es die Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im VKlinikum N, Dr. S, mit der Erstattung eines Gutachtens zu der Frage beauftragt, inwieweit sich die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf einen sexuellen Missbrauch der Klägerin während der Kindheit zurückführen ließen. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 2. März 2003 dargelegt, die Klägerin sei das erste Kind ihrer noch sehr jungen Mutter. Bereits ein Jahr später sei ein Bruder geboren worden. Auch unter sonst günstigen Bedingungen sei ein so geringer Altersunterschied für die Entwicklung des älteren Kindes prinzipiell als Risikofaktor zu bewerten. Im Fall der Klägerin seien die sozialen familiären Bedingungen alles andere als günstig gewesen. In die Obhut der Großeltern gegeben, habe sich die Klägerin wenig geborgen und ungeliebt gefühlt. Das Fehlen einer beschützenden mütterlichen Bezugsperson habe die schädlichen Auswirkungen einer durch hohen Alkoholkonsum gekennzeichnete Umgebung mit der Gefahr eines inadäquaten Umgangs von Erwachsenen mit einem Kind akzentuiert. Aus den Angaben der Mutter gegenüber der heute erwachsenen Klägerin sei auf damalige Verhaltensauffälligkeiten zu schließen, die Hinweise auf mögliche Folgen im Erleben und Verhalten des damaligen Kindes lieferten. Eindeutige Belege für einen sexuellen Missbrauch gebe es nicht, wohl aber indirekte Beweise. Die Auswertung des strukturierten klinischen Interviews für dissoziative Störungen habe in allen Symptomebenen (Amnesie, Depersonalisierung, Derealisation, Identitätskonfusion, Identitätsänderung) einen schweren Ausprägungsgrad ergeben. Der bereits vorhandene diagnostische Gesamteindruck einer dissoziativen Störung sei dem Typ der dissoziativen Identitätsstörung zuzuordnen. Darüber hinaus sei eine Borderline-Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren, die mit chronischer Suizidalität, selbstverletzendem Verhalten, einer emotionalen Instabilität und einer Essstörung einhergehe. Zusätzlich liege eine somatoforme Schmerzstörung vor. Zu den Zweifeln an der tatsächlichen Missbrauchsanamnese sei darauf hinzuweisen, dass aus dem erst späten Auftauchen erinnerungsähnlicher bildlicher Vorstellungen von vielfältigen Misbrauchsszenen keinesfalls zu schließen sei, dass diese von der Klägerin erfunden worden seien. Abgesehen davon, dass das genaue Studium der vorangegangenen Symptomatik sehr deutlich auf stattgehabte Traumatisierungen hinweise, sei zu berücksichtigen, dass die peritraumatische Informationsverarbeitung erheblich beeinträchtigt sei. Auch die später auftauchenden "Flash-back-Inhalte" seien nicht als fotografisch gespeicherte Detail-Erinnerung zu verstehen, sondern als Verbildlichung subjektiver Befürchtungen, in denen die schlimmsten Ängste einer Person wieder erwachen. Daraus sei jedoch keine Skepsis gegenüber erfahrenen Traumata abzuleiten. Schließlich könne die Erfahrung extremen Kontrollverlustes und die durch amnestische Lücken bedingte Unsicherheit ein Nachdenken fördern, in das sich zunehmend Befürchtungen mischten, was noch alles an "schrecklichen Dingen" hätte passieren können. All diese Erkenntnisse machten deutlich, dass "es nicht um ein detektivisches Zuordnen von Details gehen könne, sondern um kontextuelles Verstehen vor dem Hintergrund mittlerweile gesicherter wissenschaftlicher Daten". Angesichts der Ergebnisse zahlreicher Studien zum Zusammenhang zwischen frühkindlicher Traumatisierung und der Entwicklung einer dissoziativen Identitätsstörung und der ohne jeden Zweifel bei der Klägerin bestehenden derartigen Störung sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Gesundheitsstörungen auf einen sexuellen Missbrauch der Klägerin während ihrer Kindheit zurückzuführen seien. Die MdE sei mit 100 v.H. zu bewerten, wobei die Folgen der dissoziativen Identitätsstörung als schwere Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einer MdE von 80 zu bewerten sei.
Der Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch vom Ärztlichen Dienst des Versorgungsamtes Würzburg vom 2. Juli 2003 eingeholt, die darauf verwiesen hat, grundsätzlich sei es nicht möglich, aus der Art der psychopathologischen Auffälligkeiten auf deren Ursache zu schließen. Trotz zahlreicher Berichte über ambulante und stationäre psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen sei die diagnostische Bewertung nicht eindeutig und nicht schlüssig. Das Gutachten nenne vier ICD-Diagnosen, die sich teilweise widersprächen. Unter der Voraussetzung, dass traumatisierte Misshandlungserlebnisse objektiviert werden könnten, könne nur eine MdE von 50 v.H. empfohlen werden. Vorhandene Ressourcen würden durch das kompetente Durchsetzungsvermögen in Rentenangelegenheiten und der Frage weiterer Psychotherapien, in Scheidungs- und Versorgungsangelegenheiten deutlich.
Die von Dr. Sch befürwortete Befragung der Mutter der Klägerin und Beiziehung von Zeugnissen etc. hat Dr. S in einer Stellungnahme vom 20. August 2003 nicht für weiterführend angesehen und zu den übrigen Kritikpunkten zu ihrem Gutachten angegeben, es sei nicht ihre Aufgabe gewesen, einen Vollbeweis für den sexuellen Missbrauch zu liefern, sondern eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit zwischen einem derartigen Missbrauch und den vorliegenden Gesundheitsstörungen. Gerade repetitive Traumatisierungen im Kindesalter seien nur einer unzureichenden Tatsachenaufklärung zugänglich, dennoch bestehe an posttraumatischen Störungsbildern kein vernünftiger Zweifel.
In einer weiteren Stellungnahme vom 5. Januar 2004 hat Dr. Sch darauf verwiesen, dass eine aussagepsychologische Begutachtung nachzuholen sei. Ergebe sich dabei die ausreichend wahrscheinliche Annahme früherer Traumatisierungen, müssten Schadensfolgen nach Entstehung und Verschlechterung differenziert werden.
Das Sozialgericht hat die Mutter der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2004 als Zeugin gehört. Die Zeugin hat angegeben, als die Klägerin 4 ½ Jahre alt gewesen sei, hätten sie eine eigene Wohnung bekommen. Schon damals habe sie das Gefühl gehabt, dass die Tochter ihr sehr fremd sei. Sie sei nicht an sie "rangekommen". Sie könne sich nur noch an den Jähzorn ihres Mannes gegenüber der Klägerin erinnern, nicht aber an einzelne Situationen. Erst 2002 habe ihre Tochter versucht, mit ihr über den sexuellen Missbrauch zu sprechen. Sie könne dazu nur sagen, dass sie nie etwas bemerkt habe und sich deshalb Vorwürfe mache. Sie könne sich nur an eine Situation kurz nach der Geburt des Sohnes erinnern. Da sei sie in das Zimmer reingekommen. Ihr Mann und ihre Tochter hätten in einem Bett gelegen. Sie habe das Gefühl gehabt, dass sie etwas eigenartig guckten, etwas verlegen. Sie habe die Situation nicht einordnen können, habe aber die Klägerin sofort aus dem Bett geholt, um sie zu schützen. Sie schließe einen Missbrauch nicht aus. Das zeige ihr die Erfahrung mit ihrer Enkeltochter.
In der Folgezeit hat die Klägerin ihre Schulzeugnisse, verschiedene Zeichnungen sowie tagebuchartige Aufzeichnungen und Gedichte zur Akte gereicht.
Durch Urteil vom 8. November 2004 hat das Sozialgericht die Klage ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Der vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff, in deren Folge die diagnostizierte multiple Persönlichkeitsstörung eingetreten sein solle, sei nicht ausreichend nachgewiesen. Die Schädigung sei im Wege des Vollbeweises nachzuweisen. Weder habe die Mutter Angaben zu einem sexuellen Missbrauch machen können, noch sei ein solcher den beigezogenen medizinischen Unterlagen zu entnehmen. Nach der Auskunft von Dr. M sei bei der damaligen therapeutischen Arbeit ein eventueller sexueller Missbrauch nicht als schwerwiegende Traumatisierung erkennbar gewesen, sondern eine frühe Traumatisierung in der Mutter-Kind-Beziehung gravierender erschienen als die später konfliktreiche Vater-Tochter-Beziehung. Auch durch das Gutachten von Dr. S werde nicht zur vollen Überzeugung der Nachweis geführt, dass die Klägerin Opfer eines Missbrauchs geworden sei. Zwar habe die Sachverständige nachgewiesen, dass die Klägerin an einer dissoziativen Identitätsstörung leide, dadurch werde der Nachweis des Missbrauchs jedoch nicht erbracht, weil die Sachverständige aus der Diagnose auf die Ursachen geschlossen habe. Die Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), die auch im OEG Anwendung finde, erfordere, dass der Kläger Angaben aus eigenem Wissen machen könne. Dies sei nicht der Fall.
Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin, dass sie sehr wohl Angaben aus eigenem Wissen sowohl schriftlich als auch gegenüber der Gutachterin als auch im Verhandlungstermin gemacht habe. Das Sozialgericht habe auch nicht gewürdigt, dass ihre Mutter angegeben habe, es habe Situationen gegeben, die sie im Hinblick auf einen eventuellen sexuellen Missbrauch hätte hinterfragen müssen. Aufgrund der Besonderheit der Erkrankung, die eine Verdrängung der Ereignisse erforderlich mache, seien Beweiserleichterungen einzuräumen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. November 2004 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. September 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Anerkennung sexuellen Missbrauches Versorgung nach dem OEG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Rentenversicherung Bund beigezogen und von dem Beklagten eine Bedürftigkeitsprüfung durchführen lassen. Danach steht der Klägerin bei einer fiktiv angenommenen MdE von 60 v.H. eine Leistung nach § 10 a OEG zu.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des sozialgerichtlichen Verfahrens, der Rentenakten der Rentenversicherung Bund (3 Bände) und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht Berlin ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG hat, weil ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff gegen ihre Person nicht nachgewiesen ist.
Gemäß § 1 Abs.1 S. 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes ...infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine ...Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der vorsätzliche rechtswidrige Angriff als anspruchsbegründende Tatsache im Sinne des § 1 OEG muss zur Überzeugung des Gerichts erwiesen sein, d. h. es muss von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder von einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt. Fehlt es daran, geht dies zu Lasten des Antragstellers.
Der Senat konnte das Vorliegen eines solchen Missbrauchs nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen. Zeugen der geltend gemachten Misshandlungen gibt es nicht. Die Mutter der Klägerin hat angegeben, nie etwas bemerkt zu haben. Als einzige konkrete Situation hat sie angegeben, kurz nach der Geburt ihres Sohnes ihren Mann und ihre Tochter im Bett liegend angetroffen zu haben. Sie habe das Gefühl gehabt, dass beide etwas eigenartig geguckt hätten, etwas verlegen. Dies reicht für den Rückschluss auf einen sexuellen Missbrauch nicht aus. Denn die Tatsache, dass ein Kind zu den Eltern bzw. zu einem Elternteil ins Bett kommt, ist nichts Ungewöhnliches. Soweit die Zeugin angegeben hat, beide hätten verlegen geguckt, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Aus dem Gesamtzusammenhang der Zeugenaussage ist nämlich zu schließen, dass die Situation sich ereignet hat, als die Klägerin 1 ¼ Jahre alt war. Insoweit ist ein verlegener Gesichtsausdruck eines Kleinkindes nicht nachvollziehbar. Soweit die Zeugin angegeben hat, sie habe ihre Tochter aus dem Bett entfernt, "um sie zu schützen", folgt daraus nichts anderes. Diese Aussage steht im Widerspruch zu der vorherigen Angabe, "nie etwas bemerkt zu haben". Dann bestand jedoch auch keine Veranlassung, die Tochter zu schützen. Auch war die Zeugenaussage in dem Gesamtzusammenhang zu sehen, dass nach den Angaben des behandelnden Chefarztes des Dkrankenhauses H Gegenstand der ersten psychiatrischen Behandlungen die therapeutische Aufarbeitung eines schweren frühkindlichen Mangels an mütterlicher Zuwendung gewesen sei.
Einen Nachweis des Missbrauchs ist auch nicht durch das Sachverständigen-Gutachten von Dr. S erbracht worden. Denn die Sachverständige hat in ihrer Stellungnahme vom 20. August 2003 darauf verwiesen, dass es nicht ihre Aufgabe gewesen sei, den Vollbeweis eines sexuellen Missbrauchs zu führen, sondern zu der Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen der Erkrankung der Klägerin und dem geltend gemachten Missbrauch Stellung zu nehmen.
Durch die Erkrankung als solche kann das schädigende Ereignis im Einzelfall nicht nachgewiesen werden. Zwar hat Dr. S darauf verwiesen, dass ein Mensch nur dann eine dissoziative Identitätsstörung ausbilden könne, wenn der Beginn in der frühen Kindheit liegt. Auch verkennt der Senat nicht, dass in der familiären Vorgeschichte von Patientinnen mit dieser Erkrankung zu über 90 % Angaben über schwere frühkindliche Traumatisierungen in Form von sexueller, körperlicher und emotionaler Misshandlung enthalten sind. Da die Gutachterin jedoch zugleich Umstände einer emotionalen Misshandlung aufzeigt, die auch in den psychiatrischen Behandlungen ab 1981 aufgearbeitet worden ist, ist es denkbar, dass diese schädigende Einwirkung das Erkrankungsbild ausgelöst hat. Ein Beweis des ersten Anscheines kann deshalb insbesondere wegen abweichender konkreter Anhaltspunkte nicht geführt werden.
Ein Missbrauch kann auch nicht unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 15 Abs. 1 KOV-Verfahrensgesetz (KOVVfG) als glaubhaft gemacht angesehen werden. Danach können der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde gelegt werden, wenn Unterlagen nicht vorhanden sind oder ohne Verschulden des Antragstellers verloren gegangen sind. Diese Bestimmung ist zwar grundsätzlich auch im Verfahren über Ansprüche nach dem OEG anwendbar. Sie erfordert jedoch, wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 3; BSGE Band 83, 279, 282 mwN), dass der Antragsteller Angaben aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machen kann. Dies begründet das BSG damit, dass Tatsachen, die lediglich glaubhaft oder überwiegend wahrscheinlich sind, der Entscheidung grundsätzlich nur dann zugrunde gelegt werden dürfen, wenn zugleich der Antragsteller die strafrechtliche Verantwortung dafür übernimmt, dass seine Angaben - zumindest subjektiv - den Tatsachen entsprechen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Denn die von der Klägerin in diversen schriftlichen Stellungnahmen und Zeichnungen vorgetragenen Ereignisse sind nach den überzeugenden Ausführungen der Gutachterin durch die peritraumatische Informationsverarbeitung erheblich beeinträchtigt. Auch die später auftauchenden "Flash-back-Inhalte" seien nicht als fotografisch gespeicherte Detail-Erinnerung zu verstehen, sondern als Verbildlichung subjektiver Befürchtungen, in denen die schlimmsten Ängste einer Person wieder erwachen. Es könne nicht um ein detektivisches Zuordnen von Details gehen, sondern um kontextuelles Verstehen vor dem Hintergrund mittlerweile gesicherter wissenschaftlicher Daten. Da jedoch die Anwendung des § 15 KOVVfG die Angabe von Tatsachen voraussetzt, können die aus Träumen und Körpererinnerungen hergeleiteten Verdachtsmomente nicht zur Glaubhaftmachung schädigender Ereignisse verwendet werden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt nach der Rechtsprechung des BSG auch keine Beweiserleichterung für den Fall, dass der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung nicht in der Lage ist. Zwar hat die Klägerin auf eine Entscheidung hingewiesen, in der § 15 KOVVfG entsprechend angewendet worden ist. Diese Beweiserleichterung soll aber, wie das BSG in der bereits zitierten Entscheidung SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 ergänzend ausgeführt hat, nur für den Fall gelten, dass das Vorliegen einer Straftat als Ursache außer Zweifel steht und die Beweislage zusätzlich durch rechtsstaatswidrige Durchführung der Ermittlungen beeinträchtigt worden war. Diese besonderen Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Nach alledem hatte die Berufung keinen Erfolg.
Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Berufung keinen Erfolg hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved