S 26 R 282/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 282/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 95/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Der am 00.00.1914 in L in Polen geborene Kläger ist Jude und Verfolgter des Nazi-Regimes und lebt seit 1949 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit. Er beantragte am 06.06.2003 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Er gab dabei an, er habe von Frühling 1940 an bis März 1943 während seines Aufenthaltes im Ghetto von Kielce (im Generalgouvernement) außerhalb des Ghettos Tätigkeiten als Arbeiter verrichtet. Er habe im Steinbruch und auf dem jüdischen Friedhof Grabsteine gebrochen. Er habe 10 bis 12 Stunden täglich gearbeitet. Er sei von Polizisten bewacht worden. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden bzw. durch freiwillige eigene Bemühungen zustande gekommen. Bekommen habe er dafür Essen in Form von Brot, Suppe, Gemüse und den Schutz vor Deportierung und Tod. Geld habe er nicht erhalten (Bl. 35 der Rentenakte).

In einem Entschädigungsverfahren nach dem BEG hat der Kläger 1959 angegeben, danach dann im März 1943 in das Zwangsarbeitslager Tschenstochau gekommen zu sein. Von dort sei er im Dezember 1944 in die Umgebung geflüchtet. Dort habe er sich versteckt bis zur Befreiung des Gebiets im Januar 1945. In Polen sei er dann geblieben bis zu seiner Auswanderung 1949. Seit dem lebe er in Israel.

Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge nach dem BEG von dem Wiedergutmachungsamt Saarburg bei, mit den früheren Angaben zu dem Aufenthalt im Ghetto von Kielce. In diesem Entschädigungsverfahren hatte der Kläger in den 50er Jahren angegeben: "Im Frühling 1940 wurde das große Ghetto Kielce errichtet und befand ich mich seit der Zeit in diesem Ghetto. Ich wurde auch hier zu Zwangsarbeiten eingezogen und verrichtete solche während meiner Ghettohaft, welche bis August 1942 dauerte, beim Steinbruch, wohin ich stets unter Bewachung gebracht wurde. Im August 1942 wurde ich in das verkleinerte so genannte kleine Ghetto Kielce überstellt und befand ich mich hier bis März 1943; ich wurde weiterhin gezwungen Schwarzarbeiten zu verrichten und zwar Säuberungsarbeiten und Grabsteine am jüdischen Friedhof zu demolieren". Eine Zeugin T hatte angegeben: "Er (der Kläger) wurde von mir so im großen Ghetto Kielce bis August 1942, als auch nachher im kleinen Ghetto Kielce bis März 1943 ständig gesehen, ich weiß, dass er stets zu Zwangsarbeiten herangezogen wurde". Ein Zeuge M gab damals auch an: "Seit Frühling 1940 befand ich mich zusammen mit Herrn C im großen Ghetto Kielce und seit August 1942 im so genannten kleinen Ghetto Kielce. Während dieser unserer ganzen gemeinsamen Haftdauer im Ghetto Kielce bis Frühling 1943 - ungefähr März - wurde Herr C von mir fast täglich auf dem Terrain des Ghetto gesehen, so bei den Zwangsarbeiten, welche wir fast immer zusammen verrichteten ..." (Bl. 15-17 der Rentenakte).

Mit Bescheid vom 02.09.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Die früheren Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren ließen nicht erkennen, dass es sich damals um frei gewählte Beschäftigung im Sinne des ZRBG gehandelt habe. Vielmehr sei aufgrund der Tatsache, dass er zur Arbeitsleistung eingezogen wurde, der Verbringung in dem Steinbruch sowie der späteren Zerstörung jüdischer Grabsteine davon auszugehen, dass es sich seinerzeit um Zwangsarbeiten gehandelt habe.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28.09.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er im wesentlichen vor, die Arbeit faktisch "aus eigenem Willensentschluss" aufgenommen und ausgeübt zu haben, um eben dem Tod oder Deportierung zu entgehen. Die Beklagte wende die Vorschrift des ZRBG falsch an, entgegen dem eigentlichen Zweck des Gesetzes, Verfolgten eine Abfindung zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlicher wieder und führte noch ergänzend aus, von einem Beschäftigungsverhältnis mit einem Austausch wirtschaftlicher Werte im Sinne einer Gegenseitigkeitsbeziehung sei nicht auszugehen. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 sei nicht davon auszugehen, dass eine entgeltliche Beschäftigung vorgelegen habe. Bloße Gewährung von freiem Unterhalt begründe keine Entgeltlichkeit im Sinne des Gesetzes.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 30.05.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung nimmt der Kläger sinngemäß Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht er geltend, für seine Tätigkeit habe er auch Lohn in Form von Sachbezügen zur beliebigen Verfügung bekommen, also hier Essen am Arbeitsplatz und wöchentlich zusätzliche Lebensmittel für zu Hause. Dies hätte die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Auch der historische Hintergrund müsse gesehen werden. Allein frühere Aussagen, es habe "Zwangsarbeit" vorgelegen, sei nicht anspruchsvernichtend.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2005 zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihm anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von April 1940 bis August 1942 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung im Steinbruch - und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung ggf. noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, sie gehe weiterhin unter Berücksichtigung des bekannten Urteils des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 hier von schon nicht ausreichendem versicherungspflichtigem Entgelt im Sinne des ZRBG aus. Etwaige Ansprüche aus Zwangsarbeit könnten im übrigen nur nach dem Stiftungsgesetz geltend gemacht werden, nicht aber gegenüber der Rentenversicherung.

Das Gericht hat die Entschädigungsakten des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Entschädigungsakte Bezug genommen; alle diese Akten und Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist aber unbegründet. Die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 02.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht ausreichend glaubhaft gemacht sind und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen.

Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem Bescheid vom 02.09.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen wiedergegeben und weshalb hier nicht von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausgegangen werden kann.

Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung einer Altersrente ist nach § 35 SGB VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff SGB VI hat der Kläger aber nicht. Die Anwendbarkeit des ZRBG zu seinen Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland scheitert hier schon daran, dass er keine Beschäftigung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht hat, die auch eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet wäre.

I. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Tätigkeit, für die sogar ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müsste, um überhaupt rentenrechtlich relevant zu sein, entsprechend § 1227 der 1940 bis 1942 für die allgemeine Rentenversicherung gültigen Reichsversicherungsordnung, wonach Zuwendungen allein zur Unterhaltssicherung keine Rentenversicherungspflicht begründet hätten. Auch soweit der Kläger nur den Zeitraum bis August 1942 geltend macht, in dem er im Steinbruch tätig war, erscheint die Annahme eines aus eigenem Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigungsverhältnisses auch entgeltlicher Art nicht glaubhaft, gerade angesichts der Angaben des Klägers im früheren Entschädigungsverfahren und seiner damaligen früheren Zeugen. Damals hat der Kläger nämlich selbst angegeben, zu "Zwangsarbeiten" "eingezogen" worden zu sein und zum Steinbruch auch stets unter Bewachung gebracht worden zu sein. Auch die Zeugin T sprach davon, dass der Kläger "stets zu Zwangsarbeiten herangezogen" worden sei. Genauso berichtete der Zeuge M ausschließlich über Zwangsarbeiten. An diesen früheren Schilderungen kann die Kammer bei der Bewertung der damaligen Tätigkeit des Klägers nicht vorbeigehen. Bekommen hat er dafür nach seinen eigenen Angaben im Rentenantrag nur Brot, Suppe und Gemüse, und kein Geld. Die Ausübung einer Tätigkeit schützte ihn zwar vor Deportierung und Tod; doch lassen alle äußeren Umstände wie Heranziehung zur Arbeit, Bewachung auf dem Weg von und zur Arbeit, Ausübung einer körperlich sehr schweren Tätigkeit und dies ohne nennenswertes Entgelt nur den Schluss zu, dass die Arbeitskraft des Klägers ausgenutzt wurde und die Arbeit nicht wirklich aus eigenem Willensentschluss im Sinne des ZRBG zustande gekommen sein konnte, also Zwangsarbeit darstellte, die nicht unter das ZRBG fällt. Soweit der Kläger bzw. seine Zeugen dabei das Wort "Zwangsarbeit" benutzten, so kann dies angesichts der näher dazu geschilderten Umstände hier auch so verstanden werden (vgl. LSG NRW Urteil vom 18.07.2005 - L 3 RJ 101/04 und Sozialgericht Hamburg Urteil vom 25.08.2006 - S 19 RJ 162/04). Dem substanziiert Entgegenstehendes wurde auch mit der Klage nicht vorgetragen. Allein die erstmalig im Klageverfahren gemachte schriftsätzliche Behauptung, der Kläger habe wöchentlich auch zusätzliche Lebensmittel für zu Hause erhalten, ist nicht substanziiert genug (vgl. LSG NRW Urteil vom 20.10.2006 - L 14 R 4/06), zumal im Regelfall die Lebensmittelrationen im Ghetto unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze lagen (LSG NRW Urteil vom 18.07.2005 - L 3 RJ 101/04). Zudem reicht allein selbst "gute Verpflegung" nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) noch nicht aus zur Begründung von Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG.

II. Im übrigen wird klägerischerseits verkannt, dass das ZRBG in der vorliegenden Fassung zur Überzeugung der Kammer von vornherein nicht geeignet ist, Ansprüche für einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von den meisten heute noch lebenden Ghetto-Insassen gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem Wortlaut dieses Gesetzes reicht eben nicht jede Art von Tätigkeit anlässlich Aufenthalt in einem Ghetto aus, um ins Ausland zahlbare Rentenansprüche nach dem ZRBG zu begründen; die Kammer pflichtet bisher weiter dem Urteil des 13. Senats des BSG vom 10.07.2004 (s. o.) bei. Eine klare Sachentscheidung, die die Tätigkeit des Klägers hier anders bewerten könnte, ist auch mit der Entscheidung des BSG vom 14.12.2006 - B 0 R 00/00 R - nach der bisher vorliegenden Pressemitteilung nicht getroffen worden; es wurde dort nur aus formalen Gründen der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen, ohne dass wesentlich neue Grundsätze auch schon abschließend aufgestellt worden wären und ohne das der 4. Senat des BSG den Großen Senat angerufen hätte, was grundsätzlich erforderlich gewesen wäre, wenn der 4. Senat hätte wesentlich von der Auffassung des 13. Senats im vorbezeichneten Urteil abweichen wollen.

III. Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal des Klägers, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der bisher vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW gemachten Vorgaben keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch des Klägers zu entsprechen. Das ZRBG gibt solche Ansprüche für ihn zur Überzeugung der Kammer nicht her.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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